6.1.1998, vor Mitternacht
Das, was mir allerliebst,
hatt´ ich in tiefster Schuld zerstört
und selbst die Hölle durchgelitten
Das, was Du mir jetzt gibst,
oh Gott, es hat nicht aufgehört,
die Liebe lässt sich nicht erbitten.
Ich dank´ Euch, meine Lieben!
Die Worte klingen viel zu schal.
Ich bleibe tief in Schuld verstrickt.
Mir ist, als könnt´ ich fliegen
und säh´, wie Ihr im Jammertal
mit ausgeriss´nen Flügeln liegt.
18.5.2012
Ich habe ausgespielt!
Mein Leben fragt nicht mehr nach mir.
Ein Schrei in mir befiehlt:
Hau´ ab, was suchst du denn noch hier?
Doch Gott lässt mich nicht sterben,
so sehr ich ihn darum auch bitte.
Soll sich mein Messer färben
durch Blut selbst beigebrachter Schnitte?
Ach, alles scheint vertraut.
Die Zeit verrinnt, kennt nicht Gefühle.
Was schon´ ich meine Haut?
Der Tod ist Ziel doch alle Ziele!
24.6.2012
Ich habe alles von mir gegeben.
Ich weiß: Deine Strafe war gerecht.
Nun nimm mir bitte, bitte mein Leben!
Ach, schenke mir Gnade, ich war so schlecht!
Ich will und kann nicht mit Dir hadern.
Soll ich denn öffnen meine Adern?
Soll Sünde ich zu Sünde fügen?
Nein, lass mich nicht auch selbst belügen!
Lass andere Herzen für mich schlagen,
die meiner Lieben, wie in Tagen,
die ich zu leben nicht mehr schaffe,
selbst wenn ich mich mit Dir aufraffe.
27.4.2000
Schrecklich, im Sterben zu leiden.
Doch der Tod gibt den Sinn.
Leiden dagegen im Leben,
wo der Tod ohnehin
täglich bereit, sich zu zeigen,
kann auch Glück nicht beheben.
Abschied
Trauerweide,
durch verhangenes Haar
langer Blick
streift starr
vorbei an Schemen des Zurück.
Stumm bewegte Lippen
wie im Wellenkreis entrücken.
Leises Licht
in lockere Schatten
des Gesichts
gefaltet,
wartend.
Durch den Schleier heißen Atems
flimmernd bricht
welke Hand,
zerfranst
in müdem Winken.
Abend
Die Abendsonne hat mit Wimpern durch den Wind geblickt,
mit langen Schatten Träume wie aus Nacht sich hingenickt.
Ach nein, sie hat die Bäume schon zum Schlafen sanft umgeknickt!
Abendgedanken
Diese Abende, diese Sehnsucht
nach dem Schlaf, nach dem Tod?
Diese Morgen, diese Ausflucht
in den Schein, zu dem Gott?
Tag und Nacht, diese Heimsucht:
Ja und Nein ins Pendellot.
Dieses Leben, in der Felsschlucht
auf dem Wasser, leckes Boot.
Abendstimmung II
Im Licht des Abends wächst die Sehnsucht,
die Sehnsucht nach Vertraut,
Geborgenheit der Seelenbucht,
die man als Kind geschaut.
Ein Ahnen ist uns nur geblieben,
in Kähnen schwanken wie in Wiegen.
Abendstimmung
Die Sonne sinkt in tiefes Rot.
Die Glut verglimmt. Man denkt: Der Tod
ist uns bestimmt. Welch ein Gebot!
Gehorcht wird blind, und niemand droht.
Denn Leben bringt uns Qual und Not.
Die Zeit verrinnt. Es kreist das Lot.
Die Seele schwingt, sind wir schon tot?
Abgesang
Jetzt, da die Kühle mir
vom nahen Tode kündet,
verschließ´ ich meine Tür.
Vom vielen Schlaf erblindet,
verträum´ ich mich zu dir,
mein Gott, und sterb´ nur hier!
Abgesang
Bleich ist alles Licht geworden.
Beinern schimmert das Gestein.
In den weichen Schatten trocknen
stillgeduckte Träume ein,
ahnend ein starrendes All.
Laue Luft streift selbstverloren.
brüchige Gedankenreih´n.
Zeiten breiten fein verwoben
Lügen über scheues Sein.
Abgrund
Immer, wenn das Leid dich übermannt,
hält dich Gott mit seiner sanften Hand
schützend über ungeheurem Schlund:
seines Wesens Tiefe ohne Grund!
Abgründig
Gott ist nicht himmlisch,
denn wir können nicht fliegen.
Er ist abgründig,
denn wir können fallen,
und er hält uns tief unten auf.
Abschied II
Ein leerer Wunsch entsagt vergilbtem Eid.
Gedanken starren in die tote Zeit,
verschwimmen fraglos in Verschwiegenheit.
Verschlossen streift der Abschied, längst bereit,
mit klammer Hand das steife Festtagskleid.
Abschied III
Es ist der Abschied.
Die Schatten werden nicht mehr länger.
Ich bin gefasst wie nie!
Er ist uns in die Wiege gelegt
und hallt wie euer letztes böses Wort
und mein Schrei
unter weiten, brennenden Augen.
Abschied IV
Die Abschiedsworte klingen munter.
Die Gäste zieht es magisch heim.
Doch niemanden erwarten Wunder.
Du bleibst zurück und bist allein.
Abschied
So sieht ein Abschied immer aus:
Du möchtest so viel Letztes tun.
Du reißt dich aus der Welt heraus.
Sie wird in der Erinnerung ruh´n,
Die neue Welt treibt dich voraus
zum nächsten Abschied, letzten nun?
Akademische Bildung
Es antwortet auf die Frage: Wie viele Ecken hat der Würfel?
der katholische Theologe:
„Die Beantwortung der Frage ist zweitrangig. Für uns ist vor allem wichtig die Erkenntnis, dass wir sie beantworten können; in dieser Fähigkeit offenbart sich die Göttlichkeit unseres Daseins. Amen.“
der evangelische Theologe:
„Die Beantwortung der Frage ist zweitrangig. Für uns ist vor allem wichtig die Erkenntnis, dass wir sie beantworten können. Darin offenbart sich die Beschränktheit dieser unserer Welt und unseres Gesichtskreises. Amen.“
der Jurist:
„Römisch Eins: Der Würfel könnte null Ecken haben.
Arabisch Eins: Dafür spricht: nichts.
Arabisch Zwei: Dagegen spricht: alles
Römisch Zwei: Der Würfel könnte eine Ecke haben.
Arabisch Eins: Dafür spricht usw. usw.
der Mediziner:
„Will ich gleich mal nachzählen.“
der Philosoph:
„Dieses Problem ist in der Fachliteratur noch viel zu wenig behandelt worden. Ich persönlich möchte in Anlehnung an den Philosophen XY fast der Ansicht zuneigen, dass der Würfel wohl drei Ecken hat, denn die Drei ist Symbol der Zweckmäßigkeit, und warum sollte der vielgebrauchte Würfel nicht zweckmäßig aufgebaut sein?“
der Philologe:
„Würfel? Pha! Was halten Sie von Werfel, Franz Werfel, eine Persönlichkeit, die …....“
der Orientologe:
„Upscha tamta rürfartra......“
der Naturwissenschaftler:
„Der Würfel hat bekanntlich 6 Seiten. Jede Seite hat 4 Ecken. 6 x 4 = 24, dividiert durch 3, weil jede Ecke zu 3 Seiten gehört, macht 8.“
Albtraum eines nicht Schwindelfreien
Hiiilfe!
Ich darf nicht in die Tiefe blicken.
Sie zieht mich sonst hinab.
Augen schließen!
Festkrallen!
Hiiilfe!
Die Muskeln werden weich.
Hiiilfe!
Ich fühle mich haltlos,schwebend.
Hiiilfe!
Lieber freiwillig hinabstürzen
als diese Todesangst.
Hiiilfe!
Gott sei mir gnädig!
Aaaaaaa........
Vom Schrei
herzklopfend aufgewacht.
Allein II
Du bist nicht allein auf die Welt gekommen,
und du kannst in der Welt nicht allein leben,
doch du wirst allein aus der Welt gehen,
und wenn du's genau besiehst,
warst du immer allein
und die anderen eben andere.
Allein im Gras
Verschwommene Gefühle
hinter pochendem Herzen
Ein Wehtun ohne Schmerzen
Die Sehnsucht nach unverschuldetem Tod
Träumen im schwankenden Boot
Meer und Himmel vermischt
Sanftem Regen
Aus Luft und Licht
Betend ergeben
Bitte ja!
Bitte nicht!
Allein
Allein, das heißt:
als einer alles sein.
Doch so allein,
dass man nicht einmal mehr
mit sich allein ist,
ist man erst im Tod!
Allerheiligen 07
Hört das Schweigen der Toten!
Ist das etwa das Nichts?
Das Nichts hat keine Boten
Das Dunkel ist Bote des Lichts!
Wir kennen Boten des Todes.
Verkünden sie etwa das Nichts?
Die Neige des Lebensbrotes
zeugt nicht vom Geist des Verzichts!
Im Sein entstand das Leben.
Ein Nichts entstand hier nicht.
Und was vergeht, bleibt eben
vergangen seiend schlicht!
Allerheiligen 2015
Die Gräber kennen keine Seelen.
Es fliegt ein buntes Blatt heran,
Den matten Sonnenstrahlen fehlen
die Ahnung, was Gott hat getan,
uns weinend antut immer wieder.
Am Abend legt sich Nebel nieder.
Die Nacht legt Träume in die Särge,
träumt Todesseel´n für gute Werke.
Allerheiligen
Die Bäume sind knorrig, die Leute auch.
Vermodertes Obst riecht, Gräberweihrauch.
Das Kirchlein schläft noch. Ein Greis stößt auf.
Er sitzt hinterm Stock, die Hände am Knauf.
Am Himmel tobt der Luftverkehr.
Man richtet sich zum Kirchgang her.
Und später in den Gräberreih´n
wird Stille in den Seelen sein.
Ein Kreuz umspielt im Fall das Laub.
Das Licht wirkt blind, die Zeit voll Staub.
Allerheiligen
Moderndes Grab
unter den Runen
schwarzen Geästs:
Aus dem braunen Laub
reifstarr blickt
greises Kind,
verweint,
still ins trockene Licht.
Den Geruch von faulem Obst
hält die klare Luft
-oh Chorgesang!-
in bitterkalten Händen.
Stumm neigt sich ein Schatten,
beugt sich der Nacht.
Alles eins
Die wirren Wege,
die ich immer wieder wandle,
meist eilend
und zu oft im Weinen weilend,
sie werden einmal eins
wie eine nur vom Geist
zu zeichnende Gerade,
ins ewig Weite weisend.
Dann heißt es gütig: „Warte!“
Das war's dann wohl.
Ein Ziel gibt’s nicht,
du brauchst auch keins.
Du bist nicht mehr.
Ist alles eins.
Ist nichts.
Ist eins gleich Kein´s.
Alles Windhauch?
Es ist da was um unser Sein,
ein Ahnen gibt uns etwas ein.
Ich sitze da und denke nach.
Man ahnt so viel, der Geist ist schwach.
Ach, letztlich ist doch alles nur
uns eingegeben von Natur.
Wir glauben, denken, werten, fühlen.
Ist´s Wind nur für die Lebensmühlen?
Allverbindend
Ich streife durch die Stadt
und schau´ Gesichter an,
die Landschaften der Seelen.
Und ab und zu,
da ernte ich
ein mütterliches Lächeln.
Ich schau´ wohl wie ein Kind,
so absichtslos
wie dieses Lächeln,
so offen aus der Tiefe,
die alle Menschen doch verbindet.
Alter
Endlich sterben.
Nicht mehr leben.
Wenn auch leider
dies nicht merken.
Alter Mann
Es sitzt im Park auf einer Bank
ein alter Mann. Er ist schwer krank.
Man sieht es ihm jedoch nicht an,
dass er sich nicht mehr freuen kann.
Ein Kind läuft arglos auf ihn zu.
Er denkt sich: „Lass´ mich doch in Ruh´!“
Doch lächelt er. Das Kind bleibt stehen,
läuft wieder weg. Was ist geschehen?
Es hat die Traurigkeit gespürt,
in der auch Lächeln nicht verführt.
Bald kommt ein Hund herangesprungen
und bellt und knurrt aus vollen Lungen.
Er will die Traurigkeit verbellen.
Zu Hunden schlägt sie weite Wellen.
Das hat der Mann schon oft erfahren,
nicht erst in diesen schlimmen Jahren.
Ging er spazieren, kamen Hunde
und zogen schnüffelnd ihre Runde.
Doch, war er nicht von Schwermut frei,
dann sprangen bellend sie herbei!
Der Hund folgt jetzt dem Ruf des Herrn
nicht mehr, und dieser eilt von fern
heran – zum toten alten Mann.
Alter
Seltsam, man begegnet greisen Gesichtern,
fragt sich: Sind sie's oder sind sie's nicht?
Ihre Blicke starren, sie irrlichtern.
Weg sind sie, bald nicht nur aus der Sicht.
Alternative
Für´s Leben kannst du nichts dafür.
Drum geht es dir nichts an.
Entweder nimm es dir!
Ja, oder lebe es als Wahn!
Altersbilanz
Im Alter ziehe ich Bilanz:
Das Leben war nicht lebenswert!
Selbst hinter all dem bisschen Glanz
hab´ ich nur Dreck hervorgekehrt.
Nur Leid und Ungerechtigkeit
hab´ ich erlebt, verfluchte Zeit!
Ich war zum Sterben stets bereit,
zum Selbstmord aber viel zu feig´.
Wird auch der Tod noch Unheil bringen,
so wie es die Geburt doch tat?
Ach, möge er das Nichts erzwingen,
das leblos vor dem Leben lag!
Ans Paradies ist nicht zu denken:
Soll Totsein mehr als Leben schenken?
Altersgedicht
So also kommt der Alterstod!
Nichts hat das Leben mehr zu sagen.
Kein Abschied und kein Abendrot.
Du hättest Grund, doch willst nicht klagen.
Erlebtes drängt sich auf, nichts ruht.
Die Zeit enteilt, es gibt kein Rasten.
Ja, deine Lieben meinen's gut.
Du willst sie nicht zu sehr belasten.
Viel kannst du nicht mehr, was du willst.
Du lebst fast nur noch in Gedanken.
Und wenn du wie ein Kind dort spielst,
dann hebt der Tod die letzten Schranken.
Altes Haus
Betrachte nur ein altes Haus!
Wie viele haben dort gelebt!
Sie gingen ein und gingen aus
für etwas Glück, wonach man strebt.
Sie sind nicht mehr, doch ohne sie
wär´ anders, als sie ist, die Welt.
Ein Sandkorn selbst – und säh´ man's nie -
ist für das So der Welt bestellt.
Am Abend
(Heile Welt)
Der späte Strahl der Sonne
versöhnt den schlimmen Tag.
Von weicher, warmer Wonne
verhöhnt, verblasst Verrat.
Die Vögel sind zufrieden,
sie hören sich selbst an.
Sie wollen nicht mehr fliegen,
die Nacht haucht kühl heran.
Ein schlimmer Tag vergangen,
ein schlimmer kommen mag:
Was soll jetzt Weh´ und Bangen
am Abend ohne Plag´?
Im Anfang war... der Fluch?
Ungefragt in das Leben geboren,
leidgeplagt an den Tod verloren,
ohne vom Leid erlöst zu werden,
denn befreit ist man erst nach dem Sterben.
Unbemerkt also bleibt das Ersehnte,
weiter vererbt wird das Abgelehnte.
Welche Schuld ist denn die Quelle
für den Fluch der Lebenshölle?
War´s im Anfang Gottes Wort,
wirkt´s im Untergang nur fort?
War´s ein Fluch aus Gottes Mund,
der uns schuf; schlug er uns wund?
Am Bach
Die plätschernden Gedanken hier
verplaudern fast Vergess´nes.
Benetze, Bach, die Stirne mir,
bin starrr geträumt, Gewes´nes.
Oh wie die Zeit dein Wasser treibt,
das trotzdem immer Wasser bleibt:
So wach träumst du Vergangenheit!
Doch wie in stillem Wasser spiegelt
mein Leben mich und bleibt versiegelt!
Am Bach
Ich sitze gerne im Gras am Bach
und lass´ Gedankenschiffchen schwimmen.
Und Kindheitsträume werden wach,
umspül´n die Schiffchen und verrinnen.
Die Seele haucht ein zartes Lied
in meine Mundharmonika.
Im Zittern, das mein Herz durchzieht,
ist bitt´re Zukunft jetzt schon da!
Am Ende
Geboren, um gequält zu werden
und endlich, endlich doch zu sterben.
Und jeder Augenblick der Freude
wird umso schlimmeren Unglücks Beute.
Ich hass´ das Leben, diese Pest,
das nicht den Mut zum Selbstmord lässt.
Ein Leben lang nur Kummer und Qualen.
Ich lass´ mir das Leben nicht mehr gefallen!
Ich glaub´ an Gott und bitt´ ihn sehr:
Nur keinen Tag zum Leben mehr!
Am Fluss
Ich sitz´ am Fluss, die Sonne scheint,
die Augen brennen, sind verweint.
Im Wasser treibt die Zeit vorbei,
es glitzern Wellen, sind sie frei?
In meinem Schatten träumt der Tod.
Ich bitte ihn: Nimm mich ins Boot!
Da gleitet Sarg für Sarg vorbei.
Der Tod ist sicher. Bin ich frei?
Ich stehe auf und trotte weiter.
Der Schatten folgt, der Tag bleibt heiter.
Mich drückt das Herz, die Augen brennen,
und wieder kommen mir die Tränen.
Bin ich schon tot, ist das noch Leben?
Ich hab´ mich längst schon aufgegeben!
Kann Leben nur aus Leid bestehen?
Gott, schenk´ Vertrau´n im Nicht – Verstehen!
Am Friedhof
Da spricht keiner mehr,
und das Schweigen ist tiefer
als der tiefste Schmerz,
der noch ein Klagen zulässt.
Und das Geschwiegene ist höher
als die höchste Freude,
die ein Jauchzen zulässt.
Und wenn die Abendsonne
die Schatten in die Ferne zieht
und die Vögel nicht mehr zu verstummen scheinen,
scheint's, dass unsere Fragen
wie auf Flügeln
einer Nacht entgegenschweben,
ihre Antwortlosigkeit ersehnen,
die die Vögel diesen langen Schatten flöten.
Am Stadtrand
Über die Stufen klettert ein Schatten.
In einem Fenster blinzelt Licht.
Gras zwängt sich zwischen steinerne Platten.
Ein Wind haucht, der nach Unrat riecht.
Fliegen weben Zick – Zack – Muster.
In der Ferne rauscht Verkehr.
Und es wird dir noch bewusster,
wie es ohne dich hier wär´:
genauso leer, genauso schwer,
ein bisschen selbstverständlicher!
Am Weiher
Im stillen Wasser
vergisst sich der gespielte Himmel,
paradiesisch.
Du wirfst einen Stein
und erinnerst mit dem Wellenspiel
an den Urknall:
„Flopp“, am Anfang das Wort
- du spielst Gott -,
kreisrunde Münder
wachsen sich schweigend aus
bis zur Stille,
in der sich der gespielte Himmel
vergisst, paradiesisch.
Doch du bleibst zurück!
Amanés II
(im Zeïbekiko-Takt: 9/8)
Du hast mit deinem warmen Blut
ein Spiegelbild in ihrem Traum gestrichen.
Nun spiegelt Eis! Und gläsern ruht
dein Blick – die Tränen sind ihm längst entwichen -,
bis er das Spiegelbild zerbricht.
Warst du es? Oder war es ihr Gesicht?
Amanés
Er versank in lächelnde Augen.
Doch bitter schmeckte der Mund.
Er wollte an Liebe glauben.
Doch schürfte sein Herz sich wund.
Er malte ein Herz mit Blut.
Und wischte es weg mit Tränen.
Sie trockneten in der Wut,
dem Todesglühen und -drängen,
in dem die Seelen verbrennen.
Amberg II
Alles ist in allem
und trägt seinen Sinn
in sich selbst.
Hoch über Amberg
am Philosophenweg
fesselt die Stadt
den Blick der Spaziergänger.
Denn den Himmel
haben die Jets
kreuz und quer
einfach durchgestrichen.
Amberger Szenen
Die Stille hat man endgültig in den Tod verbannt.
Dauergewitter am durchgestrichenen Himmel!
Der Sepp mit dem Einrad,
Weltenbummler und Presseliebling,
kam plötzlich im Rollstuhl daher.
Und dann,
immer noch als Paradiesvogel gewandet,
saß er im Straßencafé
mit künstlichem Arm und
mit Schrumpftotenkopf,
ungegrüßt, still dem Tode geweiht.
Dann tot.
Dauergewitter am Himmel!
Längst gestorben auch
der Rucksacksepp,
Schreihals unter noch stillem Himmel
mit erhobenem Gehstock.
Und wer könnte heute noch
aus stillen Ladenpassagen
den Ariensänger vernehmen?
Still noch getrieben
war auch Assessor Sailer
unter der Last seiner Taschen.
Die Stille hat man endgültig in den Tod verbannt.
Dauergewitter am durchgestrichenen Himmel!
Den Fluglärm übertönt nur der Discolärmterror.
des alljährlichen Weihnachtsmarktes.
Amán
Weitgedehnte weiche Töne
Wohlklang in der Klage des Balkans
Langgezogenes Gestöhne
Schmerzlust sehnsuchtstiefen Seelenbrands
An der Schwelle
Ein Sehnen zieht
das Leben in den Tod.
Und in der Erinnerung irren
wandernde Wolken umher.
Übertreten ist das Gebot
des Dankes für´s tägliche Brot.
An der See
Sie schrieben
in die weiten Dünen
ihre kleinen Namen,
und man hat sie nie gesehen.
Doch im Windeswehen
liegt ein Ahnen,
ruft nach ihnen
Lügen.
An ein Kind
Mein Kind, du bist aus Lust gemacht,
und Schmerz hat dich zur Welt gebracht.
Hast schreiend die Geburt beklagt
Man hatte dich ja nicht gefragt!
Mein Kind, im Leben wirst du leiden,
wirst fragen, ohne Antwort bleiben.
Wirst dich an kurze Freuden klammern,
wirst hoffen, vor Enttäuschung jammern.
Wirst selbst in Lust viel Leid erzeugen
und letztlich dich dem Tode beugen
Mein Kind, verzweifele nicht am Leben!
So ist es uns nun mal gegeben!
An Gott
Du hast als Fremde uns gesandt
in diese Welt als Rätselland
und willst uns keine Antwort geben,
warum wir denn in diesem Leben
weit überwiegend doch nur leiden
und sinnlos wieder aus ihm scheiden.
Ich pfeife auf die Religion.
Erlösung brauch´ ich jetzt doch schon!
Ich zweifle nicht,ob´s Gott denn gibt,
verzweifle aber, wie er liebt!
An wen ?
Ich sehne mich heim,
wo ich nie war,
woher aber mein Schweigen ist,
und wohin die Liebe geflüchtet ist,
die ich verträumt habe.
Anders II
Ich biete meine Hand mit aller Seele.
Man schlägt sie aus und fährt mir an die Kehle.
Ich flehe: Lasst mich bitte ich doch sein!
Ach stürbe ich! Man lässt mich nicht allein.
Ich kann nicht anders, kann nicht wie sie sein!
Anders
Ich schwimme nicht mit dem Strom.
Ich schwimme nicht gegen den Strom.
Ich sitze am Rande des Stromes
und träume quer über ihn hinweg.
Ich lasse mich nicht von der Herde treiben.
Ich lasse mich nicht von der Herde vertreiben.
Ich bin überhaupt kein Schaf
und lasse die Herde treiben
und meine Augen weiden.
Anekdote
Diploánemos von Trapezunt soll in seinem Leibe Luft in einem solchen Überfluss gehabt haben, dass diese ständig aus dem Mund und dem After entwichen sei.
Wegen der damit verbundenen Geräusche habe man ihn schon von weitem gehört.Ein Gespräch mit ihm sei unmöglich gewesen, da er wegen des ständigen Entweichens von Luft aus dem Mund nicht zum Sprechen gekommen sei und jede Anrede durch den Lärm der nach oben und unten entweichenden Luft übertönt worden sei. Nur das ständige und damit gleichzeitige aber auch gleich starke Entweichen der Luft in beide Richtungen habe ein Abheben oder Niederpressen des Körpers verhindert. Selbst nach dem Tode des Diploánemos sei noch tagelang Luft aus dessen Körper entwichen, so dass man mit der Bestattung habe zuwarten müssen, um eine Ansammlung der Luft im Grabe und damit eine Explosion zu verhüten.
Eines Tages sei Diploánemos dem Philosophen Eúnoos von Chalkedón begegnet. Dieser habe ihm -aus den obigen Gründen schriftlich - geraten, den Mund und den After mit einem Ziegendarm so fest miteinander zu verbinden, dass keine Luft entweichen könne. Die stärkere Luft aus einer der beiden Quellen werde die schwächere zurückdrängen, so dass sich in dem durch den Schlauch geschlossenen System ein Luftkreislauf entwickele. Dieser schaffe Ordnung im Leibe des Diploánemos, und wenn der Schlauch dann schnell wieder mit beiden Enden gleichzeitig vom Körper entfernt werde, werde die in diesem befindliche Luft in eine einzige Richtung vollständig ausgestoßen werden.
Diploánemos habe den Ratschlag befolgt, doch habe sich der Luftdruck in dem geschlossenen System aus Leib und Schlauch so stark erhöht, dass die Verbindung zur Vermeidung einer Explosion der Gedärme schleunigst wieder habe aufgehoben werden müssen.
Als dies dem Philosophen zu Ohren gekommen sei, habe er daraus den Schluss gezogen, dass Luft und Ideen auf den gleichen Urgrund der Windigkeit zurückzuführen sein. Weder ihm noch Diploánemos sei aufgefallen, dass der Luftausstoß aus Mund und After ja zur Aufrechterhaltung des senkrechten Körpergleichgewichtes - wie oben bereits vermerkt - habe gleich stark gewesen sein und daher zu einem Luftstau im geschlossenen System führen müssen, auch durch die ständig neue Entstehung von Luft. Darauf habe erst Aithérios, ein Schüler des Eúnoos, hingewiesen.
Anemonen
Niemand schafft den Wind.
Er schafft sich selbst und nimmt
die Blätter von den Bäumen.
Er schafft die Wasserwellen.
Doch niemand kann ihn zählen.
Er lässt uns Töne träumen.
Dann kommt ein kleines Kind,
das leise mit ihm singt,
und rennt, um ihn zu fangen.
Es lässt sich nicht verprellen,
ein Tüchlein soll ihn stellen.
Ist flatternd bald vergangen.
Weil wir nur Kinder sind
und kindisch wie der Wind,
lässt uns ein Atem bangen,
er sei als Geist gefangen.
Windblumen sind wir, Anemonen:
frühlingsflüchtig, Leichenkronen.
Angehen
Geh´ hinaus in die Natur,
der du nichts angehst,
und tröste dich über deine Sorgen
und dein Leid hinweg,
die nur dich etwas angehen!
Geh´ hinaus unter die Menschen
und frage dich,
warum sie sich und du dich
etwas angehen!
Anrührend
Im Netz der Sinnlosigkeit verfangen,
rudern sie hilflos mit ihren Armen
und wähnen sich doch immer wieder im Klaren
oder hoffen auf Gottes sinnloses Erbarmen.
Ansichtssache?
Selbstmord:
mehr als Natur, die sich selbst zerstört:
Sein, das nicht sein kann,
unumkehrbar?
Oder bleibt sich lediglich etwas gleich,
das wie alles,
was wir sehen,
nicht zugleich
von allen Seiten aus
gesehen werden kann?
Leben und Tod,
Sein und Nichtsein
nur Ansichtssache?
Antwort?
Aus Fenstern
dringen Rufe
auf die Straße,
aus Türen,
von Türmen
über die Stadt,
und weit übers Land
von den Bergen.
Rufe ziehen
über den Himmel,
rasen von Stadt zu Stadt
und von Land zu Land,
schießen ins All.
Sie würgen aus Träumen
und zerreißen
Tobende und die Stillen.
Rufe,
wie die Schreie der Neugeborenen,
ersticken auch in den Gräbern nicht,
verhallen im Dom deiner Sehnsucht.
Apokalypse II
Die Tage werden
wie Spiele in den Händen
von Kindern.
Und der warme Wind
trägt das ernste Schweigen
der Toten
an das lärmgeplagte Ohr.
Unter dem Nicken
bewusstseinsgebündelter Köpfe
wachsen sich
die Ungeheuerlichkeiten
zu Unglaublichkeiten
aus und vermehren sich
zur Unerträglichkeit.
Apokalypse III
So ist der Untergang der Welt:
Der Himmel dröhnt, durchpflügtes Feld,
von Flugzeugschwärmen durchgestrichen;
im Schleier ist das Licht verblichen.
Kein Augenblick der Stelle, nein.
Im Tod nur ist sie, doch allein!
Apokalypse
Die Welt ist schrecklich unvollkommen.
Der Mensch ist böse und voll Leid.
Die Allmacht hat sich übernommen,
es macht das Nichts in ihr sich breit.
Der Herrgott hat sich selbst vernommen
und sich mit sich total entzweit.
Wir haben Schöpfungsmacht gewonnen
und sind zum Untergang bereit!
Apologie eines Trunkenheitsfahrers
Hohes Gericht,
es kann nicht zutreffen, dass die mir entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration aufgewiesen hat. Denn ich habe kein Blut. Das tut mir gut. Bekomme sonst Wut, da das Blut aufwallen tut, wenn man es hut, was immer das auch heißen soll.
Ich lehne Blut auch ab, da es mir zu rot ist. Ich bin lieber blau. Aber Alkohol liegt, äh, steht mir auch nicht. Da muss ich immer so laut drauf rülpsen. Das finden meine Zeitgenossen und -genossinnen ungehörig, obwohl sie selbst rülpsen wie die Reiher. Haben Sie schon einmal einen Reiher rülpsen hören, äh, gehört, oder wie sagt man da? Können Vögel überhaupt rülpsen? Müssen sie wohl können, sonst könnten es die Zeitgenossen und -genossinnen nicht wie die Reiher und Reiherinnen.
Merken Sie? Mir fehlt die Konzentrationin, äh, die Konzentration. Woher soll also die Blutalkoholkonzentration herkommen? Von mir jedenfalls nicht, vielleicht vom Blutalkohol. Er war aber sicher nicht in mir, denn dort hätte er sich gar nicht konzentrieren können, wenn ich mich nicht einmal selbst konzentrieren kann.
Was wollte ich noch vorbringen?
Die Blutalkoholkonzentration hatte also nichts in mir zu suchen, was sollte sie dort auch verloren haben?
Sie ist ein Gerücht, hohes Gericht! Und wenn nicht: Dann ist sie schlicht ohne Gewicht für das Gericht. Meine Sicht, Ihre nicht?
Arkadien
Die Hirtenflöte klagt in freien Tönen,
um sich mit strengem Schicksal zu versöhnen.
Die Herde grast auf steinig-kargem Grund.
Es ruht verträumt der trotzdem wache Hund.
Und in der Höhe schwebt ein Adler frei,
als ob´s zum Klang der Flöte sei.
Armer Tropf!
Die Leiden nehmen überhand!
Du lässt dich nieder auf dem Pflaster
am Rand vor irgendeiner Wand.
Das Weiterleben ist ein Laster!
Passanten hasten, Kinder schrei´n,
die Hunde drängen an dich ´ran.
Du träumst und träumst in dich hinein.
Ein kleines Kind blickt dich groß an.
Die Tauben picken sich ihr Leben
genusslos hinter ihren Kropf.
Du wirst dich irgendwann erheben
und weiter leiden, armer Tropf!
Ataraxia
Leide nur an deinem Leid!
Glaubst du denn, es sei bereit,
deinem Leben auszuweichen?
Es ist doch das Lebenszeichen!
Von Geburt an bis zum Tod:
Leid ist unser täglich Brot!
Freude täuscht nur kurze Zeit
bis zum nächsten bitteren Leid.
Also mach dir doch nichts vor!
Leid kommt so und so, du Tor!
Willst du die Geburt beklagen?
Dann versuch´, dich fortzutragen!
Bess´res doch noch zu erleben,
ist der Tod nicht zu bewegen.
Leide weiter, nimm es hin,
gleich, ob mit, ob ohne Sinn!
Ataraxía
Die Stürme lass´ nur toben!
Was braust du selbst noch auf?
Ohnmacht ist uns geboten
im blinden Weltenlauf.
Ja, lös´ nur einen Knoten!
Es gibt sie ja zuhauf.
Vernimm´ den Ruf der Toten:
Halt inne und verschnauf!
Auf den Amtsfluren und sonstwo
Allerorten bricht
- so hört sich's von ferne an -
der verbale Aufstand aus,
woimmer sich Leute begegnen
auf den niedrigen Hemmschwellen
des Ausartens der sich doch
als selbst - bewusst auszeichnenden
Spezies Mensch
in die nicht - funktionale Kommunikation
rein extrovertierter Herdengeselligkeit
vermittelst der für die Minderheit
der sogenannten Introvertierten
unerlernbaren Kunst,
sich mit jemandem zu unterhalten,
ohne ihm etwas zu sagen zu haben,
genährt vom Drang,
sich zu entäußern, um im anderen
Trost und Anerkennung zu finden,
und von der Regelmäßigkeit
Vergnügen bereitender,
scheinbarer Erfüllung
durch Höflichkeit und Schmeichelei,
gegründet auf der Erwartung
der Gegenseitigkeit, unenttäuscht in
brandenden Wogen schütteren Gelächters
aus dem erlösenden Gefühl
verbindender Ohnmacht
und kollektiver Verleugnung heraus,
Aufstand der Münder
un - artiger Selbsts,
so hört sich's von ferne an.
Auf der Anhöhe
Der Blick streift über dunkle Hügel.
Der düstere Himmel holt die Seele ein.
Und hättest du jetzt schwarze Flügel,
du fändest endlich einmal zu dir heim.
Ja, streif´ nur durch die finsteren Wälder!
Bergab, bergauf und immer ganz allein.
Wirst alt und fühlst dich doch nicht älter.
Warst immer Greis, zu müde, um zu schrei´n.
Auf der Flucht
Jetzt, wenn dich jemand sähe:
Du wärest da.
Jetzt, wenn dich jemand grüßte:
Du grüßtest zurück.
Jetzt, wenn dir jemand die Hand reichte:
Du nähmest sie an.
Jetzt, wenn du Hand an dich legtest:
Dich fände niemand.
Früher, als du im Traum lächeltest,
wachtest du auf.
Jetzt, da du wachend träumst,
weinst du.
Morgen wirst du dich im Traum
in den Tod schreien.
Auf der Schwelle
Ich war aus dieser Lebenshölle
in einem Albtraum auf der Flucht.
Nun sitz´ ich auf der Todesschwelle.
Mir schwindelt vor dem Nichts der Gruft.
Auf einer Bank
Dann setzt du dich auf eine Bank.
Passanten zieh´n an dir vorüber.
Du bist so traurig, fühlst dich krank.
Du senkst den Kopf und schließt die Lider.
Du hörst den Lärm, ein leeres Lachen.
Dir fällt nur immer Gleiches ein.
Blickst wieder auf, dich zu bewachen.
Denn sterben willst du ganz allein.
Wie oberflächlich die Gesichter,
die Augen über seichtem Grund!
Für sie sind Sterne kleine Lichter,
und Tränen fließen nur zum Mund.
Du siehst die Seele Tränen quillen,
die ihren Leidensdurst nicht stillen,
und ahnst, dass über allem throne
ein Gott mit einer Dornenkrone.
Denn Allmacht ist nicht Macht allein.
Auch frei zur Ohnmacht muss sie sein!
Gedanken bilden eine Gruft,
wo Leben dich gefangennimmt.
Der Tod lebt in der freien Luft,
die er dem Atemzwang wegnimmt.
Auf nächtlicher Straße
Im hellen Licht
ein Schattengesicht.
Es blickt dich wohl an,
doch du siehst es nicht.
Denn du schaust ins Licht,
das schwarze Gespenster
hervorzaubern kann.
Auf und Ab der Lebensneige
Der Abschied ist lang, ein Leben lang,
Sisyphos´ Hang, wieder hinauf,
wieder hinab. Mir ist nicht bang´,
solang´ mich wundert dieser Lauf.
„Auferstehung“
Wie hohl starrt Gottes Auge!
Wie fahl wirkt Sonnenschein!
Wie trügt doch jeder Glaube!
Wie bist du so allein!
Knie nieder auf den Boden!
Breit´ deine Arme aus!
Wirf deinen Kopf nach oben!
Schrei all dein Leid hinaus!
Wisch´ deine Tränen ab!
Erheb´ dich von der Erde,
als stiegst du aus dem Grab,
auf dass ein Wunder werde!
Jetzt lass dich nicht beirren!
Betracht´ fortan dein Leben
in allen seinen Wirren,
als würd´s dir neu gegeben!
Augenblick II
Blicke lassen das Erblickte
unerblickte Schatten werfen
und brechen in den Spiegelungen
des Erträumten sich.
Und wenn sie aufeinandertreffen,
spiegeln sich in ihnen
die eigenen Schatten
und die fremden Träume:
gebrochene Stille
eines Augenblicks!
Augenblick III
Alle sehenden Lebewesen
blicken sich in die Augen,
wenn sie sich sehen wollen.
Hinter ihren Augen klaffen
Abgründe von Welten,
dieselben wie bei dir,
vor denen du schauderst
wie auch sie,
und vor denen du rätselst
wie sehr wenige,
und in die du dich
manchmal stürzt
wie kaum jemand,
unwiderstehlich angezogen,
weil nicht schwindelfrei,
oder aus Trotz gegen Ohnmacht.
Dann aber vermisst dich niemand,
und du staunst darüber,
dass du nicht versunken bist.
Sie blicken in deine Augen
und du in ihre,
um dahinter zu schauen,
ganz ohne Grauen!
Augenblick IV
Nur einen kurzen Wimpernschlag
hat uns ein Aug´ hierher geblinzelt.
Doch wird, was flüchtig scheinen mag,
von keiner Wimper ausgepinselt.
Der Blick ist Geist und sieht nur sich
und lässt sich selber nicht im Stich.
Augenblick V
Sicher ist nur eins in deinem Leben:
Eines Tages musst du es hergeben!
Dann heißt es „Jetzt!“ und du bist ganz allein.
Jetzt nur weißt du: Jetzt noch, da darfst du sein!
Räum´ der Zukunft nicht Gewissheit ein!
Lass die Jetzts in deine Seele rein:
Alles Schöne kommt dir vor wie Stunden,
Schlimmes ist so gut wie schon verschwunden!
Augenblick
Dein Leben hängt am Augenblick.
Ein unumkehrbar letzter Schritt
reißt dich in deinen Tod dann mit:
in die Arterie ein Schnitt,
ein Sprung, der in die Tiefe zieht...
Doch wer vor seinem Leben flieht,
das Ziel des Todes nicht mehr sieht.
Augenblicke I
Es war,
als wär´ es schon einmal gewesen.
Es war,
als wär´ es nur geträumt.
Es war,
als wäre es zugleich vergessen.
Es war,
als hätt´ sich´s selbst versäumt.
Augenblicke II
Lautlose Helligkeit
eines flimmernden Tages;
harte Schatten,
Schemen im Trance:
Augenblicke geträumter Erinnerung,
eines erinnerten Traums.
Augenblicke III
Zwei Blicke begegnen sich,
sie treffen sich,
sie weichen einander aus,
sie finden sich wieder,
lächeln,
sinken zu Boden,
fangen sich wieder,
starren,
stoßen sich zurück,
richten sich nach innen
brechen im Vorbeigehen.
Jeder Kopf dreht sich nach dem anderen um.
Er winkt.
Sie winkt.
Er gibt einen Handkuss.
Sie gibt einen Handkuss.
Sie ruft: „Schade!“
Sie dreht sich um.
Sie geht weiter.
Er sieht ihr nach.
Sie dreht sich nicht mehr um.
Er verliert sie aus den Augen.
Er denkt: „Schade!“
„Schade!“ wiederholt er halblaut
und schaut, ohne zu blicken.
Augenblicke ohne Stille
Träume deine Seele
über die Gedanken weit hinaus,
Atemzüge zähle,
wieviel Stille löscht ein Herzschlag aus?
Unendlich weit erscheint die Welt.
An deinem Ende haben Augenblicke nur gezählt!
Aus
Die letzten Sonnenstrahlen
bereiten mein Lager wie aus goldenem Stroh,
und der Samt der Nacht deckt mich zu
bis der blutige Morgenhimmel
meine stehengebliebene Zeit,
in der ich nicht mehr bin,
wie einen Schatten abstreift.
Ausgerechnet
Dass ich ausgerechnet
hier
und jetzt
und ich
und bin,
spricht
das für
oder gegen
einen Sinn?
Ich bin
nur
in meinem Sinn!
Am Ende
Man hat dich ins Leben ausgesetzt,
ein Leben lang gequält und verletzt,
und Tag für Tag hast du dich gesehnt,
zu sterben, doch hast du es abgelehnt,
den Tod dir endlich selbst zu schenken,
aus Angst, nicht alles zu bedenken.
Nicht vorstellbar ist´s, nicht zu sein.
Du wartest, so kommt´s von allein.
Du leidest weiter. Morgen schon
weißt du vielleicht nichts mehr davon.
Ausgespielt
Im falschen Spiel des Lebens riss
das Schicksal meine letzte Karte.
Kein Licht dringt in die Finsternis,
in der ich meinen Tod erwarte.
Die Last der schweren Träume zieht
mir meine müden Augenlider,
damit kein blinder Blick entflieht,
samt mir in Gottes Tiefen nieder.
Ausgespielt
Nun hast du ausgespielt.
Ein Kartenhaufen liegt vor dir.
Dein Glas nicht nachgefüllt.
Ein Kreuz gekritzelt auf Papier.
Ganz lange nachgedacht,
geweint und bitterlich gelacht,
dich schließlich umgebracht.
Ausweg?
Die Abendsonne lässt mich Heimweh spüren.
Wie gerne ließ´ ich mich nach Hause führen!
Ich weiß nicht, wo ich Heimat finden kann.
Mich lockt die Nacht, der Traum und Todeswahn.
Und immer wieder fall´ ich Gott zu Füßen.
Doch immer schlimmer lässt er mich dies büßen!
So drängt er mich wohl dorthin, wo ich her bin.
Ich kenn´ den Weg, doch find´ ich noch nicht hin.
Auto aus dem Nebel
Grauverhangene Stille
haucht dir filigranen Regen
mild ins müde Gesicht.
Die dunklen Äste sammeln Tränen.
Die bleiben lange hängen.
Auch deine rinnen nicht.
Da öffnet sich dir
eine lichte Blüte entgegen.
Du senkst den Blick,
als wärst du verlegen:
geblendet
im Scheinwerferlicht.
Bahnstation Tod
Ich fuhr mit dem Zug des Lebens
von einer Station des Todes
zur anderen,
stieg jeweils aus und wieder ein,
bis ich einmal
nach dem Aussteigen
wegen Unschlüssigkeit
den Zug versäumte.
Man bietet mir jetzt alles
außer, zu leben.
So hab´ ich mir
den Tod nicht vorgestellt.
Bahnstrecke bei Hiltersdorf
(28.03.2005)
Auf Schienenpfeilen in den Nebel
ras´ ich an Bahnhofsruinen vorbei.
Signale zeigen verrostet die Regel:
Wahnsinn und Tod bleiben immer frei!
Spring´ auf die Schiene, leidende Seele!
Ich will und kann nicht und halte nicht an.
Spring´, denn es gilt für jede Stelle,
dass Gott uns nicht mehr leiden kann.
Sieh´ meine Tränen, sie sind rot.
Ach, grüß´ meine Lieben sanft, mein Tod!
Sag´ ihnen bitte, es war dieser Gott,
der keiner ist in dieser Not!
Balkanlieder
Die langgezogenen Gesänge
umschmeicheln meine wunde Seele.
Es ist, als ob mir diese Länge
der Töne für mein Klagen fehle.
Sie bringen Ruhe ins Gemüt,
mit der ja auch die Tränen fließen,
und machen, um zu träumen, müd
und, um den Tod schon zu genießen.
Balkanmusik
Willst du als Seele
ganz deinen Körper verlassen,
schwingen in den Wellen von Herztönen,
springen auf den Saiten frei gespannter Nerven,
Tränen von Leid und Freude
wie Sterne sprühen,
Klage schreiend in Freude taumeln,
wildes Kind
im seligen Trotz trampelnd
auf dem federnden Kanapee
gestrenger Toter?
Das ist die Trance der Musik des Balkans,
der griechische kaymós
im tragoúdi,
des rhythmós der psyché!
Balkanwinter
(Epitrapézion auf den Winter)
Kahle Äste,
die noch gestern
Eis getragen,
heute ragen,
Tränen tragend,
glitzernd dicht
sie ins Licht,
wie zum Feste
Lieder klagen,
Sitte ist.
Baum und Winter
Kahles, weit verzweigtes Geäst,
weißt nicht, an was du mich denken lässt!
Sinnbild unvollendeter Suche,
Äste wie Wurzeln, Eiche wie Buche!
Hat der Himmel die Wurzeln geschlagen,
ist auch umgekehrt zu fragen:
Können die Äste auch Wurzeln sein,
ragt so die Erde in den Himmel hinein?
Nürnberg, Bauvereinstraße
Straßenschlucht aus schwarzen Bauten,
arme Leute hier vertrauten
enges Leben ihnen an.
Gründerzeit und Kriegeswahn!
Tobend braust Verkehr vorbei.
Tiefer Schatten stummer Schrei
trübt die hohen Sonnenwinkel.
Fenster blitzen dort im Schwindel,
doch aus jedem dunklen Fenster
lehnen noch, wie einst, Gespenster.
Befreiend
Die Sonne ist die Hölle.
Doch lächelt uns ihr Schein.
Die Finsternis ist Quelle
der Wahrnehmung von Sein.
Im All gibt’s keine Stelle,
die lichter könnte sein
als Sehnsucht nach der Schwelle
zu uns, uns zu befrei´n
aus dem Gefängnis des Ich.
Es gibt kein Leid an sich.
Begriffstutzig
Als er in den Raum trat,
wider Willen,
zaghaft und leise,
erstarrte lebhaft tönendes Getümmel
in erstickendem Schweigen.
Die Blicke prasselten
auf ihn ein.
In die Todesstille
flackerte ein halblautes Wort.
Die losbrechende Woge
polternden Gelächters
spülte dem tapfer Lächelnden
Schweiß auf die Stirn.
Unauffällig überrannte ihn
eine hereindrängende
Horte Neugieriger.
Auch ging die Frage
eines Unglückseligen unter,
der nichts begriffen hatte.
Bei Hiltersdorf
Am Bahndamm verfing sich ein Fetzen Sehnsucht
im wilden Gehölz, auf seiner Flucht
aus geschlossener Stirn eines Fahrgastes, flugs
aus offenem Fenster zielsicheren Zugs,
um zu träumen von einem Flug ohne Ziel.
Jetzt hängt er fest, bis ein Wind dies nicht will.
Wille macht frei, doch fängt er dich ein.
Freiheit heißt: sich von sich selbst befreien.
Belang
Es ist, als wär´ nichts von Belang.
Die Häuser starren in die Zeit.
Ein Hund schnauzt irgendwo entlang.
Die Bäume zeigen Jahreszeit.
Die Leute schweben in Gedanken.
Die Sonne spielt mit Wolken Schatten.
Und alle Sterne nachts umranken
die Träume, die die Toten hatten.
Belanglos
Betrachtet man
die unermessliche Anzahl von Geburten
seit Bestehen der Menschheit
und noch bis zu deren Untergang:
Ist es dann
Zufall, Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit,
dass meine Geburt darunter ist?
In jedem Fall
- mag ich ausgerechnet ich sein
oder lediglich Glied eine Geburtenkette -
ist sie vergleichsweise ohne Bedeutung
und damit auch die Frage ohne Belang.
Was ist nicht belanglos?
Alles, was ist,
ist letztlich lediglich,
weil und damit es ist
und damit unerheblich.
Bescherung
Die Eltern wirkten irgendwie gereizt. Wir Kinder – meine Schwester und ich – ließen uns unsere Weihnachtsstimmung nicht verderben. Vor der Bescherung trieben wir uns noch etwas im Freien vor dem Haus herum. Der Abendhimmel war golden, die Tannen im Garten silbern. Ich schob ein längliches Stück Rinde, auf das ich Tannenzapfen gelegt hatte, als Eisenbahnzug durch den Schnee, so dass er dort Schienen hinterließ.
Es war ein wohliges Gefühl, behelfsmäßig Eisenbahn zu spielen in der Erwartung, dass bei der Bescherung meine Modelleisenbahn mit neuen Ergänzungen aufgebaut sein würde. Meine Schwester summte ein Weihnachtslied.
Plötzlich knallte es seltsam aus dem Haus. Neugierig rannten wir ins Innere und dort die Treppe hinauf zur Wohnung. In der offenen Türe lehnte Vater. Wir erschraken. In seinem aschfahlen Gesicht hing ein furchterregendes, abstoßendes Grinsen. Mit höhnischer Stimme wieherte er: „Da habt ihr euere Bescherung!“, zog blitzschnell eine Pistole aus der Hosentasche, schoss sich in die Schläfe und sackte zusammen.
Nach der Mutter schreiend stürmten wir in die Wohnung. Sie lag regungslos, blutüberströmt neben dem Gabentisch mit seiner goldenen Tischdecke, auf der der silberbehangene Weihnachtsbaum inmitten gold- und silberverpackter Geschenke stand.
Wir liefen weinend und um Hilfe schreiend zu den Nachbarn.
Wir hassen Weihnachten, hassen Geschenke, hassen Knallgeräusche, hassen es, es gut mit uns zu meinen, hassen gereizte Stimmungen.
Ich hasse die Farben Gold und Silber. Einmal träumte ich, dass sich meine Eltern als Grund für ihren Tod in Gold und Silber spiegelten. Ich erlebte diesen Traum als Albtraum.
Längst ist mein Haar silberweiß geworden, und meine alte Haut wirkt goldgelb geledert.
Besinnung
Siehst du die Luft, von der du lebst,
die Hoffnung, die du hegst,
die Furcht, in der du bebst?
Doch fühlst du, was sich in dir regt,
die Freude, die dich pflegt,
das Leiden, das dich schlägt!
Begreifst du denn letztlich, was du denkst?
Besteht nur, was du kennst?
Ist´s so, wie du es nennst?
Du hörst aber doch, was in dir spricht?
Meist heißt es „nein“ und „nicht!“
Denn flackernd schweigt das Licht!
Besser?
Was klagst du, dass, was ist, nicht besser ist?
Es könnte doch nur besser sein!
Doch, weil es ist, so wie es ist,
steht fest: Es kann ja gar nicht besser sein!
Beweisfällig
Feiherrr Prof. Dr. von und zu der Platzmaul- Koppen rülpste laut und lang, auf offener Straße. Doch niemand – außer ihm – hörte es, da weit und breit kein anderer unterwegs war. Die meisten waren woanders unterwegs, einige waren zuhause oder sonstwo nicht unterwegs. Daher sprach er zu sich selbst: „Du Sau!“, was ebenfalls nur er selbst hörte.
Dieses bemerkenswerte Erlebnis erzählte er daheim seiner Frau. Sie forderte Beweise. Er wies darauf hin, dass er mangels Zeugen lediglich Indizien liefern könne, so, dass er ja auch daheim häufig laut und lang rülpse. Warum sollte er dies nicht auch in der Öffentlichkeit tun, gedankenverloren aus Gewohnheit, zumal wenn die Öffentlichkeit nicht durch Mitbürger, die Anstoß nehmen könnten, repräsentiert sei, sondern durch Menschenleere?
Sie replizierte, dass er doch ab und zu, ganz selten, daheim auch nicht rülpse, und stellte die Gegenfrage, warum er das Rülpsen nicht auch in der Öffentlichkeit unterlassen haben sollte, zumal wenn er sich wie zuhause nur im vertrauten Kreise, nämlich sogar lediglich mit sich selbst, habe wähnen dürfen.
Nun aber forderte er Beweise dafür, dass er zuhause mitunter nicht rülpse. Sie verwies darauf, dass er zum Beispiel das angebliche Erlebnis des Rülpsens in der Öffentlichkeit ja soeben berichtet habe, statt zu rülpsen.
Auch dafür forderte er nachbohrend Beweise. Jetzt triumphierte sie, dass doch, wenn nicht einmal sein Bericht über das Rülpsen zu beweisen sei, noch viel weniger, also erst recht auch nicht, das berichtete Rülpsen beweisbar sei.
Im Eifer des Triumphes entschlüpfte ihr ein lauter, allerdings kurzer Rülpser. Er giftete nunmehr: „Wenn du so argumentierst, kann ich das auch!“ und rülpste ebenfalls laut, aber kurz.
Inzwischen war das gemeinsame Kind eingetreten und beendete die Diskussion mit dem Vorwurf: „Ihr rülpst euch an und ich darf mich nicht einmal ausrülpsen!“
Bewusstsein
Du schreist im Schlaf aus einem Traum,
wachst auf, befreit, dann fasst dich Grau´n
vor diesem Tag. Du fällst zurück
in tiefen Schlaf und träumst entzückt,
du seiest diesem Grau´n entrückt.
Dann wachst du wieder auf, bedrückt.
So macht Bewusstsein uns verrückt!
Bewusstseinsselbst
Lebt im Wahn,
wer glaubt,
dass er im Wahn,
zu leben,
lebt?
Bibliopathie
(Erinnerung an Hilmar)
Wenn er sich, reifüberzogen,
im schäbigen Mantel,
wenn auch nur dem Sinne nach,
in den eisigen Bücherwänden spiegelt
und dahinter tritt,
hinter das Eis des gefrorenen Geistes,
ist er verloren
in den Gedankengängen
verschlungenen Bewusstseins
bis, ja, bis dieser Bibliothekar,
hustend im trockenen Staube
des geheizten Zentralarchivs
mit dem Rücken der Hand,
mit der er bisher alles getan,
scheinbar prüfend,
ob sie sich in einer Linie befänden,
über vier verwitterte Bücherrücken streift:
Denn dann weiß sich wohl auch
der letzte Leser im Lande begleitet.
Bier beflügelt und macht schwer.
(Gedicht aus der Kindheit)
Sie saßen in fröhlicher Runde
zu gar schon vorgerückter Stunde.
Da stand jemand auf und hob sein Glas,
das gefüllt war mit einem köstlichen Nass,
und fragte die Runde: „Was ist das hier?“
und gab gleich die Antwort: „Ein Glas Bier.“
Darauf leerte er es in einem Zug.
Und wieder er es in die Höhe hob
und fragte die Runde: „Und was ist hier das?“
und gab gleich die Antwort: „Ein Bierglas.“
Darauf erhob sich ein anderer vom Sitze,
doch er torkelte schon und brauchte Stütze.
Da bot sich ihm an zu guter Letzte
sein Stuhl, auf den er sich nun wieder setzte
Bilder
Es sind dir Bilder geblieben
aus überstandenen Zeiten,
und du wirst weitergetrieben,
musst immer weiterleiden.
Und wenn du dich niederlässt,
aus Trotz nicht weitergehst,
betrachtest du die Bilder
wie Todeshinweisschilder.
Bin ich ?
Ich will die Sonne nicht mehr sehen,
die Nacht nicht und auch keinen Traum.
Ich will ins Ungewisse gehen.
Denn schlimmer werden kann es kaum.
Ich war nicht und ich werd´ nicht sein.
Mein Leben bild´ ich mir nur ein.
Denn eins sind Nichts und Sein und Schein,
ist Raumzeitlosigkeit allein.
Bitte
Natürlich war mir nicht nur Leid
in meiner Lebenszeit beschieden.
Doch hat mir all die Bitterkeit
die letzte Lebenslust vertrieben.
So bin ich längst zum Tod bereit.
O Gott, lass´ mein Vertrau´n genügen
in deine Allbarmherzigkeit!
Bivalenz
Der Blick einer Hundeseele
und das Knurren, Bellen und Beißen sind eins.
Der schreckliche Biss in eine Kehle
dient der Sanftmut zur Nahrung und Vernichtung des Feinds.
Blick aus dem Fenster
Der Tag lag lautlos hinter Glas.
Ein Kind zertrat den eig´nen Schatten.
Geduckter Hund fraß plötzlich Gras.
Es musste kühl sein, denn es hatten
verschränkt die Arme alle Frau´n.
Ein schönes Antlitz sah beiseite.
Ein Greis zergrinste einen Traum
und blickte stampfend in die Weite.
Blick in den Weiher
In den Schatten des Todes
reißen zitternde Münder
ihr Lächeln,
und aus ihnen quillt sanft
das Wasser der Stille,
das sie erstickt.
Speichelnd bilden sich Blasen
und platzen blind.
Blick zurück
Aus einer Menschenmenge ruht ein Blick auf dir.
Du fängst ihn noch, ein Augenblick; es blicken vier.
Dann ist das Engelsantlitz ewiglich verschwunden.
Du sehnst dich, sinnst; aus Augenblicken werden Stunden.
Blicke II
Male das Muster aller Blicke
eines beliebigen Augenblicks!
Es wird sich über die Finger winden,
du wirst innehalten und es seltsam finden,
wirst aus dem trockenen Munde stinken.
Und nur das Letztere ist ein Witz!
Blicke
Der Weg führt dich durch dunkle Wälder,
bald steigt er an, dann wieder fällt er.
Du blickst nach oben, Wipfel nicken.
Es rauscht, und tausend Augen blicken
zurück. Du senkst den Blick. Es wiegt
dein Schritt die Seele, bis sie fliegt.
Blues II
Die Blätter wiegen sich im Wind.
Ja sind sie denn dafür bestimmt?
Sie würden brechen, wär´n sie starr.
Und ich bleib´ traurig, oh ich Narr!
Blues
Erwacht aus dem Traum vom blauen Paradies,
halte ich eine blaue Blume in der Hand,
die ich gepflückt hatte, bevor ich einschlief,
und blicke in der Blumenwiese darniederliegend
in den blauen Himmel,
hundertfach durchgestrichen
von hundert donnergrollend
erfüllten Träumen vom Fliegen.
Nur fliegend gelangst du
ins blaue Traumparadies
und träumend vom ungezeichneten Himmel,
dessen Schattenspiegel
du zerkratzt siehst!
Blume und Kind
Die Sonne lacht in Blüten.
Des Regens Tränen steigen auf im Stiel.
Die Blume ist´s zufrieden,
verwelkt im Traum vom Falterspiel.
Ein Kind lässt seine Blicke
auf der verwelkten Blume lange ruh´n
und flüstert seine Bitte:
„Lass dich in eine Vase tun!“
Von Kindeshand umfasst,
verträumt die Blume allerletztes Leben.
Doch ohne jede Hast
will sie das Kind ins Wasser geben
Blumengedicht
Stumm streckt ein Kind mir eine Blume hin.
Ich sage Dank und will es etwas fragen.
Da rennt es weg, es will mir wohl nichts sagen.
Mir kommt auch keine Frage in den Sinn.
Die Blume welkt sehr schnell in meiner Hand.
Ich will sie trotzdem bis nach Hause tragen.
Was wollte ich das kleine Kind nur fragen?
Die Blume faltet ihren Blütenrand.
Daheim im Wasser richtet sie sich auf.
Ich seh´ sie wieder erst nach vielen Tagen.
Was wollte ich das kleine Kind denn fragen?
Das Stückchen Blumenheu leer´ ich jetzt aus.
Blutiger Tod
Sicher ist nur der Tod,
nicht, was er mit uns macht.
Färbt sich der Himmel rot,
weist er uns Tag oder Nacht.
Brechreiz
Plötzlich platzte
sein Mund und
der Orkan eines Rülpsers
ließ seine Backen flattern,
bevor ihm das Essen
aus dem Gesicht fiel.
Bunter Lebenstraum
Die Raupen, die an unseren Herzen nagen,
werden von deren geronnenem Blut umschlungen
und entschlüpfen aus diesen Kokons als Schmetterlinge,
setzen sich auf die Blüten unserer Fantasie,
und wenn diese abfallen, müde im Glanz verwelkt,
flattern sie weiter als Engel in den Himmel.
Und die welken Blüten bedecken unsere verblühten Seelen
wie Gedankenwolken den Himmel.
Bunt wie Seifenblasen
ist der Hauch, in dem unsere Träume
platzen, und sanft wie der Tod.
Böses Spiel
Ich mache euch die gute Miene.
Und ihr macht mir das böse Spiel.
Ich will gar nicht, dass ich gewinne.
Euch aber wird es nie zu viel.
Warum lasst ihr mich nicht allein,
obwohl ihr merkt: Ich will es sein?
Das alte Schloss
In den schwarzen Fenstern
spiegeln sich die Fragen.
Aus den off´nen Türen
leere Räume klagen.
Von den Baumgespenstern
lange Schatten ragen.
Hirngespinste küren
aus dem Nirgends Plagen.
Fluchtgedanken wagen
fast nicht, sich zu rühren.
Wenn uns Tote tragen:
Hier sind sie zu spüren!
Das Beste?
Es ist gemein,
was Gott dir tut.
Steck´es nur ein!
Denn deine Wut
trifft dich allein:
Gott ist zu gut,
um gut zu sein!
Was er auch tut,
wägt er allein.
Nichts kann so gut
erwogen sein!
Denn alles ruht
in ihm allein.
Was er auch tut,
kann besser nicht sein!
Das Böse
Die Sträucher, Bäume voll Gefieder!
Die Vögel zwitschern ihre Lieder.
Sie fliegen auf, kommst du heran.
Die Angst bestimmt die Lebensbahn.
Das Böse ist der Herr der Welt.
Wie dumm ist der, dem sie gefällt!
Die Vogellieder sind nicht heiter:
Sie schützen das Revier, nichts weiter!
Das Leben ist zum Tod bereitet
und will ihn nicht, damit es leidet!
Das Fest
Den Hang herauf zieht Festgeruch,
und die Musik klingt altvertraut.
Ich wühle im Erinnerungsbuch,
es hat sich so viel angestaut!
Will nicht hinunter in den Ort.
Ins Gras geworfen, ahne ich:
Dort feiert jemand, spricht kein Wort,
und seine Blicke suchen mich.
Ich brech´ nun auf und sehne mich
nach einem Fest der Einsamkeit,
wo jeder, ganz allein mit sich,
Gedanken an Gedanken reiht.
Das große Schweigen
Zumindest soviel ist ein Leben,
dass immer es einmal gewesen.
Wie alles, was einmal gegeben,
nie aus der Zeit fällt, nachzulesen
im Buch des Schweigens aller Reden.
Denn Sein und Nichtsein ist ein Schweigen,
und, was geschieht, wird darin bleiben.
Das Kind im Greis
Es riecht nach Laub
und der lichte Strauch
lädt dich ein,
hineinzukriechen.
Habe Eicheln geklaubt
und Kastanien auch.
Da war ich noch klein!
Jetzt bin ich ergraut.
Hab´ mir´s getraut?
Hab´ mich am Strauch
vorbeigeschlichen...
Das Kind im Greis
Dort,
wo wir einst Kinder waren,
uns ein Engel in den Schlummer wog,
wir im Mondeslicht den Tag verträumten
oder diesen kleine Wunder säumten,
Tränen lachend in die Wolken krochen,
dort
sinnt nun ein alter Geist
über modernden Ruinen,
die nur er im Heute sieht,
lassen wir uns Kinder bleiben,
bis wir wie sie nicht mehr sind.
Das Kind
Im Dunkeln sitzt ein Kind und weint.
Ein Engel bringt ein kleines Licht.
Das Kind hält inne, sieht ihn nicht,
so dass es wieder weiterweint.
Jetzt kommt ein böser Geist und spricht.
Das Kind hält inne, sieht ihn nicht,
so dass es wieder weiterweint.
Erst als das Licht endlich erlischt,
da schweigt das Kind, schläft – oder nicht?
Das Leben
Ungefragt ins Leid geboren,
Fragt der Mensch: warum, wozu?
Bis er, an den Tod verloren,
Ohne Antwort findet Ruh´,
Die nicht zur Erlösung führt,
Da er sie ja nicht mehr spürt!
Das Leben 2002
Die Tage werden immer greller,
der Himmel dröhnt, und immer schneller
hetzt sich in Höllenhitze das,
was einst als Zeit das Leben maß.
Die Leben werden zu Gewittern,
tief nur, um selbst sich zu erschüttern.
Die Schnauze eines Hundes streift
dicht über´m Boden: Sie begreift!
Das letzte Gedicht?
Wie sollen längst verwelkte Blumen wieder blühen,
auch wenn die Wurzeln sie noch an die Erde binden?
Wie lange sollen noch die letzten Funken glühen,
wenn sie zu schwach sind, neues Feuer zu entzünden?
Wie lange soll sich denn mein Abschied noch hinziehen,
wenn Hoffnungsschimmer nur Enttäuschungen ankünden?
Oh wär´ ich frei, mich selbst ums Ende zu bemühen,
statt Tränen nur zu schlucken, ohne zu ertrinken!
Das Nichts,
das alles nicht ist:
das ist's!
Es speit und frisst
das Sein:
speit´s aus, frisst´s rein.
Wir sind:
nicht ja, nicht nein,
nur blind,
ein Traum allein
von Schatten, Schein
des Nichts als Sein!
Das Positive ist´s, an dem wir leiden!
Warum ans Positive glauben?
Es setzt das Negative doch voraus!
Nur Freuden kann das Schicksal rauben.
Die Leiden bleiben bis zum Tod im Haus.
Such´ dir nur Hoffnung, Trost und Illusionen!
Es stellt sich bald Enttäuschung ein.
Wir leben nur in Visionen.
Sieh´ die Natur an: Kann sie anders sein?
Süß ist der Trotz, ohnmächtig die Wut.
Zieh´ dich in dich zurück, es tut dir gut!
Mit dir bist du stark, mit dir nie allein.
Mit dir kannst du wie die Natur ganz einfach nur sein.
Das positive Negative und das negierte Positive
Alles liegt im Nichts,
nichts im Alles,
die Ewigkeit im Augenblick,
kein Augenblick im Ewigen,
das Leben im Tod,
nicht der Tod im Leben!
Das positive Prinzip
Irgendwo auf der Welt
nickt ein Baumwipfel
im Wind,
wenn ich die Frage
aus dem Mund blase,
ob irgendwo auf der Welt
ein Baumwipfel
im Wind nickt,
wenn ich die Frage
aus dem Mund blase,
ob.........
Das Unausweichliche
Da gibt es keinen Trost.
Da gibt es keine Rettung.
Da gibt es nur die Zeit,
die Vergangenheit daraus macht!
Dein Engel
Träume dich als Engel,
und du kannst fliegen
über deinem Schatten
und unter den Wolken,
immer im Blick
deiner geschlossenen Augen,
hinter deinem Gedankenspiegel,
wahrhaft ein Engel,
den niemand sehen kann,
dein Engel!
Dementengruppe
Sie leben in ihrer Welt schweigender Gedanken,
in der unsere Welt nur aufscheint
wie vertraute Träume,
aus denen sie wimmern.
Jede Person eine eigene Welt,
aber nur wie die zitternden Sterne
im stummen Nichts des Universums.
Sie sind näher an den Toten
als wir in unserer Sanftmut ihnen gegenüber.
Denkfreiheit
Ich trage mit mir viel´ Gedanken
als Schneckenhaus, lass´ andere zanken.
Sie streiten, weil sie siegen müssen
und glauben, Wahrheiten zu wissen.
Ich aber pfeife auf Prämissen,
will meine Denkfreiheit genießen.
Denksportaufgabe
Fünf Leute gehen spazieren.
Der erste Leut ist eigentlich eine Leutin.
Dem zweiten ist das wurscht.
Der dritte hat Asthma, glaubt jedoch, er habe nur Verspätung.
Der vierte versteht die Welt nicht mehr, und
der fünfte ist perplex.
Wie reagieren angesichts dieser Sachlage die zufällig des Weges daherkommenden Cymbalisten?
(Lösung: Sie geben sich betont leutselig.)
Und ein zielstrebig dazustoßender Seelsorger?
(Lösung: Er geht spazoren, nicht verloren)
Gebet
Du kannst so unerbittlich grausam sein,
mein Gott, so bitterbös und ungerecht.
Ich brauche dich, doch du bist hundsgemein
und schweigst und quälst mich weiter, ja: erst recht,
je mehr ich bitte, weine, sterben will!
Bist du nur Wahn? Ich kann und will´s nicht glauben!
Nur Albtraum? Nein: Die Welt wär´ sonst zu still!
Sie ihrer Unfassbarkeit zu berauben,
das hieße: Sie wär´ nur ein simples Spiel.
Nein, Gott, da magst du lieber dir erlauben
an Unerklärlichkeit ein Viel-zu-Viel!
Der Arzt
Ein entlegenerer Weg war unvorstellbar. Und trotzdem kam ihm plötzlich ein unendlich lange erscheinender Zug von munter plaudernden Menschen entgegen.Den Blick zu Boden gesenkt, ließ er die Begegnung über sich ergehen.
Bis ihm die vereinzelten Blutstropfen auffielen, die zwischen den entgegenkommenden Beinen zu Boden in den Schnee fielen.
Widerstrebend gab er sich leutselig und fragte, ob denn hier eine Völkerwanderung unterwegs sei. Aus breit grinsenden Mündern bleckten sich ihm blutverschmierte Zahnreihen und Zungen entgegen.
„Wir gehen unserem Arzt entgegen“, lautete die verblüffende Antwort, die durchaus nicht ironisch klang. „Warum grüßen Sie mich dann nicht?“, fiel es ihm ein, und er wunderte sich über seine Schlagfertigkeit. „Mit diesen Mündern?“, entgegneten ihm diese Münder, und ihm kam es so vor, als blute er ebenfalls, was sich jedoch bei einer Fingerprobe nicht bestätigte.
Die Leute drängten weiter, auch er drängte sich weiter an ihnen vorbei auf dem schmalen Weg, bis er seine Gedanken verlor.
Der Augenblick der Gegenwart
ist immer schon vorbei!
Alles, was ist, ist bereits vorbei.
Alles, was sein wird, wird bereits vorbei sein.
Wir leben in der Vergangenheit.
Und wenn wir tot sind,
waren wir es bereits.
Der Bettler
Der drückend schwüle Nachmittag verdüsterte sich rasch. Das nahende Blitzen und Donnern war nun auch in der betriebsamen Innenstadt zu vernehmen. Beleuchtungen und Leuchtschriften flammten auf. Die Passanten beschleunigten ihre Schritte. Spannung lag in der Luft.
Dann setzte plötzlich ein gewaltiger Sturm ein, wirbelte allerlei Gegenstände durch die Luft, schmetterte eine Werbewand auf das Pflaster und fegte die Straßen und Plätze menschenleer.
Ein Platzregen peitschte gegen die Hausfassaden, spritzte vom Boden hoch auf und ließ Sturzbäche anschwellen. Blendende Blitze zuckten hektisch, und ohrenbetäubend knallten und hallten die Donner.
Die Menschen hatten sich in Geschäfts- und Passageneingänge und unter die Arkaden des zentralen Platzes geflüchtet.
Nur ein Bettler war neben dem Eingang zur U-Bahn-Station selbstvergessen auf dem Boden sitzen geblieben, völlig allein im weiten Areal. Hasteten sonst die Menschenmengen an ihm vorbei, aus denen er nur gelegentlich die flüchtige Beachtung durch Spendierwillige fand, so kauerte er jetzt unversehens erstmals in seinem Leben im Mittelpunkt des Blickfeldes Hunderter von Leuten, die ringsum aus ihren Unterständen ihre Blicke aus Verwunderung, Neugierde und zum Zeitvertreib immer wieder auf ihn richteten. Er spielte unbeirrt auf seine Mundharmonika. Noch nie hatte er ein so großes Zuhörerpublikum!
Als der Sturm und auch das Gewitter nachgelassen hatten und der Regen in gleichmäßigen Strömen, aber noch so stark fiel, dass sich nur vereinzelte Wartende mit ihren Schirmen wieder auf den Weg machten, steckte er sein Musikinstrument weg, lehnte seinen Oberkörper zurück, stützte sich nach hinten mit den Armen auf dem Boden ab, hob den Kopf und sang, was er noch nie getan hatte, aus voller Kehle ein wunderschön melodisches, langgezogenes, schwermütiges Lied in seiner fremden Muttersprache. Einer der Zuhörer begann, Beifall zu klatschen. Andere schlossen sich an. Ein weiteres Lied folgte. Der Beifall wuchs. Beim dritten Lied stand der Bettler weitersingend auf, ging klitschnass im Regen langsam auf die Wartenden zu und hielt ihnen sein Blechkistchen zum Geldsammeln entgegen. Es kam Bewegung in die Reihen. Viele wichen aus, indem sie sich in den Hintergrund drängten oder weitergingen. Gar manche aber gaben Geld. Schnell war das Sammelbehältnis voll Kleingeld.
Der Bettler wollte es in die Jackentasche umfüllen, um singend weiterzusammeln. Da riss ihm plötzlich jemand die Blechschachtel mit den Münzen aus der Hand und lief davon. Der Bettler setzte hilfeschreiend dem Räuber nach, gab aber bald auf, da er ihn nicht einholen konnte und er keine Überunterstützung fand.
Zum Weitersammeln mit der offenen Hand war ihm nicht mehr zumute. Stumm schritt er langsam quer über den leeren Platz zu der Stelle, wo er gesessen war, kauerte nieder und versenkte den Kopf zwischen die Arme, mit denen er seine Kniee umschlang. In seinen Gedanken kam jemand aus dem Publikum, das sich im nachlassenden Regen auflöste, auf ihn zu und reichte ihm einen Geldschein.
Was hatte er denn da alles geträumt?! Er griff nach der Geldkassette neben sich, die er beim Einsatz des Regens noch geleert und verschlossen hatte, bevor er trotz des Gewittergetöses eingeschlafen war, steckte sie ein und brach auf, um seine Kleidung zu trocknen, ohne zu wissen, wo und wie. Nach wenigen Schritten verlor er endgültig das Bewusstsein.
Der Dutzendteich
(Ironeske)
Saß ein Mädel am Dutzendteich,
weinte aus sein Herz.
Seine Wangen waren so bleich,
gerötet die Augen vor Schmerz.
Segelt´ heran ein schmucker Knab´,
wollt´ mit ihm liegen in einem Grab,
beid´ mit gebrochenem Herz.
Leise raunte der Dutzendteich.
Das Mädel wollt´ sich ertränken.
Der Jüngling rettete es sogleich
und hielt es in seinen Händen.
Da schlug das Mädel die Augen auf,
der Knab´ küsste seine Lippen.
Das Mädel umringt´ ihn, lacht´ irre auf
und brachte das Boot zum Kippen.
Da schmatzt´ der Dutzendteich gierig auf,
doch bald wieder ruht´ er voll Tücken.
Der Einsiedler
Der bleiche Mond strahlt toten Zauber
in meine Eremitenklause.
Sein kalter Schein macht alles sauber,
wo ich in Staub und Ruß doch hause.
Mein Lager liegt an dunkler Stelle.
Dort wirke ich an einem Traum
und starre in die fahle Helle.
Die Tage fliehen, die Nächte kaum.
Der erste Schnee II
Dann wird es weiß.
Die Kinder greifen rein
und freu´n sich leis´,
bald wird Weihnachten sein.
Dann brüllt wer: „Scheiß!“
und bricht sich fast ein Bein:
ein bisschen Eis
und doch so hundsgemein!
Dann wird es leis´.
Ein alter Mann kehrt heim.
Sein Haar ist weiß.
Er weint die Nacht hinein.
Der erste Schnee
Tage, fahl wie Asche, grau´n.
Vor dem Fenster fault das Jahr.
Drinnen blickt gedankenstarr
ödes Aug´ aus totem Raum.
Sonnenstrahl durch Nebelschaum
gleitet sanft wie Engelshaar,
flüchtig, wie das Leben war,
über müdes Felderbraun.
Flügel, leicht gewirkt aus Traum,
winzig wie zerblas´ne Tränen,
schweben körperlos, nur Flaum,
tragen nichts als bloßes Sehnen.
Der Jurist
Den ersten prägenden Eindruck von der Pedanterie eines Juristen hatte ich in meiner Jugend in den fünfziger Jahren vermittelt bekommen, Jahre bevor ich meinen unschuldigen Glauben verloren hatte, mir könnte ein solcher Beruf einmal erspart bleiben.
Der Vater meiner Mutter stammte aus einer traditionellen Juristenfamilie, und so hatte sich über dessen Tod hinaus und über verschiedene Umzüge hinweg eine Bekanntschaft meiner Oma zur Frau eines gewissen (Oberlandesgerichts-) Senatspräsidenten i.R. Dr. Wagner gehalten. Irgendwie wurden wir Kinder, d.h. meine Schwester und ich, einmal zu einem Besuch bei diesem hochrangigen ehemaligen Richter von meiner Oma mitgeschleppt.
Im kleinen Garten eines bescheidenen Anwesens in der Nürnberger Gartenstadt war der Kaffeetisch gedeckt. Torten und Kuchen kamen zur Verteilung. Schüchtern begannen wir Kinder, an unserem Stück herumzugabeln. Der Hausherr trug, wie sich noch herausstellen sollte, ein Gebiss. Das musste noch kein Unglück bedeuten. Unglücklicherweise war jedoch just zu dieser Zeit der Franc ab- oder aufgewertet worden - das weiß ich nicht mehr so genau, weil ich es eh´ nicht begriff. Offenbar weil seine Frau den Kuchen angeschnitten hatte, wollte der Gebissträger nicht zurückstehen und schnitt seinerseits das Thema Franc an. Jedes Mal, wenn er den ersten Buchstaben dieses Wortes durch die künstlichen Zahnreihen stieß, sprühte aus seinem Mund eine Fontäne aus nassen Kuchenkrümeln über den Tisch und vor allem auf unsere Kuchenstücke.
Wir empfanden die fremden Mundergüsse nicht gerade als Labsal und stocherten daher nicht mehr aus Schüchternheit, sondern aus purem Ekel an den benetzten Backerzeugnissen herum. Als wohlerzogene Kinder durften wir sie nicht stehen lassen. So bemühten wir uns, im anstrengenden Wechsel unauffällig bald die Hand schützend über das kredrenzte Gebäckstück zu halten, bald die Ober- und Seitenflächen mit der Gabel abzukratzen und diese an der Serviette zu reinigen, bald die so freigelegten Teile mit dem Kakaolöffel aufzuessen, bald kleinere Brocken unter dem Tisch und größere im Taschentuch verschwinden zu lassen.
Unser geringer Appetit löste bald große Verwunderung bei der Dame des Hauses aus. Das finde man doch selten bei Kindern; ob es uns denn nicht schmeckte, und wir bräuchten uns doch nicht genieren, zuzugreifen. Endlich also ein Themenwechsel!
Der Gastgeber sah seinen hochgeistigen Monolog unterbrochen und fand Zeit, hinunterzuschlucken und seinen Teller zu leeren. Mit freiem Mund – wenn auch nicht ohne Gebiss – wandte er sich nun jovial den ins Gespräch gebrachten Kindern zu. Zufrieden lehnte er sich hinter seinen Bauch zurück und klemmte die Daumen unter seine Gummihosenträger. “So, so!“, begann er und ließ die Hosenträger schnalzen. „Aha, du gehst ins Gymnasium!“ Dabei nickte er mir versonnen zu. Ja, ja, also Deutsch sei sein Lieblingsfach gewesen. Da habe er auch einen Buchpreis für den besten Abituraufsatz bekommen, einen Goethe-Band. Unter den gestellten „Absolutorialthemata“ habe er das Thema: „Was bringt und was nimmt uns der Winter ?“ bearbeitet und eine ganze Menge klassischer Zitate unterbringen können. „Wie sagt nicht der Lateiner?“ Klatsch! Seine flache Hand landete auf der Stirnglatze. „Rem tene,verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! Das stammt vom alten Cato, dem Älteren.“ „Rülps!“ dachte ich bei mir.
Die Frauen waren wieder in andächtiges Schweigen gesunken.
Was das alles mit Pedanterie zu tun hat? Noch nichts.
Aber irgendwann bot sich mir endlich die Gelegenheit, das Klo aufzusuchen, um mein kuchenhaltiges Taschentuch auszuleeren und eventuell meinen noch nicht verdauten Ekel aus dem Magen zu kippen.
Neben der Kloschüssel war ein riesiger Monatskalender aufgehängt, der meine Aufmerksamkeit auf sich zog, weil er dicht übersät war mit handschriftlichen Eintragungen. Fein säuberlich gruppierten sich um jede Tagesangabe kleine Notizen. Ich begann zu lesen. Akribisch war da festgehalten: „9:15 Uhr: weich, dick, hellbraun, schneckenförmig ,16 cm breit, 8 cm hoch“. „20:40 Uhr: hart, dunkelbraun, 2 Knollen, dick, kurz, 1 dünner Streifen, 11 cm“. Oder: „8:50 Uhr: breiig, grün – gelblich, beißender Geruch, 21 Spritzer.“
Tief beeindruckt von so viel Spritzigkeit eines trockenen Juristen – sprühend nach vorne und nach hinten – kehrte ich zum Ort der ersteren Ergüsse zurück und getraute mich nicht zu fragen, was denn nicht der Lateiner dazu sagt.
Der King
Am grauen Nachmittag
zur toten Zeit
im Leerlauf
von Büro und Handel
ziehen sie schweigend
in Kähnen
durch die verschwommenen Straßen.
Und in der Langeweile
der öden Passage
vergiften sich
die Alltagsgedanken.
Irgendeiner
- wer weiß, wo er hergekommen ist -
trägt ein Szepter
in der Hand.
Der Kollegenkreis stirbt weg
War da etwas?
Nein, es war nichts
und war auch nie etwas gewesen!
Und wenn du glaubst,
noch gebe es dich,
so bist du bald schon ganz vergessen.
Berühmte, ja,
vergisst man nicht,
doch sind sie dafür nicht gewesen.
Der Teufel los
wird morgen sein!
Das kümmert bloß kein altes Schwein!
Der Kreis der Greise
In den Gassen des Marktes herrschte dichtes Menschengedränge. Plötzlich tauchte vor mir ein Greis mit kahlem Kopf und langem weißen Bart auf. Ich versuchte, mich an ihm rechts vorbeizudrängen. Doch da stand unvermittelt ein weiterer Greis gleichen Aussehens vor mir da. „Na so was!“, dachte ich und versuchte nun, an diesem rechts vorbeizugelangen. Schon schob sich jedoch ein dritter auf Tuchfühlung vor mich. Jetzt bemerkte ich auch rechts von diesem einen weiteren Greis, der wie die anderen aussah. Ich schaute noch weiter nach rechts, drehte mich nach links: überall diese Gestalten, die mich offenbar umzingelt hatten; da brauchte ich mich zur Bestätigung gar nicht mehr noch weiter umzudrehen, so klar war das!
„Ja, was ist denn jetzt los?!“, röhrte ich jovial, denn auch ich war nicht mehr der Jüngste und fand die Situation daher ironesk. Der Kreis der Greise antwortete mit einem grabtiefen Gelächter, das auch hinter mir ertönte und die Umkreisung, auf deren optische Überprüfung ich verzichtet hatte, akustisch bestätigte. Es unterschied sich vom homerischen der Götter wohl nur dadurch, dass es wieder erlosch. Der direkt vor mir exakt bis zu meiner Höhe aufragende Alte trompetete mir ins Gesicht, so dass mich sein Mundgestank umgeworfen hätte, hätte ich noch Platz zum Umfallen gehabt: „Jetzt müssen Sie fliegen, wenn sie weiterkommen wollen!“
Das Geschehen erregte Aufsehen, wie ich an den Gesichtern ablas, die sich zwischen den Köpfen der Greise über deren Schultern zeigten.
Der mich anstinkende Atem tönte in priesterlichem Duktus fort: „Wir wollen Ihnen nur zu bedenken geben: Es ist kein Raum mehr für Sie auf Erden, es ist Zeit zum Sterben!“ Und wie zum Trost fügte der Sprecher noch hinzu: „Ist ja eine Art des Fliegens.“
Daraufhin erhob sich ein eher schütteres Gelächter unter den Greisen. Ich verspürte einen kurzen Stich hinten im Hals, und schon war der Spuk vorbei: kein Greis mehr zu sehen! Sofort griff ich an die Stelle, wo ich den stechenden Schmerz empfunden hatte. Doch ich ertastete keine Wunde, kein Blut befleckte meine suchenden Finger. Dann sah ich nach meiner Geldbörse. Auch sie war samt Inhalt unberührt geblieben. Also kein Raub unter einem Ablenkungsmanöver, der der seltsamen Bedrängnis durch die Greise hätte Sinn verleihen können. Und der Stich? Wohl nur Nebensache. Oder eine Giftspritze zur Erfüllung der seltsamen Todesprophezeiung? Aber welchen Sinn sollte meine Tötung haben? Warum die Prophezeiung?
Sie ging mir sehr nach, ließ mich nicht mehr los. Ich durchsuchte das Marktgewühle kreuz und quer nach den auffälligen Greisen, um sie zur Rede zu stellen. Vergebens.
Schon ihre Vielzahl war rätselhaft, erst recht ihr Auftritt und ihr Gebaren mir gegenüber, ihr plötzliches Verschwinden, geradezu mysteriös ihre Worte, dieser spurenlose Stich. Sie hatten mich gezielt eingekesselt und mir meinen nahen Tod zu bedenken gegeben, ohne mich zu kennen. Ein makaberer Scherz eines Zirkels origineller Köpfe? Nein, dazu wirkten diese Akteure viel zu unverstellt. Eine religiöse Sekte? Dazu war ihre Aussage zu profan und lakonisch trotz des priesterlichen Tonfalles.
Ich habe all dies aufgeschrieben am Tag danach. Falls die Geschichte hier endet, hat sich die Prophezeiung der Greise in nächster Zeit erfüllt, obwohl die Nichterfüllung keinen weiteren Stoff mehr für die Fortführung dieses Berichtes bieten würde, aber Anlass zur Mitteilung, die im Falle der Erfüllung ausscheidet.
PS: Mir ist, als flöge ich....
Der letzte Augenblick
Dann kommt der Augenblick,
der Augenblick für dich allein.
Nur du erfährst es
oder nicht:
Ist Totsein auch ein Sein?
Der letzte Augenblick
Es ist, als wäre nichts geschehen.
Die Sonne scheint ins Zimmer.
Es blieben nicht die Uhren stehen.
Und draußen lärmt´s wie immer.
Und doch: Ich kann jetzt nicht mehr sehen
den kleinsten Hoffnungsschimmer.
Der Tod ruft, mit ihm mitzugehen:
Es gehe nicht mehr schlimmer.
Ich denk an Gott. Ihn anzuflehen,
wär´ jetzt nur noch Gewimmmer.
Längst abgewandt, sich umzusehen,
erweicht er sich doch nimmer.
Vergib´ mir, Gott, dass ich jetzt tu´,
was ich nicht soll, gedrängt dazu.
Der Mensch
Aus einem verwehten Traum gefallen
in den Wahn,
um zu fragen
und ohne Antworten
im Nichts zu erwachen,
wie niemals gewesen sein,
auch nicht im Traum und Wahn
und auch nicht nicht,
wie wenn sich in der Finsternis
zwei Spiegel gegenseitig spiegeln.
Der Mensch
Er bat um trockenes Brot und Wasser.
Als Antwort schlug die Türe zu.
Er ging von Haus zu Haus. Dann aß er
und trank im Wahn der letzten Ruh´.
Von ferne sah man dabei zu
und warf die Leiche dann ins Wasser.
Der Mensch
Die Welt ist viel zu brutal.
Die Welt ist viel zu verlogen.
Die Dummheit ist radikal.
Sie hat den Menschen betrogen.
Und wird ihn weiter betrügen.
Er will nur das Gute sehen
und wird sich auch weiter hüten,
bewusst durchs Leben zu gehen.
Das Streben nach Glück macht blind
und stumpf und stur und hart.
Die wenigen Denkenden sind
Geschlagene dieser Art.
Der Mensch ist das einzige Wesen,
das lebt, um sich selbst zu schaden.
Er ist ein Fehler gewesen:
der Evolution missraten.
Ich wollte, die Menschheit käme
ganz schnell und schmerzlos um.
Das Universum nähme
das sicherlich nicht krumm!
Der Richter
Durch lange Flure kreuz und quer,
da hetzt ein schwarzer Herr daher,
hat viele Bücher unter´m Arm
ans Herz gedrückt, das schlägt Alarm.
Eilt Treppen runter, Treppen rauf,
ein kurzer Gruß und viel Geschnauf,
stößt Türen, aber selbst nicht auf.
Er schlägt die Türen wieder zu,
und auf den Fliesen quietscht sein Schuh.
Und plötzlich vor einem Portal,
da wimmeln Leute ohne Zahl.
Der Schwarze bremst nun seinen Trab,
biegt in ein Nebenzimmer ab.
Ein Glockenzeichen ertönt schrill,
vor dem Portal wird es jetzt still.
Vor einer Innentüre steht
der Schwarze mit dem Buchpaket.
Die freie Hand zur Klinke greift,
ein Seufzer durch die Lunge pfeift:
„Es wird zu überstehen sein!“
Dann tritt er ohne Klopfen ein.
Im Saal sind lauter ernste Mienen
auf ihn gerichtet, er soll bringen
als Richter in ein Dunkel Licht,
so schwarz er auch gekleidet ist.
Wie soll ihm das denn nur gelingen?
Er weiß es nicht und kommt ins Sinnen.
„ Grüß Gott, ich bitte Platz zu nehmen!“
Als würde er sich danach sehnen!
Er schlägt die Akten auf und stiert
und fragt sich, was daraus wohl wird.
Als wär´s ihm plötzlich eingefallen,
lässt er die Stimme kräftig schallen:
„ Die Sitzung ist eröffnet!“ So!
Es folgt das Dreschen von viel Stroh!
Der Ruf
Irgendwo,
weit draußen,
hörst du einen Ruf.
Du rufst zurück
und hörst
nur dein Echo,
als wär's
der Ruf gewesen.
Der Schiedsrichter
Es werden die Tage von den Nächten
und die Nächte von den Tagen besiegt,
ewige Verlierer!
Und die Nächte besiegen die Tage
und die Tage der Nächte,
ewige Sieger!
Dort drüben am Lattenzaun
streift ein Dackel entlang
durch Licht und Schatten,
die Schnauze dicht am Boden,
riecht beides nicht.
Und wäre er hell,
hätte er Zebrastreifen
am Körper.
Der Schierlingsbecher
Die Welt,
Königin der Kelche,
bitteres Gift
der trunkenen Toten:
Welche
gelobte List!
Und du bist
Schrei,
blutspeiend
im Toben.
Der Schlaf
Ich lass vom Schlaf mich von mir weg
in willenlose Wirrnis tragen.
Er trägt mich über´n Todessteg,
der jeweils zwischen allen Tagen
gespannt ist, bis die Tage wanken.
Der Schweigsame
Ihr spracht und spracht.
Und es war nicht nötig.
Er aber kam
vor lauter Schweigen
nicht zum Reden.
Nicht dass er es
für nötig befand.
Aber ihr hättet ihn
sonst nicht gerichtet.
Vielleicht sogar
geschwiegen.
Der Selbstmörder
„Wo finde ich noch Platz
außer im Grab?“
fragte er sich und notierte
auf einen Abschiedszettel:
„Mein Tod war ein Geburtsfehler.“
Der Stadtstreicher
gefressen aus Tonnen
in der Ecke geknäuelt
von Stumpfsinn benommen
ohne Tränen geheult
in die Luft gesponnen
ins Grab gegräuelt
in die Leute geschwommen
von Beinen umsäult
zerschlissen, verkommen
zusammengebeult
Der Sänger
Es schweigt, was ich bin.
Es flüstert, was ich soll.
Es murmelt, was ich denke und will.
Es spricht, was ich tue und unterlasse.
Es schreit, was ich fühle, fürchte und ersehne.
Und es singt, was ich lasse.
Der Teufel
Der unzufriedene König sandte drei Heere aus, den Teufel zu finden und zu töten. Der Führer des ersten Heeres fragte im entlegensten Kloster des Landes und erhielt zur Antwort, dass der Teufel im Herzen des Menschen sei. Der Führer des zweiten Heeres fragte den Gelehrtesten im Lande und erhielt zur Antwort, dass der Teufel im Gehirn des Menschen sei.Der Führer des dritten Heeres schickte Späher durch die Nächte und erhielt Bericht, dass ein Hirte dem König den Teufel zeigen könne.
Als dem König von den eingezogenen Auskünften berichtet war, ließ er den Hirten zu sich kommen. Dieser bestand darauf, den König in sternklarer Nacht zu treffen. Als diese Bedingung erfüllt war, führte der König, begleitet von den drei Heeresführern, den Hirten hoch auf die Zinnen seines Palastes und drohte ihm, ihn hinabstürzen zu lassen, falls er ihn narre.
Der Hirte bat den König, das Helle am Himmel zu schauen. „Die Sterne?“ fragte der König verwundert. “Ja, sind sie nicht göttlich?“ „ Sehr wohl, doch ich suche nicht Gott, sondern den Teufel!“ erwiderte der König ungehalten. „ Und, bitte, schaut nun das Dunkle!“, beeilte sich der Hirte fortzufahren. „Ich seh´ es wohl, es ist die Nacht, die dich für immer wird umgeben, falls du mir nicht den Teufel zeigst!“ drohte der König grimmig. „ Es IST der Teufel, der Widerspruch, ohne den es nicht die Sterne, nicht die Tage, das Gute letztlich auch nicht gäbe.“ „Ha!“, schrie der König in die Nacht: „Man töte mir das Herz, man töte mein Gehirn: Der Finsternis des Todes soll mein Leben ich verdanken?!“
„Noch eines“, beschwichtigte ihn der Hirte: „Lasst bitte einen Becher guten Weins Euch bringen!“ „Den brauch´ ich wohl, bevor du stürzest über diese Zinnen!“
Als den König der Wein gereicht ward, sprach der Hirte weiter: „Der Wein ist gut, weil es auch schlechten gibt. Und wär´ der Tod nicht, hättet Ihr nicht DIESES Leben. Und gäb´s den Teufel nicht bei uns in Herz und Hirn, wir könnten Gott nicht ahnen, er hätte keinen Sinn. Denn er ist nichts und alles und beides nicht, Gott eben!“
Der König ward nun still geworden. Dann seufzt´ er: „Gebt ihm einen Orden!“ Nicht Gott, dem Hirten hat man ihn gegeben. So wollt´s der König wohl, der guten Rede wegen. „Den Teufel“, dachte er verlegen, „kann ich wohl nur in mir erlegen!“
Der Traum
Du schaust in die Welt
wie in einen kalten Spiegel.
Dein Atem beschlägt ihn.
Du wischt mit dem Handrücken darüber
und siehst nur dich selbst,
schließt die Augen
und träumst,
bis du entschläfst,
ohne Traum,
und dir der Spiegel aus der Hand fällt
und zerbricht
in 1000 Schatten,
wie Du es geträumt hast,
wie Du geträumt worden bist,
wie du geträumt wirst
vom zeitlosen Schweigen,
in dem deine Worte lachen.
Der Traum
Irgendjemand hatte seinen Traum
von einem kleinen Glück
-enttäuscht oder entrückt -
losgelassen.
Der flitzte suchend durch die Straßen
und schwebte irrend durch den Raum.
Bevor er sich jedoch verlor
in der Unendlichkeit als Schaum,
da kehrte er zurück,
etwas bedrückt,
doch unvergessen
im Kopf, wo er gesessen.
Der war jetzt ganz beglückt,
von einem ausgeträumten Traum
besessen!
Der Weg
Wenn du weißt,
dass der Weg weicht
wenn du daherkommst;
dass die Strecke steigt,
wenn du daherkommst;
dass sich Gestrüpp neigt,
wenn du daherkommst;
dass sich Schlamm zeigt,
wenn du daherkommst;
dass die Zeit nicht reicht,
wenn du daherkommst;
dass ein Mensch erbleicht,
wenn du daherkommst;
dass er die Nase streicht,
wenn du daherkommst;
dass er grußlos schweigt,
wenn du daherkommst;
dass er dir gleicht,
wenn du daherkommt:
Dann nimm es leicht,
dass du nicht hinkommst!
Deus absconditus
Gott lässt uns ihn vermissen
und so uns von ihm wissen.
Vermissten wir ihn nicht,
dann wär´n wir blind vor Licht.
Deutlich
Es fällt der Tod mir immer öfter ein.
Ich wünsch´ und spür´ ihn gar, so oft ich wein´.
Und oft, zu oft, bricht´s über mich herein.
Ich seh´n mich immer mehr, allein zu sein.
Und leb´ nach außen nur zum bloßen Schein.
Dezember 05
Schneeflocken träumen sich sanft hinab,
taumelnd in tiefe Erinnerung.
So sank kindliche Seele ins Grab,
weiß gekleidet im tänzelnden Schwung,
Hauch gefrorener Tränen, und lag
licht, und im Sarg ist längst ein Sprung.
Dezember 06
Tief strahlt die verlorene Wintersonne.
Wehmut senkt sich auf tote Flur.
Kahles Geäst wirft Dornenkrone
schattig zu Boden. Und ein Schwur
wird Fluch aus unsichtbarem Mund,
verflüstert sich im Atemreif.
Der Nebel steigt vor dunklem Grund.
Die Flieger zeichnen Schweif um Schweif.
Laut gibt die Nacht den Wahnsinn kund.
Der Mensch ist tot und wird nicht steif.
Dezember 2001
Es regnet Zeit auf grauen Schnee.
Ein unsichtbarer Schattensee
lässt blind die Lebensjahre spiegeln
und winters in Kristall versiegeln.
Wer Schatten wirft, dem leuchten Flammen,
und jeder Schatten bricht zusammen.
Dezember
Die feuchte Kühle
verweht den gebrochenen Blick
in die neblige Ferne
der farblosen Fluren,
verwebt ihn
mit dem grauverhangenen Himmel
zur weiten Leere
des schweigenden Sinnens
verlorener Trauer.
Niemand starrt zurück.
Weinenden Grabengeln nur,
mit verwitterten Flügeln,
sinkt der Blick.
Dezembermärchen
Wenn sich der liegengebliebene Tag
ganz die Wolkendecke überzieht
und weint
wie ein kleines Kind,
sinnt im Krankenbett der Greis
durchs Fenster
der frühen Nacht entgegen,
in der auch er weint.
Dann warten vor der Türe
im Kerzenlicht
versonnen die Engelkinder,
die tagsüber
von den Schokoladefeldern draußen
genascht haben,
bis sie herein dürfen.
Dialog
(Song der Spielgruppe freiwilliger Rülpslinge)
Wären sie Säue gewesen,
hätten sie sich gut verstanden:
Denn während der eine
unter Ausstoß laufender, gezielter Rülpser
das Wort an sich zu reißen versuchte,
hatte der andere
beim Reden Schwierigkeiten,
seine eigenen Rülpser zu übertönen!
Dichtung
Im dunklen Raum in Gedanken
sitzt starre Gestalt vor Kerzenlicht.
Die zitternden Schatten schwanken,
und in die schwindelnde Stille bricht
ganz plötzlich und unverstanden,
ja unverständlich, dieses Gedicht.
Die Befreiung
Die senkrechten, dicht aneinander gereihten Streben des Geländers der riesigen Brücke waren unten im Bereich der Außenkantseiten des Fahrbahnträgers nach außen gewölbt. Diese Ausbuchtungen bildeten zusammen mit den Betonflächen, vor denen sie verliefen, gleichsam Röhren mit halbkreisförmigem Querschnitt, die gitterseitig zwischen den gebogenen Streben durchbrochen waren.
Wir krochen nun schon eine Ewigkeit durch eine dieser beiden Röhren und befanden uns immer noch im Anfangsbereich! Das erstrebte Ende erschien als die Unendlichkeit. Höhe und Breite entsprachen der Enge eines Sarges. Diese schloss eine Umkehr aus! Rückwärts kriechen? Der Zugang zur Röhre war nur von oben über den Tritt auf einen kleinen Mauervorsprung möglich gewesen, auf dem Halt zu finden, ja ihn überhaupt zu finden, bei einem rückwärtigen Herauskriechen aus dem Gitter nicht vorstellbar war. Wird denn der Ausstieg am fernen anderen Brückenende zu bewältigen sein, wenn es je erreicht werden sollte? Verloren sind wir, wenn sich die Gitterrolle irgendwo verengt oder eine unüberbrückbare Lücke aufweist!
Ohnehin von der Hitze schweißgebadet, brach mir immer wieder der Angstschweiß aus. Längst hatte ich mich mühsam der Kleidung bis auf die Unterhose entledigt. Der Körper war blutverschmiert. Doch die körperlichen Schmerzen traten hinter die Todespanik völlig zurück.
Mir war es unerklärlich, wie ich „Boss“ auf unserer Flucht in dieses Verlies hatte folgen können! Ich konnte jetzt seinen Versicherungen einfach nicht mehr glauben, er habe diesen Fluchtweg unter Überwachung testen lassen. Wie hätte er die Testperson retten wollen, wenn sie nicht mehr weitergekommen wäre?
Tief unter uns gleißte das Wasser in der Abendsonne. Weit weg warf diese den schwarzen Schatten der gewaltigen Brücke. Ich wollte, ich wäre nur in ihm gefangen gewesen! In der Ferne flimmerten die Wolkenkratzer der Stadt in der drückend erhitzten Luft. Erbarmungslos dröhnte der Verkehrslärm von der Brückrnfahrbahn über uns. Er übertönte das Geknatter der polizeilichen Suchhubschrauber am Himmel. Hilferufe würden gnadenlos untergehen. Die Boote der Polizei drunten auf dem Wasser ließen die Blicke durch die Feldstecher ahnen, mit denen die Brücke abgesucht wurde. Oh würden wir doch entdeckt! Lieber hingerichtet als qualvoll in diesem Käfig im Zeitlupentempo zu verenden!
Als ich „Boss“ wieder eingeholt hatte, weil er sich in aller Seelenruhe auf dem Rücken liegend eine Zigarettenpause gönnte, schrie ich ihn erneut voller Verzweiflung heulend an: „Dir habe ich dieses Todessiechtum zu verdanken! Du hattest und hast alles in Händen. Nur du hast eine Knarre. Beweise Menschlichkeit, zeige Charaktergröße und schieß´ mich endlich zusammen, oder gib mir dein Eisen! Niemand wird´s hören, niemand wird mich finden, jedenfalls trifft dich keinerlei Verdacht. Und selbst wenn: Diesen Selbstmord kann niemand widerlegen!“ Er erwiderte nur lässig: „ Je öfter du mir vom Selbstmord vorschwärmst, desto schmackhafter machst du ihn für mich. Und wenn ich hier tot drinliegen bleibe, wie willst du weiterkommen?“
Dann versuchte er doch wieder, mich aufzurichten: „Also das sparen wir uns auf, bis es gar nicht mehr weitergeht. Dann knalle ich erst dich und, wenn es mir genau so geht, auch mich ab. Einmal sterben wir ohnehin, und weil das nur einmal ist, sollten wir uns unseren Triumph, uns nicht alles Leid gefallen zu lassen, nicht so schnell nehmen lassen!“ Und er fuhr fort: „Glaub´ mir, auf meine Leute ist Verlass! Wenn wir hier festklemmen, finden die uns und bringen es fertig, uns heraussägen zu lassen, ohne dass die Polizei Wind davon bekommt, nicht einmal einen Magenwind wie den, den ich gerade aus mir befreit habe!“
In diesem Augenblick hörten wir über uns vom Brückenrand aus eine Lautsprecherstimme mit der Aufforderung der Polizei, uns widerstandslos festnehmen zu lassen und unsere Waffen wegzuwerfen.
Ich fühlte mich noch nie in meinem Leben so frei, schwebte wie im Traum und fand keine Worte. Auch „Boss“ schwieg. Dann kam es typisch von ihm: „Sieh´ an! Die trauen auch dir eine Waffe zu! Dem Kollaborateur, der seine Klamotten abgeworfen hat als wehendes Kapitulationssignal“, spottete er, obwohl ich ihm hoch und heilig, vor allem aber reinsten Gewissens, versichert hatte, die abgelegte Kleidung, wenn auch sehr schweren Herzens, teils zwischen Gitter und Mauer geklemmt, teils am gebogenen unteren Ende eines Güterstabes aufgespießt und teils um einen solchen Stab gebunden zu haben. Doch ich kannte seine Passion für makabere Scherze zu gut, um mich falsch verdächtigt zu fühlen. Eigentlich war er nur deshalb als „Boss“ gefürchtet, weil ihn die meisten als Zyniker missverstanden, dem nur er selbst mit seinem Fanatismus etwas gelte.
Etwas feierlich fuhr er fort: „Siehst du jetzt ein, dass du nicht recht hattest? Hätte ich dich erschossen, wäre ich jetzt in Verdacht! Es wäre voreilig für dich gewesen, du hattest doch den jetzigen Augenblick so sehr ersehnt! Und für mich ist erst jetzt der Augenblick des Triumphes gekommen!“ Unmittelbar darauf löste sich der Schuss, den er sich gab.
Den Verdacht, ihn abgegeben zu haben, konnte ich ausräumen. Im übrigen stand ich zu unserer erfolglosen Befreiungstat. Nach 20 Jahren wurde ich durch die neue Regierung aus der Haft entlassen. Diese Befreiung war nichts im Vergleich zu der aus dem Brückengitter, die erst nach Herablassung eines Krankorbes und der Demontage einiger Gitterstäbe gelungen war.
Die Bürotüre
Er stand vor seiner Bürotüre und klopfte, ließ sich jedoch nicht hinein, weil er ja draußen stand.Daraufhin ging er ungenehmigt hinein. Da er nicht drin war, sah er sich gezwungen, schleunigst wieder hinauszugehen, da sich sonst seine Anwesenheit mit seiner Abwesenheit widersprochen hätte, was seinem Harmoniebedürfnis widersprach. Jedenfalls hätte es ja wohl elementaren Grundsätzen der Höflichkeit widersprochen, im Zimmer zu verweilen, obwohl er dort nicht anzutreffen war.
Höflich klopfte er also nun von innen an die Türe, um wieder hinaus gelassen zu werden. Zufällig stand draußen in der Amtssprache gerade ein sogenannter Dritter, der mathematisch gesehen ein Zweiter, dienstlich ein Kollege war und gerade klopfen wollte, um hinein gelassen zu werden. Als er das von innen kommende Klopfen hörte, rief er: „Heraus!“, denn er empfand sich in Bezug auf die Zimmertüre als Außenstehender, obwohl er im Bürogebäude und im Flur inständig war. Gleichzeitig klopfte er, um dem von ihm – wie er zu spät erkannte – vorschnell genehmigten Heraustreten des Zimmerinhabers zuvorzukommen, denn er wollte ja zu diesem hinein, obwohl er die kurze Frage, die er an ihn richten wollte, nämlich ob er wieder da sei, auch heraußen, ja mit einiger Lautstärke sogar durch die Türe hindurch hätte stellen können.
Der Zimmerinhaber rief: „Herein!“ und trat, wie beabsichtigt und genehmigt, hinaus, während der Draußenstehende, wie beabsichtigt und genehmigt, hinein trat.
Der heftige Zusammenprall wurde als Dienstunfall reguliert, obwohl er keinem der beiden Beteiligten gedient hatte (und auch nicht so vorgekommen war) und die Verletzungen erst bei der anschließenden – dem Dienstherren freilich nicht bekannt gewordenen – Schlägerei entstanden waren, die dem Harmoniebedürfnis des Zimmerinhabers nun doch noch widersprochen hatte, wenngleich ihm dies dabei gleichgültig war.
Der Zimmerinhaber wollte aus dem Vorfall die Lehre ziehen und brachte an der Außenseite seiner Zimmertüre ein Schild mit der Aufschrift an: „Bitte, ohne anzuknüpfen eintreten!“ Kurz darauf war sein Zimmer voller Kollegen, die ihn fragten, warum sie den eintreten sollten.
Er änderte also die Schildaufschrift, die zugleich Schildinschrift und umgekehrt war, dahingehend, dass sie nunmehr (leise) lautete: „Vor dem Eintreten bitte nicht klopfen!“ Nachdem daraufhin ein Kollege, ohne geklopft zu haben, die Türe eingetreten hatte, änderte er erneut die Formulierung auf dem Schild. Sie lautete nun: „ Vor dem Eintreten bitte die Türe öffnen und davor nicht klopfen!“ Jetzt öffnete ein Kollege die Türe, klopfte danach an sie und fragte, wie er die geöffnete Türe nun eintreten solle.
Auf dem Schild hieß es jetzt: „1) Nicht klopfen! 2) Türe nicht eintreten!“ Niemand trat mehr in das Zimmer, da dies jedem ohne vorheriges Klopfen peinlich erschienen wäre.
Nach langer Zeit der Verwunderung des in seinem Zimmer Gemiedenen prangte endlich ein Schild an der Türe, das zu keinen Missverständnissen mehr Anlass gab: „Vor dem Eintreten bitte weder klopfen noch die Türe eintreten!“
Doch eines Tages verließ der Zimmerinhaber und Schildurheber das Zimmer und prallte mit einem gerade eintretenden Kollegen zusammen. Er glaubte zunächst an einen seltenen Zufall, seltener als bei gleichzeitigem Klopfen, wurde jedoch skeptisch, als sich solche distanzlosen Begegnungen häuften, noch dazu ohne tätliche Reaktion der Kollegen. Die Reaktionen erschienen sogar eher belustigt!
Eines Tages – bei der Rückkehr von der Toilette – überraschte er einen Kollegen, der sich gerade mit einem Ohr an der Türe für einen Zusammenprall bereitgehalten hatte. Anschließend war auf dem Schild schlicht zu lesen: „Kein Eintritt!“ Nachdem jemand dazu geschrieben hatte: „Wäre ja auch noch schöner!“, erhielt der Text die endgültige Fassung: „Vorsicht: Trete aus! Bitte Abstand!“ Und bei jedem Gang des Warners zur Toilette hielten die Kollegen gebührenden Abstand, wenn sie ebenfalls austreten mussten.
Die Erkenntnis
Nachdem sich der Kaiser aufgemacht hatte, die Gemächer seines Schlossers zu durchschreiten, die er noch nie gesehen hatte, schlief er schon im ersten Gemach ein, in dem er eine Schlafstätte vorfand, und träumte, er habe sich aufgemacht, sein Schloss zu umschreiten, was er noch nie getan hatte, und er sei schon zur ersten Türe, die er erreicht habe, wieder in Schloss getreten.
Und da wachte er auf und glaubte, noch nicht aufgebrochen zu sein, und vergaß, dass er sein Schloss nicht kannte.
Die Flucht in den Norden
Mit dem Blick,
dem sie ausweichen,
verrückt,
teilt
er mit rudernden Armen
die Regensträhnen
wie die Perlenschnüre
der südlichen Türvorhänge,
eilt
auf der Flucht
vor sich selbst
hindurch und
bleibt
wohl im Norden
plötzlich stehen.
Weilt
in sich selbst,
nass
nur in den Augen,
blutend die Hände
von den Splittern
des zerteilten
Wassers,
noch ausgestreckt,
starrt
auf das undurchdringliche
Glas
stockenden Regens.
Die Frage
Ein wirrer Traum durchwacht die lichte Nacht,
würgt dunklen Tag mit todverspielter Macht.
Ein Schatten, zitternd, reißt im Augenlicht.
Ein Kind weint, weil die Leere zu ihm spricht.
Am Wasser löscht ein Nebel eine Spur,
ein Spiegel fängt die Zeit aus stummer Uhr.
Im falschen Schwur welkt ungesühnt ein Leben.
Die Frage hat es hin- und weggegeben.
Die Nacht kehrt wieder, wirrer Tag im Traum,
des Todes Echo ohne Zeit und Raum,
des Todes Spiegel ohne Ja und Nein
und nichts und alles weder Sein noch Schein!
Der ferne Stern strahlt ohne jeden Sinn.
Ich leb´ nur, weil ich glaube, dass ich bin.
Fern auf dem Lande heult ein Hund zum Mond.
Das zeigt, was Wahrheitsglauben innewohnt.
Halb schlafend schnurrt die Katze vor sich hin.
Sie löst die Frage nach des Lebens Sinn.
Jetzt kommst du heim mit einem milden Lächeln.
Doch Wölfe Blut aus ihren Lefzen hecheln.
Die Geschichte vom Luftunterdruck zum speisenden Tod
Oft häufig hintereinander, aber meist in Zeitabständen von relativ längerer Dauer, riss er das Fenster auf und rülpste hinaus. Donnerstags nie. Da hatte er grundsätzlich keine Selterwasserflasche neben sich auf seinem Schreibtisch stehen. Ja, so war er! Ganz früher, in grauer Vorzeit, haben sich die anderen Hausbewohner immer und immer wieder beschwert, doch seitdem er seinen Schreibtisch neben das Fenster platziert hatte und somit der Anlaufsweg weggefallen war, konnte niemand mehr an dem lauten Gepolter Anstoß nehmen, unter dem er einst immer an den Fenstergriff zu stürzen gepflegt hatte.
Das Fenster war sehr sehr schmal, damit nicht mehr Luft eindringen konnte, als hinausgepresst wurde. Er liebte einen bestimmten Luftunterdruck, der sich aus einer Differenzialgleichung ergab, und den er in seinem luftdichten Arbeitszimmer zu erhalten eitel bedacht war, derart, dass sogar nie die Öffnung einer auch noch so minimal gefüllten Selterwasserflasche frei in den Raum ragen durfte, auf dass nur ja kein Perlchen Kohlensäure entströme. Ja, so war er! Welche ungeheuere Apparatur hatte er sich doch in seine Wände einbauen lassen, damit sich auch keine geringsten Temperatur – und somit Luftdruckschwankungen ergäben! Ein richtiges Paradies hatte er sich geschaffen. Und wenn er - aus welchen Gründen und dunklen Drängen auch immer - die Türe öffnen musste, um sein Zimmer zu verlassen, wie luftunterdruckhungrig kam er dann wieder zurückgeeilt, um an seiner Apparatur herumzuhantieren und sich nach der Wiederherstellung des ursprünglichen Luftdrucks wieder wohlig an seine Arbeit machen zu können! Nur in seinem paradiesischen Luftpaket konnte er sich zur Arbeit aufraffen und sich so vor dem Hungertod bewahren, der ihn jäh dahingerafft hätte, hätte er kein Geld mehr verdienen können. Ja, er war nämlich sehr arbeitsscheu, und nur ein ganz bestimmter Luftdruck konnte ihn zur Arbeit bewegen – weniger im Sinne von Kraft pro Flächeneinheit als infolge Versüßung derselben.
Es begab sich aber nun eines sonnigen Tages. Und das war sehr sehr schlimm, dass es sich begab. Ich will versuchen, dieses „es“ im folgenden ganz kurz zu umreißen – wenigstens soweit mir dazu die Mittel zur Verfügung stehen: T. Ich sehe gerade, dass ich das „es“ doch etwas weiter umreißen muss – vielleicht am besten sogar so, dass man es versteht: Tod. Nun, so schlimm war es eigentlich auch wieder nicht, denn ich hätte – wenn ich´s mir recht überlege – eigentlich auch dann nichts mehr zu erzählen gewusst, wenn sich der Tod nicht ereignet hätte. Ja, wenn ich´s mir noch rechter überlege, bin ich nicht uneigentlich sogar froh darüber, dass der Tod nicht ausgeblieben ist, denn siehe da: Den ganzen letzten Abschnitt der Erzählung hat er doch noch gespeist!
Die Geschichte vom Strömen zum Wasserhaushalt
Allgemeines Strömen. Und er strömt mit, der Held dieser Geschichte. Und nicht nur er. Nein, alle strömen mit, jeder mit jedem. Jawoll, es ist, wie gesagt (schriftlich), ein allgemeines Geströme. Und so strömen sie eben alle mit, mit dem Strom, strömen, strömen und strömen. Nein, nicht dreimal strömen sie. Sie strömen nur einmal, aber dauernd – sie alle, die strömen, inklusiv des Helden dieser Geschichte.
Und da passiert es! Es? Nun ja: das Passieren. Deutlicher: Das Passieren – Dass – Nicht – Alle – Strömen. Und nicht nur „da“ passiert es – nein, es passiert dauernd. Aber das ist nicht so schlimm. Oder kann es wirklich den Eindruck des ständigen Strömens stören oder gar gar nicht aufkommen lassen, wenn da und dort einige stehen, sei es vor einem Schaufenster, sei es vor einer Ampel, sei es vor Schreck oder sei es vor sonst noch einem Substantiv? Auch unser Held steht ab und zu vor, wiewohl er sich dabei auch keineswegs als Vorsteher fühlt. Manchmal, allerdings recht selten, steht er sogar nur einfach – ohne „vor“. Und nicht nur er! Dann steht er vor überhaupt nichts, vor dem absoluten Nichts sozusagen. Da steht er dann nur auf – nein, nicht etwa vom Essen. Das gehört nicht hierher – ins Geströme, ganz abgesehen auch davon, dass das öfter geschieht. Nein, er steht dann auch nicht auf irgendeinem Fleck, denn nenne mir, Muse – vielmehr: Muße Habender, der du diese Geschichte liest – ,nenne mir den Fleck, auf dem man stehen kann, ohne vor irgendetwas zu stehen – und sei es auch in noch so großer Entfernung! Nein, das alles ist nicht der Fall. Nein, nein und nochmals: nein! Er steht ganz einfach auf einem Standpunkt, keinem örtlichen, einem geistigen – auch im Gedränge – manchmal, selten allerdings. Und da steht er dann nur örtlich vor, vor irgendetwas, wenn er nicht gerade auch noch geistig vor einem Problem oder einer Frage steht. Doch siehe da, geneigter (auf die beschriebene Seite) Leser: Gar nicht so selten stehen gar nicht nur einige auf einem Standpunkt, wie eben beschrieben, sondern dauernd stehen alle auf vielen Standpunkten, wie eben nicht beschrieben, – auf allgemeinen sozusagen – unterbewusst. Jawoll! Oder stehen etwa nicht nicht nur einige auf derartigen Standpunkten wie zum Beispiel dem, dass einer, der ihnen begegnet, ein, jawoll: ein solcher ist, sondern wohl alle auch auf solchen wie zum Beispiel dem, dass einer, der ihnen nicht begegnet, ein – ein, jawoll: ein Keiner ist? Ja, in dieser Hinsicht stehen sie alle dauernd auf – auch unser Held. Doch das ist nicht so schlimm, solange sie nicht aufstehen – als Aufständische. Sie sind ja alle sozusagen nur „Aufsteher“, der eine allerdings ein Früh -, der andere ein Spät – .
Doch strömen tun sie früh und spät, die Leute in der Stadt – die Leute allgemeinen, unser Held nicht. Und nicht nur unser Held nicht, denn siehe da: alle nicht, die strömen. Doch das ist nicht so schlimm: Sie sind ja alle sozusagen nur keine Strömer und nicht keine Ströme, denn sonst stünde es um den Wasserhaushalt unserer Erde schlecht – und auch um den unseres Helden. Und nicht nur um den unseres Helden! Pardon, wie steht es um den Wasserhaushalt des geneigten (zur Empörung) Lesers? Bleibt ihm die Spucke weg?
Die „Klimakatastrophe“
Ich hasse die Sonne, mich dürstet nach Regen,
nach Blitzen, nach Donner, nach Sturm: welch´ ein Segen!
Verlogenes Licht der höllischen Glut!
Im Dunkeln allein meine Seele ruht.
Des Teufels Fratze: Sie ist´s, die lacht!
Das Leid des Lebens kühlt nur die Nacht.
Und – wie Gewitter – frei ist Wut.
Die innere Hitze nur tut gut!
Die Lösung
Wir leben nicht dafür,
das Leben zu ergründen.
Doch treibt uns ein Gespür,
Geheimnisse zu finden.
Und diese lüften wir,
indem wir selbst verschwinden.
Die Masse
Den anderen folgen wie ein Schaf,
es anderen nachtun wie ein Aff´
und immer Ja wie Esel sagen:
so alle Tiere überragen!
Der Mensch ist dazu dumm genug.
Hält daher sich auch noch für klug!
Die Mehrheit
Als die Sonne gläsern wirkte,
merkten sie noch nichts.
Und als sie grün schien,
dachten sie,
so sei das Wetter.
Erst als man meldete,
sie tanze,
sah man zum Himmel
und schüttelte den Kopf.
Nun ja,
solang´s uns wohlergeht,
besteht zur Sorge
doch kein Anlass!
Die Nacht des Lebens
Im Schleierlicht
wiegen sich
schlafstarre Häupter.
Und im vereisten Nebel
eines Atems
fallen die gebrochenen Linien
gefalteter Hände zusammen.
Wachend fährst du
mit dem Finger
über den blinden Spiegel
deiner Zeit.
Die Seinsfrage
Weder
sind wir,
noch
sind wir nicht,
noch
sind wir und zugleich nicht.
Wir werden geträumt
von einem Traum
eines Traumes,
der weder
geträumt wird,
noch
nicht geträumt wird,
noch
geträumt und zugleich nicht geträumt wird.
Die Sinnfrage
Der Dumme glaubt an fernen Sinn,
als strebe alles erst dorthin.
Der Kluge sagt sich: „Aber nein!
Was jetzt ist, soll auch jetzt schon sein
und, was erst wird, nimmt nicht die Zeit
als Umweg, sondern ist bereit !“.
Warum nicht gleich, was später ist?
Weil nichts vergeht, nur weiterfließt!
Die Sinnfrage
Bewustseinsflüchtig leben sie.
Es ist ja alles so normal
und Anormales irgendwie
halt auch, doch nicht der Fall!
Und fragt man sie, weshalb sie leben,
dann lachen sie: „Das hat schon Sinn!
Denn warum soll es keinen geben,
wo doch der Glaube ist im Hirn?“
Als wäre eine Ackerfurche
von vornherein im Boden drin!
Die Stunde
Die Türe steht jetzt plötzlich offen.
War's nicht, als wär´ sie fest geschlossen?
Und Kühle rührt die feuchte Stirn.
Vor irren Blicken Farben flirr´n.
Jetzt drückt ins Ohr ein Wellenrauschen.
Luftfratzen off´nen Mundes lauschen.
Ein Stück Papier gleitet zu Boden,
der Abschiedsbrief des noch nicht Toten.
Und lichterstickte Dunkelheiten
im Lärm der Luft starr ödend schweigen.
Die Tagung
Eine Tagung von Wissenschaftlern aus aller Welt drehte sich um die Frage, warum denn der Hund so mager sei.
Einige unter den Teilnehmern hielten bereits den Ausgangspunkt dieser Frage für ein Gerücht. Andere beantworteten die Frage damit, dass der Hund nicht genügend zum Fressen bekomme. Wieder andere meinten, der Hund sei deshalb so mager, weil es so unruhig sei. Diese Feststellung könne man auch umkehren: es sei so unruhig, weil der Hund so mager sei.
Ein Teilnehmer stellte die Gegenfrage, um welchen Hund es sich denn eigentlich handele. Als ein weiterer Teilnehmer meinte, es handele sich um den Hund schlechthin, äußerten andere übereinstimmend, einen solchen Hundenamen hätten sie aber noch nie gehört, worauf ihnen der so angesprochene Teilnehmer bedeutete, dass er es so nun auch wieder nicht gemeint habe.
Plötzlich kam einer auf die Idee, den Hund zu fragen. Etliche hielten dies für nicht praktizierbar, andere befürchteten, der Hund könnte sie wieder auf das Ausgangsproblem zurückwerfen, indem er seinen Missmut über die Frage jedenfalls sinngemäß mit den ihm zur Verfügung stehenden Ausdrucksmöglichkeiten so artikulieren könnte: „Warum, warum, warum ist der Hund so mager?“
Jetzt brausten einige Teilnehmer auf: Der Tagungsleiter hatte gebellt! Er schloss jedoch schleunigst die Tagung mit dem Resümee: Die entstandene Unruhe stelle die Antwort auf die gestellte Frage dar.
Ein Kritiker fand dieses Ergebnis später in einem namhaften Publikationsorgan ausgesprochen mager.
Die Tat II
Aus dem dürren Geäst
wirbeln die schwarzen Blüten
auf den schmutzigen Schnee hinab.
Und so schwarz war der Himmel noch nie,
durch den sich ein Strahlenfächer
eisigen Lichtes schneidet.
Stammelnd kniet der Getriebene
neben der geliebten Leiche.
Die wilden Fußspuren haben sich
mit Wasser gefüllt,
und neue bilden sich nicht.
Die Tat
Ins Lächeln zarter Hoffnung fuhr die Faust.
Ein Wimmern blieb, das bald erstarb.
Gesicht der Unschuld, bleich, das Haar zerzaust,
weint reglos bitt´res Blut und starrt
den Wahnsinn aus dem langen Blick
des Täters in den Himmel weit zurück.
Die Verzweiflung der Unschuld
Kennt ihr denn nicht den Albtraum:
Ihr wollt laut schreien,
auf der Ton
würgt nur euere Kehle?
Stellt euch Ersticken vor:
Ihr wollt atmen,
aber die Luft bleibt angehalten!
Wisst ihr, wie das ist,
wenn einer spricht,
einfach nur spricht,
mehr will er gar nicht,
und ihr glaubt ihm nicht,
ihr glaubt ihm einfach nicht,
obwohl er gar nichts will,
obwohl er gar nicht lügt,
ihm gar nichts daran liegt?
Ihr glaubt ihm einfach nicht!
Wehe dem,
dem ihr nicht glaubt,
und der auch
durch seinen Tod
seine Unschuld nicht beweisen kann!
Wehe euch,
er schreit nicht,
er atmet nicht,
und euch hätte es nichts gekostet,
zu glauben!
Ihr seid verflucht
durch das wahre Wort,
das ihr verhöhnt.
Ihr habt euch schuldig gemacht.
Oh, hättet ihr ihn doch
gleich umgebracht!
So sagt doch endlich, sagt:
Habt ihr euch das denn nicht gefragt?!!
Die Welt
Oh, wie das Schicksal den bestraft,
der ohnehin nur Leiden kennt,
dem Glücklichen noch Glück verschafft,
obwohl er gar nicht nach ihm rennt!
Und immer nur der Böse siegt.
Den Guten sein Gewissen wiegt.
Die Welt hat nie ein Gott geliebt.
Die Zeit II
Die Zeit,
die Unerbittlichkeit
des So und Nicht,
der Geist,
der aus den Toten spricht!
Die Zeit
Die Zeit tropft schwer und immer schneller,
so wie das Blut aus meinem Herz.
Sie tropft aus drohend schwarzem All
und wird zur dunklen Hohen See.
Die Blitze werden immer greller.
Zu Höllenqualen wird der Schmerz.
Die Tropfen wandeln sich zum Schwall.
Der Sturm reißt Wellen in die Höh´.
Kein Untergang, so sehr ich fleh´!
Zeit frisst, schluckt nicht, wie schon seit je.
Doch
Die Sonne kam
und das Vergessen.
Und dann war´s
unerbittlich,
unerbittlich
Traum gewesen.
Du greifst zum Herz,
es sinkt die Hand.
Du sahst es
nie und nimmer,
nie und nimmer,
wie sie sank.
Dorthin
Ihm wurde etwas angetan.
Gewissheit brach in ihm sich Bahn,
dass er nicht weiterleben kann.
Gesicht der Schuld - vertrauter Wahn -,
er blickte es noch einmal an,
trat vor die Tür und eilte dann
dorthin, wo er sich Freiheit nahm,
so dass er nie mehr wiederkam.
Dr Voddr
(Oberfränkische Heimidylle)
Dr Voddr hot a Mordstrumm Buttern ins Maal g´hiem g´hott, und etz hotta an Ärpfl dazu neiwerng wolln, obba die Muddr hotnan nuch net ogaschält g´hott´n. Do hot da Voddr bluß foddna mit´m Buttern im Maal gagrunzt und mit die Händ rimgafucht´lt, und sei Maal hot ausgaschaut wie bam Lehr´r Brondl, wenn der gähnt, obba sei Maal dabei net aafmocht. Und die Muddr hot si gschickt und an Ärpfl gschält und vur lauter Hetz iss´r noogafolln, und sie hotna aff da Scherzn nemma dawischt und an neia ganumma.
Und dr Voddr hot foddna bluß gagrunzt , und die Muddr hot vur sich higabrummt: „Waal er net ganuchkrieng ko! Onnera fress´n die Ärpfl mit´m Buttern, obba naa: er wercht erscht ´n Buttern nei, horichgschwind, der gonz Gscheit!“
Endlich woar der weng Ärpfl fertich. Garaucht hot a wie a Bügleisn. Obba dr Voddr hot nan mit der Händ gapockt, und sein Kupf hot er noch hinna gato wie bam Biertrinkn, und na hot´r ´n Ärpfl nei´s Maal gastopft. Hoaßkotzn! Do hot´r vielleicht wie ogaschlocht grodnaus gastiert, die Glosbotz´n nausgawercht, und Träna senna runnagaloff´n, und ´s Maal hot´r foddna rimgaschuum, hi und her und naaf und nunner, wie a Kouh, und vo da Guschn is die Brieh runnergaloffn, nei in Kroong. Und die Muddr hot a Hondtuch vom Herd runnagarissn und sei Maal zugaholtn und hot gajommrt: „Olda Daaba, homma scho amoal a weiß´ Hemm gahobt!“
Endli wor a Rouh: Dr Voddr hot aafgakoppt, doss is gonz weng Gscherr im Schronk gaschepprt hot und da Hund gabellt hot. Und die Muddr hot wie immr, wenn dr Voddr aafkoppt wie a Stollknecht ba die Säu, bluß gabrummt: „No ho, Sottschwomma!“
Schuld worn wejdr mir Kinnr, waal ma ´m Voddr ´s gonz weng Bockstaakees weggafressn ghottn hom und bluß mehra der Buttern iebrig galossn woar.
3:00 Uhr
Niemand, der die Nacht verführt!
Wimmern zieht durch leisen Schwindel.
Dürres Klopfen spukhaft rührt
ab und zu die Zeitenspindel.
Drückend jetzt der Stille Last!
Niemand, der die Nacht verrät!
Blinder Trance ins Talglicht fasst.
Starr ein Schatten Träume näht.
Du nennst es Gott
Wenn du dich fragst,
was Sein und Nichtsein ist,
wird dir bewusst,
dass du letztlich nichts begreifen kannst,
und es ergreift dich ein Sehnen
nach etwas, das
weder entweder ist oder nicht ist,
noch sowohl ist als auch nicht ist,
noch weder ist noch nicht ist,
und du fühlst
in diesem Sehnen das Vertrauen,
dass du darin bereits geborgen bist,
ohne es begreifen zu müssen.
Es ist in dir,
und du bist in ihm,
und du bist eins mit ihm,
ohne einsam zu sein:
so faltest du die Hände.
Du
Wenn du nicht willst,
sag´ einfach: Nein!
Denn du bist du.
Das ist dein Sein.
Mit deinem Du
stirbst du allein.
Dunkelheit
Wenn du daliegst
und dasitzt
und dahingehst
und nur noch denkst,
dann wird es dunkel, ganz dunkel.
Wenn die Deinen dich anblicken
mit diesen Schatten in den Augen,
dann wird es dunkel, ganz dunkel.
Wenn von draußen der Alltag
in die verschlossene Kammer hallt,
gar die Sonne scheint da draußen,
als wäre nichts,
dann wird es dunkel, ganz dunkel.
Wenn du sterben willst, jetzt,
nur noch sterben willst,
inständig flehst zu Gott
und nicht stirbst,
dann wird es dunkel, ganz dunkel.
Wenn es dunkel ist in dir
und ganz, ganz leer,
und du willenlos
endlich tust,
was dir mit Willen
- allzu lange – nicht gelang,
dann ist es endlich so weit,
wie es weiter nicht mehr geht,
wo Hell und Dunkel dasselbe ist,
wo du ganz einfach nicht mehr bist.
Dunkelung
Die Schatten des Tages ziehen in der Dämmerung
still vorbei, um die Nacht zu bilden.
Du flüsterst ihnen dein Geheimnis zu,
denn sie kennen den Tod, dem sie alles verraten.
Ein Lächeln ist´s, das in deinem Leben
niemand erwidert.
Dann starrst du in deine Stube,
bis es dunkel ist und bleibt.
Dunkler Horizont
Ich schließe fest die Lider,
und draußen gleißt das Sonnenlicht.
Ich lieg´ betrübt darnieder,
und Trost und Hoffnung gibt es nicht.
So finster, wie es in mir ist,
wird draußen nie die Nacht.
Und schwarzen Traum kein Schlaf vergisst.
Nur Schwarz aus Schwarz erwacht!
Da ist kein Gott, auch nicht der Tod.
Da hilft kein Messerstich.
Und weinte ich auch Blut: Kein Rot
am Horizont für mich!
Dunkles Leben
Wir spiegeln uns in unseren Schatten
so dunkel, wie wir uns bestatten
ins Dunk'le; wie wir sind geboren
aus Dunkelheit, der Nacht verschworen,
die unsere Träume in sich flicht.
Wir seh'n uns nicht, auch nicht im Licht.
Durchwachte Nacht
Die Träume
aller Schlafenden
ziehen nebeneinander
Furchen
durch die Dunkelheit,
Wellen,
die sich nicht überlagern,
in der Zeit erstarren,
Glasorgeln
der klingenden Nacht.
Zerbrich nicht,
glasiger Traum
durchwachter Nacht!
Durst
Knieend vor der Quelle tauchen wir unsere heißen Lippen in das Wasser unserer hohlen Hände. Doch der dürstende Mund öffnet sich nicht, während sich die dankenden Hände falten und das Wasser entrinnt. Denn die Quelle war längst versiegt, längst vor der Fantasie der Sterbenden, die wir sind.
D´Leit
(frei nach Karl Valentin)
I geh´net hi zu die Leit.
Do pass´i einfach net hi.
I bin holt koa Leit.
Die kenna si partout net in Ruah loss´n.
I loss´mi am liabst´n in Ruah.
Am allerschlimmst´n san obba die Feiern!
I brauch´ koan zum Feiern,
net amol mi.
Wia schee waar´s Leb´m
gonz ohne Leit!
Des woar halt schee,
wiar i no net am Leb´m woar!
Mi graut´s scho vor da Auferstehung:
so an Haffa Leit!
Am best´n wird’s no in da Höll´sei,
do feierns wenigstens net!
Och Herrgott, du host´s schee:
Du bist gonz alloa
und vielleicht überhaupts gar net!
Dei Eb´mbuid
mechat i sei!
Sammas denn bloß im Grab?
Dämmerung
Die blauen Zimmer der Erinnerung
durchwimmert altvertraute Melodie.
Todmüde presst der bleiche Greis
die Hand auf seine feuchten Augen.
Und draußen verfällt ein eingebildeter Brunnen.
An´s Fenster klopft es kurz.
Nein, nicht mehr weiter!
Es muss doch endlich einmal
nichts mehr sein,
mein Gott, wie du nicht bist!
Dämmerung
Das letzte Licht
der späten Sonne
verbreitet Stille
in den müden Tag.
Mich zieht es heim.
Und in der Dämmerung
wird es so kühl.
Da war es also,
war mein Heim.
Aus einem Fenster
winkt Erinnerung.
Ein Nebelvorhang
fällt vor meiner
letzten Inszenierung
Ego suicidens
Beug´ dich aus deinem schwarzen Kahn,
schau dich im Wasserspiegel an,
zieh´ dich ganz nah an dich heran
und tränke deinen Todeswahn!
Ehezerwürfnis
Du gehst hinaus
und hast dir fest geschworen:
Nun ist es aus,
hier hast du nichts verloren.
Du gehst weit weg
und weißt doch nicht, wohin.
Kennst nur den Zweck,
hast nur den Tod im Sinn.
Die Welt bleibt gleich.
Du bist mit dir allein.
Dein Herz ist weich.
Wie leicht dringt Stahl jetzt ein!
Gott möge gnädig sein!
Ein Leben
Rausche durch das Laub,
blase in den Staub!
Spucke in den Bach,
schlage lauten Krach!
Springe in die Luft,
falle in die Gruft!
Bleibt etwas zurück?
Scheuer Traum vom Glück.
Fliegt, so weit er kann.
Löst sich auf in Wahn.
Ein „schöner“ Tag!
Ein Tag, wie aus dem Grab geträumt,
zum Himmel feurig aufgebäumt,
vergießt in Strömen grelles Licht,
vergisst, dass Feuer Seelen frisst:
Oh gäb´es Kälte, Sturm und Regen,
die Seele sänge Dank dem Segen!
Ein Tag
Dieser Schein der Tage!
Nichts, das sein müsste.
Alles ist nur Frage.
Niemand, der sie wüsste.
Frage, die sich selbst befragt,
mit der Antwort überragt.
Eine Sommernacht
(Gedicht aus der Kindheit)
Nacht ist´s, pechrabenschwarze Nacht.
Alles ist still, nur ab und zu da kracht
in des Herrn Meiers Schlafgemach ein Schrank.
„Ein Schrank, oh nur ein Schrank, Gott sei's gedankt!“
murmelt Herr Meier, der halb im Schlafe schon
sich wälzt im Bett bei der Matratzen schrillem Ton.
Da plötzlich es ganz komisch klappert.
Herr Meier stutzt, da kommt geflattert
eine Nachtfalter zum off´nen Fenster rein.
„Ein Falter, der sich hat verirrt, was soll's auch sein!“
murmelt Herr Meier. Er schläft schon beinah´ wieder.
Von einem keinen Teich her quaken Frösche ihre Lieder.
Nun hört´s auch Herr Meier und tappt zum Fenster,
um es zu schließen. Da – sieht er Gespenster?
„Ach“, fällt´s ihm ein, „das ist ja nur mein weißes Hemd,
das ich hab´ vor dem Bettegeh´n hier aufgehängt!“
Beruhigt legt er sich wieder nun ins Bett.
Doch jäh wird er bald wieder aufgeschreckt.
Den Grund seines Wachseins er erkannt hat.
„Es ist die Hitze!“ brummt er, „Ich hab sie jetzt satt!“
Die Tür wird geöffnet, sperrangelweit,
die Fenster auch wieder, wenigstens fingerbreit,
ein leichteres Zudeck wird herbeigeschafft,
dann legt er sich nieder, um mit neuer Kraft
wieder einzuschlafen. Doch was ist da?!
„Knurrt da nicht jemand – jetzt ganz nah?
Und was ist das?! Oh Schreck, lass nach!
Zwei Augen funkeln – jetzt wird’s Tag!“
so denkt Herr Meier, „Nicht Gespenster
sind das, nein, nur zum off´nen Fenster
sich Hubers Katz´ hat ´reingedrängt.
Fröhlich am Fußende sie mit dem Schwanz jetzt schwenkt.“
Da blieb Herr Meier eisern und ließ sich nicht mehr stören.
Er wollte nur noch schlafen und nichts mehr seh´n und hören.
Und sieh! Der Schlaf ihn in das Reich der Träume trägt.
Es kracht, knurrt, flattert, quakt und – „sägt“!
Eines Kindes Klage
Ach lieber Gott, nimm mich zu dir!
Es ist so schrecklich für mich hier!
Die Menschen können mich nicht leiden.
Ja, auch die guten wollen streiten.
Ich mach doch allen alles recht
und will für mich nichts, ist das schlecht?
Du hast mein Herz zu weich gemacht.
Ich könnte weinen Tag und Nacht.
Du hast die Welt so hart geschaffen.
Ich kann nicht kämpfen, gar mit Waffen.
Ich kann zwar furchtbar zornig werden,
doch will ich dabei immer sterben.
Ach bitte, bitte nimm mich heim!
Lass mich bei dir alleine sein!
Einfach
Wir streiten.
Ich renne wütend davon.
Irre weinend umher.
Wie kann ich mich
sicher, schnell und
möglichst ohne Schmerzen
umbringen?
Die kahlen Bäume
starren in den Himmel.
Ich starre sie an.
Sie sind einfach da,
einfach so.
Und ich?
Ich mit meinem ständigen Wollen
und Nichtwollen?
Ist nicht alles, dieses All,
Leid und Freude
einfach da?
Ich kehre zurück.
Bin eifach da
wie unsere Verstimmung.
Was geht sie den Bäumen an
und dem All?
Was geht sie uns an?
Was gehen wir uns an?
Wir sind einfach da
samt unserer Betroffenheit,
samt unserem Wollen und Nichtwollen
und unserem Tun und Unterlassen
sowie unserem Wissen und Nichtwissen.
Und einmal einfach nicht mehr da.
Samt unserem Nichtwissen,
was Sein und Nichtsein eigentlich ist.
Einfach da!
So einfach!
Zu Gott führt kein Eingang
sondern ein Ausgang
Ich habe an deine Türe geklopft.
Ich habe an deine Türe geschlagen.
Ich habe an deiner Türe gerüttelt.
Ich habe an deiner Türe geschrien.
Sie öffnete sich nicht.
Ich fiel vor sie hin.
Und als ich aufstand und ging,
schien der Weg so weit
wie die Ewigkeit
hinter deiner Türe.
Einsam und allein
Einsam bin ich unter Menschen.
Bin am liebsten ganz allein,
nicht, um selbst mich zu bekränzen,
auch nicht, um mich auszugrenzen,
nein: um so wie ich zu sein.
Kann nicht so wie and´re sein:
ganz dem Leben hingegeben.
Leb´ mich nicht im Leben ein,
staune, spiele mit dem Schein,
leide an der And´ren Leben.
Einsame Spaziergänger
Zwei Leben kreuzen sich
in einem kurzen Gruß.
Ob´s bloßer Zufall war?
Die Höflichkeit war Muss!
Einsamer Sinn
Und jeder nimmt wahr
und denkt und fühlt.
Und keinem ist klar,
was sein Leben spielt.
Er ist einfach da
und irgendwann weg.
Das Herz schlägt nah,
doch fehlt ferner Zweck.
Und Gott mag ja sein
als letzter Sinn,
doch ganz allein
nur so vor sich hin?
Einsamkeit
Es sehnen sich ewig
der denkende Geist
und die fühlende Seele,
allein zu sein.
Denn eines nur seh´ ich,
das aber nichts heißt,
wo ich seiend fehle
mit mir allein.
In Stille nur regt sich,
was dorthin verweist,
wo ich nichts mehr verhehle:
in mir daheim.
Elend
Ihr lächelt nur verlegen,
wenn wir,
die Weinenden der Welt,
im Selbstgespräch den Regen
wie unser Leben
mit Gier
aus unseren bebenden Händen
immer wieder trinken,
bis unsere matten Arme sinken.
Und ihr?
Euch muss die Sonne blenden,
wenn euch das Leben quält.
Elysium
Steige in die Wolken ein,
trete durch das Lichtgeschimmer,
fass die Schatten deiner Finger,
schwebe über dein Gebein!
Atme diese Schleier nimmer,
wein´ die Augen himmelrein!
Elysium
Auch schläft der Tod
und träumt das Leben.
Er träumt die Schatten
der Zypressen.
Und träumt, das Leben
zu vergessen.
Im Fieber flicht er
Lorbeerkränze
und weint die Trauben
an die Reben,
reiht ein sich
in die Reigentänze.
Er träumt, die Träume
zu vergessen.
Und träumt,
wie dunkel die Zypressen
dem Licht entgegenstreben.
Steige in die Wolken ein!
Trete durch das Lichtgeschimmer!
Fass´ die Schatten deiner Finger!
Schwebe über dein Gebein!
Atme diese Schleier nimmer!
Wein´ die Augen himmelrein!
Ende
Dann gehst du weg.
Die Abendsonne sinkt.
Ein kühler Wind
läßt Äste winken.
Du siehst an einem Kind vorbei;
dein Lächeln würde sonst
in Tränen wohl ertrinken.
Nach Stunden
bist du dann so weit,
erstarrst im Dunkel,
bist zu zweit.
Da stehst du
und dein Ich daneben.
Du schaffst es weg
und willst nicht überleben.
Endgültig
Dürstend führ` ich mit hohlen Händen
kühles Wasser zum zitternden Mund.
Nicht lässt die lechzende Seele sich tränken!
Rasendes Herz schlägt die Brust mir wund.
Heiß brennt die Sehnsucht nach schnellem Tod.
Diese Wunden können nicht heilen!
Blutend im Abend-und Morgenrot
Tag und Nacht ineinander enteilen.
Endlich
Einfach loslaufen,
durch Tag und Nacht,
durch Sonne und Regen,
durch Hunger und Durst,
durch Dreck und Tränen,
einfach weg,
und irgendwo,
ganz allein,
endlich
für immer weg sein,
wie ohnehin dereinst.
Süße Rache
am Fluch der Geburt!
Endzeit
Die Zeit wird immer
geiziger und giert
nach Vergessen.
Hastig nestelt
vertrocknete Hand
über die blinden Perlen
verweinter Kette
im stammelnden Flehen
nach erlösendem Fluch.
Kopfschüttelnd verliert
in zeitloser Folge
ein monströser Schatten
pechschwarzes Haar.
Endzeitstimmung
So wohl erscheinen die letzten Tage:
Die langen Schatten als Trauerflore gedacht.
Graue Bäume raunen die Sage:
Nur noch Tage folgen der letzten Nacht!
Lockeren Kranz als die letzte Gabe
wirbelt ein Wind in die toten Blätter ganz sacht.
Engel der Nacht
Traumengel der Nacht
flügellos
flüchtende Fantasien
scheu im Schutz
des Schattens des Todes
verlorene Getriebene
teuflischen Lichtes
der unaufhaltsamen Tage
Entscheidung?
Es quält mich das Leben Tag für Tag,
Stunde um Stunde, Schlag auf Schlag!
Mit brennenden Augen und nassem Gesicht
heule ich auf, aber wage es nicht,
den heiß ersehnten Tod mir zu geben.
Ist er Erlösung von diesem Leben,
erleben werde ich sie nicht mehr.
Ach, wie fällt die Entscheidung so schwer!
Sie wird mir ja einmal abgenommen.
Gott! Lass mein Sterben doch jetzt schon kommen!
Ich weiß ja nicht, ob mein freier Tod
Gnade ist, Sünde oder Gebot!
Du schweigst und bestrafst jedes Überleben,
hast es jedoch immer wieder gegeben!
Zur Qual oder aber zu welchem Segen?
Erbarmungslos
Aus ihren Augen starrt
die Selbstverständlichkeit,
geboren worden zu sein
und geboren bleiben zu wollen,
die Selbstverständlichkeit,
sterben zu müssen,
ohne nicht mehr zu sein,
obwohl einmal nicht gewesen,
die Selbstverständlichkeit
eines Sinnes in allem
und einer Wahrheit,
trotz allem,
wenn nicht im Leben,
so danach erfahrbar,
die Selbstverständlichkeit
nach Glück zu streben,
das, wenn erreichbar,
doch nicht reicht.
Aus ihren Augen starrt
die Selbstverständlichkeit
hinter den lachenden und weinenden Blicken
dies Nicht- anders- Könnens.
Erbarmungsloses Sein!
Erbärmlicher Gott
Was ist das
für ein erbärmlicher Gott,
der genau so
wie die klägliche Krone
seiner Schöpfung:
ist und will und kann,
nur alles eben super
und selbst ungeschaffen,
aber über sich:
das Sein, sein Sosein
und die Dichotomie
von Gut und Böse!
Erfüllter Traum
Du irrst im Schatten eines längst vergess´nen Traumes.
Dann schläfst du ein und träumst von Früchten eines Baumes
im Garten Eden, isst die Frucht vom Baum des Lebens
und träumst und wachst nicht mehr. Und doch war nichts vergebens.
Erinnerst dich an jenen längst vergessenen Traum.
Er ist jetzt wahr: Erkenntnis nicht vom anderen Baum.
Erinnerung
Wo ist das geblieben,
was ich hab´ erlebt?
Aus der Zeit vertrieben,
ins Gehirn gewebt,
ganz vom Leid geschieden,
sehnsuchtsvoll gepflegt!
Einmal sterben wir,
ich und meine Zeugen.
Dann ist's nur erzählt,
nie und nirgends hier.
Hat nichts zu bedeuten,
Worte ohne Welt!
Erinnerungen an den Nachmittagsunterricht
Nasse Dächer,
nasse Straßen.
Ungetröstet im Regen
weint durch den tränenlosen Tag
der prüfungsfreien Erwachsenen
die Angst fiebernd
der strengen Schule entgegen.
Und morgen krallt sie
in traumhell flimmernder Hitze
pochend
die atemlose Brust.
Erinnerungen an Komotini
Abend schleicht durch weiße Mauertäler.
Dumpfer Bass ertönt aus einem Keller.
Ahnen flüchtet zwischen Schmerz und Traum.
Schatten klemmen zwischen Zeit und Raum.
Leise Klage ruft versäumte Freuden.
Minaretts auf Unsichtbares deuten.
Warme Luft steht wartend vor Portalen.
Mückenschwärme suchen helle Hallen.
Kauernde Kokons in langen Reihen
mögen meinen Fensterblick verzeihen.
Schleieraugen schließen ihre Lider.
Lähmend starrt ein Sternenhimmel nieder.
Erinnerungen
Die Blüten
auf den Ruinen der Vergangenheit
umflattert ein Falter
und lässt sich auf deinen Armen nieder,
in die du deinen Kopf vergraben hast,
ohne dass du ihn spürst
in seiner Farbenpracht.
Und nun, da du den Kopf hebst
und in die Ferne blickst,
ist er unerinnert zurückgekehrt.
Still weint hinter dir
ein flügelloser Engel
Tränen deiner Zukunft.
Erkenntnis II
Im Lachen erkennen wir die Welt
(in ihrer Absurdität),
im Weinen Gott
(in seiner Unbegreiflichkeit),
im Traum uns selbst
(in unserer Tiefgründigkeit),
und aus dem Spiegel blicken wir uns
tot entgegen
(wie wir im Raum nicht sein können und
in der Zeit nie sind)!
Erleuchtung
Er legte sich rücklings auf die Erde
und nahm den Himmel in sich auf.
Dann sah er nur noch Licht,
das ihm sogleich die Augen schloss,
um ihn im Dunkeln zu belassen.
So ist's Erleuchteten bestimmt!
Erlösung
Zünd´ ruhig ein Licht an in der Finsternis,
die Tränen trocknet erst der Schlaf!
Glaub´ ruhig an Glück in deiner Bitternis,
Erlösung durch den Tod dir schaff´!
Ein Gott hat Tod und Leben dir gegeben
zur freien Wahl, bis er dir nimmt das Leben.
Erlösung? III
Ich sah in ein entsetzlich leidendes Gesicht.
Doch, der es trug, nahm sich das schlimme Leben nicht.
Ich fragte ihn, warum er sich den Tod nicht schenkt.
Er lächelte: „Erlösung ist dem Toten fremd!
Erlösung?
(Eine Geschichte zwischen Sein und Nichtsein)
Pers, nach Erlösung von seinem leidvollen Leben lechzend, hatte sich dieses nur aus rein logischen Gründen noch nicht genommen.Denn, so fragte er sich, wie sollte er durch den Tod vom Leben erlöst werden können, wenn er eben wegen dieses Todes die Erlösung ja gar nicht mehr mitbekommen würde? Es erschien ihm schlankweg als naiv, irgendwelche Erwartungen über sein Leben hinaus zu hegen, da doch alle seine Vorstellungen, Empfindungen und Gedanken an sein Leben geknüpft seien und dies sogar für diese Überlegung selbst gelte, so das sich wegen dieses Denkzirkels schon überhaupt kein gedanklicher Ausweg bieten könne und ein solcher, wenn er sich doch böte, ja auch nur dem lebenden Gehirn entspränge und daher nichts für den Tod bedeutete. Der Glaube an ein Leben nach dem Tod erschien ihm schon deswegen als aberwitzig, weil ihm keiner der Gläubigen sagen konnte, weshalb es ausgerechnet ein Leben nach dem Tod und nicht (auch) ein Leben vor dem Tod geben sollte. Das „ewige Leben“ war für ihn lediglich eine Übertragung unserer Vorstellungen von Raum und Zeit, ja überhaupt von einem Sein, über unseren Erfahrungsbereich, aus dem sie gewonnen worden sind, hinaus, die der Unvorstellbarkeit unseres Nichtseins, ja des Nichtseins überhaupt, entspringe, wobei er freilich zugestehen musste, dass auch diese Analyse nur Produkt eines lebenden Gehirns war.
Pers war indes Mensch genug, um sich mit seinem Gedankendilemma nicht abfinden zu können. Er bemühte sich daher um praktische Versuche, seinen Tod so weit zu simulieren, um sich wenigstens den Hauch einer Todeserfahrung oder eine etwas konkretere Ahnung vom Nichts nach dem Tod zu vermitteln. Dabei ging er von der Erfahrung aus, dass nichts auf der Welt etwas anderem gleich, aber alles allem ähnlich ist. So schien ihm der Schlaf eine Analogie zum Tod zu sein. Das würde bedeuten, dass sich mit dem Tod wie mit dem Schlaf die Bewusstseinsebene ändert. Doch bringt der Traum, solange er währt, eine Erlösung vom Wachsein, so dass auf eine Erlösung vom Leben durch den Tod geschlossen werden könnte? Der Traum kann zweifellos Negativerlebnisse euphorisieren, muss es aber nicht.Und selbst wenn er es tut, ist man sich dessen im Traum ja nicht bewusst. Man träumt zwar manchmal, dass man träumt, aber immer nur in dem Sinn, dass man im Traum erkennt, dass man ja NUR träumt. Eine solche Traumerfahrung ist also gerade nicht erlösend.
Pers trainierte daher, nicht nur zu träumen, dass er nur träume, sondern zu träumen, dass er nicht nur träume, um schließlich auch träumen zu können, dass er wirklich sterbe. Mitunter träumt man zwar den eigenen Tod, aber immer nur – meist kurz nach dem Einschlafen – als schockartiges Getötetwerden mit der Folge des Erwachens. Pers übte deshalb, sich vor dem Einschlafen sein natürliches Ableben auf dem Todeslager oder seinen Selbstmord zu suggerieren, damit dieser Wachtraum im Schlaftraum ohne sein Zutun quasi als Eingebung weiterverfolgt würde.
Ab und zu träumt man ja von Verstorbenen, die man ergebnislos befragt, wie es denn nach dem Tod sei. Meist folgt auf eine solche Frage irgendeine schroffe Abweisung, immer jedenfalls schließlich ein Szenenwechsel. Sollte es Pers gelingen, im Traum vom eigenen Tod zu erfahren?
Wenn man träumt, dass man träumt, träumt man schließlich das (im Traum hinausgezögerte oder gewollte) Erwachen, oder man erwacht tatsächlich. Als es Pers nach jahrelangen vergeblichen Versuchen endlich einmal – nur schwer erinnerlich – gelungen war, zu träumen, tot zu sein, träumte er, dass er dies nur träume, erwachte im Traum, träumte, dass er nur im Traum erwacht sei, erwachte tatsächlich, hielt dies aber nur für einen Traum, in dem er auch nur geträumt habe, nur zu träumen, und war daher überzeugt, wirklich tot zu sein.
Woher man das alles weiß, obwohl Pers das konsequenterweise doch nicht mehr mitteilen konnte? Die Frage kann unbeantwortet bleiben, da die Antwort dahinstehen kann, denn jedenfalls können wir wie bei einem echten Toten auch bei Pers nicht wissen, ob er sich erlöst weiß. Allein darauf käme es aber an! Sonst hätten wir diese Geschichte gar nicht beginnen zu brauchen. Und müssten sie jetzt nicht so unbefriedigend schließen.
Erlösungsglaube ist kein Trost
Am Anfang war die Frage,
und am Ende war sie geblieben.
Verstummt nur sind die Tage
mit den Freuden, Trosten und Lügen.
Das Leben bleibt Rätsel der Plage,
und Erlösung kann lediglich siegen.
Erst senkt sich die Lebenswaage.
Error
Ich bin ein Irrtum der Natur,
sogar ein Irrtum meiner selbst.
Ich lebe mich als Schachfigur,
die liegend über´s Brett sich wälzt.
Bin wohl genommen aus dem Spiel,
doch nicht entfernt, ein Teil zu viel!
Erst der Blick schafft das Glück
Wie wunderschön die Blume blüht,
gewachsen aus der dunklen Erde,
auch wenn sie niemals jemand sieht,
als ob sie sich um sich nicht scherte.
Gewiss, Insekten zieht sie an,
sie sollen weiter sie verbreiten.
Doch Schönheit gibt es nur im Wahn
der Freude und der vielen Leiden.
Will denn Verwelkung sich uns zeigen?
Ertrinken
Hechelnd hetzt die würgende Verzweiflung
durch die engen Gänge und Winkel
des feuchten Gemäuers
mit tosendem Blut und pochenden Wunden,
bricht in mondbleicher Stille
durchs modernde Gehölz.
Schlangen stieben hinweg,
und der gellende Schrei ohnmächtiger Wut
verhallt hinter dem fernen, düsteren Gewölk.
Schwärmendes Gefieder in stehender Luft
jagt Nachtschatten über sinkendes Land.
Und ein Wasser, schwarz und silbern,
steht aus Unendlichkeiten heran.
Hier kommt die Schuld des Ungewollten
zum Stehen und erstarrt:
ein Gesicht,
ausdruckslos, oh Seele,
dein fahles Gesicht
im ruhig schwankenden Spiegel.
Erträglich
Du siehst im Unheil keinen Sinn?
Was ist daran denn zu beklagen?
Kein Sinn hat letztlich einen Sinn.
So lässt das Unheil sich ertragen.
Gott ist zu keinem Sinn gezwungen,
die Schöpfung daher nicht misslungen.
Auch wir sind nicht in Sinn gefangen.
Ein freier Sinn muss sich nicht bangen!
Erzkind,
aus dem Dornbusch auffliegend,
abstürzend in den Dornbusch,
verblutet engelhaft.
Etsi aliquid daretur
Endlich keine Hoffnung mehr,
endlich das ehrliche Gefühl,
dass nichts mehr sein wird,
dass einfach war, was war!
Endlich die Freiheit
trotziger Verneinung dessen,
was von einem erwartet wird!
Endlich allein,
endlich sein Selbst
ins Reich der Phantasie verweisen!
Endlich unendlich traurig sein
ins trauerlose Nichts hinein,
als ob es etwas gäbe!
Schweigen
Was ist der Raum, was ist die Zeit,
Unendlichkeit und Ewigkeit?
Beschreibe Farbe und Gestalt,
Gefühl von Liebe und Gewalt!
Erkläre Ton, Geruch, Geschmack!
Ob man zu denken auch vermag,
was man ins Wort nicht fassen kann?
Was ist und soll das alles dann?
Sag´: Was ist Nichts und was ist Sein,
so einfach da, ganz von allein?
Warum denn auch gerade so?
Und warum fragen wir uns, wo
doch letztlich alles einfach schweigt,
wie vor uns schon seit Ewigkeit?
„Ewiges Leben“
Dein Geist, der dich beseelt,
ist nicht in Raum und Zeit gefangen.
Wo soll er also hingelangen,
damit er, stirbst du, fehlt?
Fabel
Der hochgelobte König zog durchs Land. Am Rand der Landstraße kauerte ein weitbekannter Taugenichts. Als der König vorbeiritt, erfasste den Taugenichts der Neid, und er rief dem König, um ihn zu ärgern, nach: „Seit wann reiten Esel auf Pferden?“
Der König wusste genau, dass er kein Esel war. Er wusste auch, dass dies der Taugenichts genau wusste und ihn nur ärgern wollte. Der König hielt im übrigen gar nichts von einer Einschätzung seiner Person durch Taugenichtse und war überhaupt in seinem Selbstwertgefühl auf positive Beurteilungen längst nicht mehr angewiesen.
Trotzdem erwies er dem Taugenichts den Gefallen und ärgerte sich darüber, dass er sich ärgern sollte. Er ließ daher den Taugenichts festnehmen, in den Kerker werfen und zur Abschreckung für alle, die ihn ärgern wollten, öffentlich hinrichten, um nie mehr den Wunsch erfüllen zu müssen, sich zu ärgern.
Vor dem Schafott schrie der Taugenichts laut in die gaffende Zuschauermenge: „Ich habe den König einen Esel genannt und, obwohl ich sonst zu überhaupt nichts tauge, getroffen. Mich hätte er getroffen, wenn er mich einen Taugenichts gescholten hätte.“
Fall und Flug
Alles gleicht allem,
doch nichts ist anderem gleich.
Wenn wir auch fallen,
wir fallen auf Fallendes weich,
fallen unendlich,
und letztlich ist es ein Flug,
jetzt schon erkenntlich
am Fall im fahrenden Zug:
Von draußen erscheint er – hab´ Acht! -
als Kurve, die verflacht,
sich horizontal erhebt,
je schneller der Zug sich bewegt.
Fall
Sich heben
in sinnlosem Streben,
gefangen im Leben.
Seelenfalter
können nicht fallen,
flattern bei allen
Qualen.
Gefaltet, ergeben
am Boden gelegen,
zertreten.
Falscher Ort
Er betrat das Lokal. Alle Blicke richteten sich auf ihn. Der Kellner eilte auf ihn zu und forderte ihn auf, das Lokal wieder zu verlassen; er sei hier wohl nicht am richtigen Ort.
Er nickte und fügte sich, hatte nichts anderes erwartet. Vor dem Lokal brach er zusammen.
Es gab keinen richtigen Ort für ihn.
Falterhände
Ich forme zum Blütenkelch die Hand.
Sie kühlt der Tau der Seelennacht.
Und während ich sie dem Himmel zuwende,
entfaltet sie sich mit sanfter Macht
zum Falter, flatternd ohne Ende.
Fantasie
Hauche den Nebel der Fantasie
ruhig über das, was wirklich ist,
aber vergiss die Wirklichkeit nie,
denn sie duldet nicht ewig die List!
Faszination des Morbiden
(Lindelburger Reminiszenzen)
Rätsel der Vergangenheit,
ein Rätsel ist die Zeit:
verwahrloster Garten,
morsche Latten,
rostiger Draht,
verwachsene Wege,
Spuren von Beeten,
gebrochenes, abgesacktes Pflaster,
verwitterte Laube,
verblichene Farben,
leise geahnte Laute,
vergangener Festrausch.
Warum hatte man gelebt?
Ein funktionsloser Rohrstumpf
sich aus dem Boden erhebt.
Das Haus, rissig und grau,
rostige Halter fehlender Fensterläden,
Porzellanrelikt
einer elektrischen Freileitung.
Der Haustorriegel
hat einen Kreis
in den Putz graviert.
Knarzende, ausgetretene Treppen,
Geruch jahrhundertelanger Reinigung,
verziertes Holz, geplatzter Lack,
erblindetes Glas,
strenge Höhe des düsteren Raums:
So war's.
Und erst heute,
perfekt bebaut,
ist's ein Ort des Grauens.
Feierabend
Spät am Abend verschließt er das Tor der Stätte verzweifelten Wirkens.
Und auf der Heimfahrt irrt er gedankenverloren auf Straßen des Nirgends.
Endlich zuhause, erkennt er nichts, sondern träumt sich die Wut des Erwürgens.
Feinsinnig
Herr M. hatte seinen Balkonpflanztrog in diesem Jahr besonders originell angelegt. Da war ein Stecken in die Erde gerammt. Über die Spitze war ein Eimer gestülpt. Da war ein weiterer Stecken. An dessen Spitze flatterte ein verschnäuztes Taschentuch. An einem anderen Stecken wiederum baumelte ein grüner Büstenhalter. Da war noch ein Stecken. An dem war ein anderer Stecken angebracht. Wieder an einem anderen Stecken war nichts angebracht.
Kurzum: ein Blickfang für die Nachbarn, zumal der grüne BH, wussten sie doch, dass Herr M. ledig war. An dem Stecken mit dem BH hing daher nicht nur dieser, sondern es hingen an ihm auch die Blicke der Nachbarn. Der Hausmeister las es von ihren Augen ab: Dieser Balkon sprengte – trotz des Grüns des BH´s - das Gesamterscheinungsbild der übrigen bepflanzten Balkone dieser Wohnanlage. Er prägte sich ein: „gesprengtes Gesamterscheinungsbild“ und läutete bei Herrn M., wild entschlossen, dort eine lange Rede mit gesprengtem Gesamterscheinungsbild zu halten.
„Grüß Gott, Herr Hausmeister!“, empfing ihn Herr M. erwartungsvoll, „Ich nehme an, Sie wollen zu mir?“ „Jawoll, und net z´ weni!“, tönte es aus dem Hausmeister drohend: „Dacht´ ich mir´s doch!“, sponn Herr M. den Gesprächsfaden feinsinnig weiter, „Ich habe daher die Gläser schon bereitgestellt.“ Herr M. wies mit einladender Geste in das geöffnete Wohnzimmer: „Nix für ungut“, schnurrte es aus dem Hausmeister behaglich, während es ihn ins Wohnzimmer zog.
Der Tisch war besonders originell gedeckt. In der Mitte ragte ein Stecken empor. Über den war ein alter Socken gestülpt. „Hoppla!“, dachte es im Hausmeister drinnen, und „Oba des hätt´s do net braucht“, kam es aus ihm heraus. Er war so frei, vor einem der beiden leeren Weingläser Platz zu nehmen, riss von diesem den sehnsüchtigen Blick mit geballtem Anstand los und ließ ihn über die zahlreichen Zimmerstöcke schweifen, über die die ganze Unterwäsche des Herrn M. und ein Großteil seines Hausrates verteilt zu sein schienen.
Herr M. gruppierte mit flinken Händen noch einige dieser Stöcke um den Tisch, was ein „ Etz goar!“ des Hausmeisters in der flugs entstandenen Laube auslöste; dann fragte er diesen feinsinnig, ob er etwas trinken wolle. „Und net z´ weni!“, schluckte dieser hinunter und stieß mit einem donnernden „Naa“ auf, welches er mit einem barschen „Danke!“ verpfropfte. Herr M. entschuldigte sich, er habe dem Hausmeister selbstverständlich nichts aufdrängen wollen.
Der Hausmeister erbrach nun röhrend seine Rede: „Es draht si nämli um des Dings da.“ Auf seiner Zunge blieb das gesprengte Gesamterscheinungsbild liegen. „Des Dings, wissen´s scho. I sog´s , wia´s is. A solchenes Dings, i bin nämli im Dienst, und Dingst is Dings, wissen´s, d´Leit, zwengs dem Buidl, dera Explosion da...“ Erschöpft griff er zum Glas.
Mit feinsinnigem Gespür für die Situation schaffte Herr M. flugs Wein herbei. Mit feinsinnigem Gespür für das Anliegen seines Gastes hauchte er dabei, dass er selbstverständlich den Klagen über das gesprengte Gesamterscheinungsbild der Wohnanlage Rechnung tragen wolle. Und mit feinsinnigem Gespür für das Machbare entledigte er den Balkon sogleich eilends allen Zierrats und übergab dem Hausmeister den grünen BH, damit er ihn seiner Frau wieder zurückbringe.
Nürnberg, Fenitzerstraße
Fassaden aus der Gründerzeit
atmen am Abend Gemütlichkeit.
Aus reich verzierten Fenstern bricht
wohnlich mattes, gelbes Licht.
Und hinter den dicken Mauern geborgen
lindert Vergangenheit jetzige Sorgen.
Fenster
Was hast du angestellt?
Durchs Fensterglas,
von dem der Regen rinnt,
blickt ein Gesicht dich an
und weint.
Und du?
Schlägst mit der Faust durchs Glas
und lässt dich lebenslang verbluten.
Ein Spiegel war's, das Fensterglas:
Das bleibt dir, zu vermuten.
Fest der Kadenzen
Unzählige Vögel breiten die Flügel aus
und verdunkeln den Himmel,
damit sie nicht fallen.
Mit gefalteten Schwingen
lässt sich's ein Vogel,
ohne zu singen,
im Geäst gefallen,
schließt die Augen,
ohne zu fallen.
Alle Menschen breiten die Arme aus
und klagen zum Himmel
dunkle Lieder,
umschlingen sich singend.
Im Dunkeln sinkend
fallen sie
immer wieder
sich in die sinkenden Arme.
Die Vögel fallen vom Himmel
und einer vom Geäst,
Gefallen zu finden,
zu fallen ganz fest.
Fest
Am Rande des Festes blicke ich wie vom Himmel:
Wie sinnlos ist doch das Treiben und dieses Getümmel!
So rührend, sich Freude zu schaffen, um all das Leid
des Lebens zu überlisten für kurze Zeit!
Doch kommt der Glanz der Augen, welche jetzt leuchten,
von Tränen, welche die Wangen morgen befeuchten!
Fest
Ich ziehe mich vom Fest zurück,
begebe mich in die Natur.
Ich finde hier wie dort kein Glück.
Ich weine nicht, sinniere nur
und komme wieder bald ins Träumen,
mein Weg, mein Leben zu versäumen.
Und irgendwann kehr´ ich dann heim
und feiere weiter ganz allein.
Finstere Zeit
Gewaltig dämmern jetzt
die Nächte heran.
In sie heulen hinein
die schnellen Tage,
Zeugen ihrer eigenen Träume
von der Finsternis,
dem in sich gefangenen Wind des Nichts,
aus dem das Licht gefror.
War sie wirklich zuerst?
Finsternis
Wie Luft kann doch Finsternis sein.
Träume nur etwas hinein!
Ach, träume dein weiters Leben!
Sieh´! Vom Tod ist´s gegeben.
Er hält es in der Hand.
Nimm´s, noch vom Traum gebannt!
Wach´ auf! Bist du noch am Leben?
Ja, ich "nahm" mir´s soeben.
Fluch der Sinnhaftigkeit
Gott hat in seiner Allmächtigkeit
die Welt verflucht
und damit sich selbst.
Nie hat er in seiner Allwissenheit
sie zu retten versucht
und damit sich selbst.
Sinn nämlich ist eine Frage der Zeit,
die Gott widerruft.
Er hat ihn nicht selbst.
Fluch Gottes
Wo im Wind das Wasser wogt,
kannst du dich ertränken.
Wo der Felsenabgrund droht,
mag dein Leben enden.
Wo Verkehr auf Straßen tobt,
kannst den Tod dir schenken.
Wo sich Gott verflucht, gelobt
Wahn, dich zu versenken
Fluch
Ungefragt in das Leben gezeugt,
ohne Schuld gequält und gebeugt,
fragend geschaffen, ohne Antwort zu erhalten,
leben nur, um im Tod zu erkalten,
nicht einmal, um Erlösung zu finden,
kann man sie doch im Tod nicht empfinden!
Fluch um Fluch, so verflucht ist das Leben,
mag es Gott als Schuldigen geben!
Nicht einmal, sich selbst zu töten,
bleibt als Ausweg aus den Nöten.
Denn vielleicht wird es noch schlimmer.
Schweigen daher Tote immer?
Flucht und Rückkehr
Die Sonne brennt mir ins Gesicht.
Ich möchte weinen, tu es nicht.
Ein warmer Wind verweht mein Haar.
Ich kann nicht leben, ist mir klar.
Ich lass mich von den Füßen tragen.
Ach, könnte ich das Sterben wagen!
Die Wolken zieh´n wie ich dahin.
Doch haben sie sich nicht im Sinn.
Und unberührt starrt Feld und Flur.
Was hält mich denn am Leben nur?
Ein Bach fließt munter neben mir.
Auch ohne Willen lebt das Tier.
Ich tauche ein in einen Wald,
und meine Schritte machen Halt.
Die Wipfel wiegen sich im Wind.
Nicht weil sie können. Weil sie sind!
Ich nicke, Heimkehr schon im Sinn:
Ich kann nicht leben, doch ich bin.
Flugterror
Ich hör´den Himmel ständig fluchen.
Der Flugverkehr setzt niemals aus.
Betäubt will ich die Ruhe suchen.
Bleibt nur, den Todesflug zu buchen.
Der Lärm dringt bis ins Leichenhaus.
Flüge
Wir alle haben Flügel,
die Flügel unserer Fantasie.
Wir hoffen, sehnen und wir träumen
und fliegen in ein Paradies,
in die Erlösung Tod.
Auch der ist Fantasie,
denn wir erleben ihn ja nie.
Doch fliegen wir auch ganz real
auf unserer Erde durch das All,
und Tod und Leben sind egal!.
Frage an das Nichts
Was können wir dafür,
dass wir geboren worden sind?
Im Leben leiden wir,
obwohl der Tod es wieder nimmt!
Wir sind nur deshalb hier,
weil uns das Nichts als Sinn bestimmt,
wie Luft sich regt im blinden Wind.
Am Anfang war das Wort,
es blies den Namen Nichts sich fort.
Jetzt steht nicht nichts mehr dort!
Frage und Antwort
Die Fragen formen die Antworten,
und die letzten fassen ins Leere,
in der sie sich selbst widerspiegeln.
Forme dein Leben,
und im Schweigen
antwortet der Tod
auf deine Geburt!
Wie Blüten verwehen die Träume,
wie Regen vertrocknen die Tränen.
Stumm flattert der bunte Falter
über das trübe Gewässer.
Schwankend beugt sich die Weide
über den munteren Bach.
Doch die Finsternis träumt Sterne
als ihren endlosfachen Tod.
Im Anfang war das Wort
als Frage
und Antwort am Ende.
Wir bauen uns Nester
als Form unserer Fragen,
und als Antwort
bleiben sie schließlich leer
von Fragenden.
Frage
Schritt für Schritt ins Leben ziehen,
Schritt für Schritt vor´m Leben fliehen,
Schritt für Schritt dem Tod entgegen
und sich niemals wieder regen.
Ja, hoffe nur auf Ewigkeit!
Warum dann Leben in der Zeit?
Warum erst Leid, dann Seligkeit?
Am Himmel ziehen Vögel hin
und fragen nicht nach einem Sinn.
Warum gibt es die Frage?
Sie schafft uns erst die Plage!
Fragen
Warum das Böse, warum die Leiden,
warum die Unvollkommenheiten
trotz Gottes Größe?
Warum nicht nichts, warum das Sein,
warum die Fragen, Ja und Nein?
Ist´s Gottes Blöße?
Verbann´ das Schlechte aus der Welt:
Sie wird nicht besser, denn dann fehlt
der Vergleich!
Ja, denk´ dir Sein nur anders aus:
Es kommt doch auf das Gleiche raus,
auf einen Streich:
Es kann nur so oder anders sein.
Die Wahl setzt Sein bereits voraus,
und dieses schließt das Nichtsein aus.
Wär´ nichts, gäb´s keine Fragereien,
wär´ andres, könnt´s noch anders sein!
Fragen
Es fragt der Mensch und fragt.
Und jede Antwort ragt
tief in die Frage rein.
Denn alle Fragereien
sind wie das ganze Sein
nur in sich selbst allein.
Und jeder Grund und Sinn
führt zu sich selbst nur hin.
Fraglose Engel
Wo wir aus der irdischen Sicht
unseres Lebens
schreiend den Boden
unter den Füßen verlieren,
schweben wir
aus der himmlischen Sicht
unseres Todes
jauchzend als Engel.
Und wo, nach dem Tod,
die Zeit aufgehoben sein wird,
war es nie anders.
Und weil die Gründe
aufgehoben sein werden,
wird die Frage,
warum wir gelebt und gelitten haben,
zur Antwort,
die wir schon im Leben hätten geben können
und „Gott“ lautet.
Frauen
Die Alten warnten vor dem „Weibe“,
weil es sich listig, launisch zeige
und sich nicht vom Verstande leite.
Doch überprüft man dies beim Mann,
ergibt sich, dass auch er nicht kann
verfolgen frei von List ein Ziel
und frei sich halten vom Gefühl.
Nur will er das nicht bei sich sehen
und nicht bei Frauen übergehen.
Er will die Frau als Engel haben,
statt sich nur menschlich zu vertragen.
Frei nur allein
Schlimm ist´s, unter Menschen zu sein.
Glücklich ist man nur allein.
Schlimm ist´s, wie die anderen zu sein.
Frei ist man nur ganz allein.
Frei
Die Sonnenstrahlen spielen an der Wand.
Vom off´nen Fenster dringt der Tageslärm.
Den letzten Gegenstand fasst meine Hand.
Was war, was ist, die Hölle, ist so fern.
Was sein wird, sei! Das Messer schlitzt und schlitzt.
Ich spüre nichts. Der Trotz tut gut, so gut!
Mir wird es leicht, so wie das Blut verspritzt.
Ich dank´ Dir, Gott, für diesen Todesmut
aus Trotz und paradiesisch freier Wut!
Freiheit im Sterben
Oh wie wohl ist mir, zu sterben!
Lebe auf den Tod nur hin.
Alles Leben ist Verderben.
Gottseidank gibt’s keinen Sinn.
Welche Freiheit, nichts zu werden!
Freiheit
Freiheit gibt es nur im Nein.
Frei zu sein, heißt allgemein:
anders und allein zu sein.
Höchste Freiheit: nichts zu sein!
Fremd
Ich bin in meinem Leben fremd.
Ich leide, weil mir etwas fehlt.
Mir fehlt nicht Hirse, Heim und Hemd.
Doch eine unstillbare Sehnsucht schwelt
in mir, mit mir allein zu sein.
Ich fehle mir in diesem Leben.
Zu leben heißt, sich einzureihen.
Ach, könnt´ ich frei von Ketten schweben!
Die Ahnen trugen mich auf Armen,
um mich ins Leben zu entführen.
Nun kennt allein der Tod Erbarmen.
Doch werde ich es nicht mehr spüren.
Fremdbestimmt II
Man wird vor seiner Geburt nicht gefragt,
das ganze Leben hindurch nur geplagt,
und auch vor dem Tod wird man nicht gefragt.
Was geht man sich also an, dass man klagt?
Fremdbestimmt
Ich habe mein Leben nicht selbst gewählt.
Ich werde nur immer bitter gequält.
Das bisschen Freude wird mir vergällt.
Hab´ immer nur antwortlos Fragen gestellt
nach Gott und der Welt, nach Gott und der Welt.
Auch sterben werde ich ungefragt.
Die Selbsttötung habe ich nicht gewagt.
Ich weiß ja nicht, ob nicht auch sie mich plagt.
So sind mir ja alle Wünsche versagt.
Ich gehe mich somit nichts an, der da klagt!
Fremde Welt
Im milden Abendlicht
liegt die Wehmut,
das Heimweh,
die Ahnung fremder Nacht.
Man spürt die Ferne
von einer Heimat,
von kindlicher Geborgenheit,
von erträumter Vertrautheit,
von verlorenem Vertrauen.
Scheu erwidere ich einen Gruß
und ziehe mich zurück.
Freundlichkeit
Ein leises Lächeln, ein freundliches Wort,
von Seele zu Seele ein bisschen Wärme.
Sie trägt dich fort in die Ferne der Sterne,
die kalte Mechanik der Unendlichkeit,
und bleibt, fern von Raum, und bleibt, fern von Zeit.
Frieden
Ja, nimm nur drei, vier, fünf, sechs, sieben....,
und aus ist es mit jedem Frieden!
Ihn gibt es allenfalls zu zweit,
wenn beide dazu sind bereit.
Doch geht’s auch dann nie ohne Streit.
Friedhof bei Vollmond
Auf den Engelsgarten
starrt ein totes Gesicht.
Gefrorenes Licht
wirft zersprungene Schatten.
In der Tiefe warten,
die sie hatten,
die fromme Sicht,
auf das Jüngste Gericht.
Lästere nicht!
Fromme Wünsche II
Ich möchte mir die Finger raufen,
ohne zu flöten.
Ich möchte gerne Amok laufen,
ohne zu töten.
Ich möchte mir Gestirne kaufen
ohne Kröten.
Ich möchte eine Milchstraße saufen,
ohne zu verblöden.
Ich möchte mich mit Rotwein taufen,
ohne zu erröten.
Fromme Wünsche
Wir brauchen keinen Sinn,
uns schnürt den Atem schon der Fluch der Welt!
Wir wollen nirgends hin;
wir wollen, dass es uns schon hier gefällt!
Wir wollen nicht Erlösung;
wir wollen einfach, dass wir sie nicht brauchen.
Denn Trost ist nur Entblößung,
um frierend heiße Wunden kühl zu hauchen!
Wir wollen keine Wahrheit,
nur einen Gott, der über allem steht,
vor allem über Starrheit,
denn nichts geht über das, was drüber steht!
Frühling 1998
Durchs Fenster starrt ein lichter Tagestraum.
Ätherisch klingt das Tagestreiben.
Aus aufgewühltem Bett im toten Raum
klagt müder Blick ein stummes Leiden.
Die Blüten draußen lassen sich erahnen.
Ein Tropfen perlt aus dem Gesicht.
Die Zeiger einer alten Uhr gemahnen.
Ein Schatten an der Wand zerbricht.
Dann klopfte es an der Tür, die Klinke sinkt.
Das Schloss hält Flüsterlinge ab.
Verzogen ist die Wolke, wieder bringt
die Sonne Schatten in das Grab.
Frühling 1999
(fur semper in mora)
In den Häuserschluchten
sonnt sich der Alltag.
Aus den Kellern
sind die letzten Leichen geborgen,
und auf der Dachterrasse
ertappt sich jemand beim Atmen.
Niemanden bewegt das Problem
der Leidlichkeit,
das den Himmel ziert.
Ein Tagedieb,
wer ständig in Verzug ist!
Frühling 2001
Wieder wagt sich neues Leben!
Knospen sich auf Ästen regen,
die noch schwarz im Licht verharren,
das die Nächte nicht mehr narren.
Gelb getupft die grünen Wiesen,
unsichtbare Vögel grüßen
tausendfach im Lied verzückt,
selbst dem Fluglärm weit entrückt!
Vor den Häusern wird gefegt.
Gärten prangen frisch gepflegt.
Bienen summen um den Strauch.
Summ´ nur mit, du kannst es auch!
Frühling 2010
Und wieder richtet sich
die Welt auf Leben ein.
Denn nur veränderlich
kann Sein auch Nichtsein sein.
Es grünt und blüht, und tot
wirkt nur der bleiche Stein.
Ach, denke dir ihn rot,
denn nichts, was ist, muss sein.
Es lächelt dein Gesicht.
Du schließt verträumt die Lider.
Nein, Totes gibt es nicht,
es spiegelt Leben wider.
Frühling 2015
Die Schlehen tragen Schnee,
und auf den grünen Wiesen,
da haben sich die Löwen
die Zähne ausgebissen.
Auch sitzt dort eine Fee,
muss immer wieder niesen.
Die Sonnenstrahlen strömen
und kitzeln, diese Süßen.
Was tut dir g´rade weh?
Lass dich jetzt nicht verdrießen!
Es sind die Kopfeshöhen,
wo Tränen abwärts fließen.
Ein Falter - horch, versteh´!-
lässt dich jetzt leise grüßen
von all den gelben Löwen
- äh-, deren Zähne sprießen.
Frühling 2016
Die Sonne wärmt, was brach gelegen.
Ein kühler Wind streift übers Gras.
Von dunklen Wolken droht ein Regen.
Der Frühling sucht nach einem Maß.
Nun stehst du auf von deiner Bank.
Der Alltagsernst nach dir verlangt.
Frühling im Gebirge
Über die saftig grüne,
gelbgesprengelt blüh´nde,
weite Wiese wächst
der Schatten des starren Gebirgs.
Kühl überzieht das Gefühl
der blanke Gedanke an Aufbruch.
Dann zaubert die Stille
zögernd Vergessen.
Bis plötzlich
im späten Entsetzen
besessener Wille
vermessen
die lechzende,
letzte Sehnsucht
nach Einsamkeit
stillt
und in Ewigkeit
hüllt.
Frühling
Der Himmel schüttet gute Laune aus.
Vor tiefem Blau verharren regungslos
die weißen Blüten.
Dich treibt es weit ins Grün und Gelb hinaus,
und plötzlich merkst du dort, du bist doch bloß
daheim geblieben.
Dann schüttelst du die Liegedecke aus
und faltest sie penibel vor dem Schoß
mit Missvergnügen.
Frühlingsgedanken beim Betrachten einer Blüte
Ist etwas?
Ist nichts?
Kann nichts sein?
Kann das Sein nicht sein?
Alles ist allem ähnlich,
nie gleich.
Alles kommt und vergeht
und kommt und vergeht ähnlich wieder,
nie gleich.
So sind auch Sein und Nichtsein
nicht gleich, aber einander ähnlich:
Weder sind sie, noch sind sie nicht,
weder sind sie entweder oder nicht,
noch sind sie und sind nicht.
Was heißt da schon unser Leben und Tod?
Ein Mensch wird geboren und stirbt.
Dazwischen lebt er zwar,
aber nie allein,
sondern in Symbiose mit der Umwelt
und in sozialer Abhängigkeit von anderen Menschen.
Er muss erst geboren werden,
doch erzeugen ihn ebenfalls Menschen,
und er tritt in die von den Vorfahren geschaffene Kultur.
Er stirbt,
aber er pflanzt sich fort
und hinterlässt, was er geschaffen und bewirkt hat.
Andererseits:
Den Menschen gab es nicht schon immer,
und es wird ihn auch nicht immer geben.
Und doch lief der Urknall auf ihn zu,
und er kann nie mehr ungeschaffen gemacht werden.
Was ist, was nicht?
Welche Atome deines Körpers gehören zu dir,
welche zu deiner Umwelt?
Versuche, die Atome des Randes deines Körpers
von denen der ihn umgebenden Luft abzugrenzen!
Und die Teile der Atome vom Nichts!
Orte einen Punkt im Raum,
orte einen in der Zeit,
aber ganz genau:
Er schrumpft zum Nichts, aus dem alles besteht.
Das Sein ist dem Nichts,
in das es sich unendlich teilen lässt,
nicht gleich,
aber in seiner Unendlichkeit ähnlich.
Frühsommerabend
Vor dem offenen Fenster,
hinter zitternder Luft,
spielt das weiche Abendlicht
mit dem milden Hauch von Kühle
blinzelnd durch wiegendes Geäst,
leise, zarte Schattenspiele.
Sachte schwanken Blumenstiele
unter bunter Blütenfülle.
Feiner Duft wogt durch die Stille,
die dem Vogeljubel lauscht.
Bäume überziehen wohlige Gefühle,
lassen ihre lockere Blätterhülle
flimmernd beben.
Lächelnder Frieden
winkt lockend ins Zimmer
der fiebrigen Seele zu.
Langsam schließen Sorgengespenster
das Fenster und raunen
von Todesruh´.
In der Fußgängerzone
Aus ihren Gesichtern rühren die Schicksale an,
die sie tragen
wie die Tränen des Lachens und des Weinens
in ihren Augen,
die ihnen entgleiten, weggewischt werden,
aber bleiben
als Hoffnungen,
umklammert wie ein Kinderluftballon,
geschenkt, um daraus Träume zu machen.
Jeder macht aus sich seinen Traum,
deckt einen Tisch,
ob aus Marmor oder Holz,
für ein Fest ohne Gäste,
trägt ein Kleid,
ob aus Leinen oder aus Seide
an seinem Grab.
Und morgen liegen die Gesichter
auf vergilbten Fotografien.
Fußgängerzone II
Hinter den starren Gesichtern
der Narren,
irrlichternd in den Augen,
strotzt die Besessenheit,
zu glauben
an sich und an Wahrheit,
kriegerischer Wahn
von Ehre und Sinn.
Und doch rührt es an,
zu sehen,
wie jeder sich müht,
mit dem umzugehen,
zu wen die Natur ihn gemacht,
und wozu ihn das Schicksal gebracht
hat. Da gelten die einen
nur unter and´ren
und andere
nur gegen andere.
Da gibt jemand an,
und ein anderer quält.
Und lächelnd hält,
wer Millionär sein kann,
für wenig Geld
ein Eis in der Hand.
Eine Frau streicht
über ihr Kleid,
ihre Wahrheit
ist woanders
Krieg und Leid.
Fußgängerzone
Ein Hund läuft schnuppernd kreuz und quer.
Ein Greis ruht auf der Bank und schweigt,
als ihm ein Kind sein Halskreuz zeigt.
Passanten strömen hin und her.
Fassaden ragen aus den Blicken.
In ihren Schatten bleibt es kühl.
Es herrscht viel Hektik, kaum Gefühl.
Die Tauben auf dem Pflaster picken.
Die Stände locken lockeres Geld.
Die Läden bilden dichte Ketten.
Für Müde gibt es keine Betten.
Ein Musikant spielt mit der Welt.
Von dem Café her summen Stimmen.
Das Händepaar, emporgefaltet,
zerfällt dem Greis, es ist erkaltet.
Das Kind sah Lebenslicht verglimmen.
Föhr
Zerbrochen an der Härte
der liebsten Seele,
aufgelöst in der Weite
des dunklen Watts,
verflogen mit dem feinen Sand
der Dünen.
Oh Gott, der Schlüssel!
Sie fluchen.
Fügsames Leben
So sicher wie der Tod
so sicher ist sein Schweigen;
hat lebenslang gedroht,
wird ewig sich nicht zeigen.
Und dennoch tut es not,
vorm Nichts sich zu verneigen.
Für Christen
Herr, meine Seele tropft Tränen und Blut.
Du hast dich in Christo gequält, und es ruht
all unser Leid in dem Trost, dass du selbst
in uns leidest, uns also nicht quälst;
du Leben im Leid für notwendig hältst,
den Tod wie bei Christus als Erlösung erst wählst
und vorher uns unter Bewährung stellst.
Für das Bewusstsein?
Der Bach rauscht auch, wenn niemand auf ihn hört.
Und Blumen blüh'n, die niemand je gesehen.
Verborgene Schönheit, die sich selbst betört?
Gedanken, lichte, die ins Nichts verwehen.
So viel im All, was niemals wahrgenommen!
Bewusstsein macht nicht hell, es macht beklommen.
Für wen?
Irgendwo auf der Erde,
an einer völlig entlegenen Stelle,
blüht eine wunderschöne Blume,
ohne dass sie jemand wahrnimmt;
nicht einmal ein Insekt
findet dorthin,
um die Blüte zu bestäuben.
Weit jenseits der Welt der Träume,
im hellen Schatten des Todes,
sieht es wunderschön aus,
klingt, riecht und schmeckt es wundervoll,
fühlt es sich wunderbar,
denkt es sich unmittelbar einsichtig.
Doch niemand nimmt dies wahr.
Denn, wer hierher kommt,
ist nicht mehr jemand.
Denn alles und nichts verschwimmen
am Ziel unserer Sehnsüchte,
auf dass sie sich nicht erfüllen.
Denn schön ist die Blume
nur in unserem Blick,
und der Wein schmeckt nur
beim Trinken, nicht im Magen!
Für's Poesiealbum
Wenn du meinst, es geht nicht mehr,
frage dich, wo kommst du her;
frage dich, wo gehst du hin?
Hat denn letztlich etwas Sinn?
Alles hat ihn in sich drin.
Es ist so, nicht anders eben,
einfach da, von Gott gegeben.
Warum gibt’s das weite All?
„Zufall“? Gott ist's allemal.
Warum gibt’s das Erdenrund?
Es ist Gott, er ist der Grund.
Fragen sind nicht von Gewinn.
Gott ist Sinn, in allem drin.
Auch in dir in deiner Qual.
Er ist immer, überall.
Besser kann ein Sinn nicht sein.
Kannst du ihn auch nicht verstehen,
er wird immer mit dir gehen.
Für´s Poesiealbum
Mein Kind, wenn dir die Tränen kommen,
hat Gott dich in den Arm genommen,
damit du nicht den tiefen Grund,
aus dem du weinen musst, erblickst
und über ihn zu Tod erschrickst.
Denn abgrundtief schweigt Gottes Mund.
Doch sei getrost: Es gibt nur IHN
als letzten Grund und besten Sinn!
Es ist die Liebe, wie wir´s nennen.
Wirst seh´n: Sie trocknet deine Tränen.
Gast
Ich bin ein Gast in diesem Land,
ein Gast bei einem Unbekannt.
Es gibt so viele andere Gäste!
Alleinsein wär´das Allerbeste!
Ein jeder Gast ist sich der beste.
Wozu bedarf er anderer Gäste?
Geben und Nehmen
All die Toten zeigen
mit ihrem Schweigen:
Das Wort ist Wind.
Und dass sie nicht mehr sind,
zeigt doch nur:
Wir sind blind.
Wir freuen uns und leiden
und merken nicht:
Es gibt uns nicht,
es nimmt.
Gebet
Du schickst mir Leid, es zu ertragen.
Du weißt Bescheid und lässt mich fragen!
Bin nicht bereit und will´s Dir klagen.
Kein Fingerzeig! Ich muss verzagen.
Du schweigst von weit und hast das Sagen.
Doch kommt die Zeit, wirst du mich tragen!
Gebet
Mein Gott, du lässt mich immer tiefer fallen!
Lässt mich nicht mehr an meinen Glauben krallen!
Lässt meine Schreie ungehört verhallen?
Soll ich mein Leben dir zum Opfer geben?
Die Hände betend in die Leere heben?
Im tiefen Schmerz vor deiner Liebe beben?
Ich kann nicht mehr, mir bleibt nur noch dein Schweigen.
Du willst dich so als unbegreifbar zeigen?
In Demut will ich mich davor verneigen.
Gebet IV
Schweigender Gott des Leidens,
unermesslich wie das All
ist Dein Wirken,
unergründlich tief wie das All
ist unser Leiden.
Lass mich glauben,
dass es sein muss,
wie Du sein musst,
weil Du Dich uns brauchen lässt,
weil wir uns brauchen,
ohne uns zu genügen!
Gewaltig ist Dein Wirken
im Leid.
Was ist,
muss sein,
jedoch nicht bleiben.
Es bleibst nur du
im Leid, auch wenn es nicht vergeht.
Lass mich Dich glauben auch im Leid!
Du bläst mein Lebenslicht,
noch ohne es zu löschen.
Du hast keinen Grund.
Der Grund bist nur Du
für das Entzünden,
für das Erlöschen,
für das Flackern,
für dieses Gebet,
für das ich Dir danke.
Gebet V
Was ist das für ein schrecklicher Gott,
den man anbeten muss,
damit er hilft und Gutes tut?
Was ist das für ein „allmächtiger“ Gott,
den man durch Gebete beeinflussen kann?
Was ist das für ein eitler Gott,
der sich anbeten lässt?
Gebet VI
Zeig´ mir, wo der Raum ist,
auf dass ich mich befreie!
Zeig´ mir, wo die Zeit ist,
auf dass ich ihr enteile!
Zeig´ mir, wo mein Leben ist,
auf dass ich mich entbinde!
Zeig´ mir, wo das Sein ist,
auf dass ich´s überwinde!
Zeig´ mir, wo die Fragen sind,
auf dass ich sie nicht stelle!
Zeig´ mir, wo die Wahrheit ist,
auf dass ich sie verprelle!
Zeig´ mir, dass ich bin,
wo Sinn verliert den Sinn!
Gebet VIII
Mein Leben kann man doch nur hassen.
Und doch hast du mich zeugen lassen!
Du hast mir zwar die Macht gegeben,
mich selbst zu nehmen aus dem Leben,
doch auch die Ohnmacht vor den Hürden.
Nimm du mein Leben, frei von Bürden!
Gebet
Du kannst so unerbittlich grausam sein,
mein Gott, so bitterbös und ungerecht.
Ich brauche Dich, doch Du bist hundsgemein
und schweigst und quälst mich weiter, ja: erst recht,
je mehr ich bitte, weine, sterben will!
Bist Du nur Wahn? Ich kann und will´s nicht glauben!
Nur Alptraum? Nein: die Welt wär´ sonst zu still!
Sie ihrer Unfassbarkeit zu berauben,
das hieße: sie wär´ nur ein simples Spiel.
Nein, Gott, da magst Du lieber Dir erlauben
an Unerklärlichkeit ein Viel-zu-Viel!
Gebet
Was ist das für ein schrecklicher Gott,den man anbeten muss, damit er hilft und Gutes tut?
Was ist das für ein „allmächtiger“ Gott,den man durch Gebete beeinflussen kann?
Was ist das für ein eitler Gott, der sich anbeten lässt?
Geborgen in willensferner Sinnfreiheit
Ich suche die Berge, ich suche die Höhen,
um Tiefe und Weite des Landes zu sehen.
Ich suche die Küste, ich suche das Meer,
um Grenzen zu sehen, verschwommen und leer.
Ich suche die Ruhe, ich suche die Stille,
ins Nichts zu sehen. Und alles ist Wille!
Ach, nicht geboren oder gestorben,
ins Leben geflohen und wieder hinaus:
Ist Wille denn nie und nirgends geborgen,
kommt Gott denn sogar nicht ohne ihn aus?
Ich blicke zum Himmel: Unendlichkeit!
Sie fasst kein Wille, reicht immer zu weit.
In ihr verliert sich jeder Sinn;
Gott sei's gedankt: Das spricht für ihn!
Geburtsfehler
Ich kann nicht kämpfen, bin zu weich
und bis zur Selbstverleugnung feig.
Lässt man auch dann mich nicht in Ruh´,
packt mich die Wut, ich schlage zu.
Ich fürchte jeglichen Kontakt
mit anderen, denn nur die Jagd
nach Selbstbestätigung treibt sie.
Ich fall´ vor ihnen auf die Knie,
sie danken´s nicht, sie bleiben hart.
Lasst mich alleine, bin zu zart!
Sie werden härter, wenn ich weine,
und rast´ ich aus, bin ich alleine,
doch tut's mir leid, ich bin zu schwach,
zum Tod bereit, geht es mir nach.
Geburtstag
Die Glücklichen feiern ihre Geburt,
die Unglücklichen beklagen sie,
die übrigen nehmen sie hin,
mit Ausnahme der Weisen,
die nicht an sie glauben,
weil
weder etwas ist
noch nicht ist
noch sowohl ist als auch nicht ist
noch weder ist noch nicht ist
und dies auch für sie selbst gilt.
Gedanke eines Augenblicks
Du hast es in der Hand,
alles loszulassen,
was du in der Hand hast,
und loszulaufen,
einfach weg,
ganz wegzutreten.
Dein Weg,
dein Los,
Du hast es in der Hand.
Gedanken
Ach, die Gedanken! Wo kommen sie her?
Jeder hat ähnliche, schwimmt im Meer
eines einzigen Geistes. Wie schwer,
nicht sich voll Selbst zu sehen, sondern leer:
Wellentäler, geschaukelt im Meer!
Gedanken III
Ich schreibe in Gedanken
einen Brief mit meinen Gedanken
an meine Gedanken
und schicke ihn in Gedanken
an meine Gedanken.
Die Gedanken des Briefes sind,
dass ich in Gedanken
meine Gedanken
an die Gedanken schreibe
und sie in Gedanken an diese schicke.
Ob sich die Gedanken
für meine Gedanken
in meinen Gedanken bedanken?
Gedanken in der Natur
Die Bäume schweigen dich an,
und still sind die Büsche, das Gras,
was kein Gedanke je kann;
im Traum selbst flüstert er was.
Und träumst du nicht, bist du taub.
Dann spricht der Gedanke mit sich.
Zerfällst du schließlich zu Staub,
dann denkt das Schweigen an dich.
Gedanken
Woher kommen die Gedanken?
Ich habe sie nicht gemacht!
Wie sollte ich auch? Sie ranken
sich unaufhaltsam mit Macht
um nichts. Im Traum nur wanken
sie seltsam, wie trunken erwacht
Wem hab ich sie zu verdanken?
Wer hat sie mir zugedacht?
Ich kann mich mit ihnen zanken.
Wer hat dann den Streit entfacht?
Gedankenfreiheit
Sitzt – nein: steht verkrallt
auf einem Ast
-sein freier Wille-,
blickt dahin, blickt dorthin
-sein freier Wille-
und piepst
unfrei zur Abgrenzung
des Reviers, das verhallt.
Fliegt plötzlich weg
-sein freier Wille-,
ruht -sein freier Wille-,
auf einem anderen Ast
und wiederholt sich:
freier Sinn,
Wille her, Wille hin!
Du kommst vorbei
-dein freier Wille-,
und bist in Gedanken:
Dein unfreies Revier
fliegt immer mit dir!
Gedankenspiele
Denk´ dich einmal weg,
ganz weg, als nie geboren!
Was wäre dann verloren?
Was ist denn dein Zweck?
Denk´ dich einmal anders,
ganz anders, als du bist!
Was hätte man vermisst?
Bist du so besonders?
Denk´ dich einmal tot!
Du wirst es einmal sein.
War denn nicht alles Schein,
was das Leben bot?
Denk´ dich einmal nicht,
wie deiner nicht bewusst!
Ob du dann wissen musst,
dass nichts wissbar ist?
Gedankenträume
Durch die Gedanken streift ein Schatten
und segnet stumm den toten Traum,
den diese voller Sehnen hatten,
die jetzt verstört ins Leere schau´n.
Dann küsst er sanft die hohlen Wangen
und weicht der Nacht. Sie bricht herein,
wiegt die Gedanken, wie sie´s verlangen,
in einen neuen Traum hinein.
Gedankenverlorenheit
Adilo las einen leisen Gedanken auf
und trug ihn in ferne Zeit,
bis er entschwand.
Und als er ihn irgendwann wiederfand,
wusste er nicht,
ob es in der Vergangenheit oder in der Zukunft war.
Geduld
Warte nur, hoffe nicht, leide!
Spät kommt aus unendlicher Weite,
was du nie als möglich ersonnen:
Alles ist plötzlich ins Nie entronnen!
Hattest Du nicht die Hölle durchlebt?
Ja, doch sie war nur aus Zeit gewebt.
Gefangen
Brech´ einen Gedanken
aus dem Käfig deines Gehirn´s!
Entflieh´ auch den Schranken
der Undenkbarkeit allen Gestirn´s!
Öffne der Seele
ein Fenster zum tödlichen Atem Gottes!
Salbe die Kehle
zum Schrei eines letzten verzweifelten Wortes!
Gefühl
So wie die Freude die Tränen rührt,
das Leid den Mund wie beim Lachen führt,
wie Weinen und Lachen sich gleich anhört,
so beides dem gleichen Gefühl angehört.
Gefühlsbogen
Blattsilber flirrt
im flüsternden Wind.
Müdes Licht blinzelt
aus perlendem Bach:
Spiel im Spiegel wäss´rigen Aug´s,
bis der Blick nach innen bricht.
Gegensätze?
Wir sehen nicht das Licht
der Dunkelheit,
und auch die Dunkelheit
des Lichtes
sehen wir nicht.
Doch schließen wir die Augen,
spüren wir
im Leiden
den Gott unserer Sehnsucht
und in der Freude
das Nichts der Erfüllung.
Geheimnis der Unendlichkeit
Ein altes Foto zeigt ein Grab
(und Ewigkeit auf einen Schlag):
Den Grabstein ziert ein altes Bild
(das, von Unendlichkeit erfüllt,
des Blickes Sehnen niemals stillt).
Es zeigt ein aufgeschlag´nes Buch
(Gebrochen hängt daran ein Siegel).
Die rechte Seite ist ein Spiegel
(Geheimnis oder Lug und Trug?).
Drin malt ein blinder Mann ein Grab
(Wie ihm das nur gelingen mag?):
Dem Grabstein ziert ein altes Bild
(wie ein genauer Blick enthüllt).
Es zeigt ein aufgeschlag´nes Buch
(Wer es enträtselt, der ist klug).
Die linke Seite zeigt im Bild
(das diese ganze Seite füllt)
den blinden Mann vor diesem Spiegel
(Was das denn nur bedeuten mag?).
Er malt ein Bild mit einem Grab
(Das Aug´ sieht's kaum, der Geist hat Flügel):
Den Grabstein ziert ein altes Bild
(Was man – blind jetzt – im Geist nur fühlt).
Es zeigt ein aufgeschlag´nes Buch
(Sind Siegel Segen oder Fluch?).
Im rechten und im linken Buch
(geöffnet je durch Siegelbruch)
malt rechts der blinde Mann im Spiegel
ein Grab mit einem Bild im Stein.
Und links malt er vor diesem Spiegel
das Grab mit diesem Bild im Stein.
Im Spiegel malt der Mann das Grab
(Der Blick, längst blind, bricht niemals ab).
Im Bild ist aufgeklappt ein Buch...
(Doch damit sei es nun genug!).
Mein Foto zeigt das Grab allein
(Der Blinde fehlt, nicht auch der Stein).
Es ziert als Bild den Grabesstein
(Das Bild mit Buch kann es nicht sein!).
Alles und nichts
Es umfasst das Alles das Nichts.
Und das Nichts umfasst das Alles.
Das ist das Geheimnis des Lichts
und des Dunklen, des Fluges und Falles.
Und fragst du nach Anfang und Ende,
dann fragst du nur nach der Zeit
und dem Raum. Denn ohne sie könnte
es Grenzen nicht geben, drum schweig!
Es dreht sich im Kreis unser Denken.
Und Sinn fragt sich sinnlos nach Sinn.
Wer fragte uns, Leben zu schenken?
Dem Tod nur verbleibt ein Gewinn!
Geheimnis
Geheimnis des Leides, schwarzer Gott,
unerhört mein Schrei,
ungesehen mein Blut
und die Tränen so überflüssig
wie eine Erlösung nach dem Tod.
Geht mich nichts an!
Ich hab´ mich nicht bestellt
hierher auf diese Welt.
Was geh´ ich mich denn an?
Mag glücklich sein, wer kann!
Mich drängen lauter Leiden,
aus dieser Welt zu scheiden.
Doch sehe ich nicht ein,
zu tun, was eh´wird sein.
Mein Sein ist nicht mein Wahn.
Ich gehe mich nichts an.
Geist II
Dass etwas ist,
wie es ist,
das ist der Geist,
der alles ist,
und mit dem wir suchen,
was nicht ist,
weil wir nur finden können,
dass es nicht ist:
Gefundener Geist
ist das Nichts.
Geist III
Sein und Nichts sind nur im Geist.
Dieser Geist ist beides nicht.
Tot zu sein für uns nur heißt:
weiter Geist, doch seinslos schlicht.
Gottes Gedanke, der sich nicht spricht.
Wahrheit, die nicht in Worte bricht
Am Anfang sprach uns Gott als Wort.
Am Ende lebt der Sinn uns fort.
Geist IV
Auf Schritt und Tritt begegnen wir dem Geist,
aus dem wir sind, der nichts und alles ist.
Doch niemand traut ihm, da er uns verheißt,
dass sich in ihm das Ja und Nein umschließt.
Geist V
Es scheint so was wie Geist zu sein,
was alles irgendwie verbindet:
Ein Unglück kommt so nicht allein.
Zeigt sich was neu, man's öfter findet!
Du denkst an was, bald tut's ein anderer.
Die Doppelerfindungen sind bekannter.
Starr´ jemand´ an, der dreht sich um.
Und Schlachtvieh ahnt den Tod, warum?
Du bist vertieft, jetzt ruft wer an
in dieser Sache, nicht irgendwann!
Zufällig häuft sich Zufall an?
Der Gänse Ahnen ist kein Wahn!
Es scheint, als wär´ am Geist was dran.
Geist
Du kannst dich nicht so drehen,
wie du aus einem Spiegel blickst.
Du kannst auch nicht so gehen,
dass du dein Schattenbild belügst.
Aus all dem kannst du sehen,
dass du nur deinen Geist verrückst.
Geisterstunde
Unsichtbares sitzt im Sessel
und steht auf dem Tisch davor.
Unsichtbares liegt auf dem Teppich.
Und in der unsichtbaren Luft
hängt unfühlbar die Dunkelheit.
Durch die Wände dringt unsichtbar
in rauschender Stille
Raum und Zeit.
Und hinter den geschlossenen Augen
irrlichtert
Unendlichkeit und Ewigkeit.
Geisteskonstrukt
Spielerisch spottet die Natur über Sinn:
Traurig winselnd den Schwanz einzieh´n
lässt sie den Hund und wedeln vor Freude,
aber nicht wissen von seinen Gefühlen.
Ach, wenn sie sich auch beim Menschen scheute,
Freude und Leid einem Geist vorzuspielen!
Gepurzeltag
Auf einer Bank sitzt eine Frau
im Lieblingskleid mit einer Rose.
Die Bank ist rot, das Kleid ist blau.
Ein Mann bleibt steh´n mit schwarzer Hose.
Er fragt sie,ob sie auf ihn warte.
Sie lächelt nur und zeigt die Karte,
die an die Rose angebunden.
Es steht darauf ganz unumwunden:
„Ich wünsch´mir zum Gepurzeltag,
dass mich der Liebe Gott gern mag.“
Der Mann geht weiter, und er denkt:
„Sie hat die Rose sich geschenkt!“
Und überlegt dann auch noch weiter:
„Gepurzelt in das Leben! Leider?
Sie nimmt das Weiterpurzeln heiter
und purzelt einmal in den Tod,
doch sitzt sie still, Kleid blau, Bank rot.“
Gerechter Zorn
Ich glaube an nichts,
nur an den Fluch,
der mein todessüchtiges Leben zur Hölle macht.
Ich brauche auch nichts,
außer der Wut,
die das himmlische Feuer für den Scheiterhaufen entfacht.
Gerechtigkeit
Und als sie den Weisen endlich frugen,
was denn Gerechtigkeit sei,
stieß er,
des Antwortens satt,
laut auf
und setzte mit gähnendem Munde hinzu:
„Wenn der Blitz“
- hier rülpste er erneut,
so dass sich das Wort wie ´Blöööötz“anhörte –
„den unschuldigen Wanderer trifft
oder auch stürzender Fels,
fragt sich dabei doch niemand,
wollte er denn über die Gottheit nicht lästern,
nach der Gerechtigkeit!“
Gerne allein
Ich bin so gerne ganz allein
und hänge den Gedanken nach.
Da muss ich nicht wie andere sein.
Da bin ich ich, nicht stark, nicht schwach.
Allein kann man sein Ich nur leben.
Ach, wär´s nur dafür uns gegeben!
Allein kann man für sich nicht sorgen.
Doch ohne Ich ist man gestorben.
Geschick
Was wir befürchten, wird meist nicht so schlimm.
Was wir ersehnen, schwindet dahin.
Unerfüllbar und ohne Sinn
spielen wir unsere Träume dahin.
Schlaflos träumen wir unser Glück.
Schlafend wandelt jedoch das Geschick.
Gesichtslos
Ein Gesicht schaut dich an
und, obwohl es dich
nicht sehen kann,
schaust du weg,
weil du siehst,
dass es dich
so sieht,
wie du es siehst.
Ein Gesicht fleht dich an
und, obwohl es dir
vertrauen kann,
schaust du weg,
weil es sieht,
dass du es
so siehst,
wie es dich sieht.
Dann schlägst du dir
ins Gesicht
und weißt nicht,
ob es deines ist.
Gespenst
Du kennst die Wege nicht,
die du doch gehst
durch Dunkelheit und Licht,
und öfter stehst
du gänzlich ohne Sicht.
Und doch bewegt
dich, was du Leben nennst,
und was sich regt,
obwohl du es nicht kennst,
und was dich legt,
vor das, was festliegt längst.
Du bist Gespenst,
was immer dich begrenzt!
Gespenster
Gespenster sind die halbe Wahrheit.
Die volle ist sich selbst ganz leer
und spukt in einem Narrennachtkleid
als Hirn im Menschen prall umher.
Gespenstisch
Sie lehnen alle immer im Fenster
und schauen mich an: So seh´ ich Gespenster.
Und innerlich rufe ich ihnen zu:
Ich bin unterwegs zur ewigen Ruh´.
Dann schließen sie alle die Fenster zu.
Gewimmel
Wir alle kommen in den Himmel.
Die Hölle ist bereits auf Erden.
Und was wir armen Menschen werden,
das ist ein furchtbares Gewimmel.
Gewitter II
Die Sonne wärmt den Trauerschleier,
sie trocknet nicht die feuchten Wimpern.
Der Regen macht den Atem freier,
auch er vermag kein Leid zu lindern.
Nur Blitz und Donner wühlen auf,
die Seele tanzt den Weltenlauf.
Ja, Lachen, Weinen, Sprung und Fall:
das Leben tobt in Freud und Qual.
Gewitter ist's im Nichts und All!
Gewitter
Wie ein Gewitter möcht´ich mich entladen,
durch Sturm, Blitz, Überflutung allen schaden,
die mich nur, weil ich anders bin, so hassen,
dass sie mich einfach nicht in Ruhe lassen.
Ich bleib´, wo ich nur kann, mit mir allein.
Doch hassen sie auch dies als Anderssein.
Und mach´ ich´s allen recht, so ist auch das
ein Anderssein und daher Grund für Hass.
Glaube II
Von niemandem in das Leben gerufen,
von niemandem in den Tod geholt,
und all die vielen Lebensschritte
von niemandem außer uns selbst gewollt?
Man will es nicht glauben,
so soll es nicht sein.
Doch gäb´ es nicht Trauben
auch ohne den Wein
und unser Sein
auch ohne den Glauben?
Glaube
Ich glaube nicht wegen des Leides nicht.
Ich glaube nicht wegen des Leides.
Ich glaube trotz des Leides.
Glaubhaft
Da mir nichts anderes übrigbleibt,
tue ich so,
als sei ich auf der Welt.
Und alle glauben es mir.
Am Ende
glaube ich es auch selbst!
Gleichmut?
Du hast dein Leben dir nicht ausgewählt!
Wenn bitteres Leid dir deine Seele quält,
dann denk daran: Du hast nur dieses Leben,
es ist dir bis zu deinem Tod gegeben.
Du weißt nicht, was der Tod für dich bedeutet.
Drum nimm es hin, wie schnell ist es vergeudet!
Gleichnis
Und dann trittst du hinaus
vor die Türe
und schließt sie für immer
und irrst hinein
in die offene Zukunft,
die dich verschlingt.
Und hinter der Türe
hatte niemand
auf dich gewartet.
Und irgendwo,
vielleicht im Traum,
hattest du
einen Tisch gedeckt.
Du kannst es
nicht mehr wissen!
Glück
Vom Leben wird man nicht glücklich.
Das Glück ist immer nur Traum.
Drum frage dich, was denn bedrückt dich?
Nicht immer nur Träume zu schau´n?
Glücklich II
Ach, alle wollen glücklich sein!
Und alle müssen so viel leiden!
Wann endlich sehen wir denn ein,
was unsere Leiden uns doch zeigen:
Wir sind nicht hier auf dieser Welt,
damit uns alles nur gefällt.
Zum Glücklichsein ist uns das Leben
- wer nimmt sich's? - eben nicht gegeben!
Glücklich? III
Warum lässt uns ein Gott der Liebe leiden?
Ist er vielleicht nicht glücklicher als wir?
Als Ebenbilder Gottes widerstreiten
wir Gott nicht ohne Willen, auch nicht hier:
Denn Gott ist nicht, damit er glücklich ist.
Er hat gelitten als Herr Jesus Christ.
Wär´n wir nicht göttlich, würden wir nicht leiden.
Gott hat unendlich, Bilder nur zwei Seiten.
Und Glück allein kann uns nicht Glück bereiten!
Glücklich?
Gott hat uns nicht weniger glücklich geschaffen, als er selbst ist.
Er selbst ist nicht, um glücklich zu sein.
Und er hat auch uns nicht geschaffen, um glücklich zu sein,
sondern zu seinen Ebenenbildern.
Daher leidet er mit uns wie in Jesu.
Dieser Glaube befreit uns.
Glücklicher?
Ist Gott glücklicher als wir?
Quält er uns durch tiefes Leid,
flücht´ge Freud´, im steten Wechsel,
grund – und sinnlos hier im Leben
bis zum Tode aufgereiht?
Oder sind wir göttlich so?
Ist uns Gott so aufgegeben,
dass er schwerfällt, doch befreit?
Sind wir glücklicher als wir
im erhabenen Todeswechsel?
Gnade der Sinnlosigkeit
Es gibt nur einen Trost im Leben:
dass ihm von Gott kein Sinn gegeben,
wiewohl wir doch nach solchem streben!
Wär´ Gott nicht über Sinn erhaben,
wie sollten wir den Sinn ertragen,
wär´ doch nach Sinn von Sinn zu fragen!
Gott selbst ist Sinn genug und mehr.
Ein Übergott des Sinns wär´ leer
und machte uns den Glauben schwer.
Gnade
Es gibt keine Gnade.
Gott ist zu groß.
Ich finde das schade,
gottloses Los!
Gott der Liebe? (Lyrik)
Damit wirst du leben müssen
oder dadurch sterben dürfen:
Gott der Grausamkeit zu Füßen
Blut aus deinen Wunden schlürfen.
Gott ? II
Das Sein ist nicht selbst
(es unterläge sonst einem unendlichen Regress).
Das Nichts ist nicht selbst
(es unterläge sonst einem Selbstwiderspruch).
Das Nicht – Selbstsein ist also
Sein und Nichts,
Gott?
Ist Gott das Nicht – Selbstsein
des Seins und des Nichts?
Gott im Leid
Alle Tränen gießen
die Blumen im Paradies,
die uns die Engel
auf die Bettdecke legen,
unter der wir weinen.
Und in der Stille
zwischen unseren Seufzern
hören wir
das Schweigen Gottes
auf unsere Frage,
warum er uns verlassen habe,
ganz, ganz nahe
und spüren Ruhe.
Gott IV
Die Träne im weinenden und lachenden Auge,
das Ja und Nein im Nichts und Alles,
das Schweigen Gottes: hör´s! Kein Glaube
lehrte die Toten die Ruhe des Schalles.
Wir schreien ein Echo in Gottes Stille.
Gott hört es und schweigt, denn stumm ist sein Wille.
Gott IX
Nur in dir selbst ist er zu finden,
der über Sein und Nichtsein schwebt.
Man muss sich selber überwinden,
da man sonst nur sich selbst erlebt.
Gott sei Dank!
So unbegreifbar dir dein Leid,
so unbegreifbar doch befreit,
nicht absehbar nach Art und Zeit,
dich Gott, hältst du dich nur bereit
und sprichst mit ihm in Offenheit
wie mit dir selbst, die Seele weit
geöffnet in Vertraulichkeit.
Auch wenn Verzweiflung dich entzweit,
Gott steckt mit dir im gleichen Kleid.
Nur er, sonst gar nichts weit und breit,
gibt dir das richtige Geleit,
nicht um, doch durch das bittere Leid.
Vertrau´, auch wenn es aus dir schreit!
Dagegen bist du nicht gefeit.
Schon zur Geburt hat sich´s gezeigt.
Doch Tränen sind von Gott geweiht.
Am Kreuz hat es sein Sohn bezeugt.
Auch er hat sich dem Leid gebeugt.
Gott und die Bibel
Gott ist das Nichts,
das weder ist noch nicht ist.
(2.Mos.20,4; 5.Mos.5,8)
Gott ist das Schweigen,
das über Lüge und Wahrheit erhaben ist.
(2,Mos.3,14; Ps. 22,3; 88,15)
Gott ist unser Sehnen,
das sich nicht erfüllen kann,
(Joh.16,23; Pred. 8,17; 11,5)
aber uns verbindet
und Nächstenliebe genannt wird.
(Luk.10,27; Eph.3,19)
Gott ist unser Leben,
das wir leiden,
um zu sehnen.
(1.Kor.15,28; Röm.8,22f; Spr.14,23 im Original; Jes.45,7)
Gott ist unser Tod,
mit dem er aus unserem Leben erwacht.
(1.Kor.15,28)
Gott träumt sich
in einem Schlaf, den er uns leben lässt,
als wir.
(Pred.1,2; 12,7f; Jes.45,7; Luk. 17,21)
So sind wir er,
die uns nur träumen,
(Pred.2,23)
so bitter und voll unstillbarer Sehnsucht,
wie Ja und Nein die Liebe eint.
(Luk.12,51; Mat.5,44)
Gott und Sprache
Ein Gott, über den man sprechen kann,
ist, wie alles, nur ein Gebilde des Gehirns.
Ein Gott, mit dem man sprechen kann,
ist naiver Aberglaube.
Der Gott, zu dem wir sprechen können,
steht über allen Antworten.
Gott V
Was ist das
für ein erbärmlicher Gott,
der genau so
wie die klägliche Krone seiner Schöpfung:
ist und will und kann,
nur alles super
und selbst ungeschaffen.
Seine Übergötter aber sind:
das Sein, sein Sosein
und die Dichotomie
von Gut und Böse!
Gott VI
Ich nenn´ es Gott
und sprech´ zu ihm
Gedanken- um Gedankenwort.
Und plötzlich
fährt´s in mir
von selber fort:
Das eig´ne Wort
wird zur Antwort.
Gott VII
Da das Nichts nicht sein kann,
ohne doch etwas zu sein,
auch nicht es selbst,
ist es Alles, da
das nicht sein kann,
ohne doch nicht alles zu sein,
nämlich nicht sein eigenes Sein.
Und wir,
die Nichts und Alles unterscheiden,
ohne zu begreifen,
sind nichts doch, auch nicht wir selbst,
und alles nicht, auch wir selbst nicht.
Wir nennen das Gott.
Gott VIII
(2.Mos. 3.14)
„Ich bin, der ich bin“, sagt Gott:
daher ununterscheidbar,
daher alles,
daher nichts,
daher nicht Sein,
aber auch nicht Nichtsein,
daher seine Schöpfung
mit uns und Gut und Böse
und doch nicht,
nur er selbst,
selbstbezüglich wie unser Denken,
und daher unendlich in sich
wie der Kreis,
nichts für sich,
wie der Punkt auf diesem,
doch alles in ihm aufgehoben:
Unser Leben und unser Tod
ist zugleich ein Punkt auf dem Kreis:
alles in seiner unendlichen Teilbarkeit,
nichts in der unendlichen Teilbarkeit der Linie,
Träne im weinenden
und im lachenden Auge,
Licht und Dunkel
im Unsichtbaren!
Gott?
Ins Leid geboren.
Vom Nichts auserkoren?
Dem Tode verschworen.
Im Schweigen erfroren.
Ins Nichts verloren?
Lebt man nur sich?
Oh Gott,
ich brauche dich.
Ich bin nicht ich.
Du lebst doch mich.
Nichts ist in sich.
Nichts ist für sich,
nichts ohne dich.
Du bist in meinem Schrei´n.
Und selbst das Nichts ist dein.
Ich kann nicht gottlos sein!
Ich glaube nicht nur, nein!
Gottes Haus
In der leeren Kirche grüßte
mich ein Mesner mit „Grüß´ Gott!“
War der Herr des Hauses wohl
länger schon nicht mehr vor Ort.
Leider traf auch ich ihn nicht mehr.
Ist vielleicht schon wieder dort,
und der Mesner grüßt die Leute
wieder mit „(Es) grüßt dich Gott!“
Gottes Hilfe?
Wie viele Kreuze hast du angefleht,
die Finger fest verkrallt, und im Gebet
in stillen Kirchen bitterlich geweint!
Nur Leere hat dich immer angeblickt,
im hohlen Schweigen Hohn dir zugenickt!
Jetzt lebst du noch. War die Antwort gemeint?
Gottesfrage
Das Sein,
einfach da, wie es ist!
Ohne Grund, ohne Sinn.
Wir darin.
Ungefragt.
Schwer geplagt.
Dann dahin....
Doch weil wir sinnlos fragen,
uns selbst erkennen und beklagen,
hat wohl ein Gott das letzte Sagen,
ist Sein und Nichtsein,
unsere Plagen.
Er ist es, der sich selbst erträgt,
ist einfach da, so wie er ist,
und doch nicht,
sondern Frage,
die ihre Antwort ist.
Gottesgesicht
Die Blüte weiß nicht, wie schön sie ist.
Sie ist einfach schön, um doch zu vergeh´n.
Und du kennst nicht dein Gottesgesicht
und wirst mit diesem doch dich seh´n.
Gottesglaube
Der Glaube an einen Gott,
der unbegreifbar ist,
ist überflüssig.
Der Glaube an einen Gott,
der begreifbar ist,
ist enttäuschend.
Der Glaube an einen Gott,
der sowohl begreifbar als auch unbegreifbar ist,
ist beliebig.
Der Glaube an einen Gott,
der weder begreifbar noch unbegreifbar ist,
ist interessant.
Nur der Glaube an einen Gott,
nach dem sich nicht fragen lässt,
der mich aber fragt,
schenkt mir das Vertrauen,
zu antworten.
Gottesgleichnis
Der Schüler nahm einen Bogen weißen Papiers, zog mit dem Lineal einen Strich von oben nach unten durch die Mitte, malte die rechte Seite schwarz aus und fragte den Meister, was Gott sei: die weiße oder die schwarze Seite oder beide Seiten oder keine der beiden Seiten.
Der Meister deutete auf die weiße Seite. Der Schüler fragte: „Und wer ist die schwarze Seite?“
Der Meister wendete das Papier, strich mit dem Handrücken über die gesamte weiße Rückseite und antwortete: „Siehe: auch Gott!“
Gottesvertrauen
Gott hat seine Arme
für uns Leidende
ausgebreitet,
die Arme Jesu,
auch wenn wir sie
ans Kreuz nageln,
weil wir Gott
nicht verstehen und
daher nicht vertrauen,
statt einzusehen,
dass wir ihn
nicht verstehen können,
und ihm gerade deshalb
zu vertrauen!
Gottverlassen?
Wie kann uns Gott verlassen?
Nichts ist doch ohne ihn!
Wie kann uns Gott denn hassen?
Er ist doch letzter Sinn!
Wir können ihn nicht fassen.
Doch Leid führt zu ihm hin:
Auf seinen dunklen Straßen
verspür´n wir so sein Zieh´n.
Es scheint nur nicht zu passen,
doch Gott liebt uns ganz schlimm!
GRAB
Sie fiel auf das Grab, als wäre sie gestolpert, und blieb liegen, als könnte sie nicht mehr aufstehen. Ein kleines Kind kam herbeigerannt, kniete sich nieder und weinte. Doch die Gefallene lächelte. Sie stand auf, führte das Kind zurück in sein Grab und stellte sich auf das Podest, um dort wieder die Pose des Engels einzunehmen. Es waren einige Federn aus ihren Flügeln bei dem Sturz verloren gegangen. Der Seufzer eines Windes trieb sie von ihrem Grab irgendwohin, wo sie nicht auffielen. Ja, eines lieben Windes, Vaters des Kindes.
Grausamer Gott
Wie grausam ist Gott in diesem Leben!
Ein anderes brauche ich doch nicht mehr.
Warum ist das Diesseits so schwer uns gegeben
und erst das Jenseits überhaupt nicht mehr schwer?
Ach wäre schon jetzt wie im Jenseits zu leben!
Ich bräuchte es dann nach dem Tod gar nicht mehr.
Warum sollten ewiges Glück wir erstreben,
wenn dafür das Leid zu erdulden wär´?
Greisenalter I
Sie waren angeboren
und wurden immer weiser,
zugleich jedoch auch leiser,
und geh´n jetzt ganz verlor´n:
Gedanken eines Greises.
(Er denkt das nicht, er weiß es).
Greisenalter II
Es schließt ein alter Mann
die Augen hinter hohler Hand,
und lautlos bebt sein Mund.
Ihn schreit ein and´rer an,
daneben auf der gleichen Bank,
und schilt ihn einen Hund.
Ein dritter kommt heran,
der beide mit dem Stock ermahnt,
sie trieben es zu bunt,
zum Albern sei kein Grund.
2. Griechenlandreise (1966)
München Hauptbahnhof in aller Herrgottsfrühe. Große griechische Hinweisschilder, Platzkartenstände, Gepäck, Gepäck, Gepäck. Unbeschreibliches, unübersehbares und vor allem unüberhörbares Gedränge und Gehetzte von furchtbar aufgeregten Griechen und Jugoslawen um den „Akropolis Express“. Ich kämpfe mich durch die brodelnde Menge von Mensch, Gepäck und Panikstimmung zu dem auf meiner Platzkarte bezeichneten Wagen vor, lasse mich zum angegebenen Abteil stoßen und drängen und finde tatsächlich – welch Wunder! - nur fünf gepäckwuchtende und -verteilende Griechen in dem für sechs Leute bestimmten Abteil vor.
An einen Einlass ist natürlich vorerst noch nicht zu denken. Der Platz mit meiner Nummer dient noch der Gepäckablage. Ich schiebe mein Minigepäck irgendwo zwischen die auf dem Gang gestapelten Kisten und Kartons, hänge meinen Oberkörper zum Fenster hinaus und mache meinen Unterkörpers zu dünn wie möglich und nötig für den vorbeidrängenden Strom von ihren Platz suchenden und alle Platznummern laut vor sich hinlesenden Griechen und Jugoslawen.
Draußen scherzt ein Schaffner mit mir über „des Völkl“ und äfft die.wippenden Bewegungen eines gerade vorbeischwappenden minirockbespannten Riesenpopos nach. Er versichert mir, dass dieses Treiben schon seit Stunden andauere und „die Leitln“ sogar schon seit gestern Abend auf dem Bahnsteig gewartet und die Nacht hier verbracht hätten. Ich kenne dies von den griechischen Bahnhöfen her.
Plötzlich erschüttert den Wagen ein Stampfen zu schrillen Akkordeonklängen. Ich stelle fest, dass in einem Abteil Jugoslawen in Stimmung gekommen sind. Einer hat das Akkordeon mitgebracht, die anderen klatschen dazu rhythmisch in die Hände und stampfen mit den Füßen.
Der Zug schleppt sich wacker in seiner zwei Tage währenden Fahrt nach Griechenland dahin. Langeweile? Leider noch nicht dazugekommen. Ich gäbe weiß Gott was dafür, wenn ich ein Viertelstündchen in Ruhe gelassen würde. Schließlich habe ich in der ohnehin nur kurzen Nacht vor Lampenfieber und Erwartung kein Auge zugetan. Doch kaum dass sich der Zug in Bewegung gesetzt hat, kaum dass ich es mir auf meinem endlich freigewordenen Sitz gemütlich machen will, bricht ein Trommelfeuer von Freundschaften über mich herein. Und seit ich sträflicherweise noch einige Brocken Neugriechisch spreche, bin ich absoluter Mittelpunkt des Waggons. Überall bin ich das „paidáki“, das Kindchen, und man bombardiert mich mit Fragen, Einladungen für Griechenland, Ratschlägen für meine Reiseroute und mit Proviant. Ich bin nicht mehr ich selbst. Abgesehen davon dass ich mich selbst nicht mehr kenne in solcher Geselligkeit, kann ich nicht mehr tun, was ich will. Man führt mich zum - angesicht meiner bescheidenen Neugriechisch -Sprachkenntnisse kurios einseitigen - Tratschen beim Zigarettenrauchen auf den Gang ans Fenster, wobei man mich mit nicht zu reißender Geduld in meinem immer wieder abverlangten kläglichen Neugriechisch anhört und zu verstehen bemüht ist. Ich kann nicht auf´s Klosett, ohne dass man mich fragt, wohin ich denn gehe, und mir brav folgt – gottseidank wenigstens nur bis zur Tür. Das ein um das andere Mal werde ich in den Speisewagen zu Schnaps und Kaffee eingeladen, obwohl ich dies immer wieder auszuschlagen versuche, nicht so sehr aus Höflichkeit, sondern weil es mir langsam zur Last wird. Noch und noch müssen Adressen ausgetauscht werden, und immer wieder muss ich neuen Gesichtern beantworten, ob ich Student sei, ob ich allein reise, warum - „Panhagiá mou“, meine Allheilige (Maria) ! - ich denn allein reise, ob ich verheiratet sei und, wie viele Söhne – Töchter gelten nicht – ich hätte, was mein Vater sei, ob er ein „levéntis“, ein tapferer Bursche, sei, ob ich Brüder hätte, ob meine Schwester verheiratet sei, was ihr Mann sei, ob er ein tapferer Bursche sei, ob meine Großväter noch lebten, ob sie auch tapfere Burschen gewesen seien, woher ich so glänzend Griechisch könne, ich sei schon ein tapferer Bursche, ob Griechenland ein schönes Land sei, ja die Griechen seien alle tapfere Burschen, und dann wird erzählt von sämtlichen männlichen Verwandten und Bekannten, die alle die tapfersten Burschen von Athen seien, der Großvater väterlicherseits sei jedoch der allertapferste Bursche von Griechenland, und er sei sehr schön, er sei der schönste Greis in Griechenland, überall sei er bei jedem Tanz der Chorführer und Vortänzer, und er sei sehr weise usw. und so fort; die Übertreibungen gipfeln schließlich in der Feststellung, dass er schon 110 Jahre alt sei. Diese Naivität glaubt man nicht, wenn man sie nicht erlebt hat. So behauptet zum Beispiel einer meiner griechischen Reisegenossen von Österreich bis an die griechische Grenze treuherzig immer wieder, dass die Wolken immer weniger würden, weil es bis nach Griechenland immer weiter bergab gehe, und er nötigt mich immer wieder, aus dem offenen Fenster auf den Gleiskörper hinunterzuschauen und festzustellen, dass man ganz deutlich sehe, dass es immer weiter bergab gehe.
Plötzlich zerrt mich ein unterdessen schon altvertrauter Bekannter, dem ich von meiner Liebe zur griechischen Musik erzählt habe, zu einem Abteil, aus dem der Klang des Bouzouki peitscht. Ein ganz in Schwarz als Trapper aufgemachter Grieche mit Texanerhut, Coltgürtel und Cowboy-Weste – er hat in Kanada gearbeitet und will dies in typisch griechischer Naivität offenbar in seiner Heimat offenkundig machen -, dieser Westernheld mit verwegenen Koteletten, Griechenschnauzbart und treuherzigem Blick lässt ein Tonbandgerät auf seinem Schoß laufen. Mein Begleiter klatscht zum Rhythmus in die Hände, breitet die Arme aus, schnalzt mit den Fingern und fängt auf engstem Raum an, ein Zeibékiko, einen akrobatischen Solotanz im 9/8-Takt, zu tanzen. Und unter interessierter, fachkundiger Anteilnahme einer Publikumskulisse muss ich bei ihm in die Lehre gehen. Dass ich schon nach wenigen Hupfern im Schweiß fast ertrinke, gilt nur als Grund, mich nachzuölen mit dargereichtem Ouzo. Ainte, opa!
Die – bösartig ausgedrückt – aufdringliche Geselligkeit der Griechen macht mich schließlich immer melancholischer, zumal ich auch einigen homophilen Annäherungsversuchen ausweichen muss – selbst so weit reicht die antike Tradition Zeus´scher Adonis-Liebe!. Und das ein - um das andere Mal fragt man mich, wenn ich nichts mehr sage: „Ti sképtesai“ - was denkst du? Denkst du an Mama und Papa?“ Ich weiß, dass dies nicht ironisch gemeint ist, denn unter sich unterhalten sich die Griechen dauernd laut aufstöhnend über ihre treffliche Mama und ihren tapferen Papa und die Freude, sie wiederzusehen.
Der größte Teil der Zufahrt ist überstanden. Ich stehe allein am Korridorfenster und träume in die Nacht hinaus, in die zweite Nacht auf dieser Fahrt. Wenn meine Melancholie nicht echt wäre, würde ich sie als kitschig bezeichnen. Drinnen im Abteil liegen die Griechen und Griechinnen zusammengepfercht kreuz und quer auf den zusammengeschobenen Sitzen des Liegewagens. Das mir eingeräumte Quadratmeterchen mit beweglichen Grenzen ist längst ausgenutzt. Obwohl unvorstellbar müde, gelingt es mir auch diese Nacht nicht, in so abenteuerlicher Stellung wie die anderen Schlaf zu finden. Ich beschließe, noch eine weitere Zigarette zu rauchen und mich dann wieder ins Abteil zu drängen. Die Einsamkeit, die ich untertags sehnlichst herbeiwünsche – beim Anblick der schlafenden Reisegenossen verfluche ich sie. Ich reiße das Fenster auf, um meinen vor Müdigkeit brennenden Kopf zu erfrischen in der beißend kalten Nacht über dem jugoslawischen Mazedonien. Ich ahne die Landschaft, die vorbeizieht. Am Tag habe ich die unendlichen Weiten unter dem tiefblauen Himmel gesehen, dem sich die wie Tupfer verstreuten dunkelgrünen Zypressen entgegenzwirbeln. Wir sind an Dörfern vorbeigerauscht mit ihren geweißten winzigen Lehmhütten, überragt von den Minaretts der Moscheen. Vorbei an winkendem ärmlichen Volk. Die Frauen in langen farbigen Gewändern oder verschleiert und in Pluderhosen und Schnabelschuhen. Die Männer in Kniebundhosen, eine breite rote Schärpe um den Bauch gebunden und auf dem Kopf einen roten Fez, eine Pelzmütze oder ein turbanähnlich gebundenes Tuch. Ich denke an die vielen homerischen Schäfer und Schweinehirten mit ihren Herden, die ich gesehen habe. Und mir klingt die Musik in den Ohren, die auf den Bahnhöfen aus den Transistorgeräten der auf den Bahnsteigen kauernden Menschen drang. Beim offenen Fenster funktioniert auch mein Transistorgerät. Nirgends auf der Welt gibt es so herzzerreißende, melancholische, langgezogene, mit nachklingenden Akkorden begleitete Melodien wie auf dem Balkan.
Der Zug hält auf freier Strecke. Ein entgegenkommender Güterzug wird schrittweise auf ein Ausweichtgleis der einspurigen Strecke rangiert. Die Nacht ist erfüllt vom Zirpen der Zikaden. „Dobro utro, kollega!“, grüßt apathisch eine draußen vorüberstapfende, in einen trostlosen Arbeitsanzug gesteckte Bahnarbeiterin des kommunistischen Himmelreiches ins Dunkel, aus dem eine männliche Stimme den Gruß erwidert. Am Horizont zeigt sich bereits die Dämmerung. Ich werde zurück ins Abteil gehen, um wenigstens noch eine Stunde bis zum allgemeinen Erwachen zu schlafen. Wie soll ich sonst den Trubel am Tage überstehen, gar das höllische Treiben in Saloniki, wo wir gegen Mittag ankommen sollen? Ich will noch auf die Toilette. Sie ist besetzt. Ich gehe weiter zur nächsten und höre leise klagenden Gesang. Auf der Plattform kauern auf Kisten Bahnarbeiter, ein Schaffner und der Getränkemann. Obwohl ich meine Müdigkeit gestenreich zu verstehen gebe, bleibt mir nichts anderes übrig, als mich zu einigen Schlucken Slivovitz niederzulassen. Schweigend lauscht man den inbrünstigen Gesängen des Schaffners, zittrig und rauhtönig mit irrwitzigen Verzierungen begleitet auf dem Akkordeon.
Griechischer Grenzstation (Eidomené). Die Uhren werden eine Stunde vorgestellt. Überall Willkommensplakate der griechischen Militärjunta. Man muss Formulare ausfüllen. Wichtig der Name des Vaters. Mutter nicht gefragt, kann ja kein tapferer Bursche sein. Viele Griechen können nicht lesen und schreiben. Landsleute und mürrisch drängende Beamte helfen. Auch ich muss einspringen. Es ist schon schwierig, die ellenlangen griechischen Nachnamen zu verstehen, wie erst soll man sie schreiben, wenn die Träger der Namen sie nicht buchstaben können? Zwischen Aussprache und Schrift ist ja ein himmelweiter Unterschied. Das Gepäck der Griechen wird durchwühlt. Ich als Tourist bleibe ungeschoren, man versorgt mich mit Prospekten. Es gibt viel Stunk und Streitereien um den Zoll. Nicht alle haben ihre Mitbringsel so gut versteckt wie die Griechen in meinem Abteil – man schob auch mir einiges zu. Hinter dem Rücken der Zollbeamten lacht man über diese. Einige der Griechen sagen es ihnen ins Gesicht, was sie über sie und das Regime denken. Offenbar tapfere Burschen. Ihnen passiert nichts. Ich lese einige der Plakate: „Eikosté próte Aprilíou“ - 21. April, gemeint ist der Tag des Militärputsches, Revolution genannt. „ Hellás Hellénon Christianón“ - Griechenland der griechischen Christen, Griechenland ist auferstanden usw. und so fort. Dazu naturalistische Symbolbilder: griechischer Soldat mit Schwert über Flammen. Hellás um eine Sonne geschrieben hinter einem Christuskreuz.
Die Fahrt geht weiter durch eine ausgetrocknete Mondlandschaft ohne Vegetation mit kahlen, sandigen Bergen. Ich traue meinen Augen nicht: Auf mehreren Bergen ist mit Steinquadern die riesige Schrift ausgelegt: „21. April“. Ich werde das in Griechenland noch öfter zu sehen bekommen. Schlag auf Schlag ziehen jetzt die Händler und Bettler durch die Gänge des Zuges. Es werden Souvlákia feilgeboten, das sind köstlich gewürzte kleine Fleischspieße. Ein Bettler spielt auf dem Akkordeon.
Der Zug rollt durch die weite Vorstadtgegend Salonikis. Erschütternde, trostlose Armenviertel, dazwischen Betonklötze. Am tiefblauen Himmel die weiße Schrift: „21. April“. Endlich Bahnhof Thessaloniki. Meine Reisegenossen haben mich überherzlich verabschiedet, nach griechischer Sitte ging dies nicht ohne Umarmungen und Wangenküsse ab. Den leider einzigen davon von einem tränengerührten Mädchen noch im Gefühl, stehe ich verlassen auf dem Bahnsteig inmitten rührender Szenerien des Wiedersehens unter sich heftig umarmenden und küssenden Griechen. Und natürlich wieder Gepäck, Gepäck, Gepäck. Ich sollte auf einen Griechen warten. Er ist gottseidank beim Gepäckausladen irgendwo im Getümmel verschwunden. Und dann trete ich aus dem nagelneuen Bahnhof - der mit altgriechischen Motiven an den Wänden geschmückt ist, nachdem ich mich in einer Abteilung voller Waschbecken erfrischt habe, auf den gleißenden, staubigen Bahnhofsvorplatz, eine riesige Baustellenwüste, umgeben von Stahlbetonskeletten werdener Hochhäuser und kleinen, abrissgeweihten Balkanhäusern im türkischen Fachwerkstil. Wieder barbarisch schwitzend schleppe ich mich mit meiner schweren Tragetasche durch die engen Bazargassen mit dem riesigen Geschrei und Gedränge und überall fremdartiger, orientalischer Musik.
Unter völliger Erschöpfung die Schuhputzer, Losverkäufer und Straßenhändler abwimmelnd, dränge ich mich vorbei an den Tischchen, an denen sich die Griechen – nur männliche – bei türkischem Mokka oder Anisschnaps (verdünnt mit Wasser, das dabei ein milchiges Aussehen angenommen hat) zum Schwatz und antiken Brettspiel niedergelassen haben, und vorbei an den auf dem Boden im Schneiderssitz kauernden, Wasserpfeife rauchenden Händlern, die ihre diversen Waren auf Teppichen ausgebreitet haben. Man ruft mich von verschiedenen Seiten freundlich oder indifferent, jedenfalls unverständlich an, von anderer Seite werde ich stumm und misstrauisch mit zusammengekniffenen Augen wie ein Aussätziger betrachtet, bei anderen habe ich das Gefühl, dass man sich über mich lustig macht, bei einigen sich mir in den Weg stellenden kleinen Lausbuben wird das Gefühl zur Sicherheit. Überall falle ich sofort auf, und man erkennt mich nicht nur wegen der Reisetasche als Fremden. Das weiß ich aus Erfahrung seit meiner ersten Griechenlandreise und werde es auch bei meinem diesmaligen Aufenthalt lästigerweise wieder dauernd zu spüren bekommen. Man bleibt in Griechenland nirgends anonym. Überall wird man begafft, und es spricht sich an jedem Aufenthaltsort schnell herum, was man gerade treibt und wohin man geht. Von meiner letzten Fahrt fällt mir ein, dass man mich einmal in einem weit vom Busbahnhof weg gelegenen Restaurant aufstöberte, um mir mitzuteilen, dass der Bus, nach dem ich mich am Busbahnhof erkundigt hatte, doch noch habe repariert werden können und zur Abfahrt bereitstehe. Ein weiteres Beispiel fällt mir ein: Ich hielt mich drei Tage in Saloniki auf und unternahm ausgedehnte Spaziergänge. Am dritten Tag kam ich zufällig wieder an der gleichen Gruppe fischender kleiner Buben vorbei, der ich schon am ersten Tag begegnet war. Da sagte der eine zum anderen: Er hat schon abgenommen. Es hatte sich also herumgesprochen, dass ich viel spazierengehe, und das in einer Großstadt! Ich hatte das alles fast vergessen: Umso ärgerlicher kommt es mir jetzt vor, wenn man überall, wo ich vorbeigehe, in den Gesprächen innehält und mich anstarrt. Möglicherweise kennt man mich sogar noch.
Einer Bettlerin mit ausgehungertem Kind im Arm kann ich blamablerweise mangels Kleingeldes – ich habe noch nicht gewechselt – nichts geben. In meiner Übernächtigtheit fallen mir dazu keine Worte ein. Verzweifelt suche ich unter dem Gewirr von Aufschriften und Reklamen das erlösende Wort: Xenodocheîon - Hotel. Ich habe mir vorgenommen, mich nicht mehr in dem gleichen Hotel und dreckigen Elendsquartier mit unfreundlichem Wirt wie das letzte Mal niederzulassen. Jetzt wäre ich froh, wenn ich wenigstens dieses wieder fände. Das Angestarre trotz trotzigen Zurückstarrens und das Sich-nach-mir-Umdrehen geht mir immer mehr auf die ohnehin schwer geprüften Nerven. Ich sehe nur noch eiskalte, misstrauische, spöttische und belustigte Blicke. Was ist das für ein Volk? Welcher Unterschied zu meinen Freunden im Zug! Ich weiß, dass in den griechischen Städten übelstes Proletariat haust, bin aber immer wieder von Neuem enttäuscht. Als mich eine verrottete Gestalt mit aggressiven Blick offensichtlich absichtlich anrempelt, bin ich den Tränen nahe. Doch sogleich stellt sich bei mir Trotzhaltung ein. Ich bin des Suchens einstweilen überdrüssig und lasse mich – nach einem Geldwechsel - an einem freien Tisch nieder, um zu verschnaufen, ausgiebig zu essen und zu trinken und mich nach einem preiswerten Hotel zu erkundigen. Wieder die verdammt seltsamen Blicke zum einen, zum anderen betonte Nichtbeachtung. Der Wirt drinnen hinter der Theke, in dessen Blickwinkel ich sitze, reagiert auf meine Winke nicht. Ich bediene eine Musikbox. Orientalisches Gejammere mit rasanter Begleitrhythnik ertönt in übersteuerter Lautstärke. Ein kleiner Junge kommt zu mir an den Tisch und schaut mich groß an. Mehr aus Verlegenheit als aus Jovalität frage ich ihn, wie er heiße. Er antwortet: „Ich“. Ich stelle mich arglos und sage: „Das ist doch kein Name“. Jetzt sagt er: „Ich heiße Elefant.“ Ich steh auf, gehe weiter und weine leise auf offener Straße. Glücklicherweise kann kein Mensch meine Tränen von meinen Schweißperlen unterscheiden. Im übrigen ist es in Griechenland kein Tabu, dass Männer in der Öffentlichkeit weinen. Ich habe das schon in Bussen erlebt und an Kaffeehaustischen mitbekommen.
Mein knapper Geldbeutel zwingt mich, in diesem Viertel ein billiges Hotel zu nehmen. Also suche ich weiter zwischen den aneinandergereihten Bazar-Hausnischen und den Hausnischen, in denen die verschiedensten Handwerker ihre Werkstätten aufgeschlagen haben und im Freien zwischen allerlei Gerümpel ihre Arbeiten ausführen oder schon Mittagsschlaf halten, der in Griechenland Hauptschlaf ist, und etwa von 14:00 Uhr bis 19:00 Uhr allgemein gepflogen wird. Bis nachts um etwa 1:30 Uhr ist dann – auch für die Jüngsten, das heißt die Kinder unter fünf Jahren, die älteren gelten allgemein als gleichsam erwachsen und müssen auch schon Geld verdienen – bis 2:30 Uhr nachts also ist dann die Zeit zunächst des Vor- dem- Haus- Sitzens, dann des stundenlangen Essens und des Namenstagfeierns, nur unterbrochen von den allgemein üblichen Promenaden am Meer. Die „Paralía“, die hell erleuchtete Strandpromenade von Saloniki ist zu dieser Zeit schwarz von Menschen. In den landeinwärts gelegenen Orten findet diese Abendpromenade auf eigens angelegten, riesigen, gepflasterten und tagsüber völlig leeren Plätzen statt, auf denen man – Alt und Jung – zwischen den Stirnseiten mit Kind und Kegel, mit Freunden und Freundinnen in zwei entgegengesetzt laufenden Strömen hin und her bummelt - unter den von den Tavernen her dröhnenden Klängen griechischer Musik bis zur superkurzen Nachtruhe von etwa 1:30 Uhr bis 5:00 Uhr.
Endlich die sogar lateinische Schrift: Hotel. Aus den aufmunternden Blicken zweier aufgedackelter Damen am Eingang muss ich jedoch schließen, dass mich dieses Hotel wohl zu teuer käme. Ich hätte am Bahnhof eines der Taxis - in Griechenland meist Pferde- und Eselskarren - nehmen sollen, habe aber am falschen Platz gespart. Also weiter! Wenn wenigstens auf dem Chaos der Straße ein Taxi zu sehen wäre, das ich aufhalten könnte!
Noch ehe ich mich entschließen kann, eine der unsympathischen, misstrauisch gaffenden Gestalten nach einem preiswerten Hotel zu fragen, zeigt sich mir plötzlich wieder das Griechenland, wie ich es von den früheren Reisen in Erinnerung behalten habe. Das andere habe ich offenbar verdrängt. Eine auf dem Boden kauernde Teppichflechterin fragt mich in altvertrauter Manier, ob ich Deutscher sei. Ich bejahe. Sie ruft nach innen einen Sophokles und überschüttet mich mit einem begeisterten Wortschwall. Dann tritt ein uralter Greis – sicher ein tapferer Bursche, muss ich denken – aus dem Dunkel, schüttelt mir die Hand und erzählt von Söhnen und Enkeln, die in Deutschland arbeiten oder gearbeitet haben. Er zieht abgegriffene Fotografien und vergilbte Briefe hervor und zeigt sie mir. Dann bittet er mich nach innen. Wir setzen uns an einen Tisch. Ein jüngerer Mann kommt mit türkischem Mokka und dem obligatorischen Glas Wasser, dazu Baklavâs und Katáifi – das sind hybride Süßigkeiten aus Blätterteig bez. Fadennudeln mit Honig, Quark bez. Nüssen, jedenfalls aus allerlei klebrigem Zeug, ersteres kuchenartig, letzteres steinhart und mit Messer und Gabel zu essen. Eine Superaufwartung; üblicherweise wird ein Mezés – natürlich mit einem Glas Wasser – auf einem Tablett serviert – kleine Spießchen mit Süßigkeiten oder Fleischbällchen, Käsestückchen, Oliven usw. Es stellt sich heraus, dass der bewirtende Mann Aristoteles heißt und in Stuttgart gearbeitet hat und ein bisschen Deutsch kann. Ich werde übergossen mit deutschen und griechischen Wortschwallen. Der Alte sagt, Hitler sei gut gewesen. Mit Hitler hätten die Griechen so und so viel tausend italienische Kriegsgefangene machen können. Ja, die Deutschen seien ein kräftiges und tapferes Volk. Er habe sie im Krieg gesehen, droben bei Bulgarien. Große, breite, ernste Männer. Aber auch die Griechen seien tapfer. Ja, die Deutschen seien nur eine – Aristoteles übersetzt – nur eine Mannschaft, sie bedürften eines Führers und bräuchten Befehle. Dann würden sie alles ausführen, und dann könnten sie über die ganze Welt herrschen. Die Griechen seien von selbst tapfer. Die Slawen seien alles Diebe und Betrüger, er sei einmal in Jugoslawien gewesen, die Jugoslawen stinkten wie die Türken usw. und so fort. Sähe ich nicht den Sprecher vor mir mit seinem gutmütigen, naiven Gesicht, könnte ich glauben, es sei ein Unmensch.
Jetzt kommen auch noch zwei andere Männer von der Straße her, offenbar herbeigerufen. Sie seien auch schon in Deutschland gewesen, und wenn ich etwas bräuchte, sie würden mir gerne helfen. Sie empfehlen mir auf Bitte ein Hotel und erbieten sich, mich hinzuführen. Der eine packt gleich mein Gepäck. Ich wehre höflich ab, das könne ich schon selbst tragen. Er lässt es nicht mehr los. Und wieder geht es durch die Gassen. Alle Tränen sind vergessen, wenn auch die Blicke bleiben. Diese kommen mir aber jetzt eigentlich nur noch neugierig vor. War vorhin alles nur Einbildung, zurückzuführen auf meine Stimmung und mein Gefühl des Verlassenseins in einer fremden Welt und auf meine Unsicherheit? Und jetzt freue ich mich auch wieder über die Musik, die von allen Seiten aus Musikboxen und Transistorgeräten gellt.
Und fasziniert bleibe ich zur Verwunderung meiner Begleiter stehen, als sich mir vor einer Taverne plötzlich folgendes Schauspiel darbietet, das man so oft erleben kann, das aber immer wieder begeistert. Ein uralter Greis, wie man sie auf dem Balkan so häufig antrifft, schlapp eine Zigarette im Mundwinkel, lehnt lässig kurbelnd an einer sogenannten Laterna und entlockt diesem mit allerlei Zierrat, Quasten und Perlenketten aufgeputzten seltsamen drehorgelartigen Apparat (Pianodrehorgel), auf dem das Bild einer lasziven Frau aus Omas Zeiten prangt, wilde Töne, seelenruhig durch die freie Hand die Perlen seines Kompolóis geiten lassend, einer rosenkranzartigen orientalischen Spielkette, wie sie jeder, aber auch wirklich jeder Grieche männlichen Geschlechts bei sich trägt. Er steckt in einer überdimensional breiten und – nicht übertrieben – einen guten Viertelmeter dick gewickelten weißen Bauchschärpe wie in einem Kokon. Auf dem Kopf trägt er ein gebundenes, weißes, auf die Schultern hängendes Frottierhandtuch. Und vor ihm vollführt ein barfüßiger Tänzer majestätisch geruhsam akrobatische Sprünge und windet seinen Körper zum Bauchtanz. Seine erstaunliche Wendigkeit verblüfft: Er ist ebenso alt wie der Laternaspieler und ebenso eingewickelt. Er begleitet sich mit großartigem rhythmischen Gefühl auf einem großen Tamburin (Defi), das er bald in der einen Hand haltend mit der flachen anderen Hand bearbeitet, bald auf den Zeigefingern, den großen Zehen und auf der Nase oder einfach in der Luft kreisen lässt, so dass die am Rande angebrachten Glöckchen rasseln.
Noch bevor mich meine Begleiter ahnungsvoll weiterziehen können, wird mir das Tamburin mit der Öffnung nach oben entgegengestreckt. Verlegen ziehe ich einen 1000-Drachmenschein aus der Börse und frage die vor Staunen offenen Münder rhetorisch, ob mir jemand wechseln könne. Da fällt mir gottseidank mein Vorrat an deutschen Zigarettenpackungen ein. Hocherfreut wird ein Exemplar entgegengenommen und genau studiert. Zum Dank wird mir unmissverständlich bedeutet, mir noch eine Draufgabe anzusehen. Unterdessen hat die Neugierde eine gewaltige Menschentraube angelockt, deren Aufmerksamkeit allein mir gilt. Der Tänzer weiß dies geschickt auszunutzen, indem er sich anschickt, mit umgedrehtem Tamburin die Leute zu umtanzen, die sich daher schnell wieder zerstreuen, so dass der Weg bald wieder frei ist, um mit meinen Begleitern weiterzukommen. Es ist ein Bummel wie auf einer Stehparty, denn alle Augenblicke werden Bekannte begrüßt und Tratsche gehalten. Immer noch höre ich die stakkatoartig hämmernde Laternamusik in diesem typisch unregelmäßigen Takt eines Zeibékiko-Tanzes.......
Griechenlandreise 1970
(benevolentia amoris)
Anreise
Halt im Bahnhof Ljubliana. Kramer – ein Klassenkamerad und Studienkollege - und ich schauen aus dem geöffneten Zugfenster. Einen Waggon hinter unserem tun das Gleiche zwei Hübsche. Sie tun noch ein bisschen mehr: Sie lächeln freundlich. Noch mehr: Sie lächeln uns zu. Kramer: „Die reißen wir auf!“ Ich habe Schiss. Kramer zieht ab. Nach einer Viertelstunde sehe ich nach dem Rechten. Kramer hat sich unweit des Abteils der Hübschen postiert und blickt immer wieder verstohlen hinein, um mindestens drei Ecken herum. Ich frage, wie die Aktien stehen. Er sagt, er könne eines der Mädchen beobachten, ohne dass sie ihn sehen könne. Die Mädchen seien offenbar allein im Abteil. Ich riskiere einen offenen, aber kurzen Blick ins Abteil. Eine Göttin blickt mich verwundert an. Kramer drängt: „Wir müssen's packen!“ Lange Diskussion. Ich diskutiere das Ob, Kramer erwägt nur das Wie. Er hält sie für eine Griechin und will sie bitten, uns Sprachunterricht zu erteilen. Er macht jetzt sichtbar den entschlossensten Eindruck der Welt, noch ein kurzes Zögern, ein halber Schritt vor und zurück, plötzlich ein Ruck und er hat den Türgriff zum Abteil in der Hand. Ich ziehe Leine und warte Stunden, Stunden Stunden....
Zagreb. Ein junger Jugoslawe mit hervorragenden Englischkenntnissen, den wir im Zug kennen gelernt hatten, kommt her und verabschiedet sich bei mir. „Wo ist andere?“ „Der hat ein Rendezvous mit einer Griechin.“ „Ah, he is very quickly!“
Wieder warten. Ich bin jetzt allein im Abteil. Endlich: Kramer erscheint, wie neu geboren. Er erzählt, sie sei Jugoslawin, spreche fließend Französisch und Englisch, sei nach Holland gefahren. Dort habe es ihr nicht gefallen, nun kehre sie wieder zurück nach Belgrad. „Und die andere?“ erkundige ich mich kleinlaut. „Die is Scheiße, alte Rutschn. Die beiden haben sich erst auf der Fahrt kennengelernt.“
Ich drehe mein Transistorgerät auf. Melancholisch - konzertale Volksmusik aus Kroatien. Scheiße. Draußen regnet es in Strömen. Es ist schon Abend. Ich bin eigentlich etwas niedergeschlagen, lass´ mir aber nichts anmerken. Eigentlich genieße ich auch die Stimmung: Abend in der Fremde, Regen, Scheißmusik, Scheiß - Kramer.
Plötzlich fährt Kramer auf. Die jugoslawische Göttin kommt ins Abteil. Kurzes gegenseitiges Vorstellen. Kleiner Plausch. Meine letzten Englischkenntnisse versiegen, verlassen mich. Kramer und die Göttin unterhalten sich französisch. Ich verfalle ins Schweigen. Das Französisch wird immer gedämpfter, die Bewegungen der beiden immer eindeutiger, der erste Kuss schmatzt. Ich mache mir´s auf den Liegesitzen bequem. Die anderen haben sich's schon bequem gemacht, viel viel bequemer. Mit rasendem Tempo ranzen sie jetzt umeinander. „He is very quickly“, denke ich. Für mich wird das angestrengte geflissentliche Wegschauen zur Tortur. Ich stelle mich teils schlafend, teils rauche ich in eine Ecke des Sitzes hinein bei mehr als gedämpften Klängen aus meinem Transistor. Ich möchte hinaus auf den Korridor an ein offenes Fenster, doch ich traue mich zuerst nicht, bald wird es ganz unmöglich, über die beiden hinwegzusteigen – ich liege am Fenster, sie an der Tür. Sie haben unterdessen blitzschnell das Licht gelöscht und die Vorhänge zugezogen. Ein kurzer Blick befreit mich von den letzten, höchst überflüssigen Zweifeln. Die beiden treiben das Letzte. Wenn jetzt der Schaffner käme! Und Fahrkarten- und Passkontrollen sind ja fast alle Stunden.
Die Vorhänge schließen nicht richtig. Draußen bildet sich eine Menschentraube. „Der Kramer spinnt ja wirklich“, aber die beiden merken nichts. Nach einer Ewigkeit für mich ziehen sie sich wieder vollständig an.
Ich fliehe in die Freiheit, „very quickly“, an ein etwas weiter entferntes Korridorfenster. Wann kommt Belgrad? Wir, Kramer und ich, wollten in Belgrad einen Tag bleiben. Jetzt wird er wohl mit Tanja - das ist der Name der neu erworbenen, wirklich einzigartigen Schönheit – in Belgrad bleiben wollen. Ich werde ihm den Vorschlag unterbreiten, dass wir uns trennen. Ich bin ja um Himmels willen nicht sauer, aber ich möchte ihn nicht stören, das ist der altruistische Grund. Und der egoistische: Ich möchte nicht das dritte Rad am Karren sein.
Nach einer Weile entdeckt mich Kramer, der das Gepäck seines Glückes aus dem anderen Abteil holt. Sie hat den Vorschlag gemacht, dass wir in Belgrad nicht aussteigen, sondern zusammen weiter nach Griechenland fahren. Ihre Eltern rechneten sowieso nicht mit ihrer Rückkehr, da sie ja überstürzt aus Holland abgereist sei. Ich bin einverstanden, doch mache ich den Vorschlag, dass wir uns in Griechenland trennen, aus den obigen Gründen. Dem Kramer ist dies sichtlich und ernstlich arg. Er meint es ehrlich, wenn er seinem Bedauern darüber Ausdruck gibt, dass die ursprüngliche Reiseplanung, so vage und unverbindlich sie auch war, durcheinanderzugeraten droht. Wir hatten uns nicht genau festgelegt, aber Belgrad, Insel Thassos und Olymp - Besteigung hatten wir uns doch vorgenommen. Kramer versichert mir, dass er mir nicht böse wäre, wenn ich darauf bestünde, Tanja fahren zu lassen und alles beim Alten zu belassen. Ich versichere ihm, dass ich ihm den Spaß mit Tanja ehrlich nicht verderben wolle. Er bittet mich inständig, mich dann doch wenigstens nicht selbstständig zu machen. Ich bitte ihn inständig, meinen Standpunkt zu verstehen. Er: Er wolle mit Tanja ja nur auf Thassos, dort bräuchte ich mich ja ihnen nicht anzuschließen, aber wir sollten doch gemeinsam dorthin und anschließend noch ohne Tanja die geplante Olymp-Besteigung unternehmen; das müsse er, das habe er daheim publik gemacht. Kurzum: etwas hin und her. Ich setze durch, eine selbständige Tour unternehmen zu können und stelle vage in Aussicht, dass wir uns vielleicht doch noch treffen können.
Kramer nötigt mich, wieder mit zurück ins Abteil zu kommen. Dort das Gleiche wie gehabt. Während die beiden wieder rotieren, überlege ich, ob ich nicht unbemerkt in Belgrad aussteigen solle. Doch will ich Kramer nicht beunruhigen. In Belgrad müssen wir den Waggon wechseln, der dort abgehängt wird. Im neuen Abteil wieder das Gleiche wie gehabt, nur dass Kramer und Tanja mit noch einem Liebespaar aus Frankreich konkurrieren.
Mir wird der seltsame Trost zuteil, ein guter Freund zu sein, wie mir Tanja und Kramer versichern, weil ich mich dank meiner Mini- Griechischkenntnisse um die Weiterfahrt verdient gemacht habe. Ich habe erfahren, dass wir den Waggon wechseln müssen, bin in die überfüllten Griechen-Waggons auf Platzsuche gegangen und habe in Erfahrung gebracht, dass Tanja ein Visum benötige, dieses aber noch an der Grenze erhalten könne.
Eine aufgedackelte Griechin vom Typ Puff - Mutter begrüßt mich im Gang vor den Waggon- Abteilen unter dem schallenden Gelächter zahlreicher Zuhörer mit „Jiá sou koumpáre!“ (Grüß´dich,Trauzeuge!).
In Skopje will ich wieder aussteigen. An der jugoslawischen Grenze in Gevgelja wieder. Kehrtwendung des waltenden Gottes der Griechenlandfahrten: Das Grenzvisum wird verweigert. Um´s kurz zu machen: Kramer zu Tode betrübt. Erfreut dagegen spiele ich zum letzten Male den guten Freund. Ich fahre allein weiter nach Griechenland, Kramer und Tanja fahren an den Ohrid-See im jugoslawischen Mazedonien.
1.Tag in Griechenland
In Thessaloniki durchgeschlafen.
2. Tag
Ich unternehme mit dem Bus einen Badeausflug an einen nahen Strand. An der Bushaltestelle begegnet mir unerkannt mein Schicksal für die weiteren Tage. Ich will eigentlich mit dem Schiff fahren, doch es ist schon Mittag, der kleine Fischerjunge an der „Paralía“, der Strandpromenade, hat mir gesagt, dass zur Mittagszeit keine Schiffe zu den Badestränden verkehren. Nachdem ich mich mit dem Kleinen noch etwa eine Stunde beim Möwenfangen amüsiert habe, frage ich mich zur Bushaltestelle durch.
In derselben Verlegenheit waren auch zwei hübsche Touristinnen. Wir kommen allerdings nicht ins Gespräch, ich habe rechtzeitig bemerkt, dass sie englisch sprechen, und spätestens im Zug im Gespräch mit dem Jugoslawen und mit Tanja habe ich bemerkt, dass ich nicht englisch spreche. Wir steigen in denselben Bus und stehen dort nebeneinander. Ich steige an einem mir altvertrauten Ort, Peréa, aus, die Touristinnen fahren weiter.
Am Strand lebe ich mich schnell wieder in meine alte Griechenland – Solorolle ein. Ich habe eine Mordsgaudi mit dem Strandwirt, in dessen Kneipe ich mich mehr aufhalte als in der Sonne oder im Meer. Zum ersten Mal erfüllt sich hier die Prophezeiung Guntrams, eines Schulkameraden und ebenfalls Griechenlandfans,. Er hat mir den Rat gegeben, in Griechenland auf die übliche Frage, ob ich Student sei und was ich studiere, zu antworten: „spoudázo psémata“ - ich studiere Lügen . Das sei in Griechenland eine Bezeichnung für die Jurisprudenz, die – zumal von Ausländern gebraucht – jedes Mal ein großes Halloo und eine Mords-Gaudi auslösen würde. Ich mache also zum ersten Mal die Probe aufs Exempel und tatsächlich: Des Halloos will kein Ende sein, und überall im Dorf bin ich nur noch der „psévdis“ - der Betrüger.
Ja, abends wieder in Saloniki. Einsame Strandpromenade. Denken an Kramer und Tanja.
Nächster Tag
Ab nach Kavala und von dort nach Thassos! Für jeden Bus in jede Richtung gibt es andere Abfahrtsstellen in den griechischen Städten. Für einen nicht Eingesessenen nicht auszumachen. Ein freundlicher Grieche führt mich hin. Ich muss eine halbe Stunde warten.
Typische Szene: Ich saufe abwechselnd Zitronen-und Organgenlimonade (lemonáda heißt eigentlich Zitronensaft und portokaláda Orangensaft), ein Fläschchen nach dem anderen. Dazu Bettler und Bettlerinnen fast im Spalier, die versorgt werden wollen.
Und plötzlich – unglaublich – der Donnerschlag des Schicksals, der mir wohl unvergessen bleiben wird. An der Kasse tauchen die zwei Touristinnen wieder auf. Nachdem sie den Wartesaal verlassen haben, ohne mich zu bemerken, krame ich fieberhaft meine letzten Englischbrocken zusammen, gehe hinaus zu dem mittlerweile angekommenen Bus, und jetzt gibt es ein großes Wiedersehen, als ob wir uns schon eine Ewigkeit kennen würden. Ich bringe mein zurechtgelegtes „How do you do?“ an. Ein englischer Sprachwasserfall ergießt sich über mich, ich erstarre zur Inkarnation der Hilflosigkeit. Nicht einmal das Wort „law“ fällt mir ein auf die Frage, was ich studiere.
Nun, im Bus sitzen wir getrennt, die Plätze sind nummeriert. Nach einigen Stunden Fahrt Pause an einer Raststätte. Ich dampfe zum Entleeren meiner Blase ab, einerseits einem entsprechenden Drang folgend, andrerseits der Peinlichkeit entgehen wollend, mich an einen Tisch mit dem beiden Hübschen setzen zu müssen. Wir sprechen uns doch noch mit Händen und Füßen, dann geht's weiter mit dem Bus, und ich überlege den zweiten Teil der Fahrt nur noch, wie ich die beiden in Kavala loswerden könnte, denn ohne Englisch komme ich mir wie ein Idiot vor. Die beiden kommen übrigens aus Kanada. Ich komme zu keinem Entschluss. Schuld daran die märchenhafte Landschaft, die Kinderlieder und Spiele meiner Nachbarin mit ihrer kleinen Tochter und die irrwitzige griechische Lautsprechermusik. Die Ablenkung ist zu groß. Beim Kofferausladen in Kavala verabschiede ich mich einfach blitzschnell, und eine der beiden Damen sagt noch: „Vielleicht sehen wir uns noch einmal.“
Dann die übliche Hotelsuche per spottbilligemTaxi. Und was mir noch nie in Griechenland passiert ist: Alle Hotels für Wochen ausgebucht. Ich muss erfahren, dass Kavala eine bekannte Fremdenverkehrsstadt ist. Dies hat aber nun doch noch einen tröstlichen Aspekt und sogar einen schicksalsentscheidenden. Ich entdecke einen Pavillon: Touristeninformation. Nichts wie hinein und nach einem Zimmer gefragt!
Und wer ist schon längst drinnen? Wieder die Beiden. Natürlich wieder Halloo, doch gedämpft, denn eine Zimmersuche erscheint auch nach offizieller Auskunft aussichtslos. Die Fremdenverkehrspolizei versteht nicht Deutsch, meine neugriechische Verständigung ist kläglich, doch Englisch, das wird verstanden, und die beiden Touristinnen legen sich mächtig ins Zeug. Schließlich haben sie für uns zusammen eine Privatunterkunft ausfindig gemacht. Privatzimmer findet man in Griechenland selbst in den entlegensten Dörfern, doch bin ich gewarnt. Freilich, wenn wir nicht zurück nach Saloniki fahren wollen, müssen wir uns begnügen. Auch eine Weiterfahrt auf die Insel Thassos scheint aussichtslos, da auch dort alle Hotelzimmer ausgebucht sind. Wir kommen also zu dritt in einem Zimmer unter, kein Wasser im Haus, keine Waschgelegenheit, kein Strand in der Nähe, das Stadtzentrum weit entfernt, außerdem handelt es sich um ein Durchgangszimmer – doch dazu später.
Die beiden sind trostlos. Ich kann auch nicht weiterhelfen. Kleine rührende Szene: Die beiden haben in der Schule etwas Deutsch gelernt, doch wissen sie nur noch weniger als ich Englisch. Trotzdem basteln sie gemeinsam einen Satz zusammen und fragen mich, ob ich hierbleiben wolle. Ich gebe zu verstehen, so gut ich kann, dass wohl nichts anderes übrig bleibe, und dass ich wenigstens eine Nacht – es war schon Abend – bleiben würde. Dann wollten sie auch bleiben, sagen sie.
Wir werden überschüttet von familiären Freundlichkeiten, Familienfotografien werden gezeigt, Adressen muss ich notieren, da die Gastfamilie Angehörige in Deutschland hat, es wird riesig aufgetischt, Nachbarn herbeigerufen, die auch Angehörige in Deutschland haben oder selbst dort gearbeitet haben. Ich will möglichst schnell in die Stadt hinunter entfliehen. Ich will zur Besinnung kommen. Die Situation ist für mich ungewohnt: Muss ich nicht eigentlich mit den Mädchen ausgehen? Dem Taxichauffeur, der uns hier herauf gelotst hat – das Haus liegt auf einem Berg im Stadtteil Kikipoupolis – habe ich versprochen, dass wir drei uns am Strand treffen würden. Eine Nachbarin, die in Ansbach gearbeitet hat, bringt mich – ohne dass ich die Mädchen gefragt habe, ob sie mitkommen würden - schließlich zur entfernten Bushaltestelle und wartet dort etwa 20 Minuten, bis sie mich glücklich im Bus untergebracht weiß. Ich beteuere, das sei doch nicht nötig, doch es ist nötig: Die gute Frau macht die ganze Umgebung der Haltestelle auf mich aufmerksam und ist sichtlich sehr stolz, mir helfen zu können. Dabei prägt sie mir rührend ein, welche Linie ich auf der Rückfahrt nehmen müsse, an welcher Station ich aussteigen müsse, und welche Hausnummer ich im Häusergewirr ohne Straßennamen suchen müsse.
Die Stadt drunten am Abend ist überwältigend. Ich gebe es auf, den Strand zu suchen und will zunächst einmal ausgiebig speisen. Ich tue das auch, aber unter völlig absurden Umständen. Nur soviel: Der Wirt gleicht vom äußeren Erscheinungsbild einem Geisteskranken. Doch er ist nur höchst intelligent. Er spricht – wie er sagt, aus bloßen Interesse – angeblich sieben Sprachen, darunter leider nicht deutsch. Trotz seines rasend schnellen und nervös abgehackten Sprachflusses habe ich eine glänzende griechische Unterhaltung mit ihm. Dank seiner Intelligenz brauche ich nur den Mund aufzumachen, und er weiß schon, was ich sagen will. Und das ist gut so, denn verstehen kann man in fremder Sprache viel eher als selbst reden. Wir diskutieren heftig über das Obristenregime, und er ist ein fanatischer Anhänger desselben. Er verteidigt seine Ansichten mit Zitaten aus der Weltliteratur und mit Belegstellen aus philosophischen Schriften. Mir bleibt nur übrig, darauf hinzuweisen, dass er zwar viel gelesen habe, aber offensichtlich noch nie eine ausländische, nicht gleichgeschaltete Zeitung. Angenehmer ist der Disput mit dem jungen Kellner über griechische Musik.
Ich will mich nicht in einzelne Erlebnisse verzetteln. Ich schlendere also noch – wie alle Griechen – an der Strandpromenade entlang auf und ab. Dort ist viel los. Faszinierend vor allem eine „Show“ unter den vielen Nuss- und Maisständen sowie Fahrgeschäften: Ein Mann sitzt vor einem Schlagzeug, legt Beat – Platten auf und begleitet die Musik auf dem Schlagzeug virtuos, lässt dies auch Passanten tun. Auch hat er einen Kickertisch aufgestellt. Immer wieder fordert er das Publikum zum Spiel auf. Manchmal macht einer mit, und immer verliert der Schlagzeuger. Das Verwunderlichste aber ist: Er verlangt kein Geld für seine Darbietungen, auch nicht für das Kickerspiel. Die Griechen verstehen eben vorzüglich, sich und andere zu unterhalten. Doch davon mehr bei meinem Kavala - Aufenthalt auf der Rückreise.
„Hallo Knutttt“, tönt es auf einmal von den Tischen vor einem der unzähligen Restaurants am Strand. Da sitzen sie weder, die Beiden. Ich erzähle, dass ich erfahren habe – ich habe es von dem absurden Wirt erfahren – es gebe doch freie Hotelzimmer in der Stadt, die Lage ändere sich von Stunde zu Stunde, und morgen sei bestimmt etwas frei, da dies üblicherweise der Tag sei, an dem die meisten Touristengesellschaften nach Thassos weiterzögen. Auf Vorschlag der Mädchen strolchen wir nun durch die dunklen Gässchen der Stadt zwecks Zimmersuche für den nächsten Tag. Da sie überhaupt kein Griechisch sprechen, muss ich mich zu den Hotels und in den Hotels durchfragen. Ergebnis: Entweder nur ein oder zwei Betten oder zwar drei Betten frei, aber katastrophal dreckig. Ich will die Dunkelheit der Gassen für bestimmte Zwecke ausnutzen -wir sind uns oft sehr nahe - , doch ich traue mich noch nicht, ich lade sie nicht einmal mehr ein, noch irgendwohin zu gehen. So fahren wir zurück ins traute Heim, nicht ahnend, was uns da noch bevorstehen wird. Zunächst ist es natürlich schwierig, in jenem Stadtteil unser Haus wieder zu finden. Auf dem Weg zur richtigen Abfahrthaltestelle und bis zur richtigen Ausstiegstelle stehen wir übrigens wieder unter der Obhut eines freundlichen Griechen. Fürsorglich geleitet uns schließlich auch noch eine alte Bürgerin im Negligee bis zum Haus. Die Neugier hat sie ans Fenster getrieben, so hat sie uns entdeckt.
Und nun die Nacht: Die Hausfrau liegt mit dem Baby, ihrer Enkelin, in der Küche, die Türe zu unserem Zimmer weit geöffnet. Die Frau schnarcht erbärmlich, das Baby schreit alle Stunde. Zweimal in der Nacht geht eine andere Tür zu unserem Zimmer auf. Im Nebenzimmer ist ein junges Paar aus Italien untergebracht, und der Weg zum Klosett führt durch das ganze Haus. Und der krönende, besser: gröhlende Höhepunkt? Stockbesoffen torkelt plötzlich der Alte im Morgengrauen ins Haus. Naja, ich will nicht zu weitschweifig werden: Am nächsten Morgen geht es ohne Waschen, dafür mit Riesen - Frühstück und Proviant versorgt ab nach Thassos.
Auf der Fähre treffen wir einen jungen und verdammt hübschen Griechen, der zu allem Überfluss fließend Englisch spricht. Er kennt eine Frau, die ebenfalls unter den Passagieren mitfährt, die angeblich ein Hotel im Dorf Skala Mariés besitzt und für uns Zimmer frei hat. Der Grieche ist aus Kavalla und begleitet seinen Opa ebenfalls nach Skala Mariés, wo dieser wohnt. Er will dort einige Tage bleiben, da dort ein großes Fest stattfindet, Mariä Himmelfahrt.
In Skala Mariés entpuppen sich die Hotelzimmer als ein Privatzimmer. Wieder die rührende Frage der beiden Kanadierinnen an mich, ob wir hier bleiben wollen. Ich zögere. Glücklicherweise aber können uns Kostas – so heißt der Grieche – und die halbe Bürgerschar, die uns begrüßt, doch noch sage und schreibe ein ausgesprochen nettes neugebautes kleines Hotel vermitteln, ein Zimmer für die Mädchen und direkt gegenüber eines für mich.
Skala Mariés , das soll nun der Traum werden. Es geht schon gut an. Über das ganze Dorf hinweg bis in alle Räume auch des kleinen Hotels dröhnt rasante griechische Musik von einer Taverne auf der anderen Seite der Meeresbucht herüber, an der das Dorf liegt, und der gegenüber unser Mini-Hotel steht.
Am späten Nachmittag gehen wir mit Kostas baden. Der Strand und Fischerhafen im Dorf ist sehr schmutzig, wir setzen mit einem Fischer zu einer benachbarten Meeresbucht über, nicht weit entfernt, mit fabelhaftem Sandstrand und ohne jegliche Badegäste.
Und jetzt geht es eigentlich erst los. Die eine Kanadierin heißt Stella und ist überragend hübsch, die andere heißt Dorothea und ist zwar hübsch, aber etwas mollig. Beide stammen aus dem französischsprachigen Quebeck.Erstere ist ein sehr ruhiger, besonnener, intelligenter, origineller, interessanter Typ, ist promoviert (Biochemie). Die andere ist sehr naiv, lebenslustig, unkompliziert. Mich an Stella heranzumachen, kommt mir zunächst gar nicht in den Sinn, sie ist zu ideal. So flirte ich mit der anderen und will Stella dem Kostas überlassen. Doch Stella ist sehr zurückhaltend und komischerweise auch Kostas. Später stellt sich heraus, dass Kostas in Skala Mariés eine Freundin hat und deswegen auch hierhergekommen ist.
Für den nächsten Abend will uns Kostas abholen zu dem großen Fest. Für diesen Abend machen die Mädchen den Vorschlag, dass wir, sie und ich, in die nächste kleinere Stadt, Limenaria, fahren. Das ist leichter gesagt als getan. Kein Bus mehr, Taxi muss erst vermittelt werden in der Telefonzentrale, einem kleinen Amtsraum mit Kurbeltelefon, dem einzigen Telefon im Dorf. Langes Warten auf das Taxi vor der Zentrale. Zustrom vieler Dorfbewohner. Unserer Aufenthalt hat sich offensichtlich herumgesprochen. Großartige Gaudi. Hier muss ich nachtragen: Die Mentalität dieser Inselbewohner ist überraschend grundverschieden von der der Festlandbewohner. Die Leute hier sind derart lustig und ausgelassen, schon im Bus nach Skala Mariés, wie ich es in Griechenland bei den meist doch recht schwermütigen Griechen noch nie erlebt habe. Das liegt nicht allein daran, dass gerade ein großes Fest ist, wir erleben es auch in der folgenden Woche.
Kurz und gut: Die Fahrt im Taxi ist grandios. Lustige griechische Musik im Radio, ausgelassene Stimmung des Fahrers und plötzlich halt: Der Fahrer zieht uns auf halbem Weg aus dem Wagen in eine Taverne, er wolle ganz kurz mit uns ein Bier trinken. Dasselbe übrigens auf der Rückfahrt.
In Limenaría ist der Teufel los. Übermütiges Volk auf den Straßen, gröhlende Tavernengäste, Alkoholleichen auf dem Pflaster und nicht zuletzt – überall original Musikkapellen und griechische Tänze. Schade, dass die Mädchen in erster Linie einmal Hunger haben und in zweiter Linie Angst, in eine der lustigen Tavernen einzukehren. So essen wir zunächst einmal fürstlich im Freien, und anschließend bummeln wir durch die Nacht. Wir lassen das Gröhlen einer betrunkenen Männerschar – übrigens wie auf dem Oktoberfest – aus einer Kneipe am Ortsausgang hinter uns und entdecken einen Weg auf einen Berg zu einem dunklen Schloss im europäischen Stil.
Und jetzt wird´s zum ersten Male unbeschreiblich. Nur Stichpunkte: Von der Stadt herauf das Orgeln der Musik, das Gröhlen der Betrunkenen, das rythmische Klatschen der Tanzzuschauer, das orientalische Wimmern der Sänger, vom Himmel herab aufs Meer zu unseren Füßen das Mondlicht, stille dunkle Wege, gespenstisch finsteres Schloss, einfach Kitsch in Reinkultur.
Und da lege ich endlich den Arm um.... usw. Leider traue ich es mir nur bei Dorothy, die blitzschnell hingerissen ist. Dann setzen wir uns oben auf den Sims des Gartenzaunes, der das Schloss umgibt. Ich in der Mitte. Einige einleitende Bemerkungen und auch der andere Arm auf Stella geduldet. Das genügt mir, ich bin selig. Es ist auch – noch – nicht mehr drin, denn die Situation ist einfach katastrophal; ich habe schon lange bemerkt, dass die Beiden wie Hyänen gegenseitig aufeinander eifersüchtig sind, selbst schon dann, wenn ich mit einer rein zufällig mehr rede als mit der anderen. Das Reden wird übrigens von Stunde zu Stunde einfacher, mir fallen immer mehr englische Vokabeln ein, und ich lerne auch aus den Gesprächen mit beiden immer mehr. Freilich bleibt mein Englisch bis zum Schluss noch erbärmlich. Übrigens: Einige deutsche und griechische Brocken können auch sie sprechen.
Daheim im Hotel kommt Dorothy in mein Zimmer und ehe ich es mir versehe, liegen wir auf meinem Bett usw. Nach dem zweiten Hahnenschrei - der erste kam übrigens interessanterweise schon immer um 2:30 Uhr, der zweite erst bei Morgengrauen - trennen wir uns. Einerseits bin ich sehr glücklich, andererseits befürchte ich, dass ich gegenüber Stella nun endgültig jede Chance vertan habe. Doch ich habe mich getäuscht. Sie ist am nächsten Tag still freundlich wie eh und je.
Dorothy wirft Steine an mein Fenster. Ich schaue hinaus, schon platzt sie in mein Zimmer und am helllichten Morgen geht’s wieder los, aber dieses Mal alles bis auf den letzten Schritt, den sie nur erlauben wird, wenn wir verheiratet sein werden, wie sie sagt und im Ernst hofft. Sie ist sehr religiös. Stella erzählt mir später, dass sie jeden Morgen und Abend in der Bibel liest, aber keine Lehren daraus ziehe für ihr Verhalten -das ich noch kennenlernen sollte. Dorothy wird mir zur Last, das ist einfach zu schnell für ein Mädchen. und außerdem gefällt sie mir – näher betrachtet – überhaupt nicht mehr. Der Tag ist daher anstrengend für mich.
Abends: Warten auf Kostas. Er kommt nicht. Ich feiere ein inneres Fest. Ab nach Limenaría wieder. Ich rede mehr zu Stella als zu Dorothy, vollends, nachdem Stella sich einen Fuß ganz böse verknackst hat, finde ich mich in der Rolle des Besorgten.
Schon im Dorf lege ich den Arm nur um Stella, freilich heimlich vor Dorothy, wie gestern auf dem Weg zum Schloss heimlich vor Stella um Dorothy. Auch Stella spricht verstohlen an, doch ich habe den Verdacht, nur um Dorathy eins auszuwischen. Und das gelingt dramatisch.
Dorothy verschwindet, um Filme zu kaufen. Dann kommt sie mit wildem Gesicht wieder heraus aus dem Laden und fährt mich an, ich solle dolmetschen. Ich tue mein Bestes, doch offensichtlich nicht zu ihrer Zufriedenheit. Sie knallt die Filme auf den Ladentisch, brüllt mich an wie ein Löwe und rauscht ab, irgendwohin. Ich warte mit Stella. Der Vorfall verbindet uns noch mehr. Wir führen ein sehr interessantes Gespräch und ich erkenne einmal mehr, dass sie eine sehr interessante Person ist. Ich mache ihr auch das entsprechende Kompliment und noch einige mehr.
Plötzlich ist Dorothy wieder da. Das Gesicht werde ich nie vergessen. Dieser Anblick lehrt mich das Hassen, das ist kein nettes Gemüt und keine Hure mehr, sondern eine Furie. Sie spricht kein Wort mehr. Schweigsam sitzt sie beim Essen da.
Dann geht es wieder aufs Schloss. In der Dunkelheit macht sie wieder verschiedene Annäherungsversuche. Wohl nur, ums Stella eins auszuwischen, denke ich. Später erfahre ich mehrmals, dass sie rührenderweise doch noch an mir hängt, selbst als mit Stella schon alles gelaufen ist. An diesem Abend gehe ich nichtauf sie ein. Oben auf dem Schloss ist sie dann wieder verschwunden. Die Bahn ist frei in Richtung auf Stella. Dann stöbern wir sie wieder auf. Beim Abstieg wird sie mit Worten giftig. Sie provoziert eine politische Diskussion, da sie meine etwas vernarrten Ansichten kennt - und meinen Hosengürtel mit der Schnalle, auf der sich das DDR - Emblem befindet ( ein Geschenk von einem jungen Touristen in Prag). Sie argumentiert so hinterlistig und zynisch, dass mir tatsächlich – ich bin völlig erstaunt – die Tränen rinnen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als ihr unter Bezugnahme auf ihren Redeschwall, und dass sie mir jedes Wort abschneidet, Unfairness vorzuwerfen. Da schreit sie auf: „Wo ist der Bus, ich fahre mit dem nächsten Bus zurück!“ und will auf und davonrennen. Nur mit Mühe können wir sie schließlich noch dazu bringen, dass sie gemeinsam mit uns, leider sofort, mit dem Taxi zurückfährt.
Nun kommt Stella im Hotel zu mir herein, aber welcher Unterschied! Ein paar Zärtlichkeiten und sie zieht wieder ab.
Nächster Tag: allein mit Stella zum Strand. Viele Fischer bieten uns an, uns mit dem Boot hinzufahren, einem erweisen wir die Ehre. Ich habe einen Mords-Sonnenbrand. Stella jongliert mich, sich und die Badesachen in den Hintergrund des Sandstrandes, der mit allerlei Gesträuch und Bäumen bewachsen und von Schafen und Ziegen durchwimmelt ist. Im Schatten eines Baumes lassen wir uns nieder. Das Weitere lässt sich denken. Plötzlich kommt ein junges griechisches Pärchen angepirscht. Er entschuldigt sich. Doch bald bemerken wir, dass diese Entschuldigung sich auf etwas ganz anderes bezieht. Das Pärchen lässt sich in Sichtweite unter einem anderen dieser absurden Bäume nieder – ich glaube, es sind Olivenbäume -, breitet eine Decke über sich aus und wipp-wipp-hurra federte er auf ihr herum. So weit sind wir nun doch noch nicht.
Der Idylle setzt eine Sprengexplosion ein Ende. In der Nähe wird nämlich auf halber Höhe der Berge, die den schönen Platz umgeben, eine neue Straße gebaut. Als es Felsenbrocken nur so regnet, flüchten wir alle vier zum Strand hin.
Und siehe da: Dorothy und ein junger Grieche geben sich dort lautstark gegenseitig Sprachunterricht. Stella hat schon vor dieser Entdeckung meinen Namen rufen hören. Jetzt werde ich, als wäre zwischen mir und Dorothy nie etwas vorgefallen, herzlich als Dolmetscher begrüßt. Zum Glück kommt wenig später ein Fischer mit seinem Kahn an, der Stella und mir versprochen hat, uns wieder nach Skala Mariés zurückzubringen.
Ja, Dorothy hat schnell und viele griechische Freunde gefunden. Abends ist sie Peterle auf allen Suppen. Sie tanzt in den Tavernen des Ortes griechische Tänze mit, während ich mit Stella auf deren Balkon sitze oder wir Nachtspaziergänge unternehmen. Und wo immer ich auch mit Stella hinkomme: Alle Leute fragen nach Dorothy, sie ist die Beliebteste im ganzen Dorf, weil sie eben überall mitmacht. Einmal treffen auch wir sie vor einer Taverne beim Tanz zur Belustigung des ganzen Volkes, und wir werden inständig gebeten, mitzumachen. Aber erstens hat Stella den wirklich bösen Fuß von jenem Abend in Limenaria her, zweitens will sie sich nicht zur Schau stellen, und drittens sagt sie, dass sie auch wie ich nicht gerne tanze. Mir nichts dir nichts stehe ich nun doch plötzlich auf dem Tanzboden zu den Klängen eines Tsiftetéli (Bauchtanzes), und unversehens sehe ich mich plötzlich allein Dorothy gegenüber, wobei die Leute in einen Orkan der Begeisterung ausbrechen und uns immer mehr anfeuern und zum Rhythmus klatschen. Ich benehme mich ziemlich steif. Peinlich, peinlich, einmal und nie wieder! Stella ist nicht sauer, aber ihre Geduld wird anderweit hart auf die Probe gestellt. Immer mehr junge Griechen kommen an unseren Tisch und parlieren mit mir, weil ich etwas Griechisch kann und einige der Burschen schon in Deutschland waren. Besonders einer ist auf rührend – naive Art aufdringlich. Er ist wie die anderen ein sehr guter Tänzer. Die griechischen Tänze sind ja wirklich akrobatisch. Und ich verspreche ihm, am nächsten Abend Blitzlichtaufnahmen zu machen, die er prompt auch an sich zugeschickt haben will. Nur mit Mühe kann ich mich mit Stella wieder zurückziehen. Und Stella ist sehr argwöhnisch. Sie glaubt, der Bursche sei homosexuell, und am nächsten Tag bittet sie mich, mit ihr in eine andere Kneipe einzukehren. Als wir den Griechen trotzdem am Fischerhafen sehen, will er erfreut auf uns zustürzen. Doch ein Blick von Stella – und er zieht den Kopf ein und trollt sich. Diese Härte verüble ich Stella eigentlich etwas.
Als wir bei einem Strandbesuch romantisch an einem Felshang der Bucht zusammensitzen, mache ich eine schockierende Entdeckung. Stella lässt einen Blick auf ihre linke Hand zu, die sie bislang offensichtlich immer geschickt hat verbergen können. Bis auf den Daumen sind alle Finger abgetrennt. Daher also hat sie mich nie links von ihr gehen lassen. Daher möglicherweise auch die distanzierte Haltung von Kostas?
Ich frage Sie betont beiläufig, ob sie in eine Säge (das Wort drücke ich durch Gestik aus) geraten sei. Sie bejaht. Ich spreche nicht mehr weiter darüber und verhalte mich, als sei das für mich ohne Bedeutung. Ich bleibe verliebt.
Was ich mir nie hätte erträumen lassen, geschieht an drei aufeinanderfolgenden Abenden. Für mich ist dies ehrlich gestanden überhaupt das erste, zweite und dritte Mal in meinem Leben.
Der erste dieser Abende lässt sich anders als sonst an. Sonst haben wir halt wie am Strand so auch abends am Balkon, im Bett oder auf den Spaziergängen geliebkost.
Übrigens: Wir haben trotz alledem für das einzigartige Vergnügen Zeit, viele Griechen kennenzulernen. manchmal kommt der eine oder andere dieser unbeschreiblich freundlichen Menschen sogar herauf aufs Zimmer – jedes Mal eine sehr brenzlige Überraschung – und bietet sich an, den Fuß von Stella wieder einzurenken oder mit Salben zu heilen. Und einmal kommt einer, der sich mit mir besonders gut versteht. Er hat in meiner Heimatstadt Nürnberg gearbeitet, ist verheiratet, hat Kinder, aber spricht sehr sehr schlüpfrig über Liebe und Mädchen und erteilt mir für Stella auch sehr delikate Ratschläge, er ist im übrigen ein „Urviech“. Eines Nachts klopft er. Wir bringen im Zimmer panikartig alles in Ordnung, dann lassen wir ihn herein. Er macht es spannend. Tatsächlich: Mein Geldbeutel fehlt. Wie viel drinnen war? Zufällig weiß ich es ungefähr. Er gibt mir ihn, und das Geld stimmt. Er hat ihn bei einem Stein am Meer gefunden, wo ich mich mit Stella aufgehalten habe. Er entdeckte einen Nürnberger Filmkunstausweis und wusste Bescheid. Obwohl er am nächsten Morgen zur Arbeit nach Saloniki abreisen muss, ist er so ehrlich und bringt mir den Geldbeutel zurück. Natürlich lehnt er jeglichen Finderlohn ab. Doch zurück zu jener ersten Nacht, ach was, warum Einzelheiten, man weiß doch.
An einem Tag wollen sich die Mädchen ihre Rückflugtickets in Kavala besorgen. Zugleich will Dorothy dort einige Freunde treffen. Wir haben das Schiff versäumt, auf das die Freunde warten. Daher müssen wir den ganzen Nachmittag auf das nächste warten. Wer in Kavala nicht da ist, sind natürlich Dorothys Freunde. Außerdem erfahren wir, dass das Schiff, mit dem wir gekommen sind, in 20 Minuten wieder zurückfährt, und dass es das letzte Schiff zurück ist. In aller Eile also Flugtickets besorgt, nach Hotelzimmern erkundigt. Alles belegt. Zurück zum Schiff gehastet. Dorothy gebärdet sich wieder wie eine Hyäne: Nie und nimmer will sie heute noch zurück. Sie macht Skandal und wirft vor versammelter Zuschauerkulisse ihr Gepäck auf´s Pflaster und rennt, um im Telefonbuch die Adresse von Kostas, den sie ebenfalls treffen will, zu finden. Die Schiffssirene ertönt. Ich bitte den Kapitän um zwei Minuten Verzögerung, rase, um Dorothy zu finden. Kann sie nirgends sehen. Der Kapitän ruft mich per Lautsprecher zurück. Und für Stella und mich sind zwei ungestörte Nächte in Skala Mariés gesichert. Wir haben keine Gewissensbisse: Dorothy findet genug Freunde, zumindest den jungen hübschen Schiffswart, dem wir in letzter Minute das von Dorothy hingeworfene Gepäck übergeben haben.
Die Schiffsfahrt ist traumhaft. Wir liegen irgendwo auf dem Schiffsdeck einsam nebeneinander in der Abendsonne. Ich fühle mich wie im Paradies.
Wir haben recht vermutet. Als Dorothy am dritten Tag zurückkommt, schwärmt sie von ihren Freunden und von diesem Schiffswart. Am Abend werden wir alle von einer Athener Familie, die wir kennengelernt haben, und die ebenfalls in Scala Mariés ihren Urlaub verbrachten, zu einem Fest-und Abschiedsessen eingeladen.
Am nächsten Tag fliegt das Flugzeug für die beiden Kanadierinnen ab, früh um 7:00 Uhr. Sie müssen um 4:00 Uhr aufstehen. Ich will sie begleiten, da ich an diesem Tag ebenfalls Skala Mariés verlassen will. Stella lässt das nicht zu, ich solle ausschlafen und mit einem späteren Schiff nach Kavala fahren. Wir einigen uns auf einen Kompromiss: Stella soll mich aufwecken und sich verabschieden. Trotz Ohropax wache ich plötzlich auf. Stella steht in meinem Zimmer. Ein letzter Kuss, ein „auf Wiedersehen“ auf Deutsch und der Traum ist zu Ende.
Ich habe ihre Adresse, ich habe schon geschrieben. Ich habe viele Bilder gemacht. Ich bleibe noch einige Tage in Griechenland. Obwohl ich in den früheren Jahren immer allein drunten war, kommt mir plötzlich alles langweilig vor. Beim Warten auf den Bus nach Kavala kommt eine griechische Bäuerin auf mich zu und schenkt mir zwei Handvoll Feigen. Ich erlebe und sehe noch viel, aber es wird mir, auch dies noch zu erzählen, jetzt langweilig, während ich in der Erinnerung an Stalla schwelge.
Nur noch kurz folgendes: Nach dem Gesetz der Multiplizität der Ereignisse habe ich auf der Zugheimfahrt noch zwei weitere Bekanntschaften mit Mädchen. Ich nutze jedoch in beiden Fällen die Chancen einer Vertiefung absichtlich nicht, da ich dabei ein schlechtes Gewissen gegenüber Skala hätte.
In einem Zugabteil reist ein junges, etwa 16-jähriges griechisches Mädchen mit, das zu mitreisenden Frauen gehört. Wir lächeln uns an, sprechen miteinander. Ich lasse sie mitgebrachte Kassetten mit griechischer Musik mit ihrem Walkman anhören. Sie gesellt sich zu mir, als ich in alter Gewohnheit allein am Fenster vor dem Abteil stehe. In München müssen wir umsteigen. Sie Richtung Westen, ich Richtung Norden. Ihr Zug kommt eher als meiner. Wir sitzen wartend beisammen auf dem Bahnsteig. Als sie schließlich mit den Frauen in ihren Anschlusszug steigt, winke ich ihr mit Handküssen nach. Meine Idee, unsere Adressen auszutauschen, behalte ich für mich, aus dem oben genannten Grund.
Im Zug nach München bin ich zunächst allein in einem Abteil. Dann steigt eine Touristin mit großem Rucksack zu und kommt zu mir ins Abteil. Sie schiebt – mit meinem erfragten Einverständnis – die Sitze in Liegestellung zusammen. Wir liegen nebeneinander. Ich spreche kein Wort mit ihr.
Aber auch Kramer hat viel erlebt. Tanja wollte eigentlich einen Freund in Holland treffen. Aber sie verstanden sich nicht mehr. Daher ist sie zurückgereist. Die Eltern warteten auf Nachricht. Sie riefen den Freund an. Diesem Freund hat Tanja aus Mazedonien einen Brief an ihre Eltern geschickt, den er von Holland aus aufgeben sollte. Daher wusste der Freund von dem Schlupfwinkel. Eines Morgens kam die Polizei in Kramers und Tanjas gemeinsames Hotelzimmer. Kurz darauf die Mutter, stocksauer. Tanja musste zurück nach Belgrad. Kramer fuhr ihr nach. Dort verbrachten sie noch einige Tage, ohne dass Tanjas Vater davon erfahren durfte.
!974 wiederhole ich die Reise von Thessaloniki über Kavala nach Skala Mariés mit meiner Ehefrau. War die geschilderte Reise wegen meiner Ersterfahrungen mit Frauen wie ein Traum, so war die Wiederholung mit meiner heißgeliebten Ehefrau wie ein Himmelreich.
Griechische Impressionen
Unter einem alle Vorstellungen von Atonalität sprengenden schrillen Gejammere, das jedem noch so Hitchcock - geprüften Mitteleuropäer eine Gänsehaut samt Federn über den Rücken jagt, begleitet von den elektronisch bis weit über die Belastbarkeit selbst härtesten Beat gewohnter Trommelfelle hinaus verstärkten aufreizenden Rhythmen der peitschenden Saiten des Bouzouki oder von dem – in der echten, wahrlich archaischen Volksmusik – nervenzersägenden Chaos instrumentaler Eskapaden und monotoner Melismen, auf absonderlichsten Mecker-, Brumm-, Summ-, Klapper-, Klirr-, Hämmer-, Pfeif-, Quietsch-, Krächz-, Stampf-, Schlag-, Schab- und Vibrierorganen frei improvisiert – alles mit Überlautstarke ausgespieen aus den überall im Freien aufgestellten Musikboxen und aus einer Vielzahl von kleinen Transistorgeräten brodelnd,
unter solchen sogenannten Klängen also, zwischen unendlichen Bazargassen zusätzlich umlärmt von dem ohrenbetäubenden Geschrei nicht nur der unzähligen Straßenhändler, die ihre Waren auf Teppichen mitten auf der Straße ausgebreitet haben, sondern auch von den Passanten, die sich über Hunderte von Metern einander zurufen,
ferner bedrängt von einer nicht abzuwälzenden Flut von Schuhputzern und Losverkäufern, umringt von einer anwachsenden Schar schnauzbärtiger Griechen, die sich lautstark mit nimmermüdem Mundwerk und mit groß angelegter Gestik, aber unberührt mit ihren Perlenketten in der Hand beschäftigt, darüber freuen, dass ich mich „freue“ – so sitze ich an irgendeinem der überall aufgestellten wackligen Tischchen, das nicht gerade von den bei einem Tässchen türkischem Mokka oder einem Glas Anisschnaps tratschenden oder mit dem antiken Brettspiel beschäftigten Griechen besetzt ist.
Der griechischen Sitte entsprechend habe ich mir in der Küche der zu meinem Tisch gehörenden Taverne selbst eine Mahlzeit aus den verschiedenen Kochkesseln ausgewählt. Man weiß dann wenigstens, wie das aussieht, was man da von all dem angeblich Essbaren bestellt. Wie es schmeckt, bleibt immer wieder die große Überraschung für denjenigen, der glaubt, dass auch die in Griechenland zur Auswahl stehenden Speisen trotz ihres Aussehens doch irgendetwas mit den international – nur nicht in Griechenland – bekannten Gerichten zu tun haben könnten. Nun, der Enttäuschte nimmt gleich einmal einen herzhaften Schluck Wein zu sich, aus Sorge um die Verdauung und, um seinen Ärger hinunterzuspülen. Überraschend prompt wird er der Sorge um die Verdauung enthoben, zugleich wird allerdings sein Ärger wieder mit heraufgespült, mit dem geharzten und – für Anfänger – wie Rhiziniusöl schmeckenden Wein.
In Griechenland ist eben alles anders, wird er bald feststellen. Und der Erfahrene wird darob nicht etwa mit dem Kopf nicken, sondern ihn schütteln, um damit auf Griechisch seine Zustimmung auszudrücken.
Griechisches Feuer
Die Griechen nennen
„kaymós ihr Gefühl,
ein inneres „Brennen“,
Melancholie,
lodernde Flamme
als bewegte Kraft,
die Licht und Wärme,
die Vernichtung schafft.
Es verzehrt sich die Seele
in „Leiden“ – schaft!
Ein jedes Lied
wird „tragoúdi“genannt.
Mit diesen „Tragödchen“
werden Flammen gebannt:
in langem Atem
flackernde Klagen
der Schwermut entbrannt.
Leidtrunk´nes Griechenland!
Moirologien,
„epitrapézia“:
höre nur hin,
Seelen träumen
in Amaneden
und weichen Doinen,
Taxím – Fantasien!
Groteske Humoreske
Am Eck stank ein Mann
und winkelte.
Da nahm eine Frau
und lachte sich:
„Wenn ich das machte!“
Grundfrage (Lyrik)
Wer würde,
wenn er die Möglichkeit hätte,
augenblicklich und ohne Leiden
das Sein zu vernichten,
zögern, es zu tun,
ohne hierfür einen Grund gefunden zu haben?
Wer hatte,
da er die Möglichkeit hatte,
augenblicklich und mit Leiden
das Sein zu errichten,
nicht gezögert, es zu tun,
ohne hierfür einen Grund gefunden zu haben?
Ist es das Leiden,
das seinen Grund im Sein gefunden hat,
um sich zu erlösen?
Liegt jeder Grund in seiner Auflösung in sich selbst?
Grundloses Leid
„Warum auch ohne Schuld das Leid?“,
fragt man in Widersprüchlichkeit:
Das Leid ist Wesenszug des Seins.
Das Sein ist mit dem Sosein eins.
Und dazu zählen auch die Gründe.
Sie sind bereits im Sein. Nun finde
sie trotzdem auch nochmals davor!
Dort sucht – vergeblich – nur ein Tor.
Auch Gott hat Gründe erst erschaffen,
lässt sich nicht selbst in solche raffen.
Alles ist so, wie es ist,
letztlich eben, weil es ist.
Gründe setzen Sein voraus,
scheiden so für dieses aus.
Sein kann auch nicht anders sein,
denn das müsste möglich „sein“,
setzt so schon voraus das Sein.
Gutmensch
Es war einmal jemand, der konnte und wollte niemandem etwas zuleide tun. Doch von überall her stürzte man sich auf ihn und fügte im Leid zu, weil das ja so widerstandslos mit ihm zu machen war, und freute sich, wenn er das nicht aushalten konnte und zurückschlagen musste. So litt und litt und litt er, bis er daran starb. Doch niemand litt an dem Verlust dieses Leidensobjektes. Denn durch das Versiegen dieser Freudesquelle war die heile Welt wiederhergestellt.
Güte Gottes
Der Dumme wird sich immer sträuben,
der simplen Einsicht sich zu beugen:
Des Lebens Grausamkeit beweist,
dass Gott uns Liebe nicht erweist.
Halt dich bereit!
Ich pflücke einen Blumenstrauß
und falle hin. Er fällt mir aus
der Hand. Ich hebe ihn nicht auf
und trotze so dem Lebenslauf.
Das Leben ist geprägt von Leid.
Nimm´s trotzig hin, halt dich bereit!
Halt so
Schon wieder ging ein neuer Tag
in dumpf durchwachter Nacht verloren.
Nur, weil man halt einmal geboren,
man halt auch weiterleben mag.
Doch will man selbst nicht, so durchbohren
das Herz Schmerz, Kummer, Sorg´ und Plag´.
Heim?
Ich bin nie wirklich heimgekehrt,
seit ich die Kindheit hab´ verloren.
Die Seelen sind wie zugesperrt,
ein Lächeln schnell gefroren.
Man kennt nur sich, tut anderen weh.
Ich kann von mir aus keinen kränken.
Auch wenn ich in die Kniee geh´:
Sie wollen kämpfen, sich nicht senken.
Sie können sich nichts eingestehen
und auch nicht endlich einmal ruhen.
Wo ist die Wärme, heimzugehen?
Nicht einmal in den Schuhen!
Heimatlos
Der heimelige Abend lässt dich spüren:
Du hast kein Heim.
Du lässt den Blick auf helle Fenster stieren.
Du bist allein.
Du willst dich hin zum tiefen Wasser führen.
Du lässt es sein,
lässt irgendwo dich in der Nacht verlieren,
und schläfst ein.
Heimkehr
Die Nebel ziehen Gesichter.
Die Dunkelheit wird dichter.
Die Brust beklemmt der Kummer.
Die Flur erliegt dem Schlummer.
Der Weg führt wieder heim.
Der Tod ist Ziel allein.
Heimweh
Es sind die Abende,
die in uns sinnend Heimweh regen,
die unsere schweren Köpfe
in Kissen der Erinnerung legen,
in die wir manchmal weinen,
wenn wir uns selbst erscheinen.
War´n wir nicht immer nur allein
und werden es auch immer sein?
Im bitteren Leid hilft kein Vertrauen,
in unser Herz kann niemand schauen.
Und nichts begleitet uns in den Tod,
wie nichts uns begleitet hat vor der Zeugung.
Heiteres Gemüt
Immer, wenn er an sich gedacht,
hat er sich über sich lustig gemacht,
hat er oft schallend herausgelacht.
Nie hat er´s so zwar zu etwas gebracht,
aber auch darüber hat er gelacht.
Heißer Tag
Es schienen der Zeit
die Flügel zu lahmen.
Und es war,
als tappten Gegenständlichkeiten
unter Tarnkappen umher.
Seltsam, wie sich
die Leute benahmen
und doch nichts bemerken.
Ich wollte nicht mehr,
atmete schwer,
atmete mich leer.
Hell und Dunkel
Und immer wieder wird man weinen
Und jedes Lachen war nur Wahn.
Das Licht kann nur im Dunkeln scheinen
und strahlt doch nur das Dunkle an.
Wir können einfach nicht verstehen,
wie dunkel unser Gott doch ist.
Wir wollen nur das Lichte sehen,
das doch nur aus dem Dunkel sprießt.
Das Sein bestätigt sich im Schein.
Die Nacht erfüllt das weite All.
Die Helle bilden wir uns ein.
Wir leben ja vom Sonnenstrahl!
„Photonen müssen anders sein!“,
wird für uns so zum klaren Fall.
Der Schmerz beruht auf diesem Schein,
das Leben könne anders sein!
Heller Glanz und dunkler Schein?
Lass´ uns, meine Seele,
zu den Sternen blicken,
während uns auf Erden
die Finsternis verschlingt!
Und wenn die Wolken
auch den letzten Stern verschlucken,
so wissen wir:
Sie tun es nur zum Schein,
wie die Sonne uns die Nacht
zum Träumen und ein Gott
das Leben für das Sterben lässt.
Herbst 04
Gelbgold wie das späte Licht
lächelt müd´ verträumt die Zeit.
Wärme zeigt das Blätterkleid.
Lange Schatten kümmern nicht.
Doch schon Todeskühle atmet
der noch still verspielte Wind.
Ob die Bäume Flammen sind?
Nein, vor´m Winter nicht gewappnet.
Herbst 07
Die Sonne blinzelt den langen
Schatten nach.
Die Bäume flammen,
gemalt nur; kein Wind küsst sie wach.
Es krähen schwarze Gedanken;
die Fluren sind brach.
Wer will sie verdammen?
Wir bangen doch nur und sind schwach.
Herbst 09
Er ist wohl die erhabene Jahreszeit:
der Herbst in seiner stillen Traurigkeit,
ein letztes Lebensglüh´n in warmen Farben.
Geschlagene Wunden werden jetzt vernarben.
Im milden Licht haucht Kühle zarte Nebel.
Die Schatten strecken sich zum Menetekel.
Herbst 1979
Die letzten Blätter treiben
von den Bäumen.
Die allerletzten winken
ihnen nach
im Wind.
Vom feuchten Laub
nimmst du ein buntes Blatt
und lässt es auf dem Steg
ins nebelgraue Wasser gleiten.
Du bist ein Kind,
dich drückt so viel,
du könntest weinen.
Fern schlägt die Uhr,
Du musst dich jetzt beeilen.
Herbst 1987
Du bildest dir ein,
in einem alten Bilderbuch
zu sein.
Hoch an einem Hügelhang,
hockst im Heu,
schaust dir die Landschaft an.
Weder Autos noch Fabriken
sind von hier aus zu erblicken.
Übers bisschen Büsche an der Böschung
stierst du über Stoppelfeldersteppen,
die sich in der späten Sommersonne strecken.
Staunst über die Stille.
Stell´ dir vor:
am stahlblauen Himmel
kein Kondensstreifen!
Du magst jetzt nicht
zur Zigarette greifen.
Dein Blick rollt sich nach innen,
streift Käfer, Ameisen und Spinnen.
Die ersten Mückenstiche stören.
Du bleibst.
Kein Wind zu spüren.
Lässt einen langen Halm
in deinen Fingern spielen.
Es riecht vertraut,
als wäre deine Kindheit
hier geblieben.
Du weißt:
Man hat dich irgendwie vertrieben.
Ein blauer Wegerich verblasst.
Wie vielen Faltern hast
du eigentlich schon nachgeschaut?
Natürlich knarren g´rade jetzt
drei Kräder über Stock und Stein.
Drei Helme drehen ihr Visier
nach dir.
Was soll auch sonst zu sehen sein?
Dein Bilderbuch sahst du allein.
Die Mücken treiben sich jetzt heim.
Herbst 1994
Der Farbentaumel fordert seinen Preis.
Die bunte Welt ist morgen nur schwarz-weiß.
Doch übermorgen ist sie wieder grell.
Und auch bis dahin schimmert viel Pastell.
Herbst 1997
Die Sonnenstrahlen
lehnen müd´ am gelben Hang.
Verspielter Wind
facht eine Blätterflamme an.
Ein langer Schatten
in den Wasserspiegel träumt.
Geruch von brauner Erde
durch die Lüfte streunt.
Aus faulem Fallobst
zieht Getier den Lebenssinn.
Den blauen Himmel
rafft der Flugverkehr dahin.
Herbst 1999
Die Büsche brennen ohne Rauch,
von müder Sonne angesteckt.
Die Blätter- Flammen züngeln auf,
von einem milden Wind bewegt.
Im Abschied spüren wir den Hauch
von Ahnung, der die Hoffnung regt.
Herbst 2000 I
Wenn das verschleierte Licht
die langen Schatten
wie einen Abschied bereitet
und letztes Leben sich matt
mit warmen Farben bekleidet,
zieht ein Sinnen,
fein wie das Wirken der Spinnen
weich sich ein Netz
ohne Entrinnen.
Süß riecht der Tod
von blutrot gefallenen
faulenden Äpfeln.
Weiß ist, was droht,
Nebelgestalten,
Reif werdende Tröpfchen,
Schnee wie Linnen.
Es kehrt sich im Tod
die Welt nach innen.
Oh herbstliche Glut,
in der er noch ruht!
Herbst 2000 II
Die Sonne wirkt so abendlich.
Gelb leuchtet letztes Laub.
Wer zündet keine Kerze sich
zuhause an, so traut?
Herbst 2001
(Reminiszenzen an die Kindheit)
Die schütteren Büsche der späten Wochen,
sie hatten einfach gemütlich gerochen!
Als Kinder sind hier hineingekrochen,
um Eicheln und Kastanien zu kochen.
Mitunter haben Dornen gestochen,
das Herz hatte längst die Schule gebrochen.
Bald würde der „Bulzermärtl“ anpochen
und alles Böse in den Sack einlochen.
Doch niemand hatte uns Gutes versprochen!
Und dann war´n die Äste des Lagers gebrochen!
Da war wohl der „Nachtgieger“ reingekrochen!
Herbst 2003
Der Herbst hat sich mit frühen Abenden bedeckt.
Wie Träume zieh´n die Sonnentage hin.
Voll Wehmut ist der müde Sinn.
Kein Wein, der Tote weckt!
Die trunk´nen Früchte hat die schwere Zeit gereift,
im Winter sich zum Totenmahl zu laben.
Ein Frühling, der das nicht begreift,
wird nach dem Sommer jagen.
Herbst 2007
Die Sonne döst im matten Glanz.
Ein leichter Wind lässt Halme nicken.
Die Katze schläft, gerollt im Schwanz.
Vom brachen Feld die Krähen picken.
Der alte Baum lässt Eicheln fallen.
Mit bunten Blättern spielt der Wind.
Der Fluglärm nervt, wird nie verhallen.
Oh Himmel, kondensatverspinnt!
Herbst 2010
In diesem milden Licht ruht schon die Nacht.
Die bunten Blätter schaukeln träumend sacht
in diesen tiefen Schlaf, der nie vergeht.
Es riecht nach Ackererde beim Gebet.
Die Katze in der Sonne schließt die Augen.
Sie fühlt sich wohl und will das nicht erst glauben!
Herbst 2011
Hinter den bunten Hecken
mit den roten Beeren
und dem Geruch kindlicher Lager
weitet sich das braune Feld.
In der Ferne aus dem Nebel
höhnen schmale Gestalten.
Du stolperst auf deinem Weg
dorthin und sinkst
mit verklumpten Schuhen
in die nasse Erde
und bleibst liegen,
bis dich die Nacht holt.
Herbst 2011
Vom Himmel bricht sich Licht zu mir,
doch schließ´ ich meine Augenlider.
Ich bin nicht dort, ich bin nicht hier.
Woher ich bin, find´ ich nicht wieder.
Und wenn die Augen geschlossen bleiben,
dann bin ich sicher nicht am Ziel.
Statt Wegen gibt es dann nur Weiten,
und ich bin mir um mich zu viel!
Herbst 2012
Die Sonnenfarben in den Blättern und Früchten
wärmen die kühler werdenden Tage
wie die milden Blicke eines Greises
den kühlen Atem
des flüsternden Todes.
Und niemand zweifelt am nächsten Herbst
und daran, dass Greise wieder die späte Sonne
genießen und vielleicht die langen Schatten
zu deuten wissen.
Herbst 2013
Noch einmal zeigt die Sonne Glut.
Doch Ahnung liegt in ihren Schatten.
Noch einmal war ein Jahr uns gut,
obwohl wir Leid und Unheil hatten.
Ob noch ein Jahr sich so verneigt?
Ich will mich nicht an Schatten krallen.
Ich sehe nur, was sich mir zeigt:
so, dass auch goldene Blätter fallen.
Herbst 2014
Helles Laub auf dunklem Boden
kommt aus lichter Höh´ geflogen,
wo die Höhe nicht begrenzt,
dunkler ist, als wie du denkst!
Und so, wie die Blätter gleiten,
schweigend auf der Luft hinreiten
in die Tiefe, mag uns zeigen,
wie bestimmt wir sind, zu leiden.
Unsichtbar und still geleitet
dorthin, wo sich nichts mehr weitet.
Herbst 2014
Farbenrausch des Abschieds. Müde
lacht das Licht in milder Güte.
Fest der stillen Seelenpein
reicht – dich spiegelnd – kühlen Wein.
Doch erstarrt dein leerer Blick,
und es kehrt dein Schmerz zurück.
Herbst 2015 II
Im bunten Kleid
nimmt spätes Jahr
erfüllten Abschied.
Du weißt Bescheid,
was alles war,
und, was missriet.
Es gab viel Leid,
doch ein´s bleibt klar:
Nur Zeit besiegt.
Herbst 2015 III
Im Herbst die stillen, gelben Tage,
noch warm vom Sommer, diesen grüßen,
am Abend kühl den Winter wittern,
doch ihn mit reifer Frucht versüßen.
Ich fang´ im Fallen bunte Blätter
mit viel zu sinnverlor´nen Blicken:
In Träume wandelt sich ein Wetter.
Wie leicht ist es, sich zu entrücken!
Herbst 2015 IV
Es glüht das Laubdach über mir
voll Sonne, wie sie: rot und gelb,
und Blätter taumeln, von ihr welk,
zu Boden und verderben hier.
Verderben, wann war ihr Versterben?
Geburt bedeutet schon Versterben,
das Leben also ist Verderben.
Herbst 2015
Die Sonne kost mir ins Gesicht.
Der Wind spielt mit dem bunten Laub.
So wohl der Jahresabschied spricht,
der auf ein Wiederseh´n vertraut.
Das Jahr war schlimm. Ich will kein´s mehr.
Da hilft kein Kosen des Gesichts.
Ach, käme jetzt ein Sturm daher
und wirbelte mich in das Nichts!
Ich lasse einen Drachen steigen
und schicke an der Schnur hinauf
ein Zettelchen, dem Wind zu zeigen:
Das ist mein Abschied, steht nichts drauf.
Mit diesem Traum zeigt mir das Kind
in mir, dass Wünsche Träume sind.
Ich träum´, als letzten Traum zu träumen,
ihn durch Verträumen zu versäumen.
Herbst der Evolution
Wie ein Nebel
legt sich das Bewusstsein
über das Sein
in ahnendem Klagen,
nichts zu sehen.
Herbst hinter Hersbruck
Die Seele streicht
auf blauer Himmelslaute
zartgold´ne Sonnensaiten.
In warmer Luft
schwebt letztes Leiden
über sanfte Wiesenhänge
ins Farbenspiel
der bunten Ferne,
trägt weiten Blick
vergessener Duft.
Vereinsamt lodern
träge Pappeln
im flammenlosen Knistern
lock´rer Blätterhülle.
Aus nah verstreut
geduckten Ästeknäueln
glüht rote Frucht
in schwerer Fülle.
Beim Augenschließen
flimmern Wimpern.
Aus ihnen quillt
ein später Tropfen Blut.
Wie wohl ist hier
die tote Stunde,
wie tut verhauchtes
Leben gut!
Herbst im Alter
Das lockere Laub ringsum flammt gelb und rot.
In milder Sonne fühlt ein Greis den Tod.
Auf der Harmonika spielt er ein Lied,
das weiche Töne in die Länge zieht.
Ein Blatt schwebt tänzelnd sachte vor ihm nieder.
Er blickt nach innen, schließt die feuchten Lider.
Am Abend streift ein Wind sein weißes Haar,
und Nebel steigt. Er nimmt es nicht mehr wahr.
Herbst und Tod
Gelb und braun und grün und rot:
Alle Blätter sind jetzt tot.
Trennten sich von ihren Bäumen,
lassen sie von ihnen träumen.
Bald wird Weiß den Boden decken,
schwarz sich Stamm und Äste recken.
Können nie den Himmel küssen,
weil die Triebe sterben müssen.
Zeiten werden sich verirren,
Tod und Träume zu verwirren.
Wanderer, du siehst es nicht,
aber jede Nacht birgt Licht.
Herbstabend II
Aus den Flammen der Bäume
in der Himmelsglut
taumeln welkende Träume
voller Sonnenglut
in die modernde Bräune,
wo die Erde ruht:
tanzende Blätter, willig und leicht,
im goldenen Licht und süßen Geruch,
wirbelndes Laub, ein lockeres Buch,
das Ungebundenheit verheißt.
Herbstabend
Apfelmoder,
Leichengeruch,
Sonnenblut tränt
willig – leicht
von lodernden Bäumen.
Der Abend eines Jahres
im warm – kühlen Gold
uns Sterben preist.
Herbstlandchaft
Nassgraue Schwaden wallen
über die braunen Felder
hin, wo der lichten Wälder
Äste ins Leere sich krallen.
Verwittertes Kreuz unter dürrem Gestrüpp
am trüben Wasser verwünscht jeden Blick.
Herbsttag
Oh reife Zeit
an gütigem Tag
mit mildem Licht,
zum Lächeln bereit,
ach bitte sag´:
verträumst du nicht?
Du blickst so weit,
kein Blinzeln mag
in deine Sicht.
Dein Auge schreit.
Ach bitte sag´
mir´s ins Gesicht!
Dir tut es leid,
dass ich dich frag´.
Dein Schweigen trifft,
oh reife Zeit.
Heute
Was immer war und kommen kann,
nur heute hab´ ich einen Tag,
und dieser ist's, der mich befragt,
was ich aus ihm wohl machen kann,
und was ich aus ihm machen mag.
Hexameter
Starr vor dem Abgrund schreckst du zurück vor dem Sprung in die Tiefe,
trotz der Lanzenspitze im Rücken scheust du den Tod jetzt.
Noch als der Speer sich bohrt durch den Körper zur blutenden Brust hin,
schreist du, als wär´ dir das Leben gegeben gewesen für immer!
Weißt du nicht, dass der Tod dir bestimmt war seit der Geburt schon?
Unsterblich sind selbst die Götter allein im Sein, nicht im Nichts mehr!
Hie
Bist hie
Hockst di hie
Machst di erscht no hie
Stellst da wos zum Saffa hie
Langst oiwei schneller hie
Ois is hie
Nix bringst hie
Legst di hie
Denksta: Leck mi!
Hier
Drüben
lachen sie im Hellen,
und hier
tropfen Gedanken
ins Hohle
der zurückgeschlagenen Hand.
Hilmars Tod
Nun ist er tot,
als wäre er nie da gewesen,
nie mit im Boot
auf diesem Lebensfluss gesessen.
An seinem Ziel,
das ihm und allen war verschwiegen,
ist er ganz still
ins Unsichtbare ausgestiegen.
Vom Judentum
begeistert und ein Büchernarr,
bleibt er jetzt stumm,
wo seine sanfte Stimme war.
Privatgelehrt
in seinem Bücherlabyrinth,
ist ihm beschert
worüber jeder Geist nachsinnt.
Himmelskinder
Aus dem zerstreuten Staub
gestorbener Sterne gezeugt,
zerstieben wir zurück in die
wissende Stille der dahinziehenden
Himmelslichter, ohne zu fragen
- gewesene Wesen ohne Identität
wie das Nichts und das Alles.
Himmelsschrein
Nein,die Sonne lügt doch nur!
Alles Licht ist Blendwerk, Schein,
Leben die gekratzte Spur
unseres Tod´s am Himmelsschrein.
Denn auch er sah nie hinein.
Hinter den Sternen
Ich sehne mich hinter die Sterne ins Nichts,
die Unendlichkeit unserer Vorstellung,
ihren unvorstellbaren Tod,
verfluche den Eintritt ins Leben, ins Leid,
in das Lechzen nach Nichtigkeit,
die Unmöglichkeit bewusster Erlösung.
Es bleibt jedenfalls die Unmöglichkeit,
der Leidensungeschehenheit
auch in erlebter Ewigkeit.
Verflucht sei ihre Möglichkeit!
Hirtenlied
Mein Magen bläst
und mein Darm auch.
Ich bin eine Flöte,
die aus beiden Enden tönt!
Hochsommer II
Die Hitze schwärt im dürren Braun.
Die Luft verglüht im Silberflitter.
Der Atem stockt im Todestraum.
Die Stille deliriert im Fieber.
Der Speichel kräuselt sich zu Schaum.
Versponnenheit verliert Gefieder.
Konturen flimmern matt im Raum.
Ein Schattenvogel liegt darnieder.
Die Sonne löst sich auf in Flaum.
Der fällt vom Himmel auf die Lider,
wirft Schatten, franst den Zeitensaum.
O sanfte Schwere müder Glieder!
Hochsommer
Im Traumschleier heißen Sonnenlichts
summen die Gedanken.
Und in gelähmter Luft
würgt schlimmes Ahnen.
das gefangene Herz.
Bebend im Verlangen
nach erlösendem Schmerz
trinkt die Seele gebannt
vom erinnerten Gift
einer unstillbaren Sehnsucht.
Heiß über dem leeren Asphalt
der fliehenden Straßen flimmert
vergessener Verkehr.
Irgendwoher bekannt,
erstickt ein kurzer Augenblick
in der Atemlosigkeit
der drängenden Stunden.
Silbern tönen entrückte Stimmen
und entschwingen
im Flüsterkreis
um das verbrannte Kind.
Hochzeitsgstanzln (a la Roider Jackl)
Ja, und die Elisabeth und der Martin,
die hom sich vermählt,
und dabei überhaupts net
dappert angstellt!
Ja, und die Elisabeth und der Martin,
die san etz bereit,
sich die Zukunft zu teiln,
wos uns allezamm freit.
Und mia wünschn eich zwei:
Seids eich liab und a trei,
und wenna eich amol ärgert,
na hoits eier Mai!
Oba ihr kennts eich scho lang,
und sicher a guat,
da is uns net bang,
dass d´s eich a liab hom tuat.
Ja, und ihr strahlt übers Gsicht
und schaugts a ganz liab aus,
dass a jeder glei siecht:
Des geht sicher guat aus.
Und so wünsch ma eich beiden,
dass die Liab ewig hält
und sich dabei vielleicht
a wos Kloans no eistellt.
Oba i wui net z´vui redn,
sonst stink i ausm Mai.
I winsch eich Gottes Segen.
Und schenkt´s eich vui Freid!
Hochzeitsfeier
Es war einmal ein Hochzeitspaar,
das feierte die Hochzeit, klar!
Und als das Fest zu Ende war,
das seufzte laut die Hochzeitsschar:
„Jetzt ist die ganze Feier gar,
oh, ist das traurig, aber wahr!“
„Wir feiern weiter!“, rief ein Narr,
„und das auf eigene Gefahr!“,
und fuhr sich lachend durch das Haar
und fühlte sich ganz wie ein Star.
„Dann reiche Speis´ und Trank uns dar!
Wir feiern gern das ganze Jahr“,
ermahnte ihn ein anderer zwar,
und beide blickten etwas starr.
Doch leerte sich der Saal bizarr.
Man wollte heim und kein Geschmarr.
Es reimt sich jetzt noch „bar“ und „rar“
zum Beispiel, oder auch der Zar.
Ist das Gedicht nicht wunderbar?
Hochzeitsrede
Hochzeit, sagt man, sei die Zeit
für den ewigen Ehestreit.
Hochzeit, sagt man aber auch,
sei halt so ein alter Brauch.
Hochzeit, hoffen frisch Vermählte,
sei das Himmelreich in Bälde.
Und was gilt für unser Paar?
Liebt sich ja schon viele Jahr´.
Liebt sich weiter, das ist klar,
mit und ohne Kinderschar.
Und wenn's einmal heftig kracht,
dicke Luft zu schaffen macht,
kommt´s vom Darm, wär´ doch gelacht!
Liebe hält die Seele sacht.
And´res wird nicht überwacht.
Liebes Brautpaar, ganz zum Schluss
beste Wünsche! Doch man muss
nachhelfen, sonst gibt’s Verdruss.
Das wär's gewesen, so ein Stuss!
Macht´s besser, gebt euch einen Kuss!
Hochzeit (zum Mitschunkeln)
Sabine und der Christian,
die sind so sehr sich angetan,
dass sie den Pakt der Ehe schließen,
um sich noch besser zu genießen.
Wie sollten sie davor auch bangen
im Himmelreich, hier zu Erlangen.
Sie feiern heut´ ein großes Fest,
das nichts zu wünschen übrig lässt.
Wir wünschen diesem lieben Paar
Viel Glück und Segen Jahr für Jahr.
Da stimmt auch sicher die Chemie.
Sabine ist da ja Genie
und Biologin obendrein.
Da wird es voller Leben sein!
Und Informatik kommt hinzu.
Der Christian gibt da keine Ruh´.
Da werden Muster schnell erkannt,
nicht Mustergültiges verbannt.
Ist dieses Paar nicht ideal?
Ein Schuft, der jetzt sagt: „Schau´ mer mal!“
Zwar ist das Schicksal immer blind.
Doch trotzt ihm nur! Und ihr gewinnt.
Moni meint sicher, dass besser klingt:
Vertraut nur Gott, und ihr gewinnt!
Ja, Hauptsach´ ist, dass alles stimmt!
Hoffnung
Mitten in die blühende Wiese
der Toten
hattest du eine Erinnerung
gepflanzt,
und im nächsten Frühjahr
war die Hoffnung
gewachsen,
ein kleiner, schmaler Schatten,
der sich dir
wie ein Finger
entgegenstreckte.
Hoffnungslos
Ich pflanz´ ein kleines Licht
in meine große Finsternis.
Doch löscht mein feuchter Blick
es wieder.
Ich bin mir ganz gewiss:
Ein neues Licht
brennt ohnehin
bald nieder.
Hold (Herbst 2003)
Weiches, warmes Gold
widmet der Himmel hold
den wehmutsstillen Wäldern,
den morgenkühlen Feldern.
Ein sanfter Nebelschleier
versilbert einen Weiher.
Milde träumt die Sonne.
Schwebend ruht die Zeit.
Schatten, weit versponnen,
zeichnen Zukunftsleid.
Eine Wolke zeigt Gesicht,
im Schattenspiegel nicht.
Ein Vogelschwarm verzieht.
Ein welkes Blatt entflieht.
Sinnesmuster haben
Ahnen hier vergraben,
unsichtbar für Augen,
nur, um es zu glauben.
Homo sapiens ?
Was denken die Katzen beim Liegen in der Sonne?
Permanent: „Das ist eine Wonne!“
Was denken die Schafe beim langen Grasen?
Permanent an´s Gespür ihrer Nasen.
Was denken die Menschen beim Nicht – Nachdenken?
Permanent, dass sie's eh´ nicht könnten!
Humor
Opa besaß einen Humor, der so feinsinnig war, dass ihn niemand bemerkte, nicht einmal Opa selbst. Dieser pflegte nämlich bei jedem Familientreffen immer wieder die gleichen Witze zu erzählen und nach jedem dieser Witze schallend darüber als einziger zu lachen.
Als er wieder einmal begann, einen dieser Witze zum Besten zu geben und die Zuhörer taktvoll mit gequälten Gesichtern schwiegen, geschah das völlig Unerwartete: Er wusste nicht mehr weiter, hatte den tausend- und abertausendmal erzählten Witz glattwegs vergessen! Jetzt waren es ausnahmsweise einmal die Zuhörer, die schallend lachten.
Opa fühlte sich prompt verlacht und brummelte beleidigt, dass er dann ja wohl keine Witze mehr zu erzählen brauche, wenn dies so erheiternd sei.
Um ihn nicht zu vergrämen, beeilte man sich, ihm zu versichern, dass man nicht über ihn, sondern über den Witz lache, den er hatte erzählen wollen, da er diesen nämlich schon einmal erzählt habe. Darüber aber war Opa noch mehr beleidigt. Er fuhr seine Angehörigen an, dass man ja wohl über einen bereits bekannten Witz nicht mehr lachen könne – jedenfalls, wenn man ihn nicht selbst erzähle -, aber offenbar – wie er ja gerade die Erfahrung mache – umso mehr über die Person, die einen Witz im guten Glauben, ihn - jedenfalls vor gegebener Zuhörerschaft - noch nicht erzählt zu haben, und mit dem besten Willen, anderen eine Freude zu bereiten, wiederholt.
Doch da fiel Opa der abgebrochene Witz plötzlich wieder vollständig ein, so das er zum Ausgleich wiederum, wie immer, vergaß, ihn schon einmal erzählt zu haben, und alles lief wieder wie gewohnt ab: Der Witz wurde langatmig erzählt, um die Spannung zu steigern; diese stieg tatsächlich in den von Ungeduld gequälten Gesichtern, wenn auch nicht in der Erwartung der Pointe, sondern des ersehnten Schlusses; endlich die aufgrund der Durchzugstellung der Ohren überhörte Pointe, unüberhörbar markiert durch das anschließende schallende Gelächter des Erzählers.
Der Familienfriede war wieder hergestellt. Opa sann nach dem nächsten Witz, den ihm zu erzählen der Takt verbot.
Höhle
Die Angst legt sich in meine Höhle
und kann nicht schlafen.
Ein scheues Reh
trabt draußen durch die kühle Nacht.
Ein Wind flieht vor der Unschuld Strafen.
Der Mond hat sich längst ausgedacht.
Die Bäume ächzen ohne Seele.
Es tut so weh!
Ich
Ich bin nur das, was ich mir bin.
Die and´ren sehen mich nicht selbst.
So hat es also keinen Sinn,
wenn du dich um Beliebtheit quälst.
Man mag dich mögen oder nicht:
Es bleibt doch immer fremde Sicht.
Man schaut nicht hinter dein Gesicht.
Ich frage mich:
Wo ist Nirgends?
Wann ist Nie?
Wer ist Niemand?
Was ist Nichts?
Kann auch das Sein selbst sein?
Können Wahrheiten auch selbst wahr sein?
Hat Sinn einen Sinn?
Haben Gründe Gründe?
Warum fragen wir?
Ich nicht
Ich habe mich nicht gezeugt.
Drum gehe ich mich nichts an.
Ich bin auch überhaupt nicht erfreut,
zu leiden, mehr als ich es kann.
Mein Leben ist kein Geschenk.
Der Tod könnt´ es sein, doch ich denk´,
erleben werd´ ich ihn nicht.
Erlösung ist so nicht in Sicht.
Ich
Was heißt da „ich“, was ist „mein Leben“?
Hab´ etwa ich mich selbst geboren?
Will ich denn meinen Tod erstreben?
Hab´ ich zum Leid mich auserkoren?
Hab´ich so wenig Freud´gewollt?
Was habe ich denn selbst bewegt?
Der Fels, den ich bergauf gerollt:
Als Staubkorn wird der weggefegt,
An die Unendlichkeit verzollt.
Idealer Tod
Dann wird es still.
Du bist bereit.
Und ein Gefühl
von Leichtigkeit
erfasst dein Herz.
Stirbst ohne Schmerz.
Identitätslos
Totsein ich alles und nichts.
Denn das Alles ist nichts außer Sein,
und das Nichts ist ebenfalls nur „ist“.
Idylle vor den Toren Ambergs
(am 28.12.1999)
Der Schnee, verharscht, hat viele Löcher.
Die Schafe fressen gefrorenes Gras.
Der Hirte nimmt einen hölzernen Becher
und füllt ihn mit einem heißen Nass.
Der Hund schaut zu seinem Herren her.
Am Himmel donnert der Flugverkehr.
Der Hirte zieht sein Handy heraus
und rülpst kondensierte Grüße nach Haus.
Idylle?
(Amberger Szene: Jan Notstain vor seinem Geschäft an der Martinskirche)
Es ist ein sonniger Sommertag. Der alte Antiquitätenhändler hat sich auf einen Stuhl vor sein kleines Geschäft an der großen Stadtpfarrkirche gesetzt, im Schatten eines der großen Kastanienbäume, ein Buch auf dem Schoß, eventuelle Laufkundschaft im Blickfeld. Vor ihm, in der Sonne, steht ein etwa zehnjähriges Mädchen, offenbar aus der Nachbarschaft, im schneeweißen Sonntagskleid, rüschenbesetzt und mit abstehendem Röckchen, und unterhält sich mit ihm. Im Vorübergehen schnappe ich gerade die glöckchenhell gestimmten, etwas geziert gedehnten Worte auf: „..... oder Blumen....“
Genau! Worüber kann man in einer solchen Idylle denn sonst sprechen?
Dann blicke ich an den windschiefen, bröckelnden Fassaden der Altstadthäuser hier mit ihren kleinen Fenstern empor. Über das Kopfsteinpflaster rattert ein Leiterwagen voller Gerümpel, den eine kleine, noch dazu tief gebeugte, völlig in Schwarz gehüllte uralte Frau vor einen der dunklen Hauseingänge zieht.
Im Alter
Irgendwann nach vielen Leiden
kommt im Alter still die Zeit,
sich gelassen zu verneigen
vor dem Thron der Zeitlichkeit.
Magst du auch nichts weiter glauben,
lenkst du doch die Schritte gern
in den Friedhof. Allem lauten
Leben stehst du jetzt so fern.
Grenze zwischen Sein und Nichts?
Von Gedanken nur gezogen!
Schwindet, wie die Spur des Stifts
in der Zeichnung ist verwoben.
Im Anfang war... der Fluch?
Ungefragt in das Leben geboren,
leidgeplagt an den Tod verloren,
ohne vom Leid erlöst zu werden,
denn befreit ist man erst nach dem Sterben.
Unbemerkt also bleibt das Ersehnte,
weiter vererbt wird das Abgelehnte.
Welche Schuld ist denn die Quelle
für den Fluch der Lebenshölle?
War´s im Anfang Gottes Wort,
wirkt´s im Untergang nur fort?
War´s ein Fluch aus Gottes Mund,
der uns schuf; schlug er uns wund?
Im Büro
Die Einfalt klopft schon wieder an.
Es läuft ja alles schön nach Plan.
Das Zimmer wirkt wie eine Gruft.
Gedanken sind nicht mehr als Luft.
Verdient macht hier sich, wer im Wahn
sich ernst und wichtig nehmen kann.
Im Büro
In
und aus
den verwinkelten
und verschlungenen
Auf-,
Ab-,
Haupt-,
Neben-,
Quer-,
Seiten-,
Über-,
und Durchgängen
grüßen sie dich,
wenn du
wie sie,
gleichwohl gefangen geblieben,
dein Verlies verlassen hast,
denn du bist,
weil du gegrüßt wirst!
Im Café
Du sitzt im Café, betrachtest die Leute,
gehörst selbst dazu, doch bist du nicht Beute
von Blicken. Lässt nun auch die anderen in Ruh´.
Es kommen Gedanken und wuchern und ranken.
Es quillt eine Träne. Die Augen schnell zu!
Ins Leben geboren, hast nichts hier verloren.
Hast alles verloren, was hattest du schon?
Du hattest nur Träume und Tränen als Hohn.
Du zahlst und gehst, ganz unbeachtet,
als wärst du gar nicht hier gewesen.
Und wenn man es genau betrachtet:
Du hast nur deine Gedanken gelesen,
dein Hier verträumt und dich versäumt.
Im Dunkeln
In der Dunkelheit
mit der Seele eines Kindes
die Augen schließen,
eine Kerze
träumen
und sie ausblasen,
dann die Augen öffnen
und den Rauch riechen,
der das Licht war.
Im Element
Die hellen Orte,
blind gedacht,
gelogener Traum,
umkreisen Worte,
vergessen gemacht,
im Todesvertrauen.
Niemand hat besser
als in heller Nacht
in weitem Gewässer
ein Bad gemacht,
Stille zu schauen.
Letzter Augenblick
Auf deinem Folterlager wälzt du dich.
In deiner Seelennacht musst du schwer leiden.
Und draußen scheint die Sonne sicherlich
und herrscht wohl ganz normales Alltagstreiben.
Es gibt kein Morgen mehr in deiner Welt.
Ach, führte Gott dich jetzt in Gnade heim,
damit das Messer aus der Hand dir fällt!
Kann denn Erlösung nur durch Sünde sein?
Für einen letzten Augenblick geboren,
führst du jetzt diesen selbst herbei.
Du hast auf dieser Welt nichts mehr verloren.
Das ist das Urteil Gottes: Du bist frei!
Im Lokal
Gast (G): Herr Ober ?!
Ober (O) : Bitte?
G: Auf dem Tischtuch liegt ein Brotkrümel; wer weiß, wer das schon alles im Mund gehabt hat!
O wedelt stumm mit der Serviette über den Tisch.
G: Sagen Sie mal: Machen Sie das immer so?
O: Was meinen Sie?
G: Dass Sie die Probleme so einfach vom Tisch fegen.
O legt schweigend die Speisenkarte hin und will sich wieder entfernen.
G: Sagen Sie mal: Machen Sie das immer so?
O: Bitte?
G. Dass Sie Ihre Karten so offen auf den Tisch legen!
O entfernt sich stumm.
G ruft ihm nach: Sagen Sie mal. Machen Sie das immer so, dass Sie so unverblümt schweigen?
O schweigt.
G kurz darauf: Herr Ober?!
O: Bitte ?
G: Am Nebentisch sitzt ein Herr; wer weiß, wieviele Herren sich da noch hinsetzen werden!
O: Mein Herr, ich kann es den anderen Gästen ebensowenig wie Ihnen verwehren, bei uns einzukehren.
G: Sagen Sie mal : Machen Sie das immer so?
O: Was?
G; Dass Sie so lose Reden führen.
O entfernt sich schweigend.
G: Herr Ober ?!
O: Jaaa?!
G : Sie haben mir eine Speisenkarte hergelegt, wer weiß, was da alles draufsteht!
O geht weiter.
G ruft ihm nach: Sagen Sie mal: Machen Sie das immer so, dass Sie dem Schauplatz des Geschehens einfach den Rücken kehren?
O kommt zurück: Mein Herr, wenn Sie glauben, mich auf den Arm nehmen zu müssen, werde ich den Chef holen.
G Lieber den Chef am Hals als Sie auf dem Arm!
Wer weiß, wieviele Qber da noch kämen! Was wiegen Sie? Sagen Sie mal: Wiegen Sie eigentlich immer?
O entfernt sich.
G: Herr Ober, Sie können die Speisenkarte schon abtragen; wer weiß, ob Sie sie noch brauchen werden:
O: Haben Sie schon gewählt?
G: Wer die Wahl hat, hat die Qual; ich denke gar nicht daran, mich hier zu quälen.Wer weiß, wer sich da schon alles abgequält hat!
O: Was wollen Sie damit sagen?
G: Wer weiß, was ich damit alles sagen will1 Sagen Sie mal: Machen Sie das immer so, dass Sie Ihr Interesse an Bestellungen kaum verhehlen?
O: Was wollen Sie bestellen?!
G: Nichts; wer weiß, wer da schon alles bestellt hat!
O: Dann darf ich Sie doch bitten , das Lokal zu verlassen!
G: Selbstverständlich: wer weiß, was Sie mich sonst noch alles bitten! Sagen Sie mal: Machen Sie das immer so, dass Sie da erst bitten?
Im Mondlicht
Das Licht des Mondes – wie im Traum
das Licht der Sonne anzuschau´n -
verschleiert die entseelte Flur.
Ich schwebe dort, ein Schatten nur.
Dem Schein des Lebens ist entrückt,
wer so sich in der Nacht erblickt.
Man stirbt nicht, man wird nur verrückt.
Im Nu
Und eines Tages stand sie vor der Tür.
Er trat hinaus und zog die Türe zu.
Sie küssten sich und konnten nichts dafür.
Und führten sich – und das geschah im Nu -
Weit weg und direkt in das Nest der Ehe.
Sie hatten sich aus Träumen nur gekannt
Und liebten sich fernab von Wohl und Wehe
Sie haben ineinander sich verrannt.
Im Park
Auf einer Parkbank reibt ein Blinder seine Augen.
Die Nässe gleißt im späten Licht.
Wer kann ihm diese Stille nach dem Regen rauben?
Hier wird er Langersehntes endlich sich erlauben:
Er hört es nicht mehr, als er schießt.
Da schwärmen aus den Kronen unerschrock´ner Bäume
in blinder Schleife Vögel durch zerriss´ne Träume.
Und blind das Blut noch lange fließt.
Im Sterbebett
Die Zeit ist längst vergangen.
Ein starrer Blick ruht auf der Totenuhr.
Die Zukunft ist gefangen.
Der Hand entgleitet sanft die Perlenschnur.
Und in die hohlen Wangen
rinnnt keine Träne mehr. Warum denn nur
das lebenslange Bangen?
Am Grabstein wird der ungebroch´ne Schwur:
„Die Zeit besiegen!“ prangen.
Oh Wanderer, irrst du nachts auf dunkler Flur,
verweile, um Schlaf zu erlangen,
und träum´ dich zu Tod – wie das Leben in Gottes Natur!
Im Vorübergehen
Meckerndes Gelächter aus dem Garten:
Ziegen, die auf´s Lebensende warten.
Bei Speis´ und Trank und immer nur mit ander´n.
Man will ja nicht mit den Gedanken wandern!
Ach wie heiter ist das Leben, leider
geht es erst nach Tod und Trauer weiter.
Und plötzlich starren sie mich alle an:
ein Artgenosse, einzeln, so ein Wahn!
Ich grüß´ sie und sie staunen stundenlang.
Im Wartezimmer
(Humoreske)
Einem kommt ein Furz aus. Er wird rot und starrt vor sich hin. Was er getan hatte, wusste jeder aus eigener Erfahrung und behielt es als sein Geheimnis.
Ein anderer rülpst. Er räuspert sich und hüstelt laut, um den sich verbreitenden Schall des Rülpsers zu übertönen, was ihm selbst nach dreiminütigem Würgen und Bellen nicht gelingt, weshalb ihn eine weitere Person, deren Geschlecht dabei keinerlei Rolle spielt, bittet, er solle sich etwas leiser stellen.
Nun hat offenbar jemand in die Hose gemacht, denn es fängt noch überzeugender zu stinken an, als nach dem Furz. Wer es war, wird ganz deutlich, als er sich mit den zur Lektüre ausliegenden Zeitschriften abwischt. Sein Nachbar bietet ihm seine Unterwäsche zum Wechseln an.
Ein älterer Herr kratzt sich daraufhin dermaßen hektisch am Kopf, dass dieser zu Boden rollt. Sofort hebt er ihn wieder auf, weiß aber nicht mehr, wo er ihn hintun soll. Er probiert es an den Füßen, Knien und am Hintern aus.Da fragt ihn eine junge Dame, ob sie ihm behilflich sein könne. Darauf fragt der Kopf zurück: „Wem von beiden?“ Der Rumpf antwortet: „Natürlich mir“! und setzt nachdenklich hinzu: „Aber ich kann das ja ohne dich gar nicht aussprechen.“
„Keine Tabus bitte!“ tönt es aus dem Lautsprecher. „Ich bin aber eines“, sagt der nunmehr plötzlich wieder zusammengefundene ältere Herr und bekräftigt: „Eines!“
„Ach wo!“ entgegnet die junge Frau, „Sie meinen wohl Tohuwabohu!“ „Genau, es lag mir auf der Zunge!“, räumt der Angesprochene ein, bittet aber nunmehr um Ruhe „in diesem Tohuwabohu“, wie er sich ausdrückt, ohne sein Inneres zu meinen. „Zumindest etwas leiser stellen!“, fällt die Person ein, die sich schon einmal ähnlich ausgedrückt hat. Sollte sie sich gleich ausgedrückt haben, meinte sie das sicherlich nicht rechthaberisch, denn nicht einmal eine Zigarette kann sich ausdrücken!
Plötzlich sackt der mit der Lektüre am Hintern zusammen und keiner will es gewesen sein, obwohl feststeht, dass er es war, weil er es nun doch ohne Nachfrage einräumt. Das immer noch offene Angebot des Nachbarn schlägt er jetzt ausdrücklich aus, nachdem sich dieser schon bereitgemacht hat. „Naja“, meint da eine ältere Dame, das müsse ja nicht sein, solche Ausschläge.
Das bedeutete das Aus, und alle klatschen nun Beifall.
Plötzlich ergreift einer das Wort. Es entzieht sich ihm aber wieder. Darüber ist er sprachlos und versucht, seine Durchlöcherung durch fast ein Dutzend glotzender Augenpaare dadurch zu verhindern, dass er ein einnehmendes Lächeln aufsetzt. Seine Strategie geht auf, denn schon lächeln alle mit, so dass die Blickstrahlen brechen. „Irgendwie peinlich“, denken alle. Aber die Situation gerät in Vergessenheit, als endlich wieder ein Patient über den Lautsprecher aufgerufen wird.
Der ist zwar nicht da. Aber alle vergewissern sich nunmehr eifrig ihrer Anwesenheit, damit es ihnen nicht ebenfalls passiert, nicht da zu sein. Meist zwicken sie sich irgendwo und schreien: „Au, ich bin doch da, was fällt mir denn überhaupt ein!“ und entschuldigen sich bei sich für das schmerzhafte Misstrauen.
Jetzt steckt plötzlich ein Kopf zwischen Türblatt und Türrahmen und fragt: „Seid ihr alle da?“ „Nicht ganz“, protestiert der offenbar äußerst labile Kopf des bereits erwähnten älteren Herrn, dem er inzwischen – aufgrund des eingetretenen Gewöhnungseffektes unbemerkt (nicht einmal sein Träger hatte es bemerkt) - wieder zu Boden gekullert ist. Der Rumpf setzt ihn dieses Mal energisch und sofort an der richtigen Stelle wieder auf, und es tönt nun aus dem Kopf: „Nein, Entschuldigung, wir – äh: ich bin schon wieder da.“ Der Kopf in Türspalt insistiert aber weiter: „Sie schon, aber sind alle da?“ „ Alle sind immer die, die da sind“, philosophiert jetzt eine zaghafte Stimme und fährt siebengescheit fort: „Und der, den Sie vorhin aufgerufen haben, ist nicht alle und ist außerdem nicht da, ohne es Ihnen wegen seiner Abwesenheit mitteilen zu können.“ Langsam wird die Stimme lauter: „Fragen Sie doch die anderen! Keiner wird Ihnen Auskunft geben können, da niemand weiß, dass ich Rumpelst.....- äh. wie alle anderen heißen.“ „Das weiß ich auch!“ gibt der Kopf in der Türe beleidigt zurück und verschwindet.
Alle denken nun stumm oder halblaut nach, was denn dieser Kopf auch weiß oder wissen will oder wissen wollte.
Ein weiterer Name wird nicht aufgerufen, entweder, weil der an der Türe erschienene Kopf beleidigt ist, oder weil sich der aufgerufene Abwesende doch noch gefunden hat, sich gefunden! „Vielleicht hat er dem Kopf gesagt, dass er nicht da ist und sich dadurch verraten“, meint vorlaut ein Gedanke.
Das Schwein, das in die Hose gemacht hat, ist nun doch auf die Toilette gegangen, und niemand, kein Schwein, ist auf die Idee gekommen, dass ein solches Schwein abwesend sein könnte, weil im Lautsprecher von einem solchen nicht die Rede war. Als es zurückkehrt, werden alle aufgerufen und bleiben sitzen, da keiner alle heißt und das Schwein sich zusätzlich nicht betroffen fühlt.
Wieder erscheint der Kopf im Türspalt und erklärt, alle könnten gehen, da ihr Theater beendet sei. Der Kullerkopf springt nun selbst auf seinen Rumpf, und der Wartesaal leert sich – natürlich erst, als der Kopf an der Tür wieder verschwunden ist – unter Stillschweigen, da der Beifall ja längst verrauscht ist, siehe oben.
Die drei Leute, die sich am meisten daneben benommen haben – niemand weiß mehr, wer (auch die drei selbst nicht)- entschuldigen sich auch jetzt noch nicht und niemand betrachtet dies als den eigentlichen Skandal.
Nur der Kullerkopf, der sich wohl weniger daneben als verwegen benommen hat, kehrt in seiner enormen Beweglichkeit noch einmal kurz zurück, weiß aber selbst nicht, warum, wie ja überhaupt vieles klärungsbedürftig erscheint. Wer sollte es auch klären! Die Betroffenen waren mehr oder weniger unter sich und haben sich aufgelöst, weniger selbst, als untereinander. Und der Kopf im Türspalt hatte ja nicht alles mitbekommen.
Dass alles trotzdem hier zu Papier kommen konnte, deutet darauf hin, dass es ein Betroffener festgehalten hatte oder ein Unbetroffener, mittels Ton-, Bild- und Geruchsüberwachung, und spätestens hier beginnt der Skandal, aber keine weitere Geschichte.
Im Zug
Da sitzt du müd´ im Lebenszug
und siehst die Welt vorüberziehen
und denkst dir, alles sei nur Trug
und wünschst dir, allem zu entfliehen.
Dann wachst du auf aus kurzem Schlaf.
Ganz unbemerkt warst du versunken!
Du denkst dir: Wie mich dieser traf,
so löscht der Tod den Lebensfunken.
Mit jedem Schlaf hat er gewunken,
in jedem warst du todestrunken.
Der Zug bleibt sicher einmal stehen.
Dann steigst du aus. Niemand zu sehen.
Der Zug sieht aus wie Sarg und Grab.
Du fühlst: Es holt dich jemand ab,
so sanft, so still, so leicht im Trab...
Immer wieder
Immer wieder zog ich mich
in mein Schneckenhaus zurück.
Ein Gefängnis eigentlich,
Spiegelwände, Innenblick.
Letztlich aber fast ein Grab.
Todessehnsucht. Messer lag
griffbereit. Am sechsten Tag:
„Auferstehung“, so man mag.
Ach, wie oft noch Todesplag' ?!
Immer wieder?
Erst streifst du ein Fühlen von der Wange.
Dann siehst du dein Leid
mit Blut in den Augen
und atmest es
wie Schreie in die Brust.
Und wieder speist du
Fäulnis hinaus
gegen vertrübte Blicke,
spürst die zersetzte Zeit.
Nacht rührt dich an und bleibt.
Bleibt?
Immer wieder
Widerlich
drängen sie wieder
an die Fenster,
stehen in den Türen
und säumen
die Straßenränder,
sitzen wieder
auf Mauern,
die Böschungen hinan,
und lehnen
über den Geländern.
Immer wieder
sie alle, ja alle
starren ihn,
fallen ihn
starrend
wieder an,
den widerwillig
wiederkehrenden,
widerwärtigen
weinerlichen
Winzling.
Dann,
beim Auswerfen
der winzigen Blumen,
klappern die Kiefer,
stinken die Rachen
wieder,
löst sich
blutleeres Lachen.
Endlich wieder
bleibt er weg,
bis die Blumen
nachgewachsen sind,
wieder und wieder.
Immer wieder
Wenn wir den reißenden Fluss durchschwommen
und endlich das rettende Ufer erklommen
haben, ist unser Herz erhaben.
Wir opfern den Göttern die Geistesgaben,
und höhnend stoßen sie uns wieder
zurück in die Tiefen des Stromes nieder.
Und wieder durchleiden wir schlimme Pein,
und werden errettet, um dankbar zu sein,
und opfern im Tausch mit der Hoffnung den Geist,
und wieder und wieder und wieder reißt
der göttliche Wille uns in das Verderben,
bis wir die Rettung einst nicht mehr merken,
die uns gegönnt wird erst im Sterben.
In der Fußgängerzone II
Aus ihren Gesichtern rühren die Schicksale an,
die sie tragen
wie die Tränen des Lachens und des Weinens
in ihren Augen,
die ihnen entgleiten, weggewischt werden,
aber bleiben
als Hoffnungen,
umklammert wie ein Kinderluftballon,
geschenkt, um daraus Träume zu machen.
Jeder macht aus sich seinen Traum,
deckt einen Tisch,
ob aus Marmor oder Holz,
für ein Fest ohne Gäste,
trägt ein Kleid,
ob aus Leinen oder aus Seide
an seinem Grab.
Und morgen liegen die Gesichter
auf vergilbten Fotografien.
In der Fußgängerzone
Die Leute zieh´n an dir vorbei,
sind dir, bist ihnen einerlei.
Blick hin, Blick weg und Blick vorbei:
Die Blicke sind ganz absichtsfrei.
Da lächelt ein Gesicht dir zu.
Schon ist es weg und rätselst du.
Gesichter zieh´n an dir vorbei,
Dein´s lächelt lang im Einerlei.
Da fällt es ab und bricht entzwei.
Gesichtslos seufzt du tief dabei.
Setzt eine Zulach-Maske auf.
Doch niemand reagiert darauf.
Warum galt dir das Lächeln bloß?
Die Frage lässt dich nicht mehr los.
In der Kirche
Im matten Licht der verglasten Sonne
verschwimmt der Blick der starren Ikone,
verschleiern Gedanken die strenge Zeit,
verspinnen sich, blind in der Schwebe, und ohne
Verlangen in linder Verwobenheit
zu schwankendem Netz der Geborgenheit,
im milden Irren zu höherem Lohne.
In der Wiese
Tief im Gras: Ach, welche Welten:
Nicht zum Spaß, nicht, um zu gelten!
Tief im Himmel und zwischen allem
Leere! In sie ist alles gefallen.
Ist gefallen irgendwoher.
Ist dort alles nun völlig leer?
In freier Natur
Flugstreifen neben Streifen schob
am kalten Himmel starker Wind.
Und wie zum letzten Male schien
die Sonne, strahlte seltsam blind.
Baumkronen brausten, Äste ächzten,
umgrollt vom Fluglärm, der nie ruht.
Verstummte Vögel ahnend lechzten
nach ihrem allerletzten Flug.
Industriegebiet
Es summt,
es starrt
Verbissenheit.
Und irgendein
Gebäude faucht.
Durch Fenster schimmern
Darmgebilde.
Im Flutlicht über
brachem Beton
streicht zittriger Schatten
verlorenes Geld ein.
Innenwelten
Hinter jedem stummem Gesicht
eine Welt von Gedanken, man kennt sie nicht.
Die Augen blicken ohne Sicht,
Innenwelten, unendlich, doch dicht.
Welten wie deine, doch andere Bahnen,
begegnen sich außerhalb, wo wir´s nicht ahnen.
Innerer Weg
Ich muss den Weg alleine gehen.
Nur ich kann mich von innen sehen.
Der Weg ist nur für mich bestimmt.
Verläuft, wo meine Qualen sind.
Ins Album
Über allem stehen,
was dir widerfährt,
lächelnd dich besehen,
musst du. Ungestört
bleibt dein Gleichgewicht,
wenn du nicht vergisst,
dass die Menschensicht
eine enge ist.
Dennoch sieht man auch:
Nicht uninteressant
ist der alte Brauch
allda hierzuland,
abzuwechseln fein
zwischen Noch-Nicht-Sein
und dem Nicht-Mehr-Sein.
Irreversibel
Du liegst in deinem Blut darnieder.
Dir schmeicheln keine Klagelieder.
Ein Schatten zittert über dir.
Du weißt, die Zeit ist nicht mehr hier.
Es war ein Fehler, war dein letzter.
Verzeih´ dir Gott! Warst sein Gehetzter.
Ja-Ja-Kreis II
Da stehen sie im Kreis und nicken,
und nicken, nicken immerzu.
Und interessiert ein Lachen pflücken
sie flüchtig dann und wann im Nu.
Da schlottern heulende Grotesken.
Und Pendel schwingen hin und her.
Furie Futur schnaubt Arabesken.
Ein Leben spult sich schmarrend leer.
Was steh´n sie da im Kreis und nicken?
Ein Sinn stößt übersättigt auf.
Im Trotz droht Sanftmut zu ersticken.
Ein Starrblick bricht sich seinen Lauf.
Jahreslauf
Zartes Grün trieb bunten Duft.
Stiller Blüten Heiterkeit
glühte aus in schwerer Luft.
Schleierlicht der späten Zeit
wob vergoldetes Vergessen.
Sanft verhüllte helles Kleid
dunkler Erde starre Blößen:
Gräber der Vergangenheit.
Januar
Nur dreckige Reste vom Schnee sind verblieben
in der nasskalten Stadt, und auch draußen liegen
auf grauer Flur nur in Mulden noch Streifen,
verkrustete Spuren der so sanften, leisen,
so weichen, weißen Verbettung der toten
Natur, die jetzt daliegt wie zum Verrotten.
In der Stadt wandeln Leute ohne Gesicht,
stumm sinnend, oder fahren mit Licht.
Hier lebten Millionen, und man sieht sie nicht.
Jenseits des Horizontes
Der Horizont verschwimmt
im Zwielicht stiller Dämmerung.
Du kehrst ins Haus zurück
und denkst dir die Verlängerung
des Blickes durch den Hori-
zont ins All zu dir zurück.
Du schließt die Augen und
erblickst im Traum vom Tod ein Stück.
Jetzt
Ich habe Leben und Tod nicht gewählt,
und dafür werde ich auch noch gequält!
Auf eine Erlösung nach dem Tod
verzichte ich gerne, denn jetzt tut sie not!
Jetzt
Ich hab´ein Blümchen Glück
am Wegesrand gepflückt
und geh´damit ein Stück
des Weges sanft beglückt.
Ich weiß´, mir rinnt das Blut,
ich werde wieder stürzen.
Doch nichts tut doch so gut
wie Zeit auf´s Jetzt zu kürzen!
Joh. 1.1
Im Anfang
war das Wort
als Antwort
auf die Frage
im Ende.
Johannesevangelium
Am Anfang war das Wort.
Sein Echo war die Frage
und Schweigen die Antwort.
Ihr Echo bleibt die Klage.
Das Ende bricht das Wort,
der Ewigkeit zur Sage!
Gott sprach nie und schweigt fort.
Nur WIR hatten das Wort!:
Johanneskakangelium
Im Anfang war das Wort.
Es war ein Fluch und wirkte fort
als der Verruf der Welt als Ort,
an dem uns Gott zum Leiden schuf.
Kampfmüde
Kampf um Kampf fordert jeder Tag.
Wehe dem, der nicht kämpfen mag,
weil er scheut die Müh´ und Plag!
Den trifft schutzlos Schlag um Schlag.
Niemand wird in Ruh´ gelassen.
Leben heißt, die Stille hassen,
mitmarschieren mit den Massen.
Wehe, sich nicht anzupassen!
Katzenjammer
Es legt die Katze sich träge nieder
und blinzelt mit steifen Ohren ins Licht
der Sonne, die immer und immer wieder,
umkreist von der Erde, die Dunkelheit bricht.
Es schließen sich Frage und Antwort im Kreis.
Das sprudelnde Wasser gerät in den Sog.
Der Grund wie das Ziel sich in einem weiß.
Das strebende Leben irrt blind in den Tod.
Kausalität
Nicht der Wind bewegt die Bäume,
sondern diese bewegen sich in ihm.
Nicht Gott hat die Welt geschaffen,
sondern sie ist in ihm.
Nicht das Schicksal lässt uns leiden,
sondern wir leiden in ihm.
Denk die Bewegung weg:
Der Wind verschwindet und der Baum ruht.
Denk das Sein weg:
Die Welt verschwindet und Gott bleibt.
Denk das Leiden weg:
Das Schicksal verschwindet und wir auch.
Kein Diktat einer letzten Wahrheit
Gott ist keiner Wahrheit Knecht.
Es ist alles in ihm recht.
Bös, voll Leid und ungerecht
ist sein Werk für uns, so schlecht,
weil er uns so urteilen lässt.
Vogelflug statt Schutz im Nest,
und er hält uns dabei fest.
Kein Licht
Es ist kalt geworden, eisig,
und die Sonne sticht.
Das ist kein Licht.
Man sieht sich nicht.
Sie schauen aneinander,
wie auf Geleisen
die Schienen, starr vorbei.
Ein anderer,
ja, einer schreit.
Man hört ihn nicht.
Er schreit in sich hinein.
Dann liegt er da
und bittet stumm.
Der Wind vertreibt die Leute
um ihn herum.
Sie deuten seine Fratze
in blödes Lachen um
und lächeln sich kurz an.
Vor Eiseskälte klirrend
fällt schwer die Silbe „Wahn!“
Der Sonnenschein hält an.
Das ist kein Licht.
Kein Schuft
Ich fand keine Blumen und rupfte Gras
und sagte zu mir: Ich schenke dir das.
Ich schaute es an und roch daran
und löste die Finger und dankte dann.
Das Gras warf ich wirbelnd durch die Luft.
Bei Blumen tut so was nur ein Schuft.
Kein stiller Ausweg
Nun weinst du wieder, betest, wünschst den Tod.
Dir steht kein sicheres Mittel zu Gebot,
dich schnell zu trennen vom verfluchten Leben.
Es hat dir diese Möglichkeit gegeben,
doch Menschlichkeit kennt die Gesellschaft nicht:
Nur grausam sein lässt sie den Letztverzicht.
Mit Blut und Schock und Scherereien soll
der Suizid erscheinen schreckensvoll.
Mit Zyankali wirkte er zu schlicht
und zu privat, darum bekommt man´s nicht.
Keine Wahl
Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr!
Das Leben ist mir nur noch Qual.
Sich selbst zu töten fällt so schwer!
Doch bleibt mir keine andere Wahl.
Kind
Denk´ dir nur!
Du warst Kind
im eisigen Wind
des Lebens.
Das ist blind.
Und heute,
wo die Zeit
so verrinnt,
denkst und fühlst du
noch wie das Kind,
das spielt
und nicht gewinnt.
Und weißt noch immer nicht,
wozu die vielen Tränen,
die Träume sind.
Und drückst dich
wie damals
ganz geschwind
in deine Wolkenkissen,
die dir niemand nimmt.
Kinder im Abend
Zwischen Tag und Nacht
spielen noch Kinder
laut im Freien,
jetzt am Schönsten,
wenn die Lichter
schon brennen,
heimelig
vor dem Heimruf,
jetzt im Übermut
heimlicher
Übermüdung
noch auf-
sein dürfen.
Kindermund
Ich sah ein kleines Kind still weinen
und fragte es nach seinem Leid.
Es schwieg. Mir wollte es so scheinen,
als störte ich die Traurigkeit.
Ich fragte, ob ich helfen kann.
Da blickte es mich staunend an
und fragte schluchzend: „Nein, warum?“
Da staunte ich jetzt und blieb stumm.
Und als ich sinnend weiterging,
da lief das Kind mir plötzlich nach
und fragte, ob ich traurig bin.
Ich sagte: „Nein“, es seufzte: „Ach!“
Ich fragte: „Bist du denn noch traurig?“
Es sah zu Boden, sagte: „Nein“
und flüsterte, es klang fast schaurig:
„Der Teufel weint jetzt ganz allein.“
Ich sagte: „Lass den Teufel sein!
Es gibt den lieben Gott allein.“
Da schüttelte es seinen Kopf :
„Die stecken unterm gleichen Schopf.“
„Ja, wo hast du denn das nun her?“
„Vom Opa, und der weiß noch mehr.“
„Und weißt du, was der Schopf denn ist?“
„Das Büschel Haar rauft sich der Christ!“
„Das musst du mal dem Pfarrer sagen!“
„Den kann der Opa nicht ertragen.“
„Adieu, ich muss jetzt weitergehen.“
„Und ich muss nach dem Teufel sehen.“
Kindes Ahnen
Es waren dunkle Tage,
und du warst noch ein Kind.
Du stelltest dir die Frage,
warum sie dunkel sind.
Längst lagst du schon im Bett
und fandest keinen Schlaf
und wischtest Tränen weg.
Warst du denn nicht ganz brav?
Und wieder kam der Traum:
Im Mondlicht, angstgeplagt,
siehst du am Weidenbaum
das Schmuckkreuz aufgeragt,
blaugrün, aus Mutters Truhe:
ovaler Stein an Stein.
Oh diese Todesruhe!
Dich zieht's in dich hinein....,
erwachst im Trance durch Schrei´n.
Und Mutters Tod wird sein:
ein Raub, ganz schlimm, gemein!
Kindestrost
Immer, wenn du weinen musst,
weint mit dir in deiner Brust
auch der Engel, der du bist
vor dem Herrn und Jesus Christ.
Dieser hat am Kreuz geweint,
weil Gott gut es mit uns meint.
Frag´ den Engel in dir drin:
Gott ist auch der Tränen Sinn.
Kindheit
(im Lindelburger Schulhaus)
Ich sehe einen Hinterhof mit spielenden Kindern,
alles blau im warmen Sommerabend.
Dann träume ich von den „Frigeo-Geistern“
der längst verwesten Kindersommer,
Brausepulver, mit Leitungswasser selbst aufbereitet,
Himbeere lieber als Waldmeister,
droben in der alten Küche,
drunten im Garten die Eltern
plauschend im Korbgestühl,
und mein Spiel war das Schnalzen
von Weckgummis hinauf bis in Dachhöhe.
Dann plötzlich rieche ich die nasse Wolle
der alten Kinderhandschuhe,
Schlitten im gleißenden Schnee,
pfropfender Ton beim Stapfen,
ein sattes Reiben
wie beim Bröckeln von Trockenmilch.
Dann wieder spüre ich die Brennnesseln
im verwilderten Garteneck,
schmeckte gesogenen Honig aus den Blüten des Klees,
und mein Herz schrumpft beim Gedanken
an den Geruch von Tafelkreide, erstickend
das bunte Blumenmuster auf dem Griffelkasten
aus Holz, das so neu roch nach Strenge
wie der beginnende Ernst des Lebens.
Kindlich
Am Boden sitzt ein Kind und singt.
Du lächelst, es verstummt. Geschwind
läuft es davon, und du gehst weiter
und fragst dich: Wer war wohl gescheiter?
Das Lächeln war zu gut gemeint.
Die Flucht war ehrlich, wie es scheint.
Nun geht das Lied dir durch den Sinn.
Du lächelst kindlich vor dich hin.
Kitsch
Mein Vers, es gehe im Regen
die vertrocknete Seele auf,
als labe sie sich am Segen,
denn der Himmel spende zuhauf,
gestehe ich, macht mich verlegen,
denn nur Kitsch brach sich hier freien Lauf!
Klage (II)
Der Teufel ist Gottes Sohn (1) und klagt uns an (2).
Wir haben jedoch nichts ohne Gott getan (3).
Er hat seine Schöpfung im Nachhinein gepriesen (4)
und uns auf Erkenntnis im Nachhinein verwiesen (5).
Als Ebenbild Gottes (6) sind wir allesamt sündig (7),
und Gottes anderer Sohn, Jesus, droht uns bündig:
Kehrt um, sonst wird’s euch wie Willküropfern ergehen! (9)
Oh Gott der Liebe (10), soll´n wir die Schöpfung umdreh´n?!
Hast du den Willen nicht frei für´s Böse geschaffen,
allwissend schon, was künftig wir alles machen?!
Für dieses Inkaufgenommene willst du uns strafen?
In deiner Allmacht hast du ja gut lachen!
Entschuldige! Dank für meinen Lästerrachen!
1) Hiob 1.6;2.1
2) Zacharias 3.1
3) Jesaja 45.7; Hiob 2.10; Psalm 88.7,15; Klagelieder 2.37f; 1.Korintherbrief 4.7,15; Matthäus 10.29; Lukas 12.6
4) 1.Moses 1.4,10,12,18,21,25,31
5) 2.Moses 33.23
6) 1.Moses 1.26f
7) 1.Moses 8.21; Markus 10.18; Römerbrief 3.10,23; Psalm 14.3; Lukas 13.2,4; 1. Johannesbrief 8
8) Lukas 13.1,4
9) Lukas 13.5
10) Weisheit 11.24
Klage eines Beziehungsunfähigen
Ich hätte dir so viel zu sagen.
Doch du verstehst nicht mehr!
Ich hätte dich so viel zu fragen.
Doch du misstraust zu sehr!
Ich würde gern mein Leid dir klagen.
Doch rührt es dich nicht mehr!
Ich würde gern Gefühle zeigen,
mal ohne Widerrede bleiben,
nicht ständig Kränkungen erleiden..
Ich habe Angst vor dir und fliehe
ins Schweigen, in die Einsamkeit.
Und vor Verzweiflung tobend glühe
ich, heulend und zum Tod bereit.
Klage
So furchtbar grausam ist das Leben.
Wie kann da Gott nicht grausam sein?
Ohnmächtig ist all unser Beten,
denn Allmacht waltet ganz allein.
Uns bleibt nur, ohnmächtig zu schrei´n,
zu klagen, zu weinen, zu wüten: Oh nein!
Klassischer Fall
Sterbend erkannte er erst den Irrsinn strebender Müh´n.
Zögernd noch zuckte die zitternde Hand an die kantige Stirn.
Klar aber war dem Arzt von Anfang an aller Sinn:
Strebend eben rafft das Leben sich irrend dahin.
Kleines Genie
Mich blickt ein scheuer Vogel an.
Was er dabei wohl denken kann?
Schon fliegt er fort. Hat sich gedacht:
Der denkt! Da nehm´ ich mich in Acht.
Er hat mir in die Augen geschaut.
Wie klug! So prüft man, wem man traut.
Kleinigkeit
Dein Blick streift über weite Flur.
Wie tröstend wirkt doch die Natur,
die einfach ist, so wie sie ist,
egal, ob du am Leben bist,
egal, ob deine Seele schreit!
Nichts ist im All von Wichtigkeit.
Für Gott gilt jeder Mensch, sagt man.
Doch sieh´ dir nur die Menschheit an!
Klimakatastrophe
Ich hasse die Sonne, mich dürstet nach Regen,
nach Blitzen, nach Donner, nach Sturm: welch´ ein Segen!
Verlogenes Licht der höllischen Glut!
Im Dunkeln allein meine Seele ruht.
Des Teufels Fratze: Sie ist´s, die lacht!
Das Leid des Lebens kühlt nur die Nacht.
Und – wie Gewitter – frei ist Wut.
Die innere Hitze, nur sie tut gut!
KOFFER
Wahnsinn!!!Ich wußte, dass ich aus den Koffern kaum etwas ausgepackt hatte.Aber um zu kontrollieren, dass ich auch wirklich kaum etwas ausgepackt hatte, musste ich den Koffer auspacken.Dann musste ich kontrollieren, ob ich auch wirklich alles ausgepackt hatte.Und so kontrollierte ich das Ausgepackte, indem ich es wieder einpackte.Nun muss ich kontrollieren,ob ich wirklich alles wieder eingepackt habe.Also muss ich es wieder auspacken.Ich sehe schwarz, ob ich bis zum Abflug fertig werde mit den Kontrollieren. Das muss ich ausprobieren. Also zunächst einmal das Ganze nocheinmal nur zur Probe. Sehe schwarz, ob ich damit fertig werde bis zum endgültigen Einpacken. Muss also die Probe erst einmal ausprobieren . Scheiße, nun liegt alles teilweise im und teilweise außerhalb des Koffers.Soll ich erst das im Koffer Liegende auspacken oder das außerhalb des Koffers Liegende einpacken? Am besten schnell in die Stadt und neue Koffer kaufen. In sie kann ich dann sowohl das eine als auch das andere einpacken.Aber da muss sich aus den alten Koffern ja auch erst wieder das Eingepackte auspacken.Oder es ist besser, das Ausgepackte erst in die neuen wieder einzupacken?Außerdem muss ja ich packen , wer kontrolliert mich? Kannst du mal eben vorbeifliegen. Nein, bitte, schone dich lieber.Vielleicht packe ich doch erst nach dem Abflug. Aber warum dann noch? Fragen über Fragen..
Kosmogenese
Aus dem Nichts,
das es nicht geben kann,
schließt sich
die Unendlichkeit
in sich selbst
zur Raum-Zeit
und diese
zu Kräften und Materie,
beides
zum Leben
und zum Bewusstsein,
dieses
zum regressus ad infinitum,
der Unendlichkeit
des Nichts,
dem Nichts
der Unendlichkeit.
Kosmologie
Gegeben sei,
ohne zu sein oder nicht zu sein,
das Eine,
gesucht als „Gott“ oder „Tao“,
das das unendliche Alles
und das absolute Nichts umfasst,
so dass sich die Fragen nach dem Woher
und Warum und Wozu erübrigen.
In diesem Einen wäre zwingend,
da es ja alles und nichts umfasst,
unter all dem unendlich Seienden
als ein Nichtsein des Nichts
auch unser Universum enthalten.
Und es erübrigten sich die Fragen
nach dem Woher und Warum und Wozu.
Das Universum wäre vom Nichts
nicht entlassen
und vom Sein
nicht gefangen,
sondern expandierend
als Raum und Zeit,
und darin werdend,
sich wandelnd, vergehend.
Im Universum würde sich das Eine
in Raum und Zeit entzerren:
ins Viele und sich Wandelnde,
aber im Einen verbunden bleibend,
unendlich und ewig erscheinend;
nichts ist dem anderen gleich,
nichts bleibt gleich
uind nichts wiederholt sich genau,
aber alles ist und wird allem ähnlich
und kehrt ähnlich wieder.
Und alles hängt mit allem zusammen.
Die Entzerrung des Einen
wäre auch dessen Verzerrung.
Und im Bösen, im Elend
und in den Katastrophen
erübrigten sich die Fragen
nach Allmacht und Vollkommenheit.
Mit dem Universum wären auch wir
im Einen vereint,
wir, von denen das Universum überhaupt erst
- wenn auch noch so beschränkt -
„wahr“ – genommen wird,
so dass es durch uns auch erst
vom Einen wahrgenommen würde,
welches wiederum von uns überhaupt nur
in der raumzeitlichen Entzerrung
durch das Universum wahrgenommen würde,
so dass es sich auch selbst nur
durch diese Entzerrung wahrnähme.
Aber diese Entzerrung wäre
unsere Erkenntnsbrille,
und das Eine bedürfte nicht
der Erkenntnis, wär´ es doch alles und nichts.
Und so erübrigten sich die Fragen
nach letzter Wahrheit.
Die Entzerrung des Einen in Raum und Zeit
hinterließe die Ketten von Ursache und Wirkung.
Doch sind wir in ihnen ja nicht gänzlich gefangen.
Denn sie sind nicht geschlossen:
Zufälle öffnen und verbinden sie neu,
gelenkte Zufälle allerdings,
denn sie blieben im Einen verbunden,
und uns, die wir selbst
Komplexe gelenkter Zufälle wären,
bliebe eine beschränkte,
aber im Einen erhöhte
und uns im Einen gegenüber verantwortliche
Freiheit zur Gestaltung.
Und es erübrigt sich
nur nicht die Frage,
warum wir fragen.
Krone der Schöpfung?
Die allermeisten Menschen sind tierisch:
Sie gesellen sich zu anderen wie Schafe,
machen alles nach wie Affen
und sagen gerne Ja wie Esel.
Nur ganz wenige Menschen sind gottesebenbildlich:
Sie sind allein wie das All,
eigen wie der Urknall
und verneinen wie die Unendlichkeit!
Können, wollen, müssen
Das Leben ist keine Pflicht,
man wollte es schließlich nicht!
Wofür soll man mit ihm büßen?
Und wollen kann man nicht müssen!
Uns ist nicht nur das Leben,
nein, auch die Macht gegeben,
sein Ende vorzuzieh´n.
Man stirbt ja ohnehin!
Wer kann, der möge leben,
wer nicht, der sterbe eben!
Landschaft 2000
Erstarrtes Licht
zerbricht
in spitze
Schatten.
An den zitternden
Pappeln glitzern
die Silben des erstickten
Vogelgesangs
im dauernden Donnern
atemlosen Luftverkehrs.
Der Blick über die Landschaft
starrt auf die lechzende Zunge
eines Baugebietes.
Langschläfers Traum
Er schlief, als der Morgen graute,
und ruhte immer noch traute,
als es schon Mittag schlug,
und lag noch in tiefer Ruh´,
auch als der Abend dämmerte.
Der Schlaf sich auch noch verlängerte,
bis alle anderen schliefen.
Am nächsten Vormittag wiesen
die Träume sein Bett ins Büro.
Dort lag er und schämte sich so!
Auch schon auf belebter Straße
lag er im Bett wie zur Strafe.
Lebenssinn?
Ungefragt in das Leben gezeugt, oohne
Schuld gequält und gebeugt,
fragend geschaffen, ohne Antwort zu erhalten,
leben nur, um im Tod zu erkalten,
nicht einmal, um Erlösung zu finden,
kann man sie doch im Tod nicht empfinden!
Fluch um Fluch, so verflucht ist das Leben,
mag es Gott als Schuldigen geben!
Nicht einmal, sich selbst zu töten,
bleibt als Ausweg aus den Nöten.
Denn vielleicht wird es noch schlimmer.
Schweigen daher Tote immer?
II
Und jeder nimmt wahr
und denkt und fühlt.
Und keinem ist klar,
was sein Leben spielt.
Er ist einfach da
und irgendwann weg.
Das Herz schlägt nah,
doch fehlt ferner Zweck.
Und Gott mag ja sein
als letzter Sinn,
doch ganz allein
nur so vor sich hin?
III
Wir ketten uns an Sinn
und fühlen sinnlos uns verloren.
Schmeiß die Gedanken hin!
Denn frei von Sinn sind wir geboren.
Hat Sein, hat Sinn denn einen Sinn?
Nur die Gedanken bohren!
IV
Ungefragt ins Leid geboren,
Fragt der Mensch: warum, wozu?
Bis er, an den Tod verloren,
Ohne Antwort findet Ruh´,
Die nicht zur Erlösung führt,
Da er sie ja nicht mehr spürt!
V
Wir waren machtlos gegen unsere Zeugung,
sind daher ausgeliefert unserem Leid.
Wir kennen nicht des sicheren Tod´s Bedeutung,
damit wir ihn nicht suchen vor der Zeit.
So ist uns unser Leben aufgezwungen.
Da trösten auch die kurzen Freuden nicht!
Kaum dass sie uns ein Lächeln abgerungen,
schlägt uns das nächste Unheil ins Gesicht.
VI
Ich habe Leben und Tod nicht gewählt,
und dafür werde ich auch noch gequält!
Auf eine Erlösung nach dem Tod
verzichte ich gerne, denn jetzt tut sie not!
Leben
Wir waren machtlos gegen unsere Zeugung,
sind daher ausgeliefert unserem Leid.
Wir kennen nicht des sicheren Tod´s Bedeutung,
damit wir ihn nicht suchen vor der Zeit.
So ist uns unser Leben aufgezwungen.
Da trösten auch die kurzen Freuden nicht!
Kaum dass sie uns ein Lächeln abgerungen,
schlägt uns das nächste Unheil ins Gesicht.
Leben II
Ich weiß nicht, warum und wozu ich bin.
Und doch ist die Frage dem Menschen gegeben.
Der Mensch allein fragt nach Grund und Sinn.
Vielleicht ist´s die Ahnung von Eden?
Leben III
Dunkel zieht die schwere Zukunft auf.
Meine Seele will sie nicht mehr schauen.
Käme doch der Tod im schnellen Lauf!
Ihm allein ist jetzt nur noch zu trauen.
Was vermag das Leben uns zu geben?
Kummer nur und trügerische Freud´!
Bitter hab´ ich hoffnungsvolles Streben,
in den Hinterhalt gelockt, bereut.
Gottesglaube, tränenreiches Beten
brachten nur vorübergehend Trost.
Warum mussten wir ins Leben treten?
Sind wir Schneekristalle nur im Frost,
Sonne blitzend, vor ihr nicht zu retten?
Sind wir nur im Lebensspiel verlost
für von vornherein verlor´ne Wetten?
Gott ist nur im Rätsel für uns groß.
Jede Lösung stellte ihn nur bloß.
Schlüssel öffnen allenfalls ein Tor,
doch das Auge bleibt wie schon zuvor!
Leben IV
Was ist so schön an Baumesblüten anzusehen?
Was macht den Reiz des buntverfärbten Laubes aus?
Dass wir so gerne blind durch Wohl und Wehe gehen,
als wär´ das Leben nur mal eben ein Zuhaus´
und draußen - nach dem Tod zumal - säh´s anders aus!
Die Bäume aber sagen: Wir sind nur, was wir tragen:
die Freude in den Frühlingstagen, im Herbst das Klagen.
Leben und Tod
Dein Tod ist ein Toter,
der dich wegnimmt
und in dein Leben tritt
und du war,
der du dann nicht mehr bist,
sondern einen anderen wegnimmst
und in sein Leben trittst
und er warst,
und den wieder ein anderer Toter wegnimmt
usw.
Nur der erste Tote
hatte sich selbst weggenommen
und war noch einmal in sein Leben getreten,
so dass wirklich alle Lebendigen und Toten dieselben werden konnten.
Leben V
Wir kommen nirgends her.
Wir gehen alle hin.
Wir wissen nicht, wohin,
doch glauben wir es sehr.
Leben, Tod und Schein
Warum denn soll es nach dem Leben
und nicht zuvor noch etwas geben?
Wir wissen nichts. Ich stell´ mich ein:
Zu sein und nicht zu sein ist Schein.
Lebender Tod
Gestern traf ich den Tod und fragte ihn, ob er denn lebt.
Hoppla, da wurde er rot und war im Nu entschwebt.
Heute fragte ich Gott, warum der Tod ewig lebt.
Weil, hörte ich sofort, das Leben nur sterblich sich regt.
Lebensabend
Im Gold des späten Lichts
entfacht der müde Atem
nicht mehr die Lebensglut.
Der Blick bohrt sich ins Nichts.
Des Sinnes dunkle Schwaden
zieh´n in die Nacht. Gott ruht.
Sein letzter großer Blick
vom Horizont durch Blut
lässt keinen Traum zurück.
Lebensabend
Sehe die Dunkelheit,
höre die Stille,
bin für das Nichts bereit,
das ich schon fühle.
Lebensabend
Die Tage vertropfen wie deine Tränen
über gefalteten alten Plänen.
Zu viel geschieht an dir vorbei.
Die Ohnmacht macht dich zum Sterben frei.
Wie oft verkriechst du dich ins Bett
und schläfst dich weg
in quälende Träume!
Ach, wären es Schäume!
Die Qualen bleiben,
die Gedanken treiben
in silbernem Boot
in vergangene Zeiten,
begleitet vom Tod,
um vergangenen zu bleiben.
Abschied
Ich hab´ im Leben nichts verloren.
Es sei, als wär´ ich nie geboren!
Die Sonne wird mir nie mehr scheinen,
wenn jetzt der Bann des Fluches bricht.
Ich werde nie mehr bitter weinen.
Will sterben und vermiss´ mich nicht.
Und sollte jemand Mitleid zeigen,
so tut's mir leid. Ich kann nicht bleiben!
Lebensbaum
Da wächst er, Ast für Ast,
die Äste kreuz und quer,
und doch dem Himmel zu.
Und spiegelbildlich faßt
er, sei´s auch noch so schwer,
in dunkler Erd`nach Ruh.
Bald grün, bald bunt, bald kahl,
im Sturm gebeutelt, starr
bei Hitze wie sein Schatten.
Wir alle leiden Qual,
-verwurzelt in Gefahr-,
den Himmel zu erwarten.
Lebensbetrug
Was ist am Guten nicht verlogen?
So flüchtig und von Übeln eingeholt!
Man wird im Leben nur betrogen
und hat doch die Geburt gar nicht gewollt.
Ich bin so traurig, könnte nur noch weinen.
Der Tod nur kann willkommen scheinen.
Mein ganzes Leben war nur Leid.
Zum Sterben war ich jederzeit bereit.
Lebensbilanz
Ich brachte dir,
Leben,
Brot und Wein
dafür,
dass du
mich gegeben.
Und baute
Stein auf Stein,
vergebens!
Du bist entflogen.
Und ich warf
mein Sein
in hohem Bogen
nach dir,
verloren, belogen,
allein.
Segen
deiner Seele
auf allen Wegen!
Lebensbilanz
Das also soll´s gewesen sein:
ein böser Scherz, ja: hundsgemein:
so ohne Willen hergeboren,
geschunden und im Leid verloren!
Selbst wenn wir Gott im Tod noch sehen:
Kein Schmerz wird dadurch ungeschehen!
Lebensbuch
Da hat sich Zukunft eingeschrieben
mit Tinte, die ein Blick verwischt,
wenn Tränen in das Aug´ gestiegen,
im Lächeln unsere Zeit erlischt.
Von Sorgen werden wir getragen
und schlafen hoffend dabei ein.
Ach, könnten wir die Toten fragen,
im Buch des Lebens stünde: Nein!
Ein „Besseres“ gibt es nur im Leben,
wir würden sonst nicht an ihm kleben.
Lebensfluch
So viel Nein,
dass der Atem schmerzt
und das Blut dich quälend würgt.
So gemein
wirst du ausgemerzt,
dass das Nichts nicht einmal bürgt.
Jeder Stein
ist doch mehr beherzt
als dein grundverfluchtes Sein!
Lebensfluch IV
Was kann ich dafür, geboren zu sein?
Warum muss ich leben, nur um zu leiden?
Auf jede Freude, sie sei noch so klein,
folgt unerbittlich, um Rache zu zeigen,
Verderben. Das Leben ist so gemein,
uns selbst das Sterben zu verleiden,
denn tot kann man uns nicht befrei´n!
Fluch
Ungefragt in das Leben gezeugt,
ohne Schuld gequält und gebeugt,
fragend geschaffen, ohne Antwort zu erhalten,
leben nur, um im Tod zu erkalten,
nicht einmal, um Erlösung zu finden,
kann man sie doch im Tod nicht empfinden!
Fluch um Fluch, so verflucht ist das Leben,
mag es Gott als Schuldigen geben!
Nicht einmal, sich selbst zu töten,
bleibt als Ausweg aus den Nöten.
Denn vielleicht wird es noch schlimmer.
Schweigen daher Tote immer?
Lebensfluch
Ich möchte endlich, endlich sterben.
Ich will ganz einfach nicht mehr sein.
Mein Leben liegt in lauter Scherben.
Ach Teufel, sammle sie jetzt ein!
Schon bei Geburt war ich verflucht.
Ich hasste jeden Tag im Leben.
Hab´ nichts als nur den Tod gesucht
und war zu feig, ihn mir zu geben.
So glaubte ich an Gottes Willen
und quälte mich von Leid zu Leid.
Mag meine Todessehnsucht stillen
der Teufel jetzt, ich bin bereit.
Lebensgefängnis
Draußen,so ferne, die Lichter und Klänge!
Durch´s Fenster folg´ ich dem Wolkenspiel.
Drinnen würge ich mich in der Enge
durch Ewigkeiten zum Todesziel.
Lebensgefühl
Ins Leere greifen,
schweben.
Den Wolken gleichen,
leben.
Den Himmel streifen,
regnen.
Eine Nebelzeichen
legen.
In Nymphenreigen
treten.
Auf Schattenpfeifen
flöten.
Durch Totenreiche
fegen.
An Träumen ganz fest
kleben.
Die Flügel neigen,
heben.
Die Zeit vertreiben,
töten.
Die Hände reichen
mögen.
Lebenshaltung
Die meisten führen ihr Leben wie die Hundebesitzer
ihre Hunde: an der Leine.
Manche lassen ihrem Leben Auslauf,
bis sie es verlieren.
Viele rennen ihrem freien Leben nach
bis zur Erschöpfung.
Andere tragen es auf den Armen,
bis es sich losreißt.
Ich habe mit ihm gespielt,
bis es mich nicht mehr verstand.
Lebensherbst
Die Sonne des Herbstes vergoldet dein Alter,
beschert dir ein spätes Liebesglück.
So schwer war dein Leben, nun schwebst du als Falter.
Dein Frühling kehrt ohne Tränen zurück.
Lebenshölle
Die Tage sind, als wäre nichts geschehen.
Und dann ergreift uns wieder dunkle Nacht.
Da hilft kein Weinen, und es hilft kein Flehen.
Die Träume höhnen. Und die Sonne lacht
am nächsten Tag, als könnte so vergehen,
was unser Leben uns zur Hölle macht!
Lebenskunst II
Freude bleibt so lange Freude,
wie man sie genießt.
Leid währt nur so lange,
wie man sich darob verdrießt.
Lebenskunst
Dem Schicksal zu trotzen,
treibt uns in den Tod.
Ergeben zu glotzen,
bereitet viel Not.
Und ewig zu kotzen,
bringt auch aus dem Lot.
Vor Hoffnung zu strotzen,
lügt vor, dass nichts droht.
Bleibt nur noch, zu rotzen.
Man bleibt ein Idiot!
Lebenskunst
Freude bleibt so lange Freude,
wie man sie genießt.
Leid währt nur so lange,
wie man sich darob verdrießt.
Lebenslauf
Ungefragt habe ich geschwiegen.
Und dann selbst gefragt.
Und antwortlos geschrien,
mein Sein
und so mich selbst
angeklagt.
Lebenslüge
Das also war das Paradies:
Du hast es mit geschlossenen Augen
ein Leben lang so oft gestreift.
In ihm sind alle deine Wünsche
zu Tagesträumen still gereift.
Und nächtens lagst du im Verlies
und schriest, man möge doch erlauben,
dass dich der Tod im Schlafe lynche.
Lebensopfer
Wie soll uns Durstige
das Wasser aus den Quellen laben,
da unsere Arme lahmen
und unser Mund verstockt vom Opfern ist?
Wie sollen uns Hungrige
die Feigen an den Bäumen laben,
da unsere Arme lahmen
und unser Mund verstockt vom Opfern ist?
Wir laufen durch das Licht
und sehen Engel nicken,
die unseren Toten gleichen,
und unsere Schatten, die
in unsere Träume reichen,
werden immer länger.
Lebensparadox
Wir wurden ungewollt gezeugt
und traten weinend in die Welt.
Vom Leiden werden wir gebeugt,
vom Tod um jeden Sinn geprellt.
Lebensphilosophie?
Alles wird wieder gut,
aber auch wieder schlimm.
Kaum schöpfst du neuen Mut,
fließt schon die Träne dahin!
Freu´ dich auf´s nächste Glück!
Fürchte die nächste Pein!
Kaum kehrt das eine zurück,
stellt sich das and´re schon ein.
Licht gibt’s nicht ohne Schatten.
Ja gibt es nicht ohne Nein.
Du nur kannst dir gestatten,
drüber erhaben zu sein.
Dir ist der Tod gewiss,
so wie das Jetzt im Leben.
Du kannst ihn dir – beschließ! -
jetzt – noch frei – dir schon geben.
Hängst du am Augenblick,
ist er dir doch nicht zuviel?
Sieh: Das ist wahres Glück!
Nichts ist verlor´n, was man will.
Nur vor´m Augenblick,
den du nicht verlierst,
wenn du ihn nur spürst,
weicht der Tod zurück.
Er ist das Lebensglück,
Leid aber, wenn du ihn kürst
zur Ewigkeit, wo er erstickt,
da du zum Tod ihn dann führst!
Lebensphilosophie II
Einfach da sein,
ob im Schlimmen
oder Guten.
Auch das Schlimme
und das Gute
sind nur einfach da!
Lebensqual
Es ist kein Trost, dass Leid vergeht,
denn weiteres bereit schon steht.
Wird eines auch das letzte sein,
der Tod kann spürbar nicht befrei´n.
Gewöhnung kann zwar Schmerzen lindern,
doch immer neue nicht verhindern.
Oh Gott, wie soll ich dir vertrauen,
statt mich vor deiner Faust zu grauen!?
Lebensqual
Was schert mich denn das Leben?
Der Tod ist doch gewiss!
Was soll ich da erstreben?
Das Leben ist Beschiss!
Und jede Freude macht Leidem Platz.
Und jedes Leid ist für die Katz.
Mag alles sein in Gottes Hand:
Es ist kein Trost, nur Tatbestand!
Wir leiden, leiden, leiden,
und morgen sind wir gestorben.
Wo bleiben, bleiben bleiben
dann Kummer Qual und Sorgen?
Lebensqual
Der Tod wirft nicht die dunklen Schatten.
Es ist der Sonne helles Licht.
So tränt die Hoffnung, die wir hatten,
bis unser Lächeln ganz erlischt.
Es macht der Tod nicht, dass wir sterben.
Es ist des Lebens Illusion.
Geboren sind wir zum Verderben.
Und Überleben ist nur Hohn!
Natürlich ist das Gottes Walten!
Natürlich kann´s kein Mensch verstehen!
Doch auch, wenn wir die Hände falten:
Zum Knien muss man doch erst mal stehen!
Gefallen sind wir längst zu Boden.
Wir können einfach nicht mehr stehen.
Soll´n auferstehen von den Toten?
Wir wollen JETZT vor Gott bestehen!
Lebensregeln
Lass´ die Zukunft erst kommen,
bevor du über sie unglücklich bist!
Lass´ die Gegenwart erst vergehen,
bevor du nicht mehr glücklich bist!
Lass´ die Zukunft erst kommen,
bevor du an der Gegenwart verzweifelst!
Lass die Gegenwart erst vergehen,
bevor du an der Zukunft verzweifelt.
So wie sich der Läufer an keinem einzigen Punkt
seiner Strecke, sondern nur in sich selbst befindet,
so begegnet der Mensch Glück und Unglück nicht
im Leben, sondern nur in sich selbst!
Lebensreife
Am Anfang hat er sein Bündel geschnürt
und geglaubt, es werde schon gehen.
Doch bald schon hat er den Zweifel gespürt
und geglaubt nur, man werde schon sehen.
Und schließlich hat ihn die Frage berührt:
Wie soll ich das nur überstehen?
Lebensrätsel II
Unser Leben ist ein Rätsel.
Die Lösung ist nicht Gott,
sondern sind wir selbst.
Es löst der Tod.
Gott ist das Rätsel,
unser Leben
samt dem Tod
als des Rätsels Löser.
Doch des Rätsels Lösung
bleiben wir,
ist er nicht.
Lebensrätsel
Mit dem Rätsel unseres Lebens geboren,
im Rätsel des Seins verloren,
zum Leiden auserkoren,
um ohne Lösung zu sterben.
Was soll das ständige Werden,
nur, um doch zu verderben?
Lebenssinn
Nun weißt du, wohin dich der Wahnsinn getrieben,
ein All voller Schweigen starrt dich an.
Im Blute siehst du dich selbst noch liegen,
dann fühlst du Starre und schweigst dich an.
Lebenssommer
Die Sonne hat Tränen in den Augen,
denn ihr Blick sticht.
Und wie ein Schleier
wirkt das Licht.
Der Geist zieht Lebensfäden
aus nie vernarbten Wunden
und spinnnt sich ein Erinnerungsnetz.
Müde spricht
das Lebensgefühl
nach verlorenem Spiel:
„Mehr war es nicht!“
Weit zieht die Seele hinaus
über verklärenden Traum,
doch sie kennt sich nicht aus
und verliert sich im Raum.
Kehrt nicht mehr nach Haus.
Dort schließt sich ein Fenster
und dahinter
immer mehr.
Lebensspiel
Ein jeder Tag ist einer zu viel.
Ich hasse dieses Lebensspiel:
den Lebenseinsatz für das Ziel,
es möglichst spät erst zu verlieren,
um es mit Qual um Qual zu zieren.
Wer ist der Spieler meines Lebens?
Ich will´s mir nehmen, doch vergebens:
Er setzt mir allzu hohe Hürden.
Soll ich noch Zweifel mir aufbürden?
Sie auszuräumen braucht viel Zeit.
Dann ist es ohnehin so weit.
Lebenstheater
Sinnenleicht verweht die Zeit
Hinter zitternden Kulissen
Schwermut taucht in Trunkenheit
Lippenblau enthaucht sich Wissen
Ein Versteck lügt vor dem Glück
Fiebernd fällt vor Todesküssen
Fluchenteiltes Haupt zurück.
Lebenstraum II
Das Leben ist ein Schlaf
mit einem In-sich-Traum,
in dem man schlafen darf,
um Träume anzuschaun.
Lebenstraum
Ein umrissloser Schatten legt
sich auf die zitternd zarte Seele.
Ein Schrei entringt sich deiner Kehle
und letzter Lebenshauch entschwebt.
Und vor dem Fenster welkt ein Traum.
Du bist nicht mehr, ihn anzuschau´n.
Lebenstraum
Geboren, um zu träumen,
sterben wir,
ohne ausgeträumt zu haben.
Stelle dir vor,
du wirst nur von Gott geträumt,
und wenn du stirbst,
erwachst du als dieser!
Lebenstrost
So wie wir manchmal im Traum
wissen, dass wir nur träumen,
können wir wachend vertrau´n:
Leben ist auch nur ein Schäumen.
Lebenstrug
Was anderes ist unser Leben
als unser rührendes Bestreben,
den sicheren Tod hinauszuschieben
und sicherem Leiden uns zu fügen,
indem wir uns damit belügen,
die Freuden könnten überwiegen?
Lebenstüchtigkeit
Man hat dich das Kämpfen nie gelehrt.
Doch die Welt ist voller Krieg.
Du hast nur mit Wut dich gewehrt.
Und Trotz führte scheinbar zum Sieg.
Dein Herz hast du über sie ausgegossen
und die Tränen in deine Seele geschickt.
Sie haben die Herzensgüte genossen
und das Blut noch aus dem Gewebe gedrückt.
Du hast dich in Höhlen verkrochen.
Doch man drang in jede ein.
Sie wollten Haut und Knochen
und traten die Seele klein.
Allein im Tod findet sich der Friede.
Daher scheuen sie ihn in der Kampfeslust.
Du bist schon fast tot in der Ohnmacht der Güte.
Was hält dich dann ab von dem Stich in die Brust?
Lebensweg
Der Lebensweg,
heißt es,
ist steinig.
Lass´ dich ab und zu nieder
und weine
und spiele mit den Steinen,
während du zum Himmel blickst
Lebensweisheit
Das Gefühl trügt.
Der Verstand lügt.
Hoffnung verfliegt.
Verzweiflung bedrückt.
Weisheit entrückt.
Klugheit verzückt.
Falschheit verstrickt.
Ehrlichkeit erstickt.
Bosheit zerkriegt.
Güte versiegt.
Sturheit verfügt.
Gleichmut missglückt.
Freude bestrickt.
Leid macht verrückt.
Nur Dummheit siegt!
Lebenswellen
Wellen entstehen und vergehen
als grenzenloser Teil des Meeres.
Wir erscheinen flüchtig im Leben
und vergehen in der Tiefe
unserer Substanz.
Lebenswert
Ein letzter Blick. Dann war's geschehen.
Er konnte nichts mehr wiedersehen.
Man reagierte nur verstört,
weil sich der Freitod nicht gehört.
So wenig war sein Leben wert!
Leid
Immer, wenn du traurig bist,
zeigt dir jede deiner Tränen,
die die Wangen abwärts fließt:
Wir sind glücklich nur im Wähnen!
Nicht, damit wir glücklich leben,
sind wir hier auf dieser Welt.
Gott hat uns das Leid gegeben,
ebenbildlich uns gestellt.
Wär´ er glücklicher als wir,
wär´ er nicht der Gott der Liebe.
Jesus zeigt: Im Leiden hier
spür´n wir Höheres als Hiebe!
Leiden am Leid (Lyrik)
Solang´ man lieber leidet,
als dass man aus dem Leben scheidet,
ist man doch eigentlich zufrieden
mit seinem Leben geblieben!
Leiden
Wir leiden, weil wir nicht begreifen.
Wir begreifen nicht, weil wir nicht begreifen können.
Wir können nicht begreifen, weil wir nicht begreifen sollen.
Wir sollen nicht begreifen, dass wir leiden.
Warum begreifen wir nicht,
dass wir nur leiden,
weil wir nicht begreifen?
Leidender Gott?
Oh Gott der Güte,
du bist nicht glücklicher als wir.
Das Leid verriete
sich sonst als bloße Allmachtsgier!
Bist du durch Leid auch selbst bestimmt,
ist's nicht die Allmacht, die´s nicht nimmt!
Wir leiden dann als Ebenbild.
Dein Blut aus Jesu Wunden quillt.
Das Leiden ist wie du erhaben,
wenn wir's, in dir geheilt, ertragen.
Denn heiler als du kann nichts sein,
und auch im Leiden sind wir dein,
in deiner Güte, nicht allein.
In dir ist Leid kein Übel, nein,
es ist Bewusstsein, tief und rein
und weit in dir, für uns zu klein!
Leidlos, doch blind
(Novembergedanken)
Die Bäume verschenken
ihr buntes Kleid an den Wind
und starren nackt
in den grauen Himmel. Kein Leid:
Es schützt sie die Leere,
die in die Tiefe sinkt!
Die Wärme wird sie tränken
in kreisender Zeit
und lichte Blüten schenken.
Doch sie sind blind.
Lenbach
In Nürnberg wohnte ich in der Lenbachstraße, benannt nach dem Münchener Maler, dem in München eine eigene Galerie gewidmet ist. Das ist mir von Kindesbeinen an geläufig.
Alle, die nicht in dieser Straße oder deren näheren Umgebung wohnten, sprachen, wenn sie diesen Straßennamen hörten, immer von der „Lenbacherstraße“ und schrieben „Lenbach“ mit „h“ nach dem „e“.
Sie wurden immer knallrot, wenn man darauf hingewiesen hatte, dass es sich bei dem Namensgeber der Straße um einen berühmten Maler handelt. Manche sind auch leichenblass geworden. Einige erwiderten, dass sie auch einen Malermeister kennen. Der heiße aber nicht Lenbach sondern Bachlehner und sei äußerst preisgünstig beim Küchenweißeln.
Ältere Akademiker schlugen sich mit der flachen Hand an die Stirn und stöhnten scheinbar indigniert: „Ach richtig! Dass ich den vergessen konnte, so einen berühmten Nürnberger!“ Wenn man darauf aufmerksam zu machen wagte, dass es ein Münchener Maler gewesen war, wiesen sie einen so generös wie barsch zurecht, dass, wenn er nicht Münchener gewesen wäre, er mit Sicherheit Nürnberger gewesen wäre. Denn schließlich sei ja Albrecht Dürer auch ein Nürnberger gewesen! Das war natürlich ein schlagendes Argument, und diese Leute waren dadurch schlagartig rehabilitiert. Der Schlag an den Kopf hatte es ohnehin bereits erahnen lassen
Letzte Wonne
Zum Abschied schien die Abendsonne.
Er dachte sich: „Auch die geht fort.
Im Leben bleibt nur eine Wonne:
die letzte!“ Für ihn war´s Selbstmord.
Letzter Atem
Blase deine Kerze aus,
binde einen Blumenstrauß
aus den Rosen in dem Rauch!
Alles schuf dein Atemhauch.
Letzter Augenblick
Ich sehe durch die Tränen einen Regenbogen
und höre die Gesänge der Sirenen.
Ich spüre Luft, so leicht
wie süßes Sehnen,
und atme schwer die Seele aus,
die schwingungslos mich nun erstickt.
Das also ist der letzte Augenblick!
Letzter Fluch
Das Leben ist grausam, sadistisch und hundsgemein.
Verflucht, geboren, verflucht, noch nicht tot zu sein!
Doch auch der Tod führt ja keine Erlösung herbei:
Man kann sie ja nicht mehr empfinden, was immer dann sei!
Auch wenn wir uns vom Leben trennen können:
es mag uns dies als letzten Fluch nur gönnen!
Letzter Fluch
Ich hungere nicht,
zynische Notwendigkeit,
nach dem bitteren Leid,
das ich in mich hineinfresse,
und das mich verzehrt.
Und ich dürste nicht,
zynische Notwendigkeit,
nach den brennenden Tränen, die meine bebenden Lippen benetzen
und schmecken wie das Salz der Meere dieser Welt,
aus denen wir geboren sind.
Aber ich hungere,
süßer Trotz,
nach dem Gift der Melancholie
und dürste,
süßer Trotz,
nach dem Blut,
das ich speie,
als meinen letzten Fluch.
Letzter Urlaubstag 1992
Spätem Tag im warmen Rot
atemlos das Morgen droht.
Stille Flur bannt letzten Blick.
Sorgen reißen ihn zurück.
In das bange Nachtgemüt
traumverirrt das Glück verglüht.
Letztes Unwissen
Ins Leben gezwungen,
um Glück gerungen,
vom Leid geknickt,
in den Tod geschickt.
Das Leben konnten wir nicht wählen.
Den Tod zu wählen, steht uns frei.
Doch lassen wir uns lieber quälen,
weil niemand weiß, was Totsein sei.
Letztmals
Da fiel er letztmals wieder hin.
Das Feld war nass und zeigte seine Spuren.
Ein kühler Wind strich seine Stirn.
Der Nebel überzog die Fluren.
Und aus der Ferne und vom Himmel
dröhnt pausenlos Verkehrsgetümmel..
Leute
Zwischen den Leuten
in ständig gleichem
Kommen und Geh´n
bleibt ein
Verlorener steh´n.
„Ohne Bedeutung,
nur aus Verseh´n“,
denkt jemand
im Vorübergeh´n,
ohne aufzufallen.
Licht?
Ich trage mein Licht in die kalte Nacht
und schließe meine feuchten Augen.
Und, dass mich jemand überwacht,
das fällt mir schwer, zu glauben.
Der Traum ist nur ein wirres Spiel
aus unaussprechlichen Gedanken.
Ich wache auf mit dem Gefühl
rundum herabgelassener Schranken.
Mein Licht ist irgendwann verglüht.
Am Himmel steigt die Helligkeit.
Um Licht ist diese Welt bemüht.
Ach, schwebte ich aus dieser Zeit!
Licht an – Licht aus
Was geht es die Natur denn an,
wenn du ganz einfach nicht mehr bist?
Sie hat dich zwar hervorgetan,
doch nicht, dass sie dich je vermisst!
Gesteh´ dir ein: Was ist schon Sein?
Es geht sich selbst doch gar nichts an.
Es kann nicht sein für sich allein,
da es nur irgendwie sein kann.
Ob's nicht, ob´s so, ob´s anders ist:
Wogegen fällt es ins Gewicht?
Ein jedes Maß setzt Sein voraus.
Für´s Sein und Sosein fällt es aus.
Drum mach dir doch aus dir nichts draus!
Dein Licht ging an, dein Licht geht aus.
Licht der Nacht
Mir ist es Melodie,
das Licht des Mondes
und der Sterne – wie
der Wind,
der stille, klingt
im Silber solcher Nacht.
Mir ist, als wär´ im Traum
ich nur erwacht.
Ach, würde es nie Tag,
nie diese Helle – Schein,
den ich nicht mag -
so wach,
im Inneren so schwach.
Da sehn´ ich mich
nach schwarzer Melodie -
Melancholie.
Ach, wär´ ich doch
geträumt nur wach!
Licht und Finsternis
Die Sonne mag strahlen, unerbittlich:
Das Leben ist finster, nur Dummheit macht glücklich.
Belogen, betrogen, geschlagen, gequält:
Das sei, so heißt es, nur die Hälfte der Welt.
Und fragt man, wohin denn der Tod gehört,
dann heißt es, dass er nur die Leiden zerstört!
Und fragt man, warum erst der Tod glücklich macht,
dann heißt es, ein Gott habe es so vollbracht.
Ich halte dagegen: Gott ist nicht dumm,
er lässt uns leiden und kennt kein Warum
und lässt uns fragen, um uns nichts zu sagen.
Denn er nur ist darüber erhaben!
Licht
Es ist so fern, als wär´ es nicht.
Wir sehnen uns nach ihm: nach Licht.
Das, was uns scheint, das ist es nicht,
ist unsere traumverklärte Sicht!
Ach, Finsternis, wir wissen nicht:
Bist Du das unerkannte Licht?
Aus welchen Tiefen aber bricht
in uns empor der Drang nach Licht?
Lichtblick?
Sammle eine Handvoll
Blicke
und wirf sie in die Luft:
Sie regnen als Tränen nieder.
Lichtblicke
Du siehst sie zwar gern an,
dein Blick aber ist verhangen
und dann wieder, tagelang,
erlischt er, im Finstern gefangen.
Mitunter lächelt dich eine
von diesen Blumen an,
ganz einfach so, wie reine
Vergessenheit das nur kann.
Du lächelst zurück und blickst nieder
in stiller Seligkeit.
Dann trüben die Blicke sich wieder,
und die Finsternis ist nicht mehr weit.
Lichtlein
In der erlittenen Finsternis
voll Tränen und voll totem Blut,
da gibt es einen kleinen Riss:
Ein Fünkchen Licht ist´s,was dort ruht.
Und gehst du auf das Lichtlein zu,
erlischt es, denn es ist wie du:
bestimmt nur für die Todesruh´.
Lichtschein
Ob Gott, ob nicht:
In deiner Seele spricht
ein Sehnen.
Du brauchst Licht,
bist frei,
den Schein zu nehmen,
ein Lächeln ins Gesicht.
Liebe II
Ich reiche dir silberne Trauben mit beiden Händen.
Du schlägst sie zu Boden und lässt auch mir selbst sie nicht schenken,
zertrittst sie, dass Tau und Saft sich mit Staub vermengen
und die Tränen durch die augenverhüllenden Hände drängen.
Liebe?
Da stehst du wieder da,
und alles ist verloren.
Der Tod ist wieder nah.
Ach, wärst du nicht geboren!
Da hilft kein Mensch, kein Gott.
Wir alle sind allein.
Und Liebe ist nur Spott:
Sie zahlt Vertrauen heim.
Liebesillusion
Du glaubtest,
Liebe habe mit Wahrhaftigkeit zu tun,
und schenktest dein Vertrauen.
Dir war ein wunderschöner Blumenstrauß geglückt,
du hattest ihn ein ganzes Leben lang gepflückt.
Du wolltest Freude schenken,
gewiss auch Liebe auf dich lenken.
Jetzt hältst du ihn,
grausam zerpflückt,
zitternd in deinen Händen.
Du starrst in ein Gesicht,
das vorgebeugt
vom Blatte liest.
Bogen für Bogen
legt die ruhige Hand zur Seite.
Die Tage deiner Lebensfreude
vernimmst du Blatt für Blatt.
Und als der abgelegte Pack
zum Schluss geordnet wird,
da heißt es: Illusionen!
Lob des Alleinseins
Wie bin ich frei, allein zu sein
mit mir als allerengstem Freund!
In Freud und Leid bin ich mir mein,
der mit mir denkt und spielt und träumt.
Da geb´ ich mich mit mir zufrieden,
kann ohnehin kein anderer sein.
Soll´n andre streben, hassen, lieben!
Ich dien´ nicht, herrsch´ nicht, bin allein.
Ich setz´ mich unter einen Baum
und brauch´ mit mir nicht mitzuhalten,
verstell´ mich nicht und kann mir trau´n.
Ich muss nicht Innen und Außen spalten.
Auf Feste brauch´ ich nicht zu gehen.
Ich spiel´ allein Harmonika
statt gut für andere auszusehen
und nur zu hören: Blablabla!
Logelei (Eilogel)
Könnte ein versehentlicher Rülpser
durch Entschuldigung wieder gutgemacht werden,
wäre ein versehentlicher Nichtrülpser
durch Entschuldigung nicht mehr wiedergutzumachen,
sondern nur durch einen versehentlichen Rülpser.
Im Gegensatz dazu
wäre ein versehentliches Nichtabfallen des eigenen Kopfes
durch bloße Entschuldigung wiedergutzumachen,
da ein versehentliches Abfallen des eigenen Kopfes
durch Entschuldigung,
die ja dann nicht mehr ausgesprochen werden kann,
nicht mehr gutgemacht werden kann.
Logik
Welchen Grund hat denn ein Grund?
Welchen Sinn hat dann ein Sinn?
Gib´ dem Sein nur einen Grund:
ist er außerhalb dahin!
Gib´ dem Sein nur einen Sinn:
ist auch er im Nichts dahin!
Kann das Sein denn selbst auch sein,
ohne sich vorauszusetzen?
Unsere Logik sagt klar: Nein!
Auch das Nichts muss sie verletzen:
Gibt´s nicht, müsst´ ja sonst was sein!
Gibt´s kein Nichts, dann auch kein Sein.
Beides gibt es nicht allein.
Wie ja auch bei Ja und Nein.
Gegensätze bedingen sich.
Hell wäre es nicht, wäre überall Licht.
Gäb´ es einen letzten Grund:
Warum ausgerechnet diesen?
Warum solchen überhaupt?
Gib´ mir eine Antwort kund,
wo Begriffe nicht zerfließen!
Logik ist dann nicht erlaubt.
Gäb´ es einen letzten Sinn:
Gleiches gälte auch für ihn!
Was ist an der Wahrheit wahr?
An der allerletzten gar?
Von der letzten Unwahrheit
trennt sie nichts mehr weit und breit!
Lug und Trug
Unerbittlich scheint die Sonne.
Schweres Licht voll Untergang.
Mein Gemüt stöhnt gänzlich ohne
Lebenslust den Abgesang.
Welt, es gibt dich nur als Hölle!
Lass mich sterben auf der Stelle!
Fluch sei jedem Paradies!
Lug und Trug nur sind gewiss.
Ländliche Idylle
In den Schatten der Gärten
ducken sich die Wartenden.
Moosige Gräber ziehen sich den Hang hinan.
Im Dorf regt sich der Ausflugsverkehr.
Silberner Baum
trocknet vor der Kirche.
Kein Luftzug unter dem gnadenlos brütenden Himmel.
Es schweigen die Vögel.
Vor deinen Augen lässt du Hoffnungen vergehen.
Ländlicher Herbst
Vor allen Türen kehren sie das Laub.
Ein Blinder, der die Besen nie geschaut,
fegt mit dem Stock; es raschelt nicht so laut.
Lärmzeitalter
Nie, nie und nimmer wird
der Lärm von Tag und Nacht
dir die Gedanken gönnen,
die man als still belacht
und man sich nicht mehr macht
Man ist nur in sich
Ach, gehe nur fort und frag´ nicht, wohin!
Ob hier oder dort, es hat keinen Sinn.
Du wirst dich nicht finden, nur immer den Schatten
bei Sonnenschein, sonst auf der Suche ermatten.
Die Anderen, ja, in ihnen vielleicht
erkennst du gar Manches von dem, was dir gleicht.
Doch wollen sie dich nur genau so wie sich
und lassen dich bei der Suche im Stich.
So ziehst du dich in dich selber zurück
und findest dich dort und brauchst sonst kein Glück.
Manum sibi afferre
Weh´, wenn die Macht über Leben und Tod
wird zur Verführung in letzter Not,
wenn auf dem Pulse das Messer ruht,
um zu befreien das pochende Blut,
dann zu treffen das Herz und den Hals!
Nur ein Ruck trennt vom Nichts dich, und falls
falsch du gehandelt, plagt kein Gewissen:
nie und nimmer wirst du's doch wissen!
Los, du musst einmal ohnehin sterben!
Wirst aber, erlöst zu sein, nicht mehr merken.
Auch wird man über dich nicht gut reden!
Willst du denn nicht nur ein Zeichen geben?
Nimmst dich zu wichtig, um weiterzuleben?
Wehe dir, Hand an dich vorschnell zu legen!
Maria-Hilf-Berg in Amberg
Kahles Geäst im kalten Licht
kurz aufgeklarten Abendhimmels.
Glitzernde Nässe in glasklarer Luft,
unruhige Fetzen schneidenden Windes.
Gewaltig dunkelt von ferne erneut
schwarzblaues Wolkengebirge herauf.
Trotzig gehen drunten in der Stadt
die ersten Lichter auf.
Sonst lädt nach dem weiten Blick
die Kirche hier oben zur inneren Sicht.
Heute nicht:
Abweisend starrendes Gemäuer,
nassgedunkelt, wetterdicht,
damit das kleine Kerzenfeuer
im Inneren ewig nicht erlischt..
Maria-Hilfe-Berg II
Am Kreuzweg fällt mir nichts mehr ein.
Gedankenstumm auch in der Kirche,
lass ich ein Bittgebet doch sein.
Und am Kalvarienberg befürchte
ich, dass es bleibt so auch daheim.
Masse
Draußen
vor dem Haus
stehen sie,
einer wie der andere,
keiner ohne den anderen.
Draußen
vor dem Haus
lachen sie,
einer wie der andere,
keiner ohne den anderen.
Draußen
vor dem Haus
meinen sie,
einer wie der andere,
keiner ohne den anderen.
Draußen
vor dem Haus
streiten sie,
einer wie der andere,
keiner ohne den anderen.
Endlich
trete ich
vor die Tür
und frage
unhörbar:
„Wofür?“,
trete weiter hinaus
und frage
einen wie den anderen,
keinen ohne den anderen,
unhörbar aus.
Masse
Anderen nachlaufen wie ein Schaf,
andere nachahmen wie ein Aff`,
immer schön Ja sagen wie ein Esel,
so eine Viecherei liebt der Schnösel.
Meditation
Einfach dasein.
Leid und Freude kommen erst danach.
Spüren, dass das Sein etwas Gegebenes,
aber nicht Fassbares ist.
Spüren, dass man darin allein nicht aufgeht.
Freud´ und Leid mögen kommen und gehen!
Ist nicht auch das Leben einfach
so gekommen und geht wieder?
Es geht nicht in sich auf:
Es fragt und antwortet,
aber bleibt letzte Antworten schuldig.
Gegeben, nicht fassbar,
ungefasst wieder weggefasst!
Freude und Leid einfach so,
ein Fegen hin und her,
durch wen?
Einfach dasein,
jetzt und so und
ganz genau so nur allein!
Privileg? Gott nur zum Schein?
Meer, Himmel, Möwen
In einem Traum vielleicht
von Meer, Himmel und Möwen
denkst du an Menschen,
wenn sich die Schaumkronen der Wellen
als Federwolken im Himmel spiegeln.
Sind es Hirnknäuel des Scheins
aus verbundenen Träumen,
überbelichtete Klecksgestalten
aus Sein und Nichts?
Sinnüberreizt,
umschweben dich Augenpaare.
Eines verharrt und starrt,
sich vergrößernd, dich an.
Dir fallen die Lidschläge auf.
Ein Tier schaut dich an,
verbundenes Bewusstsein
im Blickkontakt.
„Doch das Bewusstsein des Menschen“,
gibst du zu verstehen,
„ist die Spiegelung der Unendlichkeit“.
„In seiner Sinnlosigkeit
nur die Selbstbespiegelung des Nichts“,
entgegnen die schwindenden Augen.
Und es hallt:
„Der Traum einer höheren Wesenheit!“
„Nein“, flüstert es neben dir,
„wie die Wahrnehmung des Tieres
die Erfassung der Umwelt
durch ein nicht bewußtes Inneres,
so ist das Selbstbewusstsein des Menschen
die Wahrnehmung des Seins
durch die unfassbare Transzendenz“.
Aufblickend zum nächtlich gewordenen Himmel
schauderst du bei dem Gedanken,
das Leben könnte
die Planetenbahnen des Körpers
im Kraftfeld der Seele
um eine Idee
sein.
Mein Grabspruch
(wenn ich ein Grab wollte, worauf ich pfeife!)
Verfluchtes Leben,
das Kotzen nicht wert,
den Teufel erlegen,
der sich nicht darum schert,
dass Gott sich ergeben
zu ihm hat bekehrt!
Mein Leben
Ich hab´ mein Leben wie ein Buch geschrieben
und selber vieles dazu angemerkt.
Natürlich ist es unlesbar geblieben.
Und doch hab´ ich den Einband noch verstärkt.
Ich schlag´ ihn auf und blättere dahin.
Da fällt ein altes Zettelchen heraus.
Drauf steht die Frage, ob ich denn noch bin.
Sie stammt von mir als Kind. Mit einem Strauß
gemalter Blumen schreibe ich zurück:
Ich weiß es nicht. Und du? Grüßt uns kein Glück?
Mein Leben
Ich hab´ mein Leben wie ein Buch geschrieben
und selber vieles dazu angemerkt.
Natürlich ist es unlesbar geblieben.
Und doch hab´ ich den Einband noch verstärkt.
Ich schlag´ ihn auf und blättere dahin.
Da fällt ein altes Zettelchen heraus.
Drauf steht die Frage, ob ich denn noch bin.
Sie stammt von mir als Kind. Mit einem Strauß
gemalter Blumen schreibe ich zurück:
Ich weiß es nicht. Und du? Grüßt uns kein Glück?
Mein Lebenslauf
Geboren worden bin ich ausgerechnet am 26.3.1944 in Bamberg, obwohl für meine Geburt schon vorher 3 Millionen Jahre zur Verfügung gestanden hatten und auch danach noch jede Menge Zeit verblieben wäre, und obwohl auch woanders zumindest auf der Erde viel Platz gewesen wäre. Ich wurde ungefragt geboren und daher entgegen meiner Langschläfergewohnheit schon in Allerherrgottsfrühe. Mag auch sein, dass umgekehrt mein unendliches Schlafbedürfnis noch auf diesen Frühstart zurückzuführen ist. Darüber, warum und wozu ich geboren worden bin – außer, um zu sterben -, rätsele ich noch heute und werde dies wohl ebenso wie Grund und Zweck meines Todes – eines Geburtsfehlers? - nie erfahren. Ich habe den Verdacht, dass alle Fragen nur so eine Eigenart des Gehirns sind. Da sie das Gehirn selbst beantworten müsste, dreht sich alles Denken im Kreise oder führt in Sackgassen. Unsere sinnlose Sinnsuche und unser nicht zu befriedigender Wahrheitsdrang lassen uns unser Leben als Tierquälerei und alles, was wir erleben, als Fehlkonstruktion erscheinen. Die meisten Leute stört das allerdings nicht besonders. Mit meinem Lebenslauf hat das insofern etwas zu tun, als vielleicht manches anders gelaufen wäre, wenn ich mir weniger Gedanken gemacht hätte. Hätten sich die meisten allerdings mehr Gedanken gemacht, wäre mein Geburtsdatum wohl nicht in die Zeit eines Wahnsinns aus dem Formenkreis des gesunden Volksempfindens gefallen.
Kurz nach meiner Geburt, lange bevor ich mir meines Lebens überhaupt bewusst war, sollte ich schon wieder sterben. Dass mich der Steinquader, der sich aus dem Deckengewölbe des Luftschutzkellers bei einem Bombenangriff löste, nicht traf, habe ich meiner Großmutter zu ver – dank (?) - en, die sich – vom Schicksal offenbar nicht bedacht – geistesgegenwärtig über den Wäschekorb warf, in den ich gebettet war. Apropos Schicksal! Diese Szene beobachtete zufällig ein Mädchen, drei Jahre jünger als meine Mutter. Es wohnte in einer ganz anderen Stadt und wurde etliche Jahre später an einem ganz anderen Ort rein zufällig die zweite Ehefrau meines Vaters. Aber was ist eigentlich nicht Zufall? Wenn ich jetzt meinen Kugelschreiber wegwerfe, fällt er irgendwo zu Boden, nicht erst wegen des Gesetzes der Schwerkraft, sondern weil ich zufällig auf diese Schnapsidee gekommen bin, ja überhaupt schon, weil es zufällig einen Urknall gegeben hat, nach dem sich zufällig alles in Richtung auf jede Gegebenheit und jede Begebenheit entwickelt hat. Das kann man natürlich auch Gesetz nennen, aber eben auch Zufall. Womit wir wieder bei der Geburt sind und sich ein Eingehen auf die bloßen Einzelheiten des übrigen Lebenslaufes erübrigt. Es war schon überflüssig genug, die Geburt bei der Schilderung des Lebenslaufes zu erwähnen, so dass sich diese Schilderung eigentlich in einem beredten Schweigen hätte erschöpfen können, was – unverschwiegener Teil des Lebenslaufes – nun nicht mehr nachgeholt werden kann.
Mein Wille
Das Bewusstsein eines Traumes
in einer von den Alten
gedichteten Stille.
Die Ruhe inneren Schauens
aus einer von den Alten
gemalten Idylle.
Mein Wunsch
Gedanken sind Ursprung der Werke.
Der Glaube versetzt sogar Berge.
Und Schwäche sowohl wie Stärke
bereiten uns das Gefühl.
Der Wille setzt das Ziel.
Der Wahn sowie der Traum
verlassen Zeit und Raum.
Ich wünsche mir ein Sein,
ganz mit mir selbst allein
beim Vater Gott daheim.
Meine Bitte
Ich gebe euch alles,
nur lasst mir mich!
Meine Melodie
Ach, wäre Stille, Todesstille
für meine Melodie:
Melancholie!
Ach, wäre Stille, Herr, Dein Wille
mir letzte Melodie:
Melancholie!
Ach, wäre Stille, Todesstille
wie diese Melodie:
Melancholie!
Meine Memoiren
(Erinnerungssplitter aus der Kindheit)
Bamberg
Früheste Erinnerung. Ein Schlafzimmer am Morgen. Ich lag in einem Doppelbett. Links in einiger Entfernung die Fenster, die mit Pappendeckel abgedichtet waren. In Blickrichtung, unweit der unteren Bettkante, die Türe. Links daneben ein Schrank.
Die Tür geht auf. Ein Mann steht da, in Uniform, Papa. Wusste ich es oder sagte man es mir? Es musste noch vor Kriegsende gewesen sein. Und erst im Jahr vorher wurde ich geboren.
Ebelsbach bei Bamberg
Ich sitze am Schreibtisch vor dem Fenster. Der Blick fällt auf gegenüberliegende Häuser.
Ein riesengroßer Zeppelin schwebt von rechts nach links durch die Straßenschlucht.
Ich eile nach links aus dem Zimmer, um die Beobachtung meiner Mutter oder Oma mitzuteilen.
War es ein Werbezeppelin am Himmel, den ich in meiner Faszination direkt vor das Fenster holte?
Ich stehe – höchstens vier Jahre alt – an der Straßenseite des Hauses, in dem wir wohnen, links neben dem Eingang im Spielsand hinter einem kleinen, niedrigen Mäuerchen, dass rechts neben mir im rechten Winkel zur Hauswand abknickt, der ich den Rücken zukehre.
Mit einem Spielschäufelchen schlage ich unentwegt auf die Maueroberfläche. Mich fasziniert der Widerhall von der gegenüberliegenden Straßenseite her, wo eine Mauer mit einem großen Tor einen dreiseitig umbauten Bauernhof abschließt. Aus meiner Versunkenheit reißt mich schließlich der Tadel meiner Oma, die den Lärm offenbar sogar im Haus nicht mehr ertragen kann. Oder habe ich darauf gewartet, dass sie aufmerksam wird?
Ebelsbach ist vom Nachbarort Eltmann durch den Main getrennt. Die verbindende Brücke wurde im Krieg (um das Vordringen der Amerikaner zu erschweren) gesprengt und nach dem Krieg durch eine behelfsmäßigen Hängebrücke ersetzt. Bei deren Begehung stand ich große Ängste aus, weil sie schwankte, und hatte noch Jahrzehnte Albträume von dieser „Wackeltbrücke“ über das mir als endloses Meer erscheinende Wasser des Mains.
Bei Eltmann befand sich ein Turm, den wir einmal besuchten, um die Aussicht zu genießen. Ich hatte große Scheu, durch die Lücken zwischen den Zinnen zu schauen, da ich nicht schwindelfrei bin. Brutal hob mich mein Vater in die Höhe und hielt mich mit ausgestreckten Armen zum Turm hinaus, so das mein Körper über dem Abgrund baumelte. Das war ein Schock, den ich nicht verarbeiten konnte.
Im Kindergarten stand eine Jesuskrippe am Fensterbrett. Vor ihr mussten wir uns allmorgendlich zum Gebet in einer Reihe aufstellen, in der in jedem Glied zwei Kinder nebeneinander standen. Nach dem Gebiet mussten wir eine mitgebrachte Bettfeder in die Krippe legen.
Eines Tages bemerkte ich, dass der Bub links neben mir sein kleines Geschäft in die Hose machte, so dass sich eine Lache am Boden bildete. Ich wich zur Seite aus, wurde aber wieder zurückgezogen, stand schließlich selbst vor der Pfütze, wurde gegenüber der aufmerksam gewordenen Schwester als der Übeltäter verdächtigt und von dieser vor die Tür gewiesen, um mich zu schämen.
Ich weiß nicht mehr, wie ich meiner Wut und Verzweiflung im einzelnen Ausdruck verliehen habe, glaube mich aber zu erinnern, dass ich nach dem Rausschmiss auch noch einmal vor der Türe zurechtgewiesen worden bin. Jedenfalls bleibt es mir unvergesslich, dass ich schließlich den triumphalen Entschluss fasste, eigenmächtig heimzulaufen und nie wieder zurückzukehren.
Tatsächlich gelang es mir zuhause, mich gegenüber meiner Oma und meiner Mutter durchzusetzen und nie wieder den Kindergarten zu besuchen. Fürsorglich versorgte mich meine jüngere Schwester mit kleinen Spielstäbchen, die sie mir aus dem Hort in ihrer Schürzentasche mitbrachte. Irgendwie kam es lediglich nur noch dazu, dass ich zu Weihnachten ein Geschenk vom Nikolaus im Kindergarten mit meiner Oma und meiner Mutter abholte, ein quadratisches Holzbrett mit sternförmig angeordneten Vertiefungen zum Auslegen mit glitzernden, farbigen Kugeln. Das kann aber auch schon vor meinem trotzigen Entschluss gewesen sein. Als sich etwa fünf Jahre alt war, zogen wir in ein kleines Dorf – Lindelburg bei Nürnberg – um, wo es ohnehin keinen Kindergarten gab.
Hatte die Kindergartenschwester nicht geprüft, ob meine Hose nass war? War ihr die Nässe an meinem Nachbarn nicht aufgefallen? War ich doch der Täter, ohne dass ich es gemerkt hatte? Verfälschte sich die Erinnerung? Ich glaube nicht, ich habe nie daran gezweifelt, ungerecht behandelt worden zu sein. Auch fiel zuhause nicht auf, dass meine Hose durchnässt gewesen wäre.
Es in diesem Dorf, von dem wir wegzogen, als ich fünf Jahre alt war. Das Haus, in dem wir wohnten, lag an der Hauptstraße, am Fuße des Ebelsberges.. Im Erdgeschoss befand sich eine Gastwirtschaft („Zum Ebelsberg“). Im Obergeschoss wohnten wir rechts, links eine andere, kriegsgeflüchtete Familie
.
Ich saß auf der letzten Treppenstufe mit Blick auf den Zwischenabsatz des Treppenaufganges, wo sich die Aborte befanden, und hatte eine bestimmte Mütze meiner Schwester aufgesetzt. An dieser baumelten nämlich zwei dickgeflochtene Schnüre, die eigentlich zum Zusammenbinden unter dem Kinn bestimmt waren, von uns aber gerne als Haarzöpfe hängen gelassen und kokett über die Schulter nach hinten geworfen oder von dort nach vorne gezogen wurden, wie wir es bei beneideten Mädchen mit Haarzöpfen beobachtet hatten.
Als ich so dasaß, kam einer der Buben der Nachbarfamilie aus der Wohnung. Er war jünger als ich und fragte mich, ob ich mit ihm nicht etwas spazierengehen wolle. Ich lehnte ab, und er ging alleine weg.
Am Abend erfuhren wir das Entsetzliche: Der Bub war vom Zug überfahren worden! Auf der kleinen Steinbrücke am Dorfrand, unter die ein von uns so oft benutzter Spazierweg hindurchführte. Das herabgeronnene Blut war seitdem deutlich am Gemäuer zu sehen.
In meiner möglicherweise verfälschten Erinnerung hatte ich den Bub gewarnt, zum Bahngleis zu gehen, und er hatte mir versprochen, dies nicht zu tun.
Wir liefen in dieser Nachkriegszeit abends oft zum Bahndamm. Auf der Wiese rechts nach dem Brückchen warteten wir und in großen Abständen viele andere Dorfbewohner am Fuße der Bahnböschung auf Züge. Die Zeit vertrieben wir uns mit dem Sammeln bestimmter Wiesenblätter, aus denen man einen Salat zubereiten konnte. Wenn dann endlich hoch oben ein Zug vorbeidampfte, klatschten wir mit den erhobenen Händen und schrieen immer wieder: „Bitte, bitte Kohlen!“ Von der Dampflokomotive wurden dann schaufelweise Kohlen die Böschung hinab geworfen, auf die wir uns dankbar stürzten, denn sie benötigten wir als Brennmaterial.
Lindelburg bei Nürnberg
Etwa von meinem fünften bis zu meinem achten Lebensjahr lebten wir auf einem kleinen Bauerndorf bei Nürnberg (Lindelburg). Mein Vater war dort Lehrer. Wir wohnten daher im Schulhaus zwischen dem oberen und dem unteren Dorfteil.
Zur Kirchweih, die dort nicht mehr – wie in Nürnberg – „Kerwa“, aber auch noch nicht – wie in der nahen Oberpfalz – „Kirwa“, sondern mit fränkischem Anklang, oberpfälzisch gedehnt „Keawa“ heißt, brachten die Kinder aus dem Dorf als traditionelles Geschenk der Bauern an den Lehrer die typischen „Köichla“, hohle viereckige Kissen aus dünnwandigem Schmalzgebäck, mit Puderzucker überstreut. Diese wurden sorgsam mit Tüchern überdeckt, aus Tragekörbchen überreicht. Es kamen so viele zusammen, dass sie von uns gar nicht alle aufgegessen werden konnten und daher, soweit sie von Bauern stammten, die nicht als sauber galten, im Garten vergraben wurden.
Wenn die „Keawaboum“(Kirchweihbuben) den am Kirchweihsamstag auf dem Festplatz aufzustellenden und mit den „Keawamoila“ (Kirchweihmädchen) zu umtanzenden „Keawabaam“ (Kirchweihbaum) - eine lange, bis auf eine kleine Krone entästete Fichte oder Föhre - in der Nacht davor mit dem Pferdegespann aus dem Wald einholten, zogen sie die ganze Nacht über gröhlend durchs Dorf. Mit besonderer Vorliebe verweilten sie vor dem Schulhaus, um sich mit ihren derb-ordinären Kirchweihliedern („...scheiß ma af die Keawa nöi“) einmal so richtig vor dem Lehrer auszulassen. Wir Kinder wachten davon natürlich auf, und das höllische Geschrei der völlig betrunkenen Horde war uns gar nicht geheuer. Umso befreiender war unser Gelächter, als unserer Oma, mit der wir in einem Zimmer im Obergeschoß schliefen, einmal der Geduldsfaden riss und sie mit Hilfe des Nachttopfes Wasser aus dem Fenster nach unten schüttete, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Mein Vater, der von meiner in Nürnberg arbeitenden und wohnenden Mutter getrennt lebte und im Erdgeschoß ein Zimmer bewohnte, mag sich gewundert haben, was plötzlich in die Kirchweihburschen gefahren war, dass sie abzogen.
Die Kirchweih wurde hauptsächlich beim unteren Wirt gefeiert. Dort waren auch zwei bis drei Buden aufgestellt, an denen sich die Kinder mit ihrem von den Eltern erhaltenen Kirchweihgeld mit allerlei Krimskrams versorgen konnten. Da gab es beispielsweise die begehrten Kinderarmbanduhren, kleine goldglitzernde Gehäuse, an denen man die Zeiger nur gemeinsam in einem festen Winkel drehen konnte, mit einem grellgrünen oder roten Gummiarmband, das sich schnell verzog und verschob. Eine solche Uhr hatte ich einmal in unserem Garten an einen Fliederbusch gehängt. Als ich sie wieder holen wollte, war sie nicht mehr aufzufinden. Es hieß damals, eine Elster aus einem Nest, das man auf einem Baum eines nahen Wäldchen sehen konnte, müsse die Uhr gestohlen haben – eine Erklärung, die mich lange Zeit beschäftigte.
Einmal war zur Kirchweih auch eine Schiffsschaukel aufgestellt. War es schon faszinierend genug, vor allem die mittlere Überschlagsschaukel mit gespannter Aufmerksamkeit zu verfolgen – wenn sie nach hartem Bemühen eines verwegenen Burschen endlich mit diesem kopfunten für Sekunden kieloben starr in die Luft ragte, um dann womöglich doch wieder zurückzufallen -, so zog mich doch vor allem die Begleitmusik der Drehorgel in ihren Bann. Stundenlang saß ich auf dem grasbewachsenem kleinen Hügel, der einen Kellereingang umgab, und berauschte mich an dem maschinell exakt betonten Takt, den schwerfällig und doch immer noch gerade rechtzeitig in den Rhythmus einhakenden Melodien und vor allem an den immer wieder genau wiederkehrenden, für sich allein seltsamen Tonfolgen, die den Melodien als verzierendes Begleitmuster untergelegt waren und sie verbanden. Dieser Hörgenuss hat mein Musikverständnis bis heute geprägt. Der Takt sowie das musikalische Gerüst und die Umrankungen sind mir wichtiger als die Melodien.
An der Sprache der Bauern faszinierten meine Schwester und mich vor allem die ordinären Ausdrücke, die wir zuhause nicht gebrauchen durften: „Oasch“ (Arsch) statt „Poppers“, Maul statt Mund, scheißen statt „A-A“-machen, fressen statt essen, saufen statt trinken usw.
An Ostern waren wir mit meiner Oma einmal beim „Buachamoista“ (Bürgermeister), um irgendein landwirtschaftliches Produkt zu kaufen oder abzuholen. Plötzlich forderte uns Kinder der Bürgermeister jovial und bedeutungsvoll und in aller Selbstverständlichkeit seines Wortschatzes auf: „Göiht amoal miit in´n Schtool. Viellöicht hout eich da Hoos wos gschissn! - Geht einmal mit in den Stall, vielleicht hat euch der (Oster -) Hase etwas geschissen!“ Tatsächlich fanden wir im Stall ein Osternest, in das der Osterhase Eier und anderes gelegt hatte.
Der Stall befand sich in den Bauernhöfen des Dorfes in altbayerischer Tradition (baier. Nordgau) – anders als in den fränkischen Dreiseithöfen – jeweils im hinteren Bereich des Wohnhauses, das, aus Sandstein gebaut, nur erdgeschossig und mit einer strengen Raumaufteilung errichet war (Wohnstube nach dem Eingang hofseitig, dahinter die Küche, gegenüber der Wohnstube die Wirtschaftsstube, im Dachgeschoss das Schlafzimmer und die Gesindestube). Wasserbrunnen und das „Scheißheisl“ (Plumpsklo) befanden sich außerhalb.
Die Schürze meiner Schwester wurde einmal von einer Bäuerin bewundert: „Jo, woos houst denn du heit fian schöina Fleeck o! - Ja, was hast denn du heute für einen schönen Fleck an!“ Meine Schwester suchte erschrocken nach einem Fleck auf ihrer frisch gewaschenen Schürze. Es stellte sich heraus, dass im Dialekt mit „Fleck“ die Schürze selbst bezeichnet worden war.
Ich habe die Welt in meiner Kindheit teilweise noch in einem so untechnisierten Zustand erlebt, wie er sich seit Jahrtausenden nicht wesentlich geändert hatte.
So lebte ich in der Nachkriegszeit unter anderem in einem entlegenen kleinen, schmutzigen Dorf (Lindelburg bei Nürnberg, 1949-1952) mit unbefestigten und unbeleuchteten Wegen ohne Kanalisation, auf denen ein Auto eine ausgesprochene Seltenheit war, mit jahrhundertealten, gedrungenen, im Inneren düsteren und stickigen Bauernhäusern (Bretterklo außerhalb), ungewaschenen Bauern, die jahrein und jahraus die gleiche, immer wieder geflickte, ausgewaschene Kleidung trugen (die Männer unscheinbar blaue Arbeitsanzüge, die Frauen schwarz in Schwarz mit Kopftüchern), mit Fuhrwerken, Ochsengespannen und Sensen ihrer Arbeit auf den Feldern nachgingen und einen nur ihnen verständlichen, schwerfällig-dumpfem Dialekt sprachen, aus dem für uns Zugezogene anfangs allenfalls die pangermanischen ordinären Ausdrücke herauszuhören waren.
Es gab zwar überall elektrischen Strom (aus von Hausdach zu Hausdach und im Hausinneren auf dne Wänden verlegten Leitungen), aber nur kaltes Wasser aus den Leitungen und schon gar keine Heizungen oder Spültklosetts. Am Feuerherd wurde gekocht, mit Kachelöfen geheizt, im Kesseldampf der „Waschküche“ Wäsche gewaschen, und im Winter wurden außen vor die Fenster zusätzliche „Winterfenster“ geriegelt. Zum Einkaufen mussten wir kilometerweite Märsche in benachbarte Ort zurücklegen.
Bereits in den 1970-er Jahren war nahezu nichts mehr von alle dem zeitlos Gebliebenen vorhanden. Das ehemalige Dorf ist zu einem weit ausgedehnten, völlig verstädterten Ortsteil einer Großgemeinde geworden. Nur weniger als eine Hand voll Bauernhäuser, denkmalsgeschützt aufgepäppelt, stehen noch, unwirklich kontrastierend zum nichtssagenden Allerweltsumfeld. Die Bewohner sprechen den Halbdialekt der nahen Großstadt.
Im Dorf gab es ein einziges Telefon. Ein unscheinbares, verwittertes Emailschild an der Fassade des noch viel mehr verwitterten Gasthauses des unteren Dorfes, dessen zur Kirchweih als Biergarten genutzten Vorplatz eine riesige Linde überdachte, wies völlig überflüssigerweise und unbeachtet auf das schon damals museale Prunkstück hin, das in einem über knarzende Holztreppen erreichbaren leeren Zimmer des Obergeschosses an der Wand angebracht war: ein Kästchen mit Sprachtrichter, Wählscheibe und Drehkurbel, daneben, mit einem Kabel verbunden, an einem Haken die an das Ohr zu führende Hörmuschel mit Holzgriff, die heute an eine Handdusche erinnern würde. Auf dem Emailschild war allerdings schon ein moderner Telefonhörer als Hinweissymbol abgebildet, von der Seite betrachtet, senkrecht mit dem Rücken nach rechts von einer Hand gehalten, nach links waagerechte, parallele Wellenlinien aus der Hörmuschel ausstoßend.
Wurde ein Dorfbewohner angerufen, dann verständigte ihn der „Knecht“ des Gastwirtsehepaares, indem er je nach Entfernung entweder nach ihm rief oder sich zu Fuß auf den Weg zu ihm aufmachte und den letzten Teil der Strecke durch Rufe überbrückte. Der Anrufer wartete natürlich nicht bis zum Eintreffen des Angerufenen, sondern rief nach einiger Zeit erneut an, oder es wurde zurückgerufen. Kürzere Mitteilungen nahm auch der Knecht selbst entgegen und richtete sie aus.
Der Knecht („Kneecht“) hieß übrigens „Gustl“, hatte ein durch Brandwunden entstelltes Gesicht mit einem nach unten verzogenen Augenunterlid, so dass „das Rote“ hervortrat (wie wir uns ausdrückten), und stotterte. Er schwängerte die geistig behinderte Magd „Liesl“, „musste“ sie daher heiraten und erbte die Gastwirtschaft von dem kinderlos gebliebenen Gastwirtsehepaar. Die Tochter entwickelte sich zu einer tüchtigen Person. Neben dem alten Gasthaus wurde ein neues im pseudorustikalen Allerweltsstil des Zeitgeistes errichtet, und das herrliche alte verschwand samt prächtiger, uralter Linde genauso, wie auch fast alle anderen Bauernhäuser des Dorfes durch gesichtslose Einheitsbauten ersetzt wurden.
Ich hatte als kleiner Bub zwei Puppen – damals eigentlich geschlechtswidrig. Mit ihnen hatte schon meine Mutter gespielt.
Bei der einen handelte es sich um eine ziemlich amorphe Stoffpuppe mit dem Namen „Anna“. Als wir in dem Dorfschulhaus wohnten, in dem mein Vater als Lehrer residierte, wurde ich – noch im Vorschulalter – einmal von den Schulkindern in der Pause wegen meiner Anna verspottet. Da packte mich derart der Stolz, dass ich diese heißgeliebte Puppe von meinem Herzen riss und demonstrativ in hohem Bogen auf das efeubewachsene Dach der „Holzlege“ (Holzschupfen) schleuderte.
Sehnsüchtig blickte ich fortan immer wieder aus dem Fenster der im ersten Stockwerk des Schulhauses gelegenen Küche auf das tiefer gelegene Dach des Nebengebäudes, konnte aber wegen des dichten Efeudickichtes auch im Winter die Stoffpuppe nie wieder entdecken. Noch nach Jahren, als meine Schwester und ich mit meiner von meinem Vater geschiedenen Mutter längst in die nahe Großstadt gezogen waren, dachte ich bei unseren Ferienaufenthalten bei meinem Vater an die Puppe.
Einmal bot sich mir die Gelegenheit, über eine zum Zwecke des Ausräucherns eines Hornissennestes an das Giebelfenster des Dachbodens der „Waschküche“ angelehnte große Leiter auch auf das Dach der angrenzenden „Holzlege“ zu klettern. Vor Neugierde brennend durchsuchte ich das Efeugestrüpp nach Überresten der vermutlich weitgehend verwitterten Stoffpuppe. Vergebens! Ich konnte es gar nicht fassen.
Die andere Puppe hieß „Heinrich“. Es war eine sogenannte „Schildkröt“(Markenzeichen)-Puppe aus Plastik mit beweglichen Extremitäten, die im hohlen Körperinneren mit Gummischnüren verbunden waren.
Eines Tages – ich war etwa fünf Jahre alt – stand ich mit meinem Heinrich im linken Arm auf dem Treppenpodest vor der Gartentüre. Nur wenige Schritte entfernt führte die unbefestigte Dorfstraße vorbei, die das untere und das obere Dorf verband. Vom rechter Hand gelegenen unteren Dorf mühte sich ein Fuhrwerk den steilen Hang herauf. Das war immer mit viel Geschrei des Bauern verbunden, der peitschenknallend die trägen Kühe, die den Wagen zogen, anfeuerte und kommandierte. „Hoot, Route (Hott,Rote)!“ war beispielsweise der durchaus verstandene und prompt befolgte Zuruf, die Kuh mit dem fantasievollen Namen „Rote“ solle sich doch rechts halten. Als sich das herannahende Gefährt fast auf meiner Höhe befand, geschah plötzlich in Sekundenschnelle etwas Schockierendes:
Der Bauer – es war der „Wild“ aus dem oberen Dorf – knallte mit der Peitsche in meine Richtung und gleichzeitig schnellte der Kopf meines Heinrichs meterweit nach links ab, auf die Arme fielen zu Boden. Den kläglichen Rumpf ans Herz gepresst, fing ich fassungslos zum Heulen an.
Der abgetrennte Kopf wies ein Loch und Risse auf. An den Armenden hingen Stücke der Gummischnur. Meine Eltern ließen die Puppe reparieren. Sie bekam einen neuen Kopf. Er war leider etwas anders – größer, dunkler – als der alte. Aber ich ließ mir die Enttäuschung nicht anmerken und liebte meinen Heinrich nach wie vor, er konnte er wirklich nichts dafür.
Auf den Bauern hatte ich eine unsägliche Wut. Ich hasste ihn. Er verkörperte für mich das Böse schlechthin. Ich konnte es nicht begreifen, dass mein sonst so jähzorniger Vater nicht Rache nahm, sondern von diesem verwünschten Scheusal einmal sogar so redete, als würde er mit ihm normal verkehren.
Meine Schwester hatte im übrigen eine große Puppe namens Edith mit „echten“ schwarzen Haaren, dazu auch einen Puppenwagen. Darum beneidete ich sie aber nie.
Rätselhaft bleibt, wie der Bauer mit der Peitsche über eine Entfernung von einigen Metern hinweg genau meine Puppe treffen konnte. War es bloßer Zufall, Glück für mich, dass ich selbst nicht getroffen wurde?
Die Schule in Lindelburg hatte nur ein Klassenzimmer. In diesem wurden im Wechsel vormittags und nachmittags jeweils vier Jahrgänge gemeinsam unterrichtet, die oberen vier Jahrgänge von meinem Vater, die unseren von wechselnden Lehrerinnen oder Lehrern.
Schon vor unserer Einschulung gastierten meine Schwester und ich gerne bei den Schülern.
Ich wurde mit drei Mädchen aus dem Nachbardorf (Pfeifferhütte – „Peechhitten“) eingeschult. Sie saßen in der ersten Bank der Mittelreihe, ich dahinter. Es reizte mich, eines der Mädchen an ihren langen, blonden Zöpfen zu ziehen. Das brachte mir eine „Watsch´n“ von der Lehrerin ein, die später die zweite Frau meines Vaters wurde.
Ein anderes Mädchen war die Tochter der Bäckersleute. In sie war ich wahnsinnig - wenngleich nur platonisch – verliebt. Ich wundere mich, wie man dies in diesem Alter sein kann (Meine zwei Jahre jüngere Schwester war in zwei Jungen der achten Klasse verliebt!). In der zweiten Klasse saß ich mit meinem Schwarm in der gleichen Bank. Da wir zu viel „schwätzten“, setzte uns mein Vater, der zu dieser Zeit aushilfsweise unterrichtete, auseinander. Gerda, meine Angebetete, weinte...
Nach dem Umzug 1952 mit Mutti und Oma nach Nürnberg – unsere Eltern waren geschieden – besuchten meine Schwester und ich in den Ferien regelmäßig unseren Vater (und dessen zweite Frau) in Lindelburg. Der Vater holte uns jeweils an der mehrere Kilometer entfernten Bahnstation Burgthann ab und lief mit uns nach Lindelburg. Am Ortseingang begrüßte uns der Bauer Dötsch, zu mir gewandt:“ Jo Knut, du wiascht jo ummer gröißer, wou wochst´n na hii?! Öitz bist obba bold su grouß wöi döi Dooda!“ Worauf mein Vater einfiel, dass ich so groß nicht werde, weil ich zuvor von ihm „eine auf den Dätz (Kopf) bekomme.
Unsensibel fragte uns der Bauer :“ Wou gfollts eich na besser, in Nianbeach odda in Lindlbuach, vo da Mouda of vom Doda?“ Wir redeten uns heraus, dass es uns bei beiden gefalle.
Ferien in Naila bei Hof
Die großen Ferien verbrachten wir, das heißt meine jüngere Schwester und ich, regelmäßig mit unserer Oma bei deren Schwestern und – solange sie noch lebten – Eltern, die in Naila in Oberfranken gemeinsam eine Mietwohnung am Marktplatz bewohnten.
Naila, das war für uns die spießig-betuliche Welt einer Generation alter Leute, in der – entsprechend deren eigener Erziehung – wir „Gunga“ (das heißt Jungen im Sinn von Kindern) lediglich als Objekte der Belehrung vorkamen. Diese laufenden Zurechtweisungen wirkten auf uns jedoch eher lächerlich, da uns schon der gesprochene Dialekt der dortigen Gegend furchtbar „altmodisch“ vorkam. Im übrigen fanden wir es aber in dem engen und ärmlichen Wohnmilieu urgemütlich.
Die Reise war eine volle Tagesreise mit der Eisenbahn. Entsprechend früh am Tage erfolgte der Aufbruch. Ich erinnere mich noch gut an eine faszinierende Morgenröte.
Von unserem Dorf Lindelburg bei Nürnberg aus musste erst ein fast einstündiger Fußmarsch mit den Koffern bis zum nächsten Bahnhof (Burgthann) zurückgelegt werden. Dann ging es – elektrifiziert, wie mir wichtig erschien – nach Nürnberg, von dort aus nach dem Umsteigen mit Dampflok – typisch „altmodisch“ – viele Stunden lang nach Hof und von dort schließlich auf einer Bahnnebenstrecke – per am Dampf oder dieselgetriebenem „Schienenbus“ – ans Ziel.
Unsere Oma hatte sich für die Reise immer besonders, aber immer gleich gekleidet: Sie trug ein dunkles, gestreiftes Kostüm und eine weiße Bluse, vor der wir uns wegen der Knöpfe entsetzlich ekelten, so dass wir beim pro Brotzeitauspacken im Zug immer mit Argusaugen – unter dem Geschimpfe der Kontrollierten – darüber wachten, dass der mitgenommene Proviant mit diesen ekligen „Dingern“ nicht in Berührung kam. Unvergesslich bleibt mir der typische Reisegeruch aus Stahl, Ruß, Hartwurstbroten und Parfüm.
Die lange Fahrt von Nürnberg nach Hof war sehr abwechslungsreich. Wir beobachteten eine laufende Veränderung der Gegend, die uns den Fahrtfortschritts anschaulich abschätzen ließ. Die Nürnberger Umgebung war flach. Die Bauernhäuser waren wie in unserem Dorf nur erdgeschossig , mit hohem Dach und aus großen Sandsteinquadern erbaut. Die Hersbrucker Landschaft – wo mein Großvater väterlicherseits in Happurg als Pfarrer wirkte – war steil gebirgig. Überall sahen wir Hopfenfelder mit den markanten Hopfenstangen. Die Bauernhäuser wiesen hier ein Obergeschoss mit Fachwerk auf, und die Dächer waren seltsam hoch und überspitz, da die Dachböden dem Aufhängen des Hopfens zum Trocknen dienten. Endlich nahten die heißersehnten Tunnels, angekündigt dadurch, dass in den Zugwaggons die Beleuchtung eingeschaltet wurde. Es war eine ganze Kette sehr langer und weniger langer Tunnels, deren Zahl ich heute nicht mehr weiß. Immer mussten die Fenster hochgeschoben werden, damit der Rauch und der Russ von der Lokomotive nicht ins Abteil eindringen konnte. Aus offenem Fenster durften wir übrigens aus ähnlichem Grund nicht nach vorne schauen, nämlich damit wir uns der Ruß nicht in die Augen flog. Langsam verlor sich das Fachwerk an den Häusern wieder und die überspitzen Giebel verschwanden. Das Land wurde weitläufig mit langgestreckten Bergrücken. Und da! Die ersten mit schwarzen Schieferplatten gedeckten Dächer tauchten auf. Das war das langerwartete Zeichen dafür, dass wir bald am Ziel sein würden, denn in der Hofer Gegend gab es keine dachziegelgedeckten Häuser mehr – typisch „altmodisch“! Ein weiterer Höhepunkt nach den Tunnels war die so genannte „Schiefe Ebene“, eine für Lokomotiven sehr steil ansteigende Schienenstrecke, auf der der Zug mit einer am Zugende angehängten zweiten Lokomotive geschoben werden musste. Das führte zu einem ständigen Rucken und Zucken, Ächzen und Krachen der Waggons, immer wieder auch zu Stillständen, und die Lokomotiven fauchten und zischten und pfiffen, dass es weit aus den Bergen zurückhallte.
Genug über die Fahrt! Die Begrüßung in der knarzcenden und nach Bohnerwachs duftenden Diele durch den Schäferhund „Harro“ war jedesmal überwältigend. Er erkannte uns alle Jahre sofort wieder und hüpfte lschwanzwedelnd an uns empor, so dass wir Kinder Mühe hatten, nicht umgeworfen zu werden. Dieser Hund sollte dann während der Ferienaufenthalte immer wieder einmal mein Tröster sein, wenn ich mich von den Erwachsenen ungerecht behandelt fühlte und mich dann zu ihm zurückzog, um mich zu verabschieden, weil ich ausreißen wollte. Er nahm das jedes Mal gelassen hin, doch musste ich – wie ich schnell lernte – das Weinen einstellen, da er mich sonst bedrohlich anknurrte. Und ohne Weinen waren die taufrischen Fluchtpläne bald vertrocknet.
Eine vorübergehende Flucht ergriff ich jedesmal, bevor der Ehemann der Nichte meiner Mutter zu Besuch kam. Denn er war – wie mein Vater – Lehrer und hatte mich in den ersten Schulferien eines Tages streng hergenommen, um mir das Einmaleins einzubleuen. Dabei hatte er mir auch eine kräftige „Watsch´n“ gegeben. Die Flucht gestaltete sich so, dass ich rechtzeitig den Hinterhof zum Spielen aufsuchte und mich sofort, wenn ich das Motorrad dieses „Onkels“ in das Haustorgewölbe hineindonnern hörte, über Stunden so lange versteckte, bis mir das erneute Motorradgeräusch die Abfahrt und damit wieder die Freiheit signalisierte. Ein Versteck hatte ich beispielsweise zwischen aufgestautem Holz im Hasenstall ausgekundschaftet und hergerichtet. Oft legte ich mich auch auf einen durch Buschwerk verdeckten Wiesenplatz hinter dem Zaun des Gartens, wie ich überhaupt die meiste Zeit meiner Jugend in Einsamkeit verbracht habe.
Es bereitete mir Höllenqualen, wenn ich von den Großtanten unter fremde Kinder geschickt wurde, beispielsweise bei einer Hochzeit vor die Kirche, um, wie die dort bereits wartenden Kinder, vom Brautpaar ausgeworfenes Kleingeld zu ergattern. Ich erwischte da – im Gegensatz zu meiner Schwester – nie etwas und musste mich obendrein von denen, die mir das eingebrockt hatten, als „olda Lohmsiedr“(alter Lahmsieder) beschimpfen lassen. Zum Einzelgänger wurde ich möglicherweise gerade deshalb, weil wir ständig eine Sonderlingsrolle „angeschimpft“ worden war.
Als einziger Freund stand mir zeitweise der Sohn eines „Wärschtlasmo“s (Würstchenmannes) zur Verfügung. Er verkaufte für seinen Vater in einem fahrbaren Würstchenstand (Fahrradanhänger mit Sperrholzaufbau) am Marktplatz die einzigartig schmeckenden Würste dieser Gegend, Bratwürste, heiße Wiener und Knackwürste usw. Zwei Bratwürste in einer Semmel kosteten fünfzig Pfennige. Bei der Sparsamkeit der Großtanten, die sich mit ihrer Heimnäharbeit bis in den späten Abend hinein am Fenster im Lichte der Straßenbeleuchtung abmühten, um den eigenen Stromverbrauch zu sparen, war überhaupt nicht daran zu denken, dass wir jemals in den vollen Genuss solcher Würste kommen könnten. Geld für einen solchen Luxus auszugeben, galt als Verbrechen.
Lediglich ein Zugeständnis konnten wir ihnen und unserer Oma einmal abbringen. Sie gaben uns zwei Scheiben Brot aus der Küche (Semmeln waren zu teuer) und zwanzig Pfennige. Für dieses Geld durften und konnten wir uns eine einzige Bratwurst kaufen, die wir uns dann teilten, jeweils zwischen zwei Brotscheibenhälften klemmten und anweisungsgemäß so sparsam aßen, dass wir die halbe Wurst vor möglichst vielen Bissen auf dem Brot zurückschoben, um uns den Genuss für zuletzt aufzusparen und dann das Gefühl zu haben, „lauter Wurst gegessen“ zu haben.
Um auf den Freund zurückzukommen: Ich stand stundenlang vor der Würstchenbude, und wir unterhielten uns, während mir das Wasser im Munde zusammenlief. Ein einziges Mal erlaubte es sich dieser Bub, für sich selbst eine Bratwurst zu braten. Er frage mich höflichkeitshalber, ob ich ein Stück davon wolle. Ich verneinte dies tapfer, um ihm bei seiner Gewissensqual die gesamte Wurst zu gönnen, schimpfte mich innerlich jedoch einen „oldn Lohmsiedr“. Und meine Berufswunsch stand umso mehr außer Zweifel: Würstchenmann!
Meine Schwester war übrigens mit der Schwester meines Freundes befreundet. Die Mädchen hielten sich jedoch lieber am Eisstand auf. Und natürlich wollte meine Schwester Eisverkäufer werden.
Nürnberg
.Ich war schon in Nürnberg (1952), als es mir am Rathenauplatz unverständlich vorkam, dass Gott eine unendliche Welt mit beispielsweise Autos geschaffen haben soll, obwohl es doch genügt hätte, uns dies alles nur vorstellen zu lassen.
Der tiefsitzende Schock, die für mich als Kind von acht Jahren die mit dem Umzug von einem Bauerndorf (Lindelburg bei Nürnberg) in die Großstadt verbundene Umstellung bedeutet haben muss, lässt sich vielleicht am besten aus folgender Begebenheit ermessen:
Als unsere Oma und unsere Mutter meine Schwester und mich das erste Mal probeweise zum Schulgebäude geführt hatten, um den etwa halbstündigen Schulweg kennenzulernen, hätte auf mich der Anblick dieser Zwangsanstalt nicht abschreckender wirken können. Eine riesige Jugendstil-Festung mit dicken, dunklen Mauern und hohem Uhrenturm zwischen den Gebäudeflügeln, von denen der eine laut strenger Inschrift über den Portalen für „Knaben“ und der andere für „Mädchen“ bestimmt war. Im Winkel zwischen diesen rechtwinklig angeordneten, erdrückenden Klasszimmertrakten befand sich erdgeschossig eine gewaltige Turnhalle, durch deren hohe Fenster man allerlei Martergerät wie dicke Seile mit Ringen und anderes sehen konnte.
Zum ersten Schulbesuch wurden wir dann von unserer Oma und Mutter auf einem anderen Weg begleitet, von dem sie erfahren hatten, dass er etwas kürzer war und auch von anderen Schülern aus unserer Umgebung benutzt wurde. Auf diesem Weg gelangt man zur Innenseite des Schulkomplexes und betrat das Gebäude über den Pausenhof.
In meine Klasse wurde ich während des bereits laufenden Unterrichts geführt. Ein kleiner, etwas gebeugter und schon älterer, schwarzhaariger Lehrer, der eine altmodische Brille mit runden, schwarzumdrahteten Gläsern (sogenannte Krankenhausbrille) trug, unterbrach kaum seinen Unterricht und fuhr alsbald mit schneidend strenger Stimme fort, über das Thema „Meiner Heimat“ zu dozieren.
Schluchzend brach ich in Tränen aus, als er plötzlich befahl: „Tafeln raus!“ und alle gehorsam ihre Schreibtafeln aus den Schulranzen hervorholten. In der Dorfschule, die ich bisher besucht hatte, war die Schiefertafel nur bei den Erstklässler im Einsatz. Ich hatte daher jetzt – in der dritten Klasse – keine mehr. Mit dem kernigen Kommentar, das man da doch nicht gleich loszuheulen brauche, rief mich der Lehrer hinter die große Zimmertafel zu einem Schrank und übergab mir daraus zu meiner großen Überraschung ganz selbstverständlich ein funkelnagelneues Exemplar gestapelter Schülertafeln (Segen der Nürnberger Lernmittelfreiheit).
In der Pause stand ich verlassen an einem Ruinenrand des weiten, durch zahlreiche große Bäume verdüsterten, von Hunderten von Schülern durchtobten Schulhofes, der streng nach Geschlechtern unterteilt war. Ich war tief besorgt, weil ich nicht wusste, wie man sich zum Pausenende zu verhalten hatte. In der Dorfschule hatte man sich – nach Geschlechtern getrennt – beidseitig des Schuleinganges in Reih und Glied aufgestellt. Schüchtern erkundigte ich mich, als ich endlich ein mir bereits bekanntes Gesicht aus meiner neuen Klasse sah, und bekam wenigstens grob den Ort gewiesen, wo sich unsere Klasse aufzustellen hatte.
Das Aufstellen war eine Qual, weil jeder dem anderen in die Hoden boxte.
Die größte Bewährungsprobe dieses Tages stand mir jedoch noch bevor. Ich komme jetzt auf die eingangs gemachte Ankündigung zurück.
Nach dem Unterrichtsschluss drängten die ungeheueren Schülermassen in dem breiten Treppenhaus nicht mehr, wie in der Pause, einheitlich zum hofseitigen Ausgang. Vielmehr teilte sich im Hochparterre der Strom in Richtung zu diesem Ausgang, bei dem ich meine Oma und meine Mutter zum Abholen erwarteten, und in der Richtung zu dem Hauptausgang auf der gegenüberliegenden Gebäudeseite, die ich bei unserer ersten Besichtigung kennengelernt hatte. Ich war nicht richtig eingereiht und wurde daher auf die Treppe zum letzteren Ausgang „gespült“. Auch wagte ich nicht, „gegen den Strom zu schwimmen“.
So stand ich denn rat - und hilflos auf dem weiten Steinsims vor dem falschen Portal und ließ die Schüler an mir vorbeiströmen. Aber auch in das leere Gebäude traute ich mich nicht mehr zurück. Von Unsicherheit gelähmt, wagte ich es auch nicht, mich auf die Suche nach der anderen Gebäudeseite und nach dem Heimweg zu machen. Wohin der zuerst erprobte Schulweg einzuschlagen gewesen wäre, wusste ich überhaupt nicht mehr. Hinsichtlich des neuen Schulweges mutmaßte ich zwar, dass er links von meinem Standpunkt zu finden sein müsste. In dieser Richtung sah ich nämlich allerlei Gebüsch und hatte solches vom Herweg noch in Erinnerung. Aber ich war mir erstens nicht sicher. Und zweitens kreuzten sich bei dem Buschwerk Straßen, so dass ich befürchtete, von dort aus die richtige Richtung nicht zu erkennen. Ich hatte auch Angst davor, ganz einfach den Gebäudekomplex so lange in irgend eine Richtung zu umschreiten, bis ich zur vertrauten Hofeite gelangen würde. Denn ich wusste nicht, ob er insgesamt von Straßen umgeben war. Außerdem zweifelte ich jetzt daran, von der Hofseite aus die richtige Richtung nach Hause wiederzuerkennen, falls meine Oma und Mutter nicht mehr warteten.
Ich regte mich also nicht vom Fleck und fing schließlich wieder hemmungslos zu weinen an. Weit und breit war ich allein. Wie ausgestorben lag zu dieser Tageszeit die breite Straße vor dem weiten steinernen Portalbereich der Schule. Die Büsche deuteten bereits den Stadtrandbereich an.
Nach über einer Stunde wurde endlich ein Passant auf mich aufmerksam. Ich klagte ihm mein Leid. Er erkundigte sich, wo ich wohne. Die Straße kannte er nicht, ich konnte aber eine in der Nähe gelegene und ihm bekannte Gaststätte angeben, so dass er die Richtung wusste. Er führte mich zu einem großen Hauskomplex. In der Toreinfahrt lehnte sein Fahrrad. Er lud mich auf den Gepäcksständer ein und bei meiner Oma und meiner Mutter ab.
Was diese dazu sagten und sich gedacht hatten, weiß ich nicht. Offenbar hatte mich das damals in meiner Erleichterung gar nicht mehr interessiert.
Die unendlichem Ruinenfelder der Nachkriegszeit waren für die Nürnberger Kinder das ideale, wenngleich nicht ungefährliche Spielgelände. Da wurden „Lagerle“ ( kleine Aufenthaltsräume) gebaut, halb verschüttete Gänge durchkrochen und Schlachten zwischen den Straßenbanden geführt. Die attraktivsten Trümmerwüsten in unserer Umgebung hatten Namen. Die „Wüste“ war mit hohem Goldruten überwuchert. Die Stiele eigneten sich nach dem Abstreifen der Blätter vortrefflich als Pfeile zum Abschießen auf dem Bogen. Der „Garten“ war ein verwildertes Gartengrundstück mit Obstbäumen, Beerensträuchern und einem hochgeschlossenen Kastanienbaum zum Erklettern, wozu ich allerdings nicht schwindelfrei genug war. Wir „Lenbachsträßler“ waren mit den benachbarten „Feldgäßlern“ verfeindet. Warum, wusste keiner. Es dachte auch niemand darüber nach. Fremde Straßenbanden waren einfach von vornherein Feinde. Die „Feldgäßler“ standen zudem im Ruch der Hinterfotzigkeit. Sie schlichen sich gerne in Übermacht und mit Eisenstangen, Steinschleudern sowie Pfeil und Bogen schwerbewaffnet an, um friedlich spielende Wehrlose zu überfallen.
Ich erinnere mich noch an eine Flucht zusammen mit wenigen Freunden über eine Mauer auf ein kleines Dach und von dort in den schützenden, weil versteckereichen „Garten“. Die Pfeile und Steine umschwirrten uns, und auf dem Dach sahen wir, dass die Verfolger mit Messern in der Hand nachkletterten. Sie zogen sich jedoch wieder zurück, als wir entkommen waren.
Bei dieser Martialität mancher damaliger Kinderbanden ist wirklich ein Wunder, dass es, soweit mir bekannt ist, nie zu schweren Verletzungen gekommen ist. Vielleicht lag es an unserem Schutzengelalter.
Wir selber griffen nie an, da wir schon zahlenmäßig und zum Teil auch altersmäßig unterlegen waren. Es kam allerdings eine Zeit, in der wir kräftig aufrüstetn. Aus Holzlatten von einer nahen Baustelle zimmerten wir schwere Schwerter, welche die leichten Zierdegen ablösten, elastische Stecken mit einem aufgespießten Bierfilz als Handschutz und einem weichen Griff aus aneinandergereihten Rundgummies von den damals üblichen Mehrwegverschlüssen der Bierflaschen. Zu den neuen Schwertern fertigten wir uns auch massive Schilde aus harter Faserpappe, die wir ebenfalls auf der Baustelle gefunden hatten. Diese wurden mit Ritterwappen bemalt und wasserdicht mit Bohnerwachs überzogen.
So ausgerüstet lieferte unser nomineller Häuptling – eine Hierarchie gab es bei uns nicht – eines Tages ein denkwürdiges Bravourstück von Heldenmut. Als Einzelkämpfer stürmte er plötzlich, das Schwert kreisförmig über den Kopf schwingend den sich auf der Rudolphstraße - der Verbindung zwischen der Felggasse und der Lenbachstraße - zeigenden Feldgäßlern entgegen, so dass diese, nicht weniger überrascht als wir, auf der Stelle Fersengeld gaben. Doch das war schon gegen Ende dieser kriegerischen Nachkriegszeit.
Jahre zuvor hatte besagter Häuptling im Nahkampf ein großes Eck eines vorderen Schneidezahnes eingebüßt. Wir besuchten damals die vierte Klasse der Volksschule und mussten den Schulweg durch die Feldgasse nehmen, vorbei an dem großen, kriegsbeschädigten Häuserblock, aus dem sich die feindliche Bande rekrutierte.
Dort kam es einmal zu einer wilden Schlägerei zwischen unserem Freund und einem kleinen, aber sehr rauflustigen Mitglied der Feldgäßler. Dabei zersplitterte der Zahn. Einige Zeit später verlor der Rivale bei der Rachenahme zwei Schneidezähne vollständig.
Darüber wurden damals keine Prozesse geführt. Die beiden Raufbolde lebten jahrelang mit ihren Zahnschäden, der Feldgäßler trug später eine bewegliche Zahnbrücke.
Es war wohl bereits in der dritten Klasse der Volksschule, als mir zwei Rauftriumphe beschieden waren, obwohl ich – vom Land in die große Stadt kommen – ein schüchterner, besser: eingeschüchterter Schüler war.
An einem heißen Sommertag zogen einige Feldgäßler locker und unbewaffnet, eher zufällig also, durch die Rudolphstraße in Richtung Feldgasse. Ich befand mich allein auf der gegenüberliegenden Straßenseite und wollte mich in die Lenbachstraße zurückziehen. Die „Feinde“ riefen mir zu, ich solle doch einmal zu ihnen herkommen, sie hätten mir etwas zu zeigen, ich brauche keine Angst zu haben, sie gäben mir das Ehrenwort, dass sie mir nichts antäten. Da sie friedlich wirkten, sich auch ein Bub aus meiner Klasse unter ihnen befand und ich wohl auch nicht als „Schisser“ (Feigling) gelten wollte, gesellte ich mich freundlich zu ihnen. Sie forderten mich auf, mitzugehen, um mir das „etwas“, das sie nicht verraten mochten, zeigen zu können, und ich begleitete sie arglos. Der Weg führte durch die Feldgasse in eine Seitenstraße und von dort hinter Häuser zu einem verwilderten Grundstück, wie es sie zu Tausenden gab.
Plötzlich, ohne jeglichen Anlass, stießen sie mich, darunter auch der Klassen-“Kamerad“, in ein hohes Brennnesselfeld. Ich weiß nicht mehr, ob ich auch geprügelt wurde, und wie ich wieder entkam. Jedenfalls staute sich in mir wegen dieser Hinterlistigkeit eine unsägliche Wut auf, und ich schwor mir, an dem Klassenkameraden im Klassenzimmer vor Unterrichtsbeginn blindwütig Rache zu nehmen und dem strengen Lehrer, wenn er mich zur Rechenschaft stellen würde, von dem Hinterhalt, in den ich gelockt worden war zu berichten.
Ob wir noch am gleichen Tag Schule hatten – es gab damals noch Nachmittagsunterricht – oder erst am nächsten Morgen, weiß ich nicht mehr. Ich stach aber sofort nach dem Betreten des Klassenzimmers auf mein Racheopfer zu, stellte es kurz zur Rede und schlug ihm wild entschlossen ins Gesicht. Damals machte ich zum ersten Male die Erfahrung, welch ungeheuere Kräfte einen Wille und Zorn zu verleihen vermögen. Als der Lehrer das Klassenzimmer betrat, war der ungleiche Kampf bereits beendet. Der Feldgäßler blutete aus der Nase, der Lehrer nahm davon aber keine Notiz.
Diese Schläge, die mir niemand in der Klasse zugetraut hätte, verschaffen mir plötzlich deutliche Achtung unter den Klassenkameraden. Von allen Seiten wurde ich nun bedrängt,, mich dem Raufen zum Zwecke des Kräftemessen zu stellen. Ich schlug diese Bitten allesamt generös aus.
Und doch gab es noch ein vereinbartes Duell in der Schule.
Es kam häufig vor, dass uns unser Lehrer im Klassenzimmer für einige Zeit mit einer aufgetragenen Beschäftigung allein ließ. Dann bestellte er zuvor einen Aufpasser unter den Schülern, der den Namen derer aufzuschreiben hatte, ihren Platz verließen. Als einmal mein Hintermann mit dieser Aufgabe betraut war, ergriff er grundlos meinen Griffel, das Schreibwerkzeug für die damals noch übliche Schiefertafel, und warf ihn zum Lehrerpult vor. Ich war daher gezwungen, meinen Platz zu verlassen, um ihn wieder zu holen. Triumphierend verkündete mir der Aufpasser bei meiner Rückkehr, dass er mich deshalb nun aufgeschrieben habe.
Und tatsächlich, als der Lehrer zurückkam und die Namen von dem Zettel verlas, den ihm der Aufpasser ausgehändigt hatte, wurde auch ich aufgerufen, was bedeutete, vortreten zu müssen, um „Übergelegte“ (Stockschläge auf den Hintern)zu empfangen, die damals übliche Prügelstrafe für Jungen. Als ich damit an die Reihe kam, versuchte ich noch, den Lehrer über den wahren Hintergrund der schändlichen Denunziation, die mir widerfahren war, aufzuklären. Doch der Lehrer war nicht bereit, eine Ausnahme zu machen, wodurch er ja einen Einbruch in die Bequemlichkeit seiner Erziehungsmethoden zugelassen hätte.
Mich traf ein kurzer Blick von ganz oben, und schon spürte ich an meiner Lederhose hinten den entschlossenen Griff, der mich auf das vorderste Schülerpult der Mittelreihe hob, so dass ich dort mit dem vorderen Oberkörper auflag, während drei kräftige Schläge mit dem weit ausgeholten Rohrstock auf den Hosenboden prasselten. Das alles ging so schnell, dass ich zunächst von den „übergezundenen“ Hieben überhaupt nichts spürte. Erst als ich wieder in meiner Bank – die damaligen Schülerplätze - saß, fing mein Hintern zu brennen an.
Wütend verkündete ich meinem Hintermann, dass er dies büßen werde. Die umsitzenden Mitschüler waren von dieser Aussicht begeistert. Es wurde regelrecht festgelegt, dass der Zweikampf nach dem Unterricht stattzufinden habe, wobei ich mir immerhin ausbedingen konnte, dass es kein Box - , sondern ein Ringkampf werden sollte. Zartbesaitet, wie ich war, wollte ich nämlich keine Verletzungen davontragen, wenn ich schon zugunsten eines nüchtern geplanten bloßen Schaugefechts darauf verzichtet hatte, im Vollbesitz meiner kräftestärkenden Wut bei nächster Gelegenheit blindlings auf den Bösewicht einzdreschen.
Nach Schulschluss kam es dann auch noch auf dem Schulhof zur Austragung des Ringskampfes unter erwartungsvoller Anteilnahme zahlreicher Schaulustiger. Mit Hilfe meiner bereits anderweit bewährten Standardtechnik – Umschlingen des Halses des Gegners mit den Armen, Zurückdrücken seines Kopfes am Kinn und Stellen der Beine von hinten – gelang es mir gleich, den Rivalen zu Fall zu bringen und über ihm zum Liegen zu kommen. Die ohnehin kanalisierte Wut war verraucht und durch den stolzen Sieg sublimiert. Kaum hatten wir uns vom Kampf wieder erhoben, kam unser Lehrer aus dem Schulgebäude. Obwohl es natürlich verboten war, auf dem Schulgelände zu raufen, ließ er uns unbeachtet und strebte, sein Fahrrad mit Hilfsmotor schiebend, dem Hofausgang zu.
Wegen der „Übergelegten“ empfand ich eine traumatische Scham und verschwieg sie daher zu Hause. Ich hatte noch nie eine Schulstrafe (außer einer „Watschn“ in der ersten Klasse) erhalten. In meinem Betragen – wie man dies damals nannte und wofür eine eigene Zeugnisnote vergegeben wurde – war ich durchaus ein Musterschüler, innerlich wollte ich das aber eigentlich nicht sein, und auch meine Mitschüler verübelten es mir nicht, war ich doch kein eingebildeter oder lebensfremder Streber, sondern einfach nur verschüchtert, was allerdings zu ständigen Hänseleien führte. Es ist mir heute unerklärlich, weshalb ich damals eine so tiefe Scham trotz der ungerechten Behandlung und meines Widerwillens gegen die Rolle eines Musterschülers empfand. Offenbar handelte es sich dabei um ein unbewusst fremdbestimmtes Gefühl. Die Scham führte so weit, dass ich meinen ebenfalls sehr braven Banknachbarn darum beneidete, dass es bei ihm noch nicht so weit gekommen war wie bei mir. Daher empfand ich es als große Erleichterung, als lange Zeit später endlich auch er einmal „übergelegt“ wurde, weil er zusammen mit anderen von der Turnhalle ins Klassenzimmer vorausgelaufen war, statt sich in der aufgestellten Reihe zu halten.
Auf der Nürnberger Burg gibt es den sogenannten „Tiefen Brunnen“. Den staunenden Touristen, aber auch den einheimischen Grundschülern wird vorgeführt, dass das aus einem Eimer hinabgeschüttelte Wasser acht gezählte Sekunden lang fällt, bis es auf den Wasserspiegel am Brunnengrund klatscht.
Unsere Wohnung lag im vierten Stockwerk eines Mietshauses. Da konnte es natürlich nicht ausbleiben, dass mich die Messung der Falldauer von Wasser aus Haushöhe brennend interessierte, vor allem aber immer wieder Spaß bereitete. Zu diesem Zweck begab ich mich ins Dachbodengeschoss, beugte mich über den schmalen Brückengeländerschacht, sammelte viel Spucke im Mund und ließ dieses aus gespritzten Lippen ziemlich länglich herausgepresste Fallobjekt vorsichtig zielend bis in das Kellergeschoß hinabpflatschen.
Oft verriss sich das unappetitliche Gebilde beim Baumeln aus dem Mund oder während des Falles und landete zwischen irgendwelchen Geschoßen auf dem hölzernen Lauf des Treppengeländers. Die Sauerei, die die Hausbewohner insbesondere nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen vorfanden, oder in die sie gar arglos hineingriffen, bedarf keiner Beschreibung.
Aber auch aus den Wohnungsfenstern spuckten wir gerne in die Tiefe. Da sich jedoch die geballten Schaumladungen des Mundes allzu gerne an den Fenstersimsen der tiefergelegenen Geschoße verfingen – mitunter signalisierte ein plötzlicher Shimpfruf einen Volltreffer auf den Kopf eines Fensterguckers -, griffen wir lieber zu sogenannten Wasserbomben. Diese unmittelbar vor dem Abwurf eilig mit Leitungswassergefüllten Zeitungspapiertüten ließen sich mit hoher Treffgenauigkeit kurz vor die Füße ahnungsloser Gehsteigpassanten knallen. Dann hieß es: Kopf blitzschnell aus dem Fenster zurückziehen, die Schimpfkanonade aus dem Orkus herauf verklingen lassen, vorsichtig wieder hinabspähen und – neue Platznummer! Der Spaß ließ sich allerdings nicht beliebig wiederholen, da mit der Zeit das mit nassem Papier überwucherte Trottoir abschreckend wirkte.
Nach meinem Übertritt in das nahegelegene Gymnasium fiel mir bald auf, dass mir auf meinem kurzen Nachhauseweg regelmäßig in einigem Abstand eine Mitschülerin folgte, die offenbar die gleiche Wegstrecke zurückzulegen hatte. Ich beeilte mich dann immer, den Abstand zu vergrößern, rannte, sobaldsich um die Hausecke und damit außer Sicht des Mädchens war, zu unserm Haus, stürmte, mehrere Treppenstufen gleichzeitig nehmend, in unsere Wohnung hinauf, stürzte ins Badezimmer, riss das Fenster auf und ließ einen Mund voll gesammelter „Spotze“, wie man die Spucke in Nürnberg nennt, hinabsausen, zuverlässig so abgeschätzt, dass die Klassenkameradin fast, aber eben nur fast hineinlief.
Sie sagte nie etwas zu mir, wie das in der damaligen Zeit eben im Verhältnis zwischen den Geschlechtern so üblich war, bis ich sie eines Tages auf dem gewohnten Heimweg mit schnellen Schritten zu mir aufschließen hörte. Hatte sie es eilig, und wollte sie mich daher überholen? Als sie sich auf meiner Höhe befand, sprach sie: „Wenn du noch einmal Wasser ´runterschüttest, sag´ ich es dem Klassenleiter!“ Peng! Das saß. In meiner Verlegenheit antwortete ich: „Das war kein Wasser“. Sie frug: „Was denn sonst?“ „Spotze!“ stellte ich unfreiwillig klar. Da schwieg sie und fiel wieder hinter mich zurück. Sie war wohl sprachlos über meine dreist erscheinende knallharte Reaktion... oder über mein Speichelvolumen!
Interessant war es für uns Kinder, den Wideraufbau Nürnbergs, insbesondere die neue Bebauung von Grundstücken in unserer Umgebung zu beobachten.
So schauten wir stundenlang, auf einem Gartenhausdach liegend oder sitzend, zu, wie eine Baugrube von einem Bagger ausgehoben wurde. Damals war die Schaufelzange noch an frei baumelnden Ketten befestigt, so dass sie über ihr Ziel balanciert werden musste. Uns faszinierte auch, wenn der Baggerführer mit ölverschmierten Händen Brotzeit machte. Wir nutzten diese Pause, um mit ihm einige Worte zu wechseln.
Angrenzend an die Mauer, die den bereits erwähnten „Garten“ vom übrigen Grundstück trennte, lagerten Holzkisten. Als ich von dieser Mauer einmal auf eine dieser Kisten sprang, trat ich dabei in einen hervorstehenden, von mir übersehenen, langen Nagel, der meinen linken Fuß regelrecht durchbohrte. Ich empfand aber keinerlei Schmerz. Auch stellte sich keine Blutung ein. Ich mutmaßte, der Nagel habe meinen Fuß an der Stelle durchdrungen, an der die Füße Jesu an das Kreuz genagelt gewesen waren.
Zwei Freunde, die im gleichen Haus wie ich wohnten, und ich waren technisch sehr interessiert. So bastelten wir uns billig erstandenen Altteilen Detektorenradios und eine Telefonverbindung, wobei wir die Verbindungsdrähte an der Außenwand des Hauses verlegten. Es reizte mich, die Höchstbelastung durch die Stromversorgung mit Hilfe meines für meine elektrische Eisenbahn bestimmten Transformators auszuloten. Dabei „brannten“ die Gerätschaften „durch“. Aus der Spaß!
Gewalt
Als Kinder erlebten meine Schwester und ich in Lindelburg laufend die durch Eifersucht motivierten Gewalttätigkeiten unseres Vaters gegenüber unserer Mutter und unserer sie unterstützenden Oma, der dabei einmal der kleine Finger der rechten Hand brach und für immer steif blieb. Unsere Oma steckte uns zwar meist weg damit wir nicht zuschauen mussten, und, wenn es ganz schlimm war, nahm uns auch die Bewohnerin der Einliegerwohnung bei sich auf. Wir wussten aber trotzdem, was los war, da wir ja alles durch die Wohnungswände hindurchhörten.
Einmal schlug mein Vater einer zu Besuch weilenden Großtante den Kopf gegen ein Türglasfenster, so dass dieses zersplitterte.
Ich erinnere mich, dass mich eines Abends, als ich wieder einmal den Beginn einer Gewalttätigkeit meines Vaters miterlebt hatte – möglicherweise war es der Vorfall mit dem Glasfenster -, eine derartige Wut packte, dass ich in meiner Ohnmacht, sie anders auszulassen, in die Küche stürmte und dort die aufgestellte Puppenwohnung, ein Weihnachtsgeschenk an uns Kinder, demolierte, indem ich mit den Fäusten die vier Seitenwände der drei nebeneinanderliegenden Zimmer, eine nach der anderen, umschlug.
Ich frage mich, ob solche frühkindlichen Erlebnisse prägend dafür war, dass ich dazu neige, Zorn und Enttäuschungen in Selbstaggressionen abzureagieren.
Unvergesslich ist mir ein weiteres Gewalterlebnis geblieben, bei dem ich in meiner Ohnmachtshaltung wohl schon geprägt war.
Es mag etwa in der vierten Gymnasialklasse in Nürnberg gewesen sein. Am späten Nachmittag – es war schon dunkel – stand noch eine Biologiestunde bevor. Irgendetwas musste im Flur vorgefallen sein. Als sich der Professor (wie man damals titulierte), ein ellenlanger, junger Lehrer, vor die zum Gruß aufgestandene Klasse stellte, vergaß er sich völlig! In einem Tobsuchtsanfall schrie er die Klasse mit sich überschlagender Stimme und mit einer ungeheuerlichen Wortwahl an. Den skandalösen Ausruf: „Ich werde euch den Arsch aufreißen!“ habe ich noch in Erinnerung. Dann stürzte er sich plötzlich vom Podest des Lehrerpultes hinab auf einen Schüler in der ersten Bank und schlug wild mit beiden Fäusten in voller Wucht auf ihn ein. Der Schüler versuchte, schützend seine Arme über seinen Kopf zu halten und sich auf das Schülerpult niederzuducken. Doch immer wieder riss ihn der Lehrer hoch und traktierte ihn schließlich - wie es schien, unendlich lange - sogar mit Handkantenschlägen!
Das kann doch nicht sein! Jetzt musste doch etwas ganz Besonderes geschehen! Die Welt untergehen! Das Leben des Schülers stand auf dem Spiel.
Gelähmt verharrte die Klasse totenstill in der Grußstellung. In mir tobte ein Orkan unstillbarer Wut, entfacht vom Zusammenbruch der Welt schulischen Respektes in mir als bravem Musterschüler, getrieben von der maßlosen Enttäuschung über den unbegreiflichen Verlust der Selbstbeherrschung einer Autoritätsperson, grenzenlos gesteigert durch das Entsetzen über die Hilfeverweigerung durch die feige Klassenübermacht, erfüllt von gieriger Rachelust und von zur Selbstzerstörung bereitem Trotz gegen die Totalität der sich darbietenden, unfassbaren Unwirklichkeit!
Mir schoss es durch den Kopf: Ich müsste vorstürmen, diese wildgewordene Bestie anschreien, auf sie einschlagen, den Kartenständer dazu benutzen, die Klasse um Hilfe rufen, die Demission von der Schule, meine Zukunft riskieren. Ich bebte, hatte kein Blut mehr im Kopf, atmete schwer, atmete noch einmal durch, noch einmal...
Nichts geschah, nichts! Irgendwann ließ der Lehrer ab und stürmte aus dem Klassenzimmer. Also Freistunde! Die Schüler begaben sich in den Schulhof. Ich hasste mich. Man musste es doch zumindest dem Direktor melden, damit dieser Lehrer von der Schule flog! Der misshandelte Schüler war überraschend wenig verletzt und trug den Vorfall mit Gelassenheit. Gelassenheit auch bei den anderen Mitschülern. Diese typische Gelassenheit, die ich später im Leben immer wieder bei unglaublichen Ungeheuerlichkeiten in der Gesellschaft und in den Medien kennenlernte und die mich zum Rasen bringt! Sehe ich denn alles so übertrieben?
Nach längerer Zeit erschien der Lehrer im Hof und entschuldigte sich bei seinem Opfer. So dürfte er wohl seine berufliche Existenz gerettet haben.
Ich frage mich manchmal, wie ich mich in der Nazizeit verhalten hätte, wenn ich damals bereits in einem kritikfähigen Alter gewesen wäre. Hätte ich mich der ideologischen Indoktrinierung entziehen können und, wenn ja, aufbegehrt? Wenn ich nicht schon von früher Kindheit an ideologisch verbildet worden wäre, wäre ich dem System wahrscheinlich schon wegen meiner allgemeinen Persönlichkeitsstruktur des Anders-und Einsamseins und des daraus entwickelten Individualismus mit einer ablehnenden Grundhaltung gegenübergestanden. Für eine umstürzlerische Betätigung hätte mir aber wahrscheinlich der Mut gefehlt, wie ich aus meinem kläglichen Verhalten bei dem vorstehend geschilderten Erlebnis schließe. Allenfalls der Mitwirkung an subversiven Aktivitäten hätte ich mich möglicherweise nicht verschlossen. Doch wahrscheinlich hätte sich in mir wie in den geschilderten Beispielsfällen sehr viel Wut aufgestaut. Diese wäre vielleicht irgendwann derart explodiert, dass ich es mit der Staatsgewalt zu tun bekommen hätte. Für diesen Fall kann ich mir allerdings gut vorstellen, dass dann, spätestens wenn ohnehin schon alles verloren gewesen wäre, ein Damm gebrochen wäre in mir.
Meine Seele,
Schatten aus dem Totenreich,
immer hast du mich begleitet,
flatternd, weiten Flügeln gleich,
mich inmitten. Ausgebreitet
nun, mich zitternd zu umarmen,
schenkst du endlich mir Erbarmen!
Meinetwegen
Ach, nimm mich bitte aus dem Leben!
Du hast mir Leid doch nur gegeben.
Ich weiß ja nicht einmal, weswegen,
und trotzdem alles meinetwegen?
Melancholie
Kühler Wind im Sonnenlicht
Greis mit einer Greisin spricht
Schatten über´s Pflaster kriecht
Melancholie
autosteuerndes Gesicht
gähnend beim Verkehrsbericht
Zufallsblick ins Auge sticht
Melancholie
Wolke am Zenit zerbricht
Seufzen über eine Pflicht
Regen weich auf Wasser trifft
Melancholie
Wehmut, die sich Blumen flicht,
dabei mit sich selber spricht,
fühlbar, aber fassbar nicht.
Melancholie
Die Sonne scheint so matt, als wär´s der Mond,
und die Gedanken gleichen einem Traum.
Der Zauber, der den Spiegeln innewohnt,
beschattet milde Zeit und Raum.
Gedämpft klingt alles wie aus weiter Ferne.
Die Leute blicken starr und gähnen.
Du schließt die Augen, schliefest doch so gerne.
Doch wieder kommen dir die Tränen!
Memoiren
In meiner Wiege lag ein Hinweis schon:
„Betriebsunfall der Evolution!“
Auf meinem Grabstein kann man vielleicht lesen:
„Er funktionierte nicht wie andere Wesen.“
Mensch unter Menschen
Sein flackernd verzweifelter Blick irrte drängend über die verschlossenen Gesichter, prallte ab an den versteinerten Mienen. Einen Augenblick lang sah er, wie diese Marmorbüsten mit den ausdruckslosen Augen unter seinen wirbelnden eisernen Fäusten zerbarsten. Dann waren sie wieder da, wie aus einem Staubnebel auftauchend, frisch gehauen. “Ich bringe mich um!“ schrie er sich mit würgender Kehle heiser, doch sein Mund war geschlossen geblieben. Es herrschte Totenstille. Nicht einmal ein verlegenes Räuspern oder gelangweiltes Aufschnaufen war von ihnen zu hören. Wortlos, blicklos und so langsam, als wäre alles nur zufällig, wandten sie sich ab, einer nach dem anderen, und gingen weiter, Menschen wie er. Er hatte sie nicht aufgehalten. Sie waren gekommen und daher da. Und sie waren da und sind daher gegangen.
Metaebene
Taste das Leere,
es hindert dich nicht.
Schmecke Gedanken,
sie hindern dich nicht.
Rieche Gefühle,
sie hindern dich nicht.
Höre die Stille,
sie hindert dich nicht.
Siehe die Finsternis,
sie hindert dich nicht.
Warum hinderst du dich?
Fühle deine Seele,
sie hindert dich nicht.
Denke deinen Verstand,
er hindert dich nicht.
Beurteile dein Urteil,
es hindert dich nicht.
Erlebe dein Leben,
es hindert dich nicht.
Sei dir deines Bewusstseins bewusst,
es hindert dich nicht.
Sei Sein,
es hindert dich nicht.
Warum hinderst du dich?
Greife nach Gottes Hand,
sie hindert dich,
dich zu hindern!
Metamorphose
Als er sein Büro betrat,
„duzte“ er sich noch.
Als er dort den Telefonhörer abnahm,
war er mit sich „per Sie“.
Misanthropie
Die Leute glauben, ihr Kopf sei die Welt
und das Wichtigste Anerkennung und Geld.
Und wenn jemand anders lebt als sie,
dann hassen sie ihn und kapieren das nie.
Erst wenn es ums Sterben geht, denken sie nach
und glauben, sie würden im Tod wieder wach.
Man fragt sich nur: Wie dumm muss man sein,
um ins Leben zu passen, oder wie allein?
Mitte
Sein und Nichtsein sind nur Schein.
Daher kann auch Schein nicht sein.
Alles ist nichts,doch das Nichts kann nicht sein.
Gegensätzen ist die Mitte gemein.
Moirologie II
Wenn dich dcr Schleier der Müdigkeit einhüllt
und das wehende Vergessen
dorthin getragen hat,
wo die Gedanken so durchsichtig werden,
dass sie als lockerer Hauch
gleitend und treibend
sich schwebend durchweben,
wird dir der Blick gläsern,
und ihn bricht die eigene Schwere dereinst,
wenn dich die harten Wogen
deiner gelebten Wirklichkeit
nicht mehr zurückschleudern
in die Wachsamkeit,
weil du den alles durchwirkenden
Traum gefunden hast.
Moirologie
Sanfter Regen ans Fenster weint,
gläserne Blicke verschwimmen.
Tränen versonnener Bitterkeit
bluten in atmende Stillen
dunkler, tiefer Verlassenheit.
Irrlichtsterne zerspringen.
Mondnacht
Aus wundersamem Traum
im hohen Gras erwacht!
Die Welt wirkt wie aus Flaum
in lichter Vollmondnacht.
Lautlos als Schatten nur
der eig´nen Seele streift
der Körper durch die Flur,
bis neue Traum ihn greift.
Ihn träumt ein ferner Ahn,
den Mond hat er gekannt.
Das Gras wächst schnell heran,
am Grab nimmt's überhand.
Mondnacht
Im toten Licht des Mondes
ist nichts wirklich,
ist alles dumpfer Traum.
In dieser schwebenden Helle
spiegelst du dich im Schatten
und ahnst den Tag
als bedrückend.
Rührend,
in deinem selbstbehüteten Raum
schläfst du ihm ohnmächtig entgegen,
ohne zu wissen, ob du erwachst,
verwirrt wie die trügerische Wirklichkeit.
Oh Gott, wahrhaftiger Tod!
Mondschein
Du liegst im Mondlicht und schläfst.
Und aus deinen Träumen schweben
Unwirklichkeiten in die Nacht,
die weder lebend noch tot sind,
wie dieses Licht,
das der traumlose Mond
endlos verliert.
Und gäbe es Engel,
und sähen sie dich, du Leidender,
würden sie dich ewig träumen lassen,
gestorben zu sein.
Monis Traum in der Nacht vom 1. auf den 2.10.2010
Ungewollt gefangen gehalten,
hast Du – aus Liebe? -
ein Blaukehlchen
- es liebte Blau -
befreit.
Im Schwarm von 1000 wartender,
blauer Himmelsvögel
ist es davongeflogen.
Morgenstunde
Morgengrauenhaft
dämmert neuer Tag.
Mühsam aufgerafft,
Trunk´ner torkelnd naht.
Traumverwundet klafft
himmelsrot Verrat.
Träge Eule gafft
über´s Schattengrab.
Musik
Musik ist alles, alles schwingt,
ob Freude, Trauer, alles klingt.
Die Sphären rauschen, ein Vogel singt.
Im Wind ein Ast ins Leere winkt.
Der Atem seine Züge nimmt.
Die Seelenharfe fast zerspringt.
Musik ist´s, die uns alles bringt,
nicht einfach nur in Ohren dringt,
nein, Zeit, die mit sich selber ringt.
Mut im Schnee
Die schwerbeschneite Tannenhand
grüßt schlaff das letzte Licht im Blut.
Die Nacht ist lang, und unbekannt,
wie lang der nächste Sturm noch ruht.
Ich ahn´ ihn, fürcht´ ihn wie gebannt.
Ach, würde alles wieder gut!
Schon schiebt die dunkle Wolkenwand
sich stauend vor die Sonnenglut.
Ein Hund markiert den Wegesrand.
Sein Herrchen lüftet seinen Hut.
Des Hundes Schicksal hängt am Band.
Die beiden Enden haben Mut!
Mut
Gib mir Mut, mich umzubringen!
Lass mich nicht mehr weiterringen!
Lass mir ohne Engelsschwingen
tiefen Sturz ins Nichts gelingen!
Mysterien
Der Grund für die Rätsel des Lebens
liegt im Geheimnis des Todes.
Das Rätsel des Lebens
löst das Geheimnis des Todes
jenseits der Unbegreiflichkeit
von Sein und Nichtsein.
Mysterium
Traumverlaufen
im Schatten des Tages
greift ein Geheimnis
ins zerfallende Schweigen.
Stummer Atem wird laut.
Oh Leben,
was heißt dich,
dich zu verstehen
als gegeben?
Gleichnishaft nur
kannst du dich
töten!
Müde II
Noch einmal
scheint
der Himmel
in blauer Güte.
Bitte,
Gesicht ohne Züge,
ohne Mitte,
nimm
meinen Sinn
in die Wiege
ewiger Lüge,
behüte
ihn!
Ich bin
müde.
Müde
Ich bin so müde, Tod, todmüde,
so traurig, dass ich sterben will.
Mein Gott, nimm mich in deiner Güte
zu Dir. Es gibt kein anderes Ziel!
Wie hast als Jesus Du gelitten,
Erlösung uns mit ihm gewiesen!
Mir fehlt die Kraft, kann Dich nur bitten,
die Augen ewig mir zu schließen.
„nichts“ und „Nichts“
Wäre der Wald
für die Waldameise sichtbar,
sie trüge keine Tannennadel mehr
zu ihrem Haufen!
Wär´ für uns wahrnehmbar,
was es für uns nicht gibt,
wir würden
keinen Gedanken
mehr fassen!
Die Blindheit ist's,
die Leben erst ermöglicht.
Und bis zum ersten Leben
war das Universum
13 Milliarden Jahre lang
völlig blind.
Oh Gottes Auge,
das das Nichts sieht!
Na so was!
Die Sonne
schien gelb
und stank
nach Urin
und in
den Pissoiren
der Welt
sonnte sich
der Geist
der Beiläufigkeit.
Nach dem Regen II
Wie die Dächer und Straßen
hat der Regen
meine Seele versilbert.
Ich rieche Erinnerung,
starre auf die dunklen Flecken
an vertrauten Fassaden,
und der Blick sinkt zu Boden,
wo in blinden Augen,
die zum Himmel gerichtet sind,
von dem sie gefallen sind,
das Sonnenlicht durch bricht.
Ein fernes Fenster gleißt.
Soll ich den bunten Bogen suchen,
wie mich das immer wieder reizt?
Ich tu´ es nicht, schau´ nicht nach oben,
wo jetzt die Wolkendecke reißt,
enthüllt sie doch im Himmelsspiegel
als Blendwerk meinen dunklen Geist.
Nach dem Regen
Trunk´ne Tropfen auf dem Wasser tollten.
Alles jetzt nach Tränen riecht.
Müde hängt der Blick an welken Wolken,
bis er wie das Licht zerbricht.
Sanftes Sinnen zieht in einen Traum.
Tau verspiegelt Zeit und Raum.
Wasserspiegel, die sich selbst beschau´n,
blind im Grunde, voll Vertrau´n,
auf ein Wecken, Traum um Traum zu schau´n.
Nach der Schneeschmelze
Wo sind die Spuren nur geblieben,
als der Schnee weg war?
Die Zeit hat sie davongetrieben,
sie sind nicht mehr wahr!
Und doch: Sie blieben wirklich liegen:
Ist was, gilt dies immerdar!
Alles bleibt für immer wahr.
Ende löscht den Anfang nicht.
Anfang trägt, woraus er bricht.
Nach Pindart
Sie kennen sie nicht,
die Sucht nach Einsamkeit,
ihr tiefen Nächte
und grauen Regentage!
Sie sehnen sich nicht
nach der Stille des Sehens
aus Eulenaugen.
Sie wollen nicht wissen,
ihr rätselhaften Schmetterlinge
der Seele
im Schatten eines Traumes,
welche Schattenrolle
der lichte Tag,
der sie in Schwärmen anzieht,
mit ihnen spielt!
Nachbars Spiegelbild
Im hängenden Lappengesicht
mit dem zerrissenen Lächeln
- wie verlegen,
als fühlte es sich beobachtet -
durchflackern fliehende Blicke
seltsam symmetrisch
klaffende Löcher.
Schon nach Sekunden
- als drohte es,
zu versinken –
reißt er sein Antlitz
aus dem Spiegel.
Und, wie um sich
zu vergewissern,
ob es nicht zurückgeblieben,
wendet er es hektisch
noch einmal zurück.
Ihn jetzt zu grüßen!
Nachmitternacht
In den Winkeln der Nacht
klemmen tote Lichtscheine,
klagen stumme Träume
Fantasien, Soli in Moll.
Drüben
lachen sie im Hellen,
und hier
tropfen Gedanken
ins Hohle
der zurückgeschlagenen Hand.
Sachte öffnet jemand eine Tür,
tritt hindurch und
schließt sie nachdenklich.
Ihm ist wie nichts,
als werde Gnade gewährt,
als dürfe er etwas,
ohne zu schlafen.
Oh starrende Gegenständlichkeiten
in stumpfer Stille,
nichts bewegt sich von selbst.
Oh bräche doch
sinnender Blick
die unendliche Wunderlosigkeit!
Nachruf auf das „Mausloch“
(zur Wiedereröffnung am 14./15.10.2000)
Was war das doch in den sechziger Jahren für eine urige und lockere Schüler-und Studentenkneipe!
Die Jugend hatte damals erst begonnen, die Kneipenszene zu erobern. Das „Mausloch“ war noch bis Anfang der Sechziger eine Weinstube für ein gutsituiertes älteres Publikum!
Nunmehr aber saß der bebänderte Verbindungsstudent vom „Ohm“ (Polytechnikum, jetzt Fachhochschule) einträchtig neben dem bärtigen Apo´ler auf der knarzenden Holzbank. Der Medizinstudent repetierte sein Knochenverzeichnis, der Schüler schrieb eine Hausaufgabe ab. Man politisierte, philosophierte, nonsensierte oder schwieg einfach.
Der uralte „Promille-Charlie“ traktierte mit rauchgelben Zigarretten-Fingern die vergilbten Tasten des verstimmten Klaviers mit Schlagern aus seiner fernen Jugend, und keiner hört zu. Meist aber schleppte er sich mit Reibeisenstimme im kühlen norddeutschen Idiom zum Zigarettenschnorren von Tisch zu Tisch.
Stumm und korrekt bediente die ebenfalls schon betagte treue Seele „Anni“.
Jedesmal, wenn die Türe aufging, durchstieß der Geruch von Urin aus den vorgelagerten Toiletten die Rauchschwaden über den holzvergitterten Sitzpferchen und -podien. In nicht allzu langen Zeitabständen dröhnten donnernde Rülpser unter dem rauchgeschwärzten Deckengewölbe von einer zur anderen der mit erblindeten Bildern behangenen Kellerwände.
Der Wirt – ebenfalls noch aus der Weinstubenzeit – hielt sich im Hintergrund, wahrscheinlich, weil er ständig nachrechnete, wie lange er bei diesen sparsamen Gästen noch überleben werde! Nur einmal erlebte ich ihn fassungslos mit der milden Schelte im kühlen norddeutschen Idiom (wie der Alleinunterhalter): „Aber Herr´Seitz´!“, als der Sohn des damaligen Nürnberger Polizeipräsidenten Zeitz die oben beschriebenen Donnerpausen auf das Stakkato eines Maschinengewehrs verkürzte.
Es war einfach herrlich, sich nach der damals genossenen Erziehung gegen Ende des zweiten Lebensjahrzehntes endlich einmal unerwachsen geben zu dürfen!
Und jetzt? „Schicki – Micki“, wie man damals gesagt hätte, kommerzgeile, produktgenormte „Jungs“ und „Mädels“ – solche hatte es damals noch nicht wieder gegeben, dieser „HJ“- und „BdM“-Jargon war tabu! - , die fernsehgerecht ihre abgeschaute Rolle in Kleidung, Sprache und Gestik „auf locker“ spielen müssen!
Nacht II
Dunkelheit,
die deinen Blick nach innen schlägt,
quälende Gedanken,
unerklärliche Geräusche,
Absturz in den hilflosen Schlaf.
Nacht,
wo das Leben
geisternd
sich nicht braucht.
Nacht im Schmelz
(Ironeske)
Es schmilzt das Metall der Nacht
im Feuer des Tages,
bis dieses erlischt.
Noch nachglühend am Abend,
erkaltet es wieder
im gefrorenen Licht der Gestirne
und rostet am Morgen,
von Laurentius´ Tränen beschlagen.
Nacht
Aus dunkler Erde
nährt sich Blatt und Blüte.
Aus Unbestimmtem
zeigt sich Geist und Güte.
Es ist die Nacht,
in der die Sterne glühen.
Ein dunkler Gott
lässt unser Leben blühen.
Herr, es ist Zeit!
Ich bin bereit.
Nimm mich zu Dir!
Schenk´ Gnade mir!
So, wie die Nacht
denTag so sacht
vergangen macht.
Nachtblick
Verklärt im schlafenden Licht des Vollmonds
auf dem weiten, erdig riechenden Feld
starrt in die Stille der stehengebliebenen Zeit
schattenlose Gestalt,
bis sie, vom Wind eines Schwindels erfasst,
im stummen Würgen geträumter Klage
in den nüchternen Morgen entgleitet.
Nachtgedanken
Süchtig im toten Licht des Mondes
starrt schweigend schwarzes Geäst
unermesslicher Leere entgegen.
Kalt jagt die Technik durch die nächtliche Luft,
in der Tausende und Abertausende Träume
sich schwindelnd verweben
zum Nichts.
Wimmernd verleben
die gestirngerichtet Liegenden
eine prophezeite Erfüllung.
Am Tage werden ihre Finger
hastig über die Tastatur der Zeit
irren, und am Autosteuer
starren sie süchtig durch ihren Tod.
Nachtgeschehen
Es schreit ein Kind, noch ahnungslos,
wie viel es doch noch leiden wird,
vertraut noch auf den Mutterschoß.
Ein Greis weint tränenlos und stiert.
Fern bellt ein Hund. Was hat er bloß?
Ein Traum träumt selbst, dass er sich irrt,
versetzt dem Träumer einen Stoß.
Der Tod spielt Leben und verliert.
Ein Gott hält sich für viel zu groß.
Nachtgespenster
Die Nacht schafft eine enge Welt.
Wir sind auf Nahes eingestellt.
Gedanken machen uns besessen.
Sie nagen in uns, bohren, fressen.
Ja, wandle nur im Lampenlicht,
stürm´ in die Geisterwelt Natur:
Du bannst die Hirngespenster nicht,
das schafft die Morgenhelle nur.
Nachtgewitter
Die Dunkelheit zerknittern Feuerfiligrane.
Es ist, als ob der Himmel hektisch Wurzeln schlüge,
und scheint, dass er im Unsichtbaren sich verfange
und losreiße, zur Glut gereizt darüber wüte.
Nachtragend rollt geplatzte Stille Spannung auf
und kommt im Tränensturz mit Grollen nicht mehr nach.
Von einem Fenster ich zum and´ren Fenster lauf´;
die Ohren fiebern nach erlösend lautem Schlag.
Nachtliebe
Adilo liebte die Nacht,
die traute Nähe des Todes
im trotzigen Licht
der Einsamkeit.
Dann kam, wie jeder,
der Tag, an dem er plötzlich wusste,
dass er ihn vor Angst
vergessen hatte.
Adilo hatte die Nacht geliebt,
die Ahnung des Nichts
in der Vergessenheit
des Wachtraumes.
Nachtschatten
Ich hatte einen Schatten
in die Nacht gezeichnet.
Er lag im Tageslicht erstarrt.
Es hat sich weiter nichts ereignet,
so dass der Schatten noch verharrt.
Nachtschattengewächs
Die Stadt regt sich im Alltagstaumel.
Ein Nachtgetrieb´ner liegt im Bett.
Das Licht gleißt flirrend, wahnhaft, traumhell.
Metall´ne Stimmen schwingen weg.
Der Puls der Zeit schlägt an die Tür.
Aufwallt ein fieberndes Gewissen.
Vom Schlaf betäubt hinabgerissen,
zuckt bleischwer tief es im Geschwür
der dunklen, schattentrunk´nen Seele.
Dass sie die nächste Nacht zerquäle!
Nachtspiegel
Starren in fremde Welt,
feindliches, dummes Gezücht;
Träne des Schweißes fällt
blutig in flackerndes Licht.
Sanfter Seele Leiden
zitternd Hass erstickt.
Weiten Einsamkeiten
nahes Lied missglückt.
Leise Todesweihen
öffnen müde Augen.
Blasse Lippenreihen
schrägen Mondschein saugen.
Naila
Es war schlummernde Zeit
bei den Großtanten,
weit in der Vergangenheit,
in der Stube unendlicher
Langweiligkeit.
Das Leben war Ordnung
und Genügsamkeit.
Im Nörgeln noch
Zufriedenheit.
Altmodisch zwar alles,
doch altvertraut.
Spießig? Ja sicher!
Doch Verlogenheit?
Man kannte es nicht anders,
es war ja nicht bequem,
es war Gemüt - lichkeit.
Natur
In den Windstößen draußen,
den prasselnden Regenbüscheln
tanzt meine Seele
mit dem Tod,
nachts besonders
und, ach, wie wild
bei Gewitter,
denn diese Natur,
die tröstende, ist´s,
die unser Leiden
kost.
Natura non contristatur
Wir sind in unserem Leben
nur das, was uns gegeben.
Betrachte die Natur:
Wie selbstverständlich nur
ist alles doch an ihr!
Und bitter leiden wir,
weil wir nicht wie der Wind
uns selbstverständlich sind
und nicht wie jeder Baum
uns einfach dasein traun.
Das Leben ist nicht schlecht
und ist uns nur nicht recht.
Und all die Grausamkeiten,
an denen wir so leiden,
sind leichter zu ertragen,
wenn wir nach Sinn nicht fragen.
Nebelige Gedanken
Dichter Nebel hüllt mich ein.
Schemen zwischen Sein und Schein
tauchen aus der Tiefe auf.
Flucht, nicht Suche, ist mein Lauf.
Jeder Nebel steigt nach oben.
Was ist wahr und was gelogen?
Unverhülltes scheint uns klar,
doch sind nicht auch Nebel wahr?
Neugier
Der Blick ins Sein, von Neugier angelockt,
wird irgendwo, undenkbar fern, gestoppt,
von eben dieser Neugier abgeblockt,
die, unstillbar, uns letztlich doch nur foppt,
in unserem Letzterkenntnis-Glauben schockt.
Das Größte wie das Kleinste bleibt verborgen:
Unendlichkeiten sind´s, die dafür sorgen.
Unendlichkeiten sprengen jedes Sein.
Da auch das Nichts nicht sein kann, bleibt allein,
sich vom polaren Denken zu befrei´n.
Neuschnee
Kalt, aber sanft
wird alles eins,
weiß und weich,
ganz.
Und leise
steht die Luft
wie angehalten.
Der Atem,
eine Kleinigkeit,
spielt in ihr
mit dem Schleier
seiner Flüchtigkeit.
Alles ist eins,
weiß und leis´
wie die Gestirne,
oh milder Mond
am Taghimmel,
Totengesicht
der Ewigkeit.
Und spät in der helllichten Nacht
tritt jemand prüfend vor die Tür,
als wäre ein Werk vollbracht,
und als hätte er nachgedacht.
Tief im weich
verschneiten Wald
sitzt zugleich
jemand pelzvermummt
an einem schneebedeckten Klavier
und schmettert Arien,
die niemand hört,
der fragen könnte und wollte.
Neutrale Welt
Die Welt ist, wie sie eben ist.
Der Mensch macht sie erst gut und böse.
Doch wenn ein Tier ein anderes frißt,
gibt die Natur sich keine Blöße.
Natur ist eben, wie sie ist,
samt Mensch, der sie nach Werten misst.
Nicht allein
Weinst du, weinst du nicht allein.
Gott weint mit. Denn nichts kann sein
ohne ihn. Er ist in allem.
Nichts kann seinem Schutz entfallen.
Immer, wenn du weinst im Leid,
weint Gott mit, mit jeder Träne.
Er ist die Notwendigkeit,
die dich doch nicht weiter gräme!
Nicht am Leid leiden!
Gut, dass Gott schweigt,
wenn wir ihm unsere Leiden klagen
und ihn nach Sinn und Gründen fragen.
Gut, dass dies zeigt,
dass wir nur sinn- und grundlos klagen,
wenn wir nach Sinn und Gründen fragen.
Gut, dass sich neigt
die Nacht nach allen unseren Tagen
auf unseren Geist. Er wird sie tragen.
Wir sollten Ja zum Leben sagen,
uns Gott in seine Arme wagen!
Nicht einmal der Tod befreit vom Leben
Was kann ich denn für mein Leben,
dass ich derart leiden muss?
Ich habe es mir nicht gegeben
und auch nicht gewünscht, dieses Muss.
Ich kann mir das Leben zwar nehmen.
Doch die Befreiung erleb´ich dann nicht.
Und soll ich den Tod ersehnen?
Sind schlimmere Leben in Sicht?
Und gibt es Erlösung im Jenseits,
dann macht sie nichts ungeschehen.
Ich brauche sie jetzt bereits!
Mit dem Tod soll´s zu Ende gehen,
als wäre nie etwas geschehen!
Nicht verloren
In die Hölle reingeboren
sind wir, aber nicht verloren.
Lebe wohl, vertraute Hölle,
über deine höchste Schwelle
jeder einmal dir entrinnt,
„Schlimmer kann's nicht werden!“ winkt.
Schlimmstenfalls wie ungeboren
sind wir nirgendwo verloren!
Nichts
Unsere Träume sind unsere Schatten in der Nacht,
unser Sehnen das Licht, das uns der Schein vormacht.
Aus diesem Schein sind wir gemacht durch Schattenmacht.
Der Schein ist Schatten nur vom Sein, das Sein: vom Nein.
Die Sehnsucht ist das Nein zum Jetzt, der Traum: zum Sein.
Der Tod ist Schein des Nein; du bist es, ganz allein!
Nichts angehen
Alles könnte genau so gut
gar nicht oder anders sein.
Auch mein Leben. Alles ruht
nur auf Zufall: Sein wie Schein.
Darum geh´ ich mich nichts an.
Freud´ und Leid sind für mich Wahn.
Hab´ mein Leben nicht erbeten.
Mag der Tod es doch zertreten!
Nichts II
Schatten ohne Körper.
Schein ohne Sein.
Trotz ohne Nein.
Selbstmord ohne Mörder.
Nimm dir dein Leben,
das dir niemand gibt,
werfe es weg,
wenn es dich erdrückt!
Nichts ist gegeben,
was sich selbst nicht erlügt.
Alles ist Finsternis,
die man nicht sieht.
Nichts III
Wir weinen dem Nichts nach,
aus dem wir kommen.
Und indem wir hoffen und träumen,
was nie in Erfüllung geht
oder uns nur im Augenblick der Erfüllung zufriedenstellt,
sehnen wir uns nach dem Nichts,
in das wir gehen.
Das Leben ist ein Spiel
um das Nichts,
bittere, hohle Frucht
der Fantasie.
Nichts und alles
Gottlos ist der Mensch,
menschenlos der Gott.
Gottlos ist auch Gott,
ohne sich der Mensch.
Alles ist nichts,
und nichts ist alles.
Nichts und alles
Nenne mir, Muse,
das Geheimnis des Nichts,
das Fehlen von allem,
auch des Fehlens
und des Nichts!
nichts und Nichts
Wäre der Wald
für Waldameise sichtbar,
sie trüge keine Tannennadel mehr
zu ihrem Haufen!
Wär´ für uns wahrnehmbar,
was es für uns nicht gibt,
wir würden
keinen Gedanken mehr fassen!
Die Blindheit ist's,
die Leben erst ermöglicht.
Und bis zum ersten Leben
war das Universum
14 Milliarden Jahre lang
völlig blind.
Oh Gottes Auge,
das das Nichts sieht!
Nichts übrig
Ich habe nichts übrig für mein Leben.
Draußen, da lachen sie in der Herde
im Takt ihrer flüchtenden Schritte.
Und ich bin ganz drinnen,
tief drinnen,
wo sich die Seufzer lösen,
für wen?
Nichts
Aus dem Nichts der Zukunft
bricht das Schicksal
durch das Nichts der Gegenwart
in das Nichts der Vergangenheit.
Und wir erleiden es doch!
Im Nichts des Augenblicks,
der, aus dem Noch-Nicht
der Zukunft auftauchend,
bereits im Nicht-Mehr
der Vergangenheit untergegangen ist.
Und wir sind doch,
sind nichts.
Aus dem Nichts
ins Nichts geboren,
streben, sterben
wir ins Nichts.
Teile den Raum,
teile die Zeit
unendlich,
und du stößt
auf nichts
als das Nichts.
Reise ins All,
und in der Unendlichkeit
wird alles zu nichts.
Denke und
denke weiter,
und am Ende
denkst du
nichts.
13 Milliarden Jahre
seit dem Urknall
sah sich das All nicht.
Und jetzt sieht es sich
durch uns,
und sieht nichts!
Nichts
Nichtssagend
Nichts sagt mir was.
Auch ich sage mir nichts.
Mein Zimmer dunkelt,
und das Fenster
trennt mein Schweigen nicht
vom Schweigen
der unsichtbaren Blicke,
die es hereinlässt.
Ich bete,
dass ich nichts glaube,
dass ich nicht zweifle,
und verstumme wieder
verzweifelt.
Auch draußen wird es dunkel.
Was sehen wir überhaupt?
Auch das Licht ist nur
in unseren lügenden
Köpfen hell.
Nichts sagt mir was.
Auch ich sage mir nichts.
Noctambulatio
Aus einem Fenster
scheint
geborgene Welt
in die Nacht
des unendlichen Universums.
Und unzählige Sterne
blinzeln
zurück.
Jetzt zeigt sich
ein Schatten im Fenster
und streckt sich im Schein
auf die Erde,
deren Schatten, die Nacht,
die Sterne
erst sichtbar macht.
Geborgene Welt
hinter dem Fenster.
Geborgene Welt
hinter der Nacht?
Nocturnalien
Draußen
nicken Baumschatten
im lautlosen Wind,
umstarrt
vom müden Licht
grauvernebelten Monds.
Drinnen
zur traumerschrockenen
Stimme des Schlafenden
nickt der Tod.
Non aliquid, non nihil
Wir fragen, fragen, fragen
und klagen, klagen, klagen
und glauben, dass wir sind.
Doch, was das ist, gelingt
uns niemals zu erklären.
Wir sind, uns zu verwehren.
Was soll der Tod uns scheren?
Was heißt da: Gott verehren?
Nostalgie II
Häusergesichter heimeln dich an.
Marode Winkel trotzten der Zeit.
Auf Erinnerungswogen schwankt der Kahn
deines Lebens auf dem Meer der Verlorenheit.
Zukunft und Gegenwart eilen vorbei.
Vergangenheit bleibt, wird nicht einerlei.
Nostalgie?
Mich weht die Kindheit an,
die Atemlosigkeit des Sonnenlichtes,
der Duft des Regens
und Angst und Bange
und Angst und Bange,
lebenslang.....
November 06 (2)
Im November durch die Gräberreihen:
Geländer an dem Lebensschein!
Schon morgen wird der Nebel reißen,
wird Tränentau im Lichte gleißen.
„Verstorben“ wird es amtlich heißen.
Das Pendel „Ja und Nein“ wird reißen,
Erinn´rung ins Vergessen reisen.
Vielleicht wird man den Herren preisen.
Du wirst befreit sein Nichts durchstreifen
und, dass nie etwas war, begreifen!
November 2001
Lichtes Gebüsch, verfaulende Früchte,
Eispfützen glitzern im goldgelben Lichte.
Ein einsamer Mensch steht mit langem Schatten
im erdigen Feld und hat nichts zu erwarten.
Am Himmel tost der Luftverkehr
und rastlos rauscht´s von den Straßen her.
November 2002 I
Nasser November,
Nacht hat sich fern in den kahlen Wäldern verhangen.
Braune Gewänder,
blass hat ein Schnee angehaucht die narbigen Wangen
trüber Äcker am hüg´ligen Horizont.
Wolkenschwere wird nebelleicht mir vertont.
November 2002 II
Es neigt sich der Ast mit sich neigenden Blättern.
Es neigt sich der Weg in den Tod.
Es neigt sich das Haupt auf ein Buch ohne Lettern.
Es neigt sich der Stift aus dem Lot.
Es neigt sich der Blick vor beschämten Rettern.
Es neigt sich am Ufer ein Boot.
Es neigt sich die Wand einer Hütte aus Brettern.
Es neigt sich eine Schnauze auf Kot.
Es neigt sich ein Lichtstrahl und Wolken zerfleddern.
Es neigt sich ein Antlitz wie Gott.
November 2003
So grau ist der Tag,
und so schwarz droh´n im Nebel
- halt ein, Flügelschlag! -
die Unglücksvögel.
Knorrige Bäume
trotzen dem Tod.
Nebel sind Schäume.
Leid ewig droht!
Denn unsere Träume
beweint ein Gott.
November 2006
Es ist, als träume man sich heim
in eine wohlig-warme Stube;
als sei die Zeit mit sich allein
und starre in die Totengrube.
Ein Finger legt sich auf den Mund
und zischelnd mahnt das Laub zur Stille;
es ist jetzt fahl, war grün, dann bunt.
Der Tod trägt eine Nebelhülle.
Und in den Städten blenden Lichter
und schreit geschund´nes Jesuskind.
Gekrümmte Bettlershände bricht er,
der Tod, zu dem uns Gott bestimmt.
November 2008
Die verträumte Sonne
träumt lange Schatten.
Die Luft ist ein sanfter Schleier,
in dem die Ferne verblasst.
Es ist, als sei alles Gebet.
Dein Blick fällt zu Boden.
Ein winziges Leben krabbelt davon.
November 2009
Wandelnd durch feuchtes, braunes Laub,
den Blick immer wieder erhebend
durch schwarzes Geäst
zu den jagenden, spitzen, schwarzen Wolken
am giftigen Himmel,
in die grauen Schleier eines Lebens gewandet,
trägst du dich zu Grabe
in schweigenden Gedanken an einen Gott,
der dir alles genommen hat,
was ein Leben schenken kann,
das er nur zeigt.
November 2012
Die Bäume zieh´n sich aus
und starren in die Kälte.
Und wir zieh´n warm uns an.
Als ob´s zu trotzen gälte.
Der Mensch, das ist der Widerspruch
als Segen, aber auch als Fluch.
November II
Stahlblauer Himmel
eiskalte Luft
stechende Sonne
offene Gruft
Totengesänge
Weihrauchduft
bleiche Menschen
schwarz betucht
blasses Ahnen
Gedankenflucht
starrer Blick
das Weite sucht.
November III
Im November, da ist die Natur grundehrlich,
so ausgesprochen nichtssagend herrlich!
So grau in Grau wie das Alltagsleben.
So wie nach dem Urknall die Ursuppe eben.
Da kommt die Seele zur Rückbesinnung.
Den Trunkenen nur missfällt die Stimmung.
Sie haben die Sonne im Bauch aufgesogen.
Die steigt zu Kopf und sticht da droben
die grauen Zellen. Und genau
wie sie ist doch der Monat grau.
Im November, da ist die Natur grundehrlich,
so ausgesprochen nichtssagend herrlich!
November
Die grauen Regentage trösten dich.
Dich treibt es durch die trübe Stadt
hinaus auf triste Wiesen, brache Felder.
Im kahlen Wald hüllt dich der Nebel
in seine Leere ein.
Das tote Laub zu deinen Füßen!
Die Wirklichkeit ist Schein.
Du musst es jetzt alleine wissen:
Wohin kehrst du jetzt heim?
Novemberabend
Es wallen dichte Nebelschleier
ins trübe, späte Sonnenlicht.
Und über weitem, blinden Weiher
streift Kühle dir in das Gesicht.
Allein treibt dein Gedankenkahn,
zieht ziellos wellenlose Bahn.
Es dunkelt schnell das Uferrund,
und aus der Ferne bellt ein Hund.
Du ziehst den Kahn zu dir ans Land
mit deinem traumerfüllten Blick
und winkst mit unsichtbarer Hand
dorthin, wo er still trieb, zurück.
Novembergedanken
Schwarze Vögel schweben
über trübe Fluren.
Alle Leben streben
nur auf ihren Spuren.
Dunkel zieht mein Sinn
über Spuren hin,
himmelwärts verwoben.
Hab´ sie nicht gezogen.
Wie die schwarzen Vögel fliegen,
sich am dunklen Himmel wiegen!
Novemberlandschaft
Draußen
auf vertrauten Wegen,
die nur du kennst,
in den Nebel treten.
Samt
aus seid´nem Regen!
All dein Sehnen,
all dein Beten
um den Atem weben!
Füße heben,
nein, die Hände:
Leben
als ein Ahnen segnen;
Flügel beben.
Tragen nur Gedanken,
die verwehen.
Tragen dich
beim Gehen,
da die Schritte wanken.
Schweben.
Bald wird man das tote Jahr
in das offene Grab
der Zukunft legen.
Novemberspaziergang 2001
Der Nebel nässt mir ins Gesicht.
Der Wald schweigt tot im Himmelslärm.
Die dunklen Gedanken schreien nach Licht.
Oh Tod, mein Gott, warum bist du so fern?
Der Atem ist kalt und das Atmen sticht,
es würgt das Herz, das blutet zu gern.
Das Leben ist Nacht, und in ihr zerbricht
an gefrorenen Lügen Stern für Stern!
Novemberwetter
Die Strahlen einer verweinten Sonne,
so müde
gesenkt
und gebrochen,
fahl wie Mondlicht,
doch flackernd
aus den Rissen
gehetzter Wolken,
den Astgittern
geschüttelter Bäume,
von schwerfälligen Schatten gejagt
im hektisch stoßenden Wind,
für die spürenden Seelen nur
hinter den verglasten Himmelsblicken,
für die hingeträumten Zufälligen
mit den fest verschlossenen Mündern.
Nummer, Zahl oder Einheit?
Hast du dich
schon einmal
gezählt?
Nur im Bewusstsein
Denk´ an die Blicke,
die sich an dich heften!
Denk´ an die Worte,
die sich an dich richten,
an die Gedanken,
in die du aufgenommen bist,
und die Gefühle,
die du ausgelöst hast,
den Geruch,
den man mit dir verbindet,
die Meinung,
die man von dir hat!
Man gibt dir einst ein Grab,
und niemand wundert sich,
dass es dich gab.
Nur im Traum?
Jeder trägt sein Bündel schwer,
pflückt vom Wegesrand die Beere,
läuft Gedanken hinterher
aus dem Nichts und in die Leere.
Ach, ich wünsche mir so sehr,
dass ich nur im Traume wäre!
Nur
Es ist nur ein Wind, der an deine Schläfen streift.
Es ist nur ein Schatten, der drohend ins Leere greift.
Es ist nur ein Wort, das zur giftigen Beere reift.
Es ist ein Gedanke nur, der deinem Tode gleicht.
Es ist nur ein Blick, der dir zur Freude reicht.
Es ist nur ein Traum, dem der Alltag willig weicht.
Es ist nur die Sehnsucht, die die Erinnerung bleicht.
Es ist nur die Wehmut, die unser Leben eicht.
Es ist nur ein Ahnen, das unser Herz beschleicht.
Es ist unser Sinnen nur schwer, unser Atem leicht.
Nächstenliebe
Du bist
unendlich viele,
unendlich oft.
Du bist
in jedem.
Das ist
dein Leben,
dein ewiges
Leben.
Hast du
dir denn
von dir
mehr erhofft?
Wie alle
mit allen
geboren,
als Welle
aus Wind
und Meer,
verweht
und zerflossen:
wohin
bleibt woher.
Was, glaubst du,
bist du
denn mehr?
Nächtliche Kirche
Jetzt, da es dunkel ist,
die alte Kirche fest verschlossen,
sind drinnen die Figuren
unter sich.
Und das gesenkte Jesushaupt
am Kreuze schweigt für sich,
als wär´es nicht
und nie gewesen,
so wie die Finsternis.
Du klopfst an das Portal
und hörst dich beten,
als hättest du´s getan,
und senkst den Kopf
und wendest dich zum Gehen.
Wirst du einmal
vor´m Nichts bestehen?
Nächtliches Ufer
Im Mondlicht klaffen ihre Schattenhöhlen.
Am schwarzen Wasser glimmt noch etwas Glut.
Die Sterne starren zwinkernd auf die Seelen.
Die Träume tropfen voll von trock´nem Blut.
Von ferne in die Stille Hunde bellen.
Sie wittern unterm Himmel Lug und Trug.
Am Morgen werden alle Höhlen fehlen.
Nicht einmal Asche bleibt vom Uferspuk.
Es kräuseln sich verspielt die trägen Wellen
des Flusses, der den Toten weitertrug.
O Charon
Weiß ist der Tod
wie der Schnee
auf den himmelstrebenden schwarzen Ästen,
wie der Mondschein
über dem festgefrorenen Boot,
wie der Schreck
im Gesicht von vertriebenen Gästen,
wie der Schaum
vor dem Mund des Täters,
der ins Leere sticht,
silberne Fähre,
die die schwarzen Wellen bricht,
Leitstern der Meere,
den ein allwissender Gott vergisst,
helle Leere,
die die dunkle Sehnsucht küsst,
in der sich ein Märchen selber liest,
in die jede einzelne Träne fließt,
in der du alles Dunkle selber bist!
Schwarze Raben,
scheue Seelen durchwachter Nächte,
bleiben am Himmel stehen,
von eisigem Wind aufgebracht,
weiten Schnee unter sich,
weiß auch noch in der Nacht.
Weißer Rabe im Irrlicht,
schneehell zu Grabe gebracht,
schrieb eine Spur so sacht
im Schnee wie ohne Gewicht,
wie verweht, wie weicher Schnee im Gesicht,
eine Botschaft, als wäre sie's nicht,
hell in Hell verfasst überbracht,
zum Lesen nicht, zum Sehen gedacht:
Helles zu sehen, ist Todesmacht!
O Gott (II)
Grausam bist du, Herr,
und ungerecht!
Und Fluch um Fluch
brüllst du in meine Seele.
Quäl´ mich nicht mehr!
Ich mach´ nichts recht.
Genug, genug!
Würg´ meine heis´re Kehle!
Oh Gott, oh Gott,
ich glaub´ zum Trotz:
Du sorgst für meine Seele.
O Gott
Ich klammere mich an meinen Gott,
doch muss ich ohne diesen leben.
Er lässt mich leiden wie aus Spott:
„Hast du dich noch nicht aufgegeben?“
Doch manchmal kam mir das Gefühl:
Er hat mich wunderbar geführt!
Dann wieder kam an Leid zu viel.
Was hatte ich da nur gespürt?
O kaymós
Es branden
die Gedanken
gegen die Unendlichkeit.
Doch die Gefühle
finden Spiele
in dieser
Sinnlosigkeit:
Aufstehen
wie die Griechen
und mit ausgebreiteten Armen
gesenkten Hauptes
auf der Stelle tretend
fliegen!
O tempora, o mores!
So schaust du in dein Leben,
hast Chancen wohl vergeben,
hast viel gedacht, gelitten.
Die Jahre sind entglitten.
Und manches liegt in Scherben.
Du bist bereit, zu sterben.
Die Welt wird immer schlimmer.
So dachten Alte immer.
Doch nie war sie so flüchtig,
nach Primitivem süchtig.
Die heute herrschende Klasse:
gefühlskalt, dummdreist, Masse!
Obdachlos
Abends, wenn die Behaglichkeit
hinter die hellen Fenster
eingezogen ist,
nimmt sich der Obdachlose
einer armen Seele an,
die er beherbergt.
Er zeigt ihr ein Fensterlicht und spricht:
„Und wir, wir haben das Augenlicht,
auch wenn es sich in Tränen bricht,
sie löschen es nicht.“
Er schließt die Lider und dann spricht er wieder:
„Siehst du es nicht,
wie es flackert und fließt?
Und da ist ja auch noch
- nichts hält doch dagegen! -
das Lebenslicht.
Es lässt seinen Schein
unsere Träume durchweben.
Ob wohl die Leute
hinter dem Fenster
auch so schön reden?“
Oberpfalz
Im scharfen Kontrast von Licht und Schatten
unter wolkigem Himmel liegt welliges Land.
Die Dörfer ducken am Hang sich und warten.
Verkehr fließt auf fern sich verlierendem Band.
Ein Schatten streicht Hügel und kämmt.dunkle Wälder.
Ein Sonnenstrahl streift einen stillen Teich.
Ein Vogelschwarm kreuzt geometrische Felder.
Im Düsengedonner knickt ab er sogleich.
Eine Kirche betupft einen Bergesrücken.
Viel Rauch steigt von fernen Schloten auf.
Und grollend übt Todesgeschütz. Auf Krücken
nimmt fromm ergebene Zeit ihren Lauf.
Offenbarung?
Da, wo wir nur vor Rätseln stehen,
da, wo wir keinen Sinn mehr sehen,
da, wo wir weinen, schreien, flehen:
Da wird es still, ganz still,
und, ganz wie jemand will,
fühlt sich der eine jetzt betrogen,
der and´re fühlt sich aufgehoben.
Und wer dann spricht und immer weiter spricht,
der sagt bald selbst das, was zu sagen ist.
Nur in der Finsternis des Alls erscheint uns Licht,
und erst im Leid erscheint uns Gottes Angesicht.
Oh je!
Wandelnd mit dunklem Sinn
halte ich schweigend inne.
Nirgends zieht es mich hin.
Stürzt´ ich von hoher Zinne!
Ohne Flügel
Ich wäre gerne dort,
wo mich mein Engel träumt.
Ach, flög´ ich mit ihm fort,
wohin man Zeit versäumt,
im Paradies ein Ort,
von Räumlichkeit geräumt,
und hörte ich mein Wort,
als wär´s vom besten Freund!
Ohne Trost
Ungewollt ins Leid gezeugt,
immer wieder kurz betäubt
von verlogener Hoffnung, bleibt
uns als Trost die Sterblichkeit.
Doch: Im Tod Erlösung finden,
hieße, leblos sie empfinden!
Brauchen wir sie denn dann noch?
Jetzt im Leben fehlt sie doch!
Ohne Hoffnung
Es gibt kein Leben ohne Leid.
Mag auch vergeh´n, was dich jetzt quält,
die nächste Qual steht schon bereit,
und kurz nur jede Freude hält.
Drum lass´ dich nicht auf Hoffnung ein.
Enttäuschung bringt nur weiteres Leid!
Lass´ dir als Trost die Einsicht sein:
Es heilt und lindert doch die Zeit.
Mag auch dein Schmerz nicht bald vergeh´n,
so stellt sich doch Gewöhnung ein;
du wirst die Welt bescheid´ner seh´n,
mit Weniger zufrieden sein!
Und immer denke an den Tod!
Schon morgen kann er dich befrei´n.
Du hast nichts mehr davon? Ach, bot
uns Gott nur Sein und Nichtmehrsein?
Oktober 2009
Wie schön ist es spazieren zu gehen
An trüben, feuchten Tagen,
die dann so ganz im Einklang stehen
mit meiner Seele voller Plagen!
Ontologie
Es kann kein Grund sein für das Sein.
Denn nichts kann außer diesem sein.
Auch Möglichkeiten können sein
nur innerhalb, nicht für das Sein:
So kann das Sein nicht gar nicht sein
und auch nicht anders kann es sein.
Pannoniens Pappeln
Stiller Augen
Wimpern im Wind.
Nüstern schnauben,
lächelndes Kind.
Gold´ner Trauben
Nässe zerrinnt.
Lippen saugen.
Silber flirrt blind,
stirnbehauchend.
Sternasche glimmt.
Paradies
In deinem blühenden Garten
streicht dir der Tod kalt über den Rücken,
und du isst von den giftigen Früchten,
bis dich blutiger Regen
wie im Traum
in dein leeres Haus treibt,
in dem deine Eltern Glück gefunden hatten.
Paradies
Jede Träne fließt ins Paradies,
denn nach jeder Träne dürstet der Baum der Erkenntnis,
und die Tränen der Freude sind dieselben wie die Tränen des Leides,
denn Freud und Leid unterscheiden sich nur in der Erkenntnis.
Wenn die Früchte der Erkenntnis gefallen sind,
bleibt ein Baum des Lebens, dessen Schatten sie bedeckt,
und niemand wird sie auflesen.
Nur Gott wird sie sinnend betrachten,
aber sich nicht nach ihnen beugen,
denn er erntet nicht.
Wir aber, die wir geweint haben,
werden dahinziehen und keiner wird fragen,
als wären wir selbst unsere Antwort.
Paradox II
Ich hörte Wasser platschen
Und fand bald eine Quelle.
Ich fragte,
wer denn außer mir
das Plätschern hören soll
an dieser stillen Stelle.
Und aus der Quelle quoll
die Antwort,
ironisch wohl im Groll:
„Es ist nur Beifallklatschen
für diese Stille hier.“
Paradox
Das Sein kann es nur als Gegensatz
zum Nichtsein geben.
Das Nichtsein kann es aber nicht geben,
da es sonst seiend wäre.
Also gibt es auch das Sein nicht.
Gäbe es das Sein,
müsste es auch ein Sein des Seins usw. geben.
Dieses unendliche, absolute Sein
könnte es nur als Gegensatz zum Nichts geben.
Dieses kann es aber nicht geben,
da es sonst doch etwas wäre.
Also gibt es auch das absolute Sein nicht.
Gäbe es das absolute Sein
müsste es alles,
auch sich selbst und das Nichts umfassen.
Auch das Nichts müsste
sich selbst und alles,
also auch das Sein umfassen.
Sein und Nichts wären identisch
ohne eigene Identität,
da sie sich von nichts mehr
unterscheiden könnten.
Das kann aber nicht die letzte Wahrheit sein.
Denn es kann eine solche nicht geben,
da sie nur an einer noch höheren
Wahrheit als wahr gemessen werden könnte
und die Frage bliebe, was an der Wahrheit
wahr sein sollte.
Auch wenn es eine letzte Wahrheit gäbe,
bliebe im übrigen die Frage:
warum gibt es eine solche
und gerade sie?
Und welchen Sinn sollte das Sein haben?
Wäre nicht, wenn es einen Sinn hätte,
zu fragen,
welchen Sinn ein solcher Sinn haben sollte?
Auch wenn alles erklärbar wäre,
bliebe noch die Frage:
warum und warum gerade so?
Das Unbegreiflichste wäre
eine begreifbare Welt.
Warum fragt aber der Mensch immer:
warum?
Unser Denken beißt sich in den Schwanz,
weil wir mit seinen Strukturen
Fragen beantworten wollen,
die diese Strukturen
erst hervorgebracht haben!
ΠΑΡΑΠΟΝΟ
Σοῦ ΄φερα ψωμὶ καὶ μέλι
καὶ νερὸ στὶς χούφτες,
μὰ πέταξες. χελιδόνι.
μὲ τσακισμένες φτερούγες
στὸ θάνατο γλυκό.
Καὶ μόνο τὰ δάκρυά μου πικρὰ
γλυκώνουν τὸν πόνο μου.
Μὰ μόνο ὁ γλυκὸς θάνατος
ἀξίζει τὴ πικρὴ ζωή.
Ich brachte dir Brot und Honig
und Wasser in hohlen Händen,
doch du flogst, Schwälbchen,
mit gebrochenen Fügeln
in den süßen Tod.
Und nur meine bitteren Tränen
versüßen mein Leid.
Doch nur für die Süße des Todes
lohnt sich das bittere Leben.
Anm.:Zeilen 1 und 2 nach Stavros Xarchakos , „ parápono“, Text: L. Papadopoulou
Zeilen 6 und 7 nach Mikis Theodorakis, „miroloi“, Text: Michalis Kakogiannis
Party
Am Himmel ziehen Wolken auf.
Am Abend wird es früher dunkel.
Er nimmt gelungenen Verlauf.
Der Regen rinnt durch Lichtgefunkel.
Die Wolken giften jetzt zuhauf.
Es fällt das Wort vom „alten Kumpel“.
Ein Rülpser fällt nicht weiter auf.
Beim Aufbruch gibt es ein Gerumpel,
danach erleichtertes Geschnauf,
am nächsten Tage ein Gemunkel
und bald schon wieder ein Gesauf!
Passend
Ich möchte einfach nicht mehr sein.
Gott ist zu groß, ich bin zu klein.
Ich passe nur ins Nichts hinein.
Peinlich II
Zwei Mäuler stanken um die Wette,
bis eines, das gewonnen hätte,
entgegen aller Etikette
laut rülpste, und das Spiel verebbte.
Peinlich
Vier hatte er eingeladen, mehr kannte er nicht mehr nach der langen Zeit. Für alle hielt er auch eine Überraschung bereit.
Einer war unbekannt verzogen. Ein anderer hatte eine Verhinderung erlogen. Ein Dritter war bereits verstorben. Und der Vierte kam einfach nicht.
Emil war darüber nicht überrascht, da er von diesem weder eine Absage noch eine Zusage erhalten hatte. Daher wartete er nicht lange und griff auch nicht zum Hörer, sondern lud sich kurzfristig selbst in ein Lokal zu seinem Lieblingsessen ein.
Nach seiner Rückkehr fiel ihm bei einem Glas Wein ein, wie unmöglich er sich doch benommen hatte, weil er sich für seine Einladung nicht bedankt hatte.
Penners Tod
Die Tage werden fremd,
die Blicke flüchten in die Weite,
der Horizont verbrennt,
die Nächte bieten keine Bleibe.
Auch wenn dich jemand kennt,
betrachtet er dich von der Seite.
Dein Name, den er nennt,
klingt fern; du nickst und lächelst feige.
Der Wind stößt durch die Zweige
des Buschs, der dir ein Lager schenkt.
Dein Atem geht zur Neige,
er wird von kalter Luft verdrängt.
Verloren in der Weite
von Traum, Gedanke, Sehnsucht flennt
das Kind in dir; euch beide
hat nie das Leben ganz getrennt.
Bald heißt´s: Er hat sich totgepennt.
Perfidie des Lebens
Oh Augenblick,
vergönnt ist uns nicht, mehr zu schauen
vom Glück,
durch schweres Leid erkauft. Das Grauen
kehrt zurück.
Geschick,
du trügst uns nur mit kurzem Glück,
dem Strick um unseren Hals zu trauen!
Perfid:
Der Henker grinst als Clown im Traum!
Perlen
Hier lieg´ ich mit geklärter Miene.
Die Tränen perlen durch den Traum.
Wie wenn ich mir als Geist erschiene,
seh´ ich mich, ihnen zuzuschau´n.
Und alle, alle Sterne weinen
die Perlen, die wie sie erscheinen.
Perípatos
Εὐδαιμονῶ
ἢ
μελαγχολῶ·
περιπατῶ
καὶ
φιλοσοφῶ
Ob ich glücklich bin
oder
schwermütig:
ich gehe umher
und
philosophiere.
Phantasie
Ich liege auf der Bank und starre
Gedanken in die schwüle Nacht.
Der Park ist leer, ich halt´ die Knarre
an meine Schläfe und es kracht,
in meiner Phantasie.
Ich springe auf und spucke aus.
Der Mund ist trocken, Magen leer.
Ich wanke in die Nacht hinaus.
Mir ist so schwer, ich kann nicht mehr,
ich bin nur Phantasie.
Da hör´ ich einen Flüsterton
und sehe etwas sich bewegen.
Verstehe: „Mach doch, mach doch schon!“
Und muss mich einfach niederlegen,
in müder Fantasie
und kann und werd´ mich nicht mehr regen.
Phantastisch
Irgendwie unterwegs
in phantastischen Gefilden
in Feiertagsstimmung
in ruhigem Licht, in mildem,
in Städten,
wie du sie noch nie gesehen,
Begegnungen mit Menschen,
die im gleichen Traum
– du sagst es ihnen – stehen.
Du klickst dich aus
und träumst ein anderes Geschehen.
Dann wachst du auf,
im Tod vielleicht,
und hältst ihn für dein Leben.
Unterwegs irgendwie,
phantastisch eben!
Philosophie
Du suchst nach der letzten Wahrheit?
Wie aber willst du sie finden,
wenn du sie noch gar nicht kennst:
Das Licht bleibt verborgen dem Blinden!
Du stößt auf etwas,
das leuchtet dir ein.
Doch muss es denn deshalb
die Wahrheit sein?
Die Wahrheit setzt die Lüge
wie Licht das Dunkel voraus.
Was zeichnet die letzte Wahrheit
vor letzter Unwahrheit aus?
Wer sagt dir denn, dass
es sie überhaupt gibt?
Dein Kopf, der dich doch
auch sonst oft belügt!
Und fändest du sie,
du wärst nicht gescheiter:
Warum ist sie es?
Du suchtest noch weiter:
Warum gibt es sie?
Auch bliebe doch leider
noch immer die Frage offen,
warum wir überhaupt fragen!
Der Kopf schlingt sich hier in den Kragen,
doch schweigt die Natur unbetroffen.
Physik
Als dem Laplace´schen Dämon,
völlig vorhergesehen,
Schrödingers Katze
über den Weg lief,
unentschieden
in Sein und Nichtsein,
hinkte Achilles,
die Schildkröte unter
dem Arm, daher,
staunend über
die Unerklärlichkeit
seiner Schritte,
während Descartes
verzweifelt versuchte,
damit nachzukommen,
weithin durch´s Flächenland
bis in Alices
Wunderland hinein,
des Lateinischen mächtig,
zirkulovitiös zu schrei´n:
cogito, ergo sum,
ergo cogito,
ergo sum,
ergo cogito,
ergo sum......
Doch solipsistisch
wollt´ er gerade
nicht sein.
Einstein indes,
in Raum und Zeit gekrümmt,
ließ Gott partout nicht würfeln,
weshalb ihn Heisenberg
relativ unscharf
zurechtwies.
Und aus dem
Prigogine´schen Chaos
rückbezüglich vernetzter
Autonomien
erhob sich plötzlich
ein Zeitpfeil, entsetzlich,
als hätt´ ihn nicht letztlich
schon Zenon im Raume
erstarren lassen!
Fragt nach Fraktalen!
Klingt nicht poetisch
die autopoietische
Mandelbrot-Menge?
Plötzlich
ist das Leben
wie ein zu spät gewordener Abend:
Er sagt dir nichts mehr,
du hast nichts mehr zu sagen,
nichtssagend,
gleichgültig,
entschlusslos,
unentschlossen selbst
zum Schlafen!
Positiv denken?
Ist nicht das Negative in der Welt,
damit das Positive uns gefällt?
Doch warum muss es Gegensätze geben?
Gäb´s and´res, wär´ die Frage auch: weswegen?
Und warum muss dann überhaupt was sein?
Weil es das Nichts nicht geben kann allein:
Sonst wär's ja was und sollte doch nichts sein!
Das Nichts ist nichts als Eigenschaft am Sein.
Auch gibt´s das Negative nicht allein.
Es kann nur was am Positiven sein.
Post festum
Ein Fest verklingt in später Nacht.
Die wird vom Morgen umgebracht.
Am Himmel fließt das Blut hinab.
Wird weggewischt vom neuen Tag.
Ein Obdachloser legt sich schlafen.
Das Straßenlicht erlischt am Hafen.
Es regt sich Arbeit, Ernst und Frische.
An´s Fest erinnern leere Tische.
Prolog
Was man „dichten“ nennen mag,
sollt´ im Kleinen hier gescheh´n.
Nicht zu ernst genommen hab´
ich's. Das kann und soll man seh´n.
Alles, was zu ernst gemeint,
ist zu eindeutig im Sinn
und kommt, aller Wahrheit Feind,
an die vielschicht´ge nicht hin.
Psychodrama
Nach einem glücklichen Familienausflug zum Auto zurückgekehrt, freuten sie sich, hungrig und durstig geworden, auf eine gemeinsame Einkehr. Es wurde gelacht. Der Jüngste hüpfte von einem auf das andere Bein. Der Vater eilte noch schnell einen Hang hinauf, um den Sonnenuntergang zu fotografieren, verschwand hinter Büschen. Mutter und Kinder nahmen einstweilen im Auto Platz.
Den Vater umgab plötzliche Stille. Jetzt überkam ihn wieder dieses lustquälende Gefühl, zerriss sein Herz die fatale Versuchung. Er wandte sich um. Von seinen Lieben war hier nichts mehr zu sehen. Vor ihm tauchte das Hüpfen des Kindes auf, der liebevolle Blick seiner Frau. „Jetzt!“ pochte es in seinem Gehirn. „Kein letzter Blick mehr, kein letztes Wort mehr, jetzt!“ Der Kopf fieberte, der Atem war gelähmt. „Sie warten jetzt auf mich, freuen sich, würden ungeduldig werden, unruhig, würden......“ Tränen schossen in seine Augen. „Wie würden sie weinen, und jetzt freuen sie sich doch so! Ihre Zukunft, wie sollen sie.. ..“ Er brach in bitteres Weinen aus. „Ich habe es in der Hand, sie vertrauen mir.....“ Er riss die Beine hoch und raste wie um sein Leben und das seiner Lieben über Wiesen, Felder, durch Gehölz, einfach weiter, immer weiter.....
Mutter und Kinder wurden ungeduldig, riefen, wurden unruhig. Der Älteste rannte los, um nachzusehen, rief ergebnislos. Ratlosigkeit, Sorge, Bangen. Die Einkehr war vergessen, die Gesichter voller Verzweiflung, Traurigkeit. Hilfloses Weiterwarten. Alle machen sich auf die Suche, rufen, weinen. Hoffnungen werden auf die Polizei gesetzt. Späte Heimkehr. Trostloses, notdürftiges Essen statt der gemeinsamen Einkehr. Schlaflose Nacht der Mutter...
Der Vater verbrachte viele Jahre in der Ferne, anonym, einsam, obdachlos, verwahrlost. Er lebte in der quälenden Wehmut nicht verblassender Erinnerung und unter der Folter unablässiger Vergegenwärtigung des seinen Lieben zugefügten Leides und der ihnen geraubten Aussichten und Hoffnungen. Unaufhörlich musste er sich im leidvollen, ihm selbst unerklärlichen Trotz immer wieder von neuem überwinden, sein Mitleid mit den Verlassenen und seine Sehnsucht nach einer Rückkehr durch eiserne Härte gegen sich selbst zu bezwingen. Dabei kamen ihm freilich sein schlechtes Gewissen und seine bitteren Selbstvorwürfe zustatten. Sie ließen ihn sein Trotzleiden auch als selbst auferlegte und zugleich mit dem fortwirkenden Leid seiner Angehörigen vollstreckte, wenn auch unzureichende Strafe empfinden und die Befürchtung hegen, keine Verzeihung mehr finden zu können. Von Jahr zu Jahr fiel es ihm auch immer leichter, sich einzugestehen, dass er überhaupt nicht mehr vermisst würde.
Eines fernen Tages war es dann doch geschehen, dass er sich in der Stadt wiederfand, in der er es einst zu einem ansehnlichen Ein-und Auskommen gebracht hatte, in der er das letzte Mal seine Lieblingsspeise zubereitet bekommen hatte, und in der er das letzte Mal mit und unter Erwartungen aufgewacht war. Wie hatte sich alles verändert, wie fremd war alles geworden!
Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er in der Nähe des – „seines“? - Reihenhauses kam. Er näherte sich von hinten, von der Gartenseite her. Ein Hauch von Vertrautheit wandelte ihn hier doch noch an. Welch heiterer Frühlingstag! Wozu die Aufregung? Sicher hatte das Haus damals verkauft werden müssen. Sollte er dann nachforschen, wo sie – die „Seinen“? - jetzt lebten? Lebten sie gar nicht mehr alle? Er zögerte, ein Ruck, und die Sicht auf den kleinen Rasengarten war frei. Niemand war darin zu sehen. Seltsam erleichtert ging er gleich weiter, zur Eingangsseite. Natürlich, an der Haustüre ein fremder Namen! War er jetzt doch enttäuscht? Vielleicht war das nur der jetzige Ehename der Frau?
Als er gedankenverloren wieder zur Gartenseite zurückkehrte, schneller als bedacht, blieb ihm plötzlich das Herz stehen:
Eine weißhaarige, etwas füllige, ältere Dame hatte sich in einem Stuhl niedergelassen, genießerisch aus einem in der Hand gehaltenen kleine Schälchen löffelnd, den Blick bald auf dieses hinab vertieft, bald abwesend in die Weite gerichtet: Wie typisch, wie vertraut ihm diese Gestik doch war! Er eilte vorbei. Das musste er erst einmal verarbeiten! Er brauchte lange, den Rest des Tages, die milde, schlaflos durchirrte Nacht. Sollte er überhaupt noch einmal zurückkehren? Es konnte nicht gutgehen, doch er war wie von Sinnen.
Am nächsten Tag ging er mehrmals vorbei, in gebührenden zeitlichen Abständen, um trotz seines verwahrlosten Äußeren möglichst nicht aufzufallen. Dann erblickte er sie im Garten beim Wäscheaufhängen. Er zersprang schier vor Herzklopfen, die Beine waren weich und schlotterten. Bereit, sofort tot umzufallen, trat er wie traumwandelnd an die Gartentüre, bärtig, zerlumpt und verdreckt. Sie schaute nicht her. Seine Stimme zitterte im heftigen Atem, als er die zurechtgelegte Frage nach einer nahen Straße herausstieß. Sie zuckte zusammen. Hatte sie seine Stimme erkannt? Oder war sie über den entstellten Tonfall erschrocken? Oder......
Langsam wandte sie sich ihm zu und erstarrte. Dieser Blick! War es Überraschung? Ungläubiges Staunen? Oder Angst? Entsetzen? Gar Hass? „Was willst du ihr und dir denn noch alles antun? Noch kannst du alles offenlassen!“ schoss es ihm endlich erlösend durchs Gehirn. Er drehte sich um und entfernte sich mit schnellen Schritten.
Hatte sie ihn erkannt? Sie hatte ihm nicht nachgerufen. Weil sie ihn nicht erkannt hat, oder weil sie nun weiß, dass er schuldig ist? Weiß sie das? Kann sie wissen, was passiert ist? Was hatte er denn erwartet? Was wäre noch geschehen? Hätte sie denn noch verzeihen können? Wäre sie weggelaufen? Wäre sie auf ihn zugelaufen, um ihn.... zu beschimpfen? Hatte er sich in seiner Anspannung nur getäuscht über ihr Verhalten, es überinterpretiert? Ist sie, als sie ihn hörte, lediglich deshalb zusammengefahren, weil sie nicht damit gerechnet hatte, von jemandem von hinten angesprochen zu werden? War sie, als sie ihn sah, lediglich verwirrt über sein verwegenes Aussehen? Hatte sie ihn, unerkannt, nur nicht verstanden, und wartete sie bloß auf die Wiederholung seiner Frage?
Würde sie jetzt auch rätseln? Seine Rückkehr befürchten? Ersehnen?
„Endlich!“ schallte es ihm entgegen, als er geistesabwesend die Autotüre öffnete. „Wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht. Hast du denn so lange fotografiert?“ „Und verhungert und verdurstet wären wir auch fast,“ setzte der Jüngste nach, „nach dieser langen Wanderung!“ „Was glaubst du, was erst ein Landstreicher alles aushalten muss!“ sagte der Vater, in Gedanken noch seit Jahren unterwegs, dahin. „Muss?“ zweifelte die Mutter.
Quodlibet II
Sieh´ sie dir an
-wer will, was er kann? -:
Sie sind alle
in der Falle,
genau so arme Schlucker
von Pfeffer und von Zucker
wie du.
Ohne Ruh´
in diese Welt gestellt,
die sie hält.
Jeder sein Held,
nie genug Geld,
manches gefällt,
manches ihn quält.
Er verhält
sich wie du
und verstellt
sich wie du,
denn er sieht
sich in dir
und bemüht
sich, dass du
dich nicht auch
siehst in ihm.
Denn da drin,
in uns selbst,
fehlt uns Sinn
und Gewinn.
Starr´ in Augen:
Wer nimmt´s hin?
Quodlibet III
Mach´ dir nichts vor:
Dein Leben lebst nur du allein,
und mit tödlicher Sicherheit
wirst du einmal nicht mehr sein,
ohne es zu erleben.
Nichts war für dich dein Leben
außer, was du dir gegeben.
„Nimm“ dir dein Leben,
du hast es dir nicht gegeben.
Nimm´s an oder weg,
und beklag´s nicht deswegen!
Heidideldei,
Lebelei!
Juchz´ oder schrei!
Geht eh´ vorbei.
Niemand ist frei.
Stirb oder sei!
Ist einerlei.
Oder werd´ zwei
und steh´ dir bei!
Quodlibet
Und sucht ihr die Wahrheit,
so frag´ ich euch denn:
Wie wollt ihr sie finden,
wenn ihr sie nicht kennt?
Was ist denn das Licht
für den immer schon Blinden?
Und eine letzte Wahrheit gar,
wie sollte sie sich zeigen?
Nur höh´re könnte sie dann doch
von Unwahrheit noch scheiden!
Sie ist doch letztlich nur im Kopf,
Zerbrechen zu bereiten!
Und meint ihr Gott,
so frag´ ich euch: Ist das nicht Spott?
Wenn er das Sein beherrschen soll,
doch selber ist:
Wer rettet ihn dann wohl
vor´m Nichtsein
oder gar vor´m Nichts?
Vom Bösen ganz zu schweigen!
Wenn's nicht im Kopf nur ist:
Dann muss auch Gott darunter leiden.
Hat er´s gezeigt
durch Jesus Christ?
Quousque tandem II
Warten auf den Tod.
Du kannst, was alles droht,
nicht überleben.
Das Leben wiederholt sich.
Die Zeit, sie überrollt dich.
Das tägliche Brot
wird zur täglichen Not,
doch zu leben.
Quousque tandem?
Wann endet endlich dieses Leben?
Wann endet endlich dieses Leid?
Uns ist die Möglichkeit gegeben,
den Tod zu suchen vor der Zeit.
Doch nicht das eigene Bestreben,
nur Unausweichlichkeit befreit!
Dann können wir nicht Zweifel hegen.
Nicht wir, das Nichts ist dann bereit
in zwingender Notwendigkeit.
Rache ist süß?
Viel zu hart ist mir die Welt.
Bin auf sie nicht eingestellt.
Sehne mich seit Kindestagen
dahin, wo man mich geschlagen
in dies´ fürchterliche Leben,
um den Schlag zurückzugeben!
Raigeringer Friedhof (Januar 07)
Hörst du das Schweigen der Toten?
Sie schweigen wie Gott, wie das Nichts.
Sie schweigen wie blinde Boten
des Wunders schwarzen Lichts.
Ein Regen vergießt zu viel Tränen.
Die Sonne blinzelt ihm drein.
Mich zieht's durch glitzernde Strähnen
verhangener Wimpern heim.
Erst sterben darf man allein.
Raigeringer Szenen
Zwei betagte Frauen begegnen sich.
Die eine: „Sauweeda heit, goll, hohoho...“
Die andere: „Jojo,hohohoho...“
Ich frage mich:
Was gibt es da zu lachen?
Herr und Hund begegnen sich.
Keiner grüsst!
Klar, denn sie kennen sich nicht.
Herr ist nicht Herrchen.
Hund beschnuppert den Herrn.
Dieser: „A, göih weiter!“
Ich frage mich:
Warum duzt er den Hund?
Kennen sie sich doch?
Auch auf dem Dorf duzt man Fremde nicht.
Oder ist der Hund noch ein Kind?
Der Hund schweigt sich aus.
Offenbar kein Grund zum Bellen.
Auch für den Herrn nicht.
Rasen
Im Rasen schlief ein echter Engel,
doch glaubte man es nicht.
Und aus dem Zuschauergedrängel
trat vor ein kleiner Wicht.
Er kitzelte mit einem Stängel
den Engel im Gesicht.
Da schrie die Menge: „Böser Bengel,
so etwas tut man nicht!“
„Warum? Ihr glaubt doch nicht an Engel,
und Puppen spür´n das nicht!“
„Was ist denn das für ein Gequengel?“
Der Engel blinzelte ins Licht.
Schnell flog er aus der Sicht.
Raum unf Zeit
Die Zeit rollt über alles hin.
Ob Freud`, ob Leid: Wo bleibt ein Sinn?
Geburt und Tod: Wo bleibt das Leben?
Es ist kein Augenblick gegeben:
Die Zukunft wird Vergangenheit.
Dazwischen gibt es keine Zeit.
So wie der Raum aus nichts besteht,
da jedem Punkt ein Ausmaß fehlt,
so ist die Zeit zugleich auch nicht,
da nie ein Punkt ins Sein einbricht.
So gibt es nichts in Raum und Zeit,
und diese sind nur Nichtigkeit.
Real existent
Es gibt ihn,
natürlich nicht
als Gott der Liebe (1),
diesen niederträchtigen Fluch der Kirche,
sondern
als Gott der Grausamkeit (2).
Am Anfang war sein Fluch (3),
noch heute so laut,
dass die Atheisten
und die Frommen
davon taub sind.
Im Schrei geboren,
werden wir totgeschwiegen.
1) Joh. 4.8,16
2) Röm. 8.23; Amos 3.6; Ps 22.2
3) vgl. Joh. 1.1
4)
5)
Real
Der Flügelschlag
eines unfassbaren
Gedankens,
gefühlt als Hauch nur,
war wohl Schein
wie der Schatten
lähmenden Ahnens
über den müden Lidern
im Spiegelgesicht
glasigen Tagtraums,
diesem Gesicht ohne Blick,
das ganz alleine
übrigbleibt.
Regen
Wie schön doch Regen ist:
Ich weine nicht allein!
Auch and´re blicken trist.
Man ist in sich daheim.
Der Asphalt spiegelt Licht
vom trotzigen Verkehr.
Passanten plaudern nicht.
Schirm wogt um Schirm daher.
Regen
Wie wohl mir ist, wenn der Himmel weint,
die Sonne nicht so verlogen scheint!
Es riecht so rein wie herber Wein,
gereift im müden Sonnenschein,
der nicht verlacht; wie starrer Blick
das Sinnen in die Weite schickt.
Unendlichkeit: in Tränen nur
und spätem Licht erglänzt die Spur.
Ein leichter Wind kühlt meine Augen.
Ich schließe sie, um nichts zu glauben.
Regen
Draußen hat das Wetter Erbarmen
und weint bitterlich,
trauert um die Ärmsten und Armen
und die Reichen wie mich:
die Reichen an Tränen und Seele.
Regen, benetz´ mir die Kehle!
Trocken ist sie vom Schrei,
der erstickt ist. Und räume sie frei!
Regen
Ach, wie beruhigend ist der Regen,
der freie Fall auf strengen Wegen!
Er füllt den Raum mit Parallelen
der Zeit so dicht, dass Inseln fehlen
der Trockenheit für solche Seelen,
die jetzt nicht unter Tränen leben.
Das Rauschen, Brausen, Plätschern, Plitschen,
die Tropfen, die auf Pfützen hüpfen:
Das alles ist für das Gemüt
Natur, die sich um Trost bemüht.
Regenbogen II
Ach, wie kunterbunt
geht’s am Himmel rund,
wenn der Regen weint,
weil die Sonne scheint!
Zieht ein Traum hinaus,
gräbt die Schätze aus,
wo der Bogen gut
auf der Erde ruht.
Macht die Truhen auf!
Liegen Lose drin.
Steht auf jedem drauf:
„Leider kein Gewinn!“
Mach´ dir nur nichts draus!
Schlag´ die Augen auf,
blick zum Himmel hin,
wo der Bogen schwindet,
weil er einen Sinn
selbst im Traum nicht findet!
Ist denn das so schlimm?
Warum suchst du Sinn?
Sein genügt als Sinn,
den das Nichtsein findet.
Regenbogen
Wir kehren der Sonne den Rücken
und gehen mit schattigem Gesicht
dem Regenbogen entgegen,
diesem weichenden Farbenzauber
eines stillen Tränenmeeres,
ungestillt und unstillbar
in unserer Sehnsucht
nach dem Ziel des Sonnenlichts,
dessen Ursprung uns blendet,
nach dem Ende des Scheins,
der uns verblendet.
Regentropfen
Nimm dir einen Tropfen Regen!
Nimm ihn wie dein eigenes Leben!
Er zerrinnt in deiner Hand.
Kipp´ ihn über deren Rand!
Reif
Wie die Reife der Frucht deren Fall bedeutet,
die Reife des Alters den Tod einläutet,
so das Noch-Nicht im Leben zum Nicht-Mehr sich läutert.
Relation
Ach, das Leben läuft verkehrt,
weil es unsere Wünsche stört.
Wünsch´ dir, was nicht möglich ist!
Sieh´, wie ungestört du bist!
Rendezvous
Endlich war es soweit. Sie hatten sich verabredet. Als Erkennungszeichen sollte sie ein rotes T-Shirt tragen.
Er sah sie stehen, den Engel aus seiner Traumwelt. Seine Fantasie hatte ihn nicht getäuscht. Sie war tatsächlich eine Göttin. „ Sie wird vor Schreck und Grauen in Ohnmacht fallen, wenn ich auf sie zugehe“, dachte er. Sollte er die Sanitäter schon jetzt oder erst danach rufen?
Er ging probeweise an ihr vorbei. Sie schaute angestrengt umher, wer denn nun auf sie zukommen werde. Er war für sie Luft. Noch einmal ging er an ihr vorbei, drehte sich um: „ Entschuldigung, erwarten sie einen Herrn X?“ Sie reagierte überrascht und erstaunt: „ Warum?“ Er: „ Nur so; ich glaube nämlich, dass das ich bin...“ Platsch, schon lag sie da...
Nein: Er sollte ein rotes T- Shirt tragen.Sie entdeckte ihn schon von Weitem: „O je, nichts wie weg!“durchzuckte es ihr Gehirn. „Da gehe ich halt auf Seesighting in dieser schönen Stadt.Eine Ausrede wird mir schon einfallen. Aber warum überhaupt? Ich bin ihm keine Rechenschaft schuldig. Ich maile ihm, es sei aus, von der Mitteilung des Grundes wolle ich ihn verschonen. Doch nein, das habe ich nicht nötig, ich bleibe ich...“
Entschlossen ging sie auf ihn zu. Er war selig. Ihr gefror das Lächeln. Küsschen links, Küsschen rechts und umgekehrt, je nach Perspektive. Das war schon das Wichtigste gewesen...
Nein: Beide sollten rote T-Shirts tragen.Sie konnten daher nicht zögern, aufeinander zuzugehen. Sie hielt sich tapfer senkrecht, so dass sich die Sanitäterfrage nicht stellte. Und sie blieb senkrecht, bis es ihr die Höflichkeit erlaubte, sich zu verabschieden.
Rettung?
Mir fällt der Blick in Zorn und Ohnmacht nieder.
Der Tod blickt mich versonnen an.
Ich senk´ und heb´ die Klinge immer wieder,
so lange, bis ich nicht mehr kann.
Durch Zufall überlebe ich mal wieder!
Rolfs Tod (Januar 1992)
Im Bombenhagel war er geboren.
Im Krieg hatte er den Vater verloren.
Die Mutter war mit ihm geflüchtet.
Eine Adlige hatte ihn “gezüchtet“
Die freie Sprache blieb verloren.
Zur Tragik war er auserkoren.
Oft hat er vergeblich um Sprache gerungen:
„Sauerei, es kommt net!“ und – weitergesungen!
Zu einem Humor, der gefror, verdammt,
hat er als Original sich verrannt.
Von Haus aus penibel und antiquiert,
hat er antispießig sich aufgeführt.
So recht hat man's ihm nicht abgenommen.
Er hat sich zu knallig „danebenbenommen.“
Da röhrten die Rülpser, die Klobürste flog.
Barfuß im Schneidersitz ist er gehockt.
Von der Tragik war er ewig getrieben.
Er ist ein Außenseiter geblieben.
Ewig studiert und doktoriert,
ohne Beruf philosophiert.
Im Schicksal irgendwie verwandt,
verband uns das Kassettenband.
Wie hatten wir so manche Nacht
im Suff und Tiefsinn durchgemacht!
Dann hat er seine Frau verlassen
Schnell starb die zweite, kaum zu fassen.
Der Tragik ist er treu geblieben.
Zu jung, hat sie ihn jetzt zerrieben.
Leb´ wohl, ich wollt´ Dich noch mal sehen.
Und: „Nix für ungut!“ Wirst´s verstehen
Das Examen
(Jugendroman auf mehreren Bewusstseinsebenen)
Erstes Kapitel
Es war immer das Gleiche. Adilo saß mit einem der wenigen, zweifelhaften Bekannten, die er hatte, als die letzten Gäste in der verrauchten Kellerkneipe. Mit nervendem Getöse wurden die Stühle auf die Tische gekippt. Durch die geöffneten Fenster strömte die nüchterne Kühle eines beginnenden Tages. Die betagte Stammkellnerin hatte es sich unter dem werkelnden Personal wieder vorbehalten, den gewaltigen, überquellenden Aschenbecher vom klapprigen Klavier zu räumen. Der uralte Klavierspieler, dem bei seinen längst verstaubten Weisen nie jemand zuhörte, und dem es daher auch niemand verübeln konnte, dass er sich – ein Wrack seiner Lebensnächte – meist nur von Tischkante zur Tischkante schleppte, um Zigaretten zu „schnorren“ und unter dem markigen Einsatz seiner rauchrauhen Stimme mit sprödem preußischen Idiom ein paar Worte zur Selbstbestätigung zu wechseln, dieser Kellergeist mit Zähnen so gelb wie seine Klaviertasten, ja dieses Sinnbild wohl mancher Einkehr hierher, war längst unauffällig wie immer verschwunden. Auch der grünbemützte und -umhangene Losverkäufer, nach seiner allabendlichen Lokaltournee der übliche letzte Einkehrer, hatte bereits einsam am leeren Tisch seinen Kaffee getrunken und schweigsam das immer wieder ungelüftet bleibende Geheimnis hinterlassen, weshalb er dieser späten Stärkung noch bedurfte.
Wieder trat die Bedienung mit der höflichen, aber bestimmten Bitte an den Tisch, abkassieren zu „dürfen“, „weil wir jetzt Schluss machen“, eine Erläuterung, die sicherlich überflüssig war, aber wohl als Solidaritätsappell - sie hatte ihren Feierabend, besser:-morgen, redlich verdient – verstanden werden sollte.
Schal schmeckte das restliche Bier, ströhern die letzte Zigarette. Der Hals kratzte, der Schädel brummte, die Augen brannten. Das euphorisch tiefgründige Zwiegespräch mit dem Zechgenossen hallte jetzt beim Verlassen des Lokals als erweitertes Selbstgespräch, als leerer eigener Trostzuspruch wider. Dröhnend übertönte im Pissoir ein die Nacht krönender Rülpser die Peinlichkeit der Ernüchterung.
Vor dem Lokal: die Realität, die unausweichliche Normalität. In der tadelnden Helle des frühen Tages zwitscherten in demonstrativer Ignoranz die Vögel. Der Abschied vom Saufkumpan erledigte sich in dieser Katerstimmung wie von selbst. Leidensgenosse? Von wegen! Der hat´s schön! Adilo wallte es heiß durchs Gehirn: „Wieder ein verlorener Tag, und das Examen rückt unaufhaltsam näher und näher! Um jeden nach durchzechter Nacht verschlafenen Tag!“
Der heutige Tag versprach „heiter“ zu werden. Die Häuserfirste waren schon in mildes Sonnenlicht getaucht. „Nein“, dachte Adilo im Dahingehen, „die Vögel zwitschern für die anderen“. Die anderen? Wie oft hatte er sie um diese Zeit schon gesehen: Durch die leeren Straßenschluchten eilten sie bereits vereinzelt zur Arbeit, geschniegelt und gestriegelt, forsch mit Aktenköfferchen oder flüchtig hergerichtet, mit verquollenen Augen, hustend, rauchend, spukend. Trotzdem: Die haben's schön! Kein Examen!
Nun, heute war er völlig allein auf der Straße. Es war Sonntag. Diese Stille! Tote Geschäfte, tote Büros.. Er atmete die lautlosen Träume aller Schlafenden dieser Stadt. Und solcher Gedankenkitsch hieß: Auch er träumte. Immer. Albtraum des Examens!
Jahrelang hatte ihn dieses Studium abgestoßen. Irgendwie war er in diese ihn überhaupt nicht interessierende Studienrichtung hineingeschlittert. Eine Verlegenheitswahl, die eigenen Interessen boten keine Aussicht auf Broterwerb. Jetzt hätte er so viel nachlernen müssen. Er schaffte es nicht, er schlitterte weiter dahin. Es kam immer wieder etwas dazwischen: er selbst vor allem. Er brauchte für jeden gelesenen Satz in den Lehrbüchern zu lange, viel zu lange, zerdachte alles in unendliche Widersprüche, glaubte nicht, es noch zu schaffen, starrte vor Panik wie gelähmt ins Verderben, versoff und verschlief die Besinnung.
Warum eilt er jetzt nicht in seine Bude, schläft sich aus und büffelt dann die Nacht durch? Typisch, dass er nun stattdessen völlig übernächtigt, durch Tabletten aufgeputscht, hinaus aus dem Häusermeer, der beruhigenden Natur entgegenstrebte.
Diese blühenden Vorstadtgärten, gehegt und gepflegt, taufrisch, feiertagsstill in der frühen, erwartungsgestimmten Frühlingssonne! Die Eigentümer der stolz präsentierten Einfamilienhäuser hier haben es zu etwas gebracht, mit und ohne Examen. Dort auf der Terrasse hat sich eine Familie vogelumzwitschert zum Frühstückskaffee bei gedämpfter Unterhaltung versammelt. Die meisten Leute leben rituell. Die Hausfrau hat eine Jacke über die Schultern gelegt. In die baumelnden Ärmel war sie wohlweislich nicht geschlüpft. Sie fror ja nicht, aber die Jacke musste zu dieser frühen Tageszeit schon sein! Der jetzt hemdsärmelige Hausherr wird morgen wohl mit Hut und leichtem Mantel ins Büro fahren. Doch auch Kneipengänge sind Ritus und der wiedergekehrte Frühling.
Adilo fühlte sich ungewaschen, ungepflegt. Das Gesicht klebte und brannte. Am Stadtrand übermannte ihn die Müdigkeit. In einem dürren Wäldchen legte er sich ins halbwegs trockene Sägemehl hinter einem Holzstoß und schlief. Wegen der unbequemen Lage wachte er bald wieder auf. Da er sich nicht dazu überwinden konnte, den Nachhauseweg anzutreten, nahm er eine Hockestellung ein und schlief mit vielen Unterbrechungen weiter.
Am Nachmittag endlich, nach wirren und unbefriedigenden Träumen düsteren Sinnes, entschloss er sich zur Heimkehr. Im Kopf echoten wie noch im Schlaf abstrakte Gedankenfetzen umher. Es war jetzt brütend heiß geworden. Der Weg führte durch einen Park. Festtäglich gestimmt schlenderten die Familien auf den Wegen daher, lebhaft umtobt von den ausgelassenen Kindern mit allerlei Radwerken. An der Brücke über eine Verengung des großen Weihers kauerte ein Bettler mit einem großen Hund und spielte auf einer alten Handorgel wunderschön einfache, melancholische Weisen. Adilo war längst von diesen Melodien gefangen, als er sich auf der Brücke über das Geländer beugte und ins Wasser schaute, um diese Musik noch bis zur nächsten Pause weiterzuverfolgen.
Nun, wieder war also etwas dazwischengekommen! Am anderen Ende der Brücke ließ er sich auf der Rasenböschung des Gewässers im Schatten eines Strauches nieder und wartete auf die Fortsetzung des Klangbalsams. Leise umschmeichelten die trivialen Klänge auch hier sein Ohr. Der Blick schweifte über die stille Wasserfläche mit den langsam gleitenden Ruderbooten weit hinüber zu dem Restaurant mit den bunten Sonnenschirmen, wo das Speiseeis massenweise verfüttert wird, ganz ohne Vorlage einer Examensbescheinigung. Mit der Zeit überfiel Adilo wieder der Schlaf.
Nach vielen Unterbrechungen wurde er endgültig geweckt durch ein Kitzeln im Gesicht. Als er die Augen aufschlug, sah er gerade noch, wie sich ein naher Hund, der ihn wohl beschnuppert hatte, tropfnass-zottelig in Richtung auf eine Stimme, die ihn zu sich rief, davondrollte. Es stellte sich heraus, dass es die Rufe des Bettlers waren, der sich unter der Brücke am Fundament niedergelassen hatte. Er machte mit einem Taschenmesser, das er auch als Gabel und Löffel verwendete, Brotzeit. In gebührendem Abstand vor seinem Herrchen schüttelte sich der Hund, der offenbar ein Bad im Teich genommen hatte, zur Fontäne und fuhr dann zielstrebig mit seiner Schnauze schwanzwedelnd in das Bündel von Beuteln, die der Bettler seinem amorphen Rucksack entnommen hatte.Viel zu grob stieß ihn dieser zur Seite und warf ihm einen großen Brocken aus dem unerschöpflich scheinenden Vorrat, der offenbar in der Hitze nicht gelitten hatte, zu.
Es war bereits abendlich geworden. Auf dem Wasser trieb kein Kahn mehr. Drüben beim Restaurant stieg eine Rauchsäule kerzengerade auf. Bis hier herüber drang ein feiner Duft von Gegrilltem.
Adilo trat ans Wasser und erfrischte sein Gesicht. Hunger hatte er wegen des vielen Schlafens bisher nicht verspürt. Doch regte sich wachsender Durst.
Am Abend fand er sich wieder in der Kneipe.
Zweites Kapitel
Zur ohnmächtigen Angst vor dem Examen kamen Schlag auf Schlag noch schwere familiäre Enttäuschungen hinzu, die die Verzweiflung Adilos an die Grenze seiner psychischen Belastbarkeit trieben.
Eines Nachts, als es ihm endlich wieder einmal gelungen war, sich in seine Bücher zu vergraben, er aber auch nach Stunden noch keinen einzigen Schritt weitergekommen war, sondern sich stets nur hoffnungslos in immer weiter ausufernde Sachprobleme hineingesteigert hatte, er vor Wut und aus Leid immer wieder hemmungslos in Tränen ausgebrochen war, seine Erregung und innere Zerrissenheit einen solchen Grad erreicht hatte, dass er den sonst in solchen Situationen der Ausweglosigkeit immer wieder verwirklichten Gedanken eines Nachtspazierganges gar nicht mehr aufkommen ließ, riss er in blinder Entschlossenheit zu blinder Flucht ins blinde Ungewisse mit der einzigen Hoffnung, irgendwie umzukommen, notfalls den Mut zum Selbstmord aufzubringen, das ihm in seiner Unfähigkeit zu nüchterner Überlegung augenblicklich als das Allernotwendigste für eine Reise Erscheinende aus den Schubläden und Schrankfächern, stopfte es in seine Reisetasche, nahm alles Geld, das er hatte, an sich, verzichtete auf einen Abschiedsbrief, stürmte zu seinem alten Auto und brauste einfach in die Richtung los, in die sich das Land, in dem er lebte, am weitesten ausdehnte.
Die Nacht war nur noch kurz. Der Verkehr schwoll an. Alltag. Glückliche Fernfahrer ohne Examen? Gleißende Sonne. Adilos Gesicht brannte, der Schädel brummte, die Gedanken echoten, das Herz schien wie zum Bersten aufgeblasen. Eine kurze Stärkung – wozu eigentlich? - an einer Raststätte. Dann verließ er die Hauptverkehrsadern, irrte durch gesichtslose Orte, einer wie der andere, durch unauffällige Landschaftsreste, steuerte einen entlegenen Landkartenfleck an. Und wirklich – träumte er in seiner Übernächtigung, jetzt nach Mittag? - : Hier gab's noch Natur und schlafende Dörfer. Doch ehe er sich's versah, war er schon wieder auf eine Autobahn geraten. Am nächsten Parkplatz hielt er an. Er konnte einfach nicht mehr, musste sich irgendwo ins Gras legen und schlafen.
So kletterte er einen Geröllhang hinauf, blickte über ausgedehnte Wiesen und Felder einer hügeligen Landschaft, strebte unter dem Zwitschern der im tiefblauen Himmel unsichtbaren Vögel einem Waldrand zu, der Schatten und eine Talaussicht versprach. Wie doch die Natur bannt, in ihrer altmodischen Erhabenheit den Alltag kleinlich erscheinen lässt! Was gilt hier, in dieser Verlorenheit des einzelnen Winzlings Mensch, persönlicher Kummer, Examenssorge?
Der Waldrand bot weiter keine Überraschungen. Adilo legte sich im Schatten nieder und verfiel in tiefen, schweren Schlaf.
Als er aufwachte, benötigte er erst einige Sekunden, um sich zu orientieren. Siedheiß fiel es ihm ein, dass er sein Auto an einem kaum frequentierten Parkplatz zurückgelassen hatte und daher die Gefahr des Diebstahls bestand. Wie er doch besorgt war! Brauchte er es denn noch? Hatte er nicht mit allem abgeschlossen? Hier, allein in der schweigenden, sich selbst genügenden Natur, im abendlich gewordenen Sonnenlicht, das bei ihm, wenn er in der Fremde war, immer Heimweh ausgelöst hatte, brach plötzlich all sein Leid wieder auf, und er überließ sich hemmungslos den Tränen. Schließlich, unfähig, sich zu etwas zu entscheiden, und wieder sehr, sehr müde geworden, ließ er es darauf ankommen, dass ihm die Situation, in die er sich geflüchtet hatte, eine Entscheidung abnötigt oder abnimmt, und gab sich wieder dem Schlaf hin. Dabei hoffte er allerdings doch, noch vor Einbruch der Dunkelheit zum Auto zurückkehren zu können, und wog sich in der Zuversicht, dass oft erst die Nacht zum Diebe macht.
Sein weiterer Schlaf verlief sehr unruhig, mit vielen Unterbrechungen, über die hinweg ihn einer der gewohnten, wirr-abstrakten Dauerträume von einer dringenden, aber immer wieder auf der Stelle tretenden gedanklichen Suche nach einer befreienden Lösung eines in assoziativen Bildern schwirrenden und durch formale Überlegungsmuster gleitenden, unfassbaren Fragenkomplexes fesselte.
Durch diesen Traum zog sich irgendwie, zunächst nur tröstend und sehnsüchtig machend, dann immer mehr betäubend und endlich fast erlösend die Musik des alten Handharmonikaspielers von damals am Parkweiher, aber noch viel wunderbarer, entrückt ins Ätherische. Davon wachte Adilo schließlich endgültig auf. Und die Musik klang weiter, leise, hell, unwirklich schön. Adilo zögerte. Dann erschrak er: Es war bereits dunkel geworden. Das Auto! Er sprang auf. Doch diese Musik, sie war wirklich, kam aus der Ferne, kristallklare Saitenklänge von mandolinenartigen Instrumenten, durchwirkt von satten Basstönen, einfache, getragene Weisen in wiegendem Rhythmus.
Hingerissen eilte Adilo den traumhaften Tönen entgegen. Es wird nicht darauf ankommen, wenn er etwas später zum Parkplatz zurückgekehrt.
Endlich öffnete sich sein Blick tief in ein Tal hinab, wo im Schein bunter Lichterketten ein altes Gehöft lag, das von einer Vielzahl von Wohnwägen umlagert war.
Da musste er hinunter, das brauchte er, um sich seelisch aufzurichten! Wer sollte sein Auto auf dem abgelegenen kleinen Parkplatz schon stehlen? Es müsste ein Zufallstäter sein, nein , zwei müssten es sein: einer, der selbst mit dem Auto den Parkplatz angesteuert hätte, und ein Begleiter, der das geparkte Auto wegfahren könnte. Oder doch zwar ein Täter, der aber zunächst sein eigenes Auto zurücklassen müsste oder dieses erst wegfahren und dann zu Fuß zurückkehren müsste.....
Adilo überlegte nicht mehr weiter, sondern rannte den Wiesenhang hinunter. Unebenheiten und Büsche zwangen ihn in der Dunkelheit, seine Laufschritte zu verlangsamen. Am unteren Teil der Böschung hatten sich vereinzelt Leute niedergelassen, kleine Grüppchen, Liebespaare. Stimmengemurmel, flackerndes Gelächter war zu hören, eine Zigarette glomm auf..
Endlich die Musikgruppe, die gerade jetzt, nach einer Pause, ihre verblüffend eingängigen Weisen wieder anleierte, jawohl: anleierte. Ein maschienenstrenger, drehorgelhaft überbetonter Rhythmus trug wogend ein klirrendes, vibrierendes Klanggeflecht unterschiedlich gestimmter Saiten, das die aus ganz wenigen, sparsam gestreckten, jeweils schon vorausahnbaren, aber immer wieder noch zurückgehaltenen Tönen bestehenden, wehmütigen, aber doch trostvoll stimmenden Melodien federnd umrankte, die im Duett einer Frauen-und einer Männerstimme hingebungsvoll in einer fremden Sprache vorgetragen wurden, wobei jede Tonfolge überraschend vorzeitig in einen langgestreckten Ausklang abbrach. Etwa zehn Musikanten, Männer, Frauen und Kinder in blütenweißen Gewändern mit bunt bestickten Westen, allerlei kleine und große lautenähnliche Instrumente zur Hand, boten diese eigentlich triviale, aber doch so bannende Musik auf einem geschmückten landwirtschaftlichen Anhänger dar, der vor der efeuumrankten Giebelmauer eines alten Bauernhauses, das eine Gastwirtschaft beherbergte, aufgestellt war..
Der Vorplatz war von einer mächtigen Linde beherrscht, unter der die Leute an langen Holztischen auf langen, lehnenlosen Holzbänken saßen. Es wimmelte vor Menschen. Gesprächsfetzen und Zurufe in fremder Sprache schwirrten umher. Der Rauchgeruch köstlicher Grillspezialitäten zog über den Platz. Plötzlich tauchte im Getümmel ein bildhübsches Mädchen vor Adilo auf, reichte ihm lächelnd ein Glas voll Wein und war schon wieder verschwunden, ehe er die in seiner Sprache gebrochen ausgedrückten Worte: „Will-kommen-Geschenk“ verstand. Fast wäre er über eines der Kinder gestolpert, die um das leere, hölzerne Tanzpodium und auf diesem umhertollten. Er zog sich daher mit seinem Glas Wein auf einen nahen Grashügel zurück, der das Gemäuer eines alten Kellereingangs umwölbte. Dort lagerten, wie am Wiesenhang auch, schon andere Festgäste. Was war das für ein großes Fest? Es gab hier weitaus mehr Menschen, als das Wohnwagenlager um dieses Anwesen herum fassen konnte. Er hatte im Menschengewirr auch einheimische Laute, einen ihm unbekannten Dialekt, vernommen, doch noch keine Gelegenheit gesehen, jemanden zu fragen. Auch jetzt befand sich um ihn herum niemand, den er anzusprechen wagte.
Der Platz war ideal, um der Musik zu lauschen. Doch verdüsterte sich die Stimmung Adilos durch aufkommendes Kopfweh. Auch dachte er wieder an sein Auto. Glücklicherweise hatte er wenigstens seinen Geldbeutel mitgenommen, aus der Sorge heraus, dieser könnte aus dem Auto gestohlen werden. Welch´ Sorge angesichts seiner verzweifelten Flucht!
Plötzlich fiel sein Blick auf ein Bett. Tatsächlich, von hier aus sah er es, direkt am Fuße der riesigen Linde: ein ganz normales Bett mit weißem Federbettzeug, in dem steil aufgerichtet, durch Kissen gestützt, ein Greis starr ins Leere blickte. War es das kranke Oberhaupt einer Sippe, die hier ein Fest gab? Eigens ins Freie gebettet, um das Treiben miterleben zu können? Ein Fest ohne Tanz und Ausgelassenheit.
Nun, Adilo wollte sich zu den Grillständen aufmachen, um nach langen Stunden wieder etwas zu essen. Er wollte sich dann endlich erkundigen.
Als er sich aufrichtete, geriet er beim Abstützen mit der linken Hand in Glasscherben. Es war weniger der Schmerz als das heftige Bluten, das ihn in Aufregung versetzte. Stehend hielt er die Hand unschlüssig nach unten vom Körper weg und ließ das Blut tropfend ablaufen. Sollte er sein von den Tränen wieder getrocknetes Taschentuch als Wundverband benutzen? War es nicht zu wenig sauber? Würde es nicht im Nu vom quillenden Blut vollgetränkt sein? Sollte er damit das Handgelenk abbinden, abbinden lassen, sich an die Herumkauernden wenden, von denen keiner den Unfall bemerkt hatte? Er umfasste das zusammengeknüllte Taschentuch mit der verletzten Handfläche und eilte zur Gastwirtschaft, um erste Hilfe zu erbeten.
Finsternis, Kühle sowie Moder- und Biergeruch empfingen ihn im Flur hinter dem offenen Haustor. Nach einem kurzen Augenblick der Gewöhnung bemerkte er rechts eine offenstehende Türe. Sie führte offenbar in den Gastraum, denn vor dem matten Lichtschimmer, der von außen durch die kleinen Fenster drang, zeichneten sich die Umrisse schweigender Gestalten ab, die an einer Theke saßen. Erschrocken stellte Adilo beim Betreten des Raumes fest, dass auch am Fußboden Personen lagen, in Decken, auf Matratzen und Liegen. Alkoholleichen? Er trat jetzt einfach an den ersten der Thekensitzer, die von ihm überhaupt keine Notiz genommen hatten, heran, stellte sein gewissenhaft mitgebrachtes leeres Weinglas auf dem Tresen ab, zeigte die blutende Hand mit dem völlig blutdurchtränkten Taschentuch und bat: „Telefon“, „Medizin“, „Doktor“, in der Hoffnung, dass diese international gebräuchlichen Fremdwörter verstanden wurden.
Tatsächlich rief die Gestalt aufgeregt etwas zu einer offenen Türe hinter der Theke hin. Eine schrille Frauenstimme regte sich aus dem Dunkel der Bodenlagerstätten. Ein Baby fing zu schreien an. Also ein Nachtlager?
Jemand eilte in den Raum hinter der Theke, rief einen Namen, jedenfalls immer das gleiche Wort. Die Rufe schallten plötzlich vom Flur her. Der Rufer kam wieder zur Gaststubentüre herein, packte Adilo am Arm und führte ihn hinaus.
Er eilte mit ihm schweigend den stockdunklen Hausgang nach hinten, Türen wurden aufgerissen, ein kläffender Hund hing sich an ihre Fersen, ein hellerleuchteter Saal wurde durchquert, in dem Kinder offenbar irgend eine Aufführung probten. Der Weg führte weiter durch halbdunkle Stallungen, und endlich trat man ins Freie, wo sich lauter schwach beleuchtete Wohnwägen drängten. Adilo war sehr besorgt über den hohen Blutverlust. Er musste eine dichte Spur von Blutstropfen hinterlassen haben. Weiter ging es im Laufschritt durch Wohnwagen- und Zeltgassen, bis Adilos Begleiter endlich eine kleine Treppe hinaufsprang, kurz an einer Türe klopfte, sie gleichzeitig öffnete und einen Wortschwall ins Wageninnere ergoss. Dann bat er den Verletzten mit weitausholender Geste herauf, schob ihn durch die Türe und war, noch ehe ihm gedankt werden konnte, verschwunden.
Eine ältere, korpulente Dame in einem glitzernden Gewand saß am Tisch und verfolgte gebannt einen dröhnenden, fremdsprachigen Videofilm. Sie schenkte Adilo nur mit einem flüchtigen Blick auf dessen Hand Beachtung, zog dann, ohne das Gesicht vom Bildschirm abzuwenden, halb hinter sich greifend eine Schublade auf, entnahm blind ein großes weißes Tuch und hielt es dem von solcher Unhöflichkeit peinlich Betroffenen hin. Adilo nahm es entgegen, um damit das tropfende Blut aufzuhalten. Stumm wies sie auf eine Spüle. Adilo legte dort sein blutiges Taschentuchknäuel ab und ließ kaltes Wasser über die verletzte Hand laufen. Jetzt endlich schleppte sich die Frau, während der Film lautstark weiterlief, zu ihm hin, brachte eine große Lupe mit und schaute sich die Verletzungen – offenbar auf steckengebliebene Splitter hin – genau an. Schließlich stieß sie wie selbstverständlich einen lauten Rülpser aus und lächelte ihren Patienten mit unbefangener Zufriedenheit an: „Sie hat bestimmt kein Examen“, fuhr es Adilo durch den Kopf, „und verfügt trotzdem sicherlich auch über die Fähigkeit, vor einem Furz nicht zurückzuschrecken.“ Den Kopf sogleich wieder zum Bildschirm gewandt, schlug sie das Tuch um die wunde Hand und bugsierte den Verletzten auf den Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, dem einzigen im Raum. Blind zog sie verschiedene Schubladen, griff in Regalfächer und rührte am Tisch einen Brei an. Sollte er den etwa zur Heilung essen müssen? Unverwandt verfolgte sie den Film.
Es schien eine Heimatsschnulze zu sein, viel Landschaft, Liebe und – ja, jetzt auf einmal die gleiche Musik im Hintergrund wie draußen vor der Gastwirtschaft. Sein Blick fiel zufällig durch das Glas einer Vitrine. Stand da nicht eine Kristallkugel zum Wahrsagen?
Die Frau trat jetzt an ihn heran, stellte den flachen Teller mit dem Brei vor ihn hin und deutete an, dass er seine wunde Hand flach hineintunken sollte. Aha, eine Wundheilsalbe in Form einer Wundersalbe. Er befolgte die Anweisung. Ein heftig brennender Schmerz ließ ihn zusammenzucken und die Hand hochreißen. Er beherrschte sich, nicht zu schreien. Doch die Medizinfrau schrie an seiner Stelle, als hätte sie darauf gewartet, höhnend „Au!“ und presste seine Hand energisch in die Schale. Der Schmerz ließ langsam nach, und die Frau legte ihm schließlich fachgerecht einen Verband an, den sie plötzlich herbeigezaubert hatte. Auch dabei blickte sie immer wieder in die nunmehr wieder schrill tönende Bilderwelt ihrer Sehnsüchte.
Endlich war sie im Gegensatz zum laufenden Film fertig und streckte ihm zum Abschiedsgruss ihre Hand hin. Er stand auf, zog seinen Geldbeutel und fragte höflichkeitshalber, was er schuldig sei, wohl wissend, dass sie ihn weder sprachlich verstand noch Entlohnung erwartet hatte. Sie winkte daher auch barsch ab und drängte ihn zur Türe. Dabei sagte sie etwas, von dem er nur wiederholt das Wort „Doktor“ verstand, und deutete auf einen Wandkalender. Dort zeigte sie den morgigen Tag, wies auf seine verbundene Hand und wiederholte das Wort „Doktor“. Er verstand, dass er am nächsten Tag zur Nachuntersuchung einen Arzt aufsuchen solle, und nickte heftig. Wäre es jetzt nicht unverschämt, wenn er noch gestikulierend und minenverzerrt auf seinen Kopfschmerz aufmerksam machen würde, um ein Mittel dagegen zu erbeten? Schon stand er vor der Türe.
Unentschlossen streifte er durch Wohnwagenstraßen, die nur durch vereinzelte Lichtscheine aus Fenstern erhellt waren. Einfach wunderschön, diese seltsam beruhigende Musik, die er nun wieder vom Festplatz her hörte. Sollte er dort noch etwas essen? Die unbekömmliche Schnellmahlzeit an der Raststätte lag ihm immer noch im Magen. Musste er nicht endlich zu seinem Auto zurückeilen, um es noch vor einem Diebstahl zu retten, falls es noch zu retten war? Dort hatte er auch seine von zuhause mitgenommenen Kopfwehtabletten zurückgelassen. Wie sollte es weitergehen? Halsüberkopf hatte er sich dem Schicksal überlassen, eine Entscheidung über sein Leben provoziert. Jetzt hat ihn das Schicksal in die Hand geschnitten, damit ihn die Wunderheilerin nachhause zum Arzt schickt! Natürlich ist die linke Hand betroffen, damit das Examen mit der rechten geschrieben werden kann!
Er hätte nicht mit seinem Auto flüchten sollen! Damit hatte er sein Zuhause nur wie ein Gummiband ausgespannt, dessen Riss er doch nicht wagte. Das nächste Mal …..das nächste Mal?
Plötzlich überkam ihn wieder all die Verzweiflung und Aussichtslosigkeit, die ihn hierhergetrieben hatte. Wasser schoss ihm in die Augen. Was sollte er noch, außer sich an Musik aufzurichten? Leer, überflüssig, sinnlos schien ihm jeder seiner Schritte, und doch führten sie ihn zu dem Wiesenhang zurück, von dem er hergekommen war, über den ihn die Musik hinabgezogen hatte. Also eine Entscheidung, zumindest eine negative, eine gegen das Ungewisse! „Alles ist Entscheidung, vom Urknall bis zum Examen!“, trieb er sich jetzt verbissen an und stürmte zwischen den vielen umhersitzenden Entschiedenen hindurch den Hang hinan.
Doch als er sie hinter sich gelassen hatte, voll in die Finsternis unter sternenlosem, offenbar inzwischen verhangenem Himmel eingetaucht war, verlor er endgültig die Orientierung. Wie sollte er den Waldrand finden, von wo er aufgebrochen war, um der Musik entgegenzueilen? Wie sollte er gar zum Parkplatz zurückfinden? Und wenn das Auto gestohlen war.....?
Jetzt fühlte er wieder das gottseidank noch nicht voll zum Ausbruch gekommene Kopfweh, auch verspürte er erstmals Hunger trotz leichten Übelseins. Die Augen brannten wieder. Er legte sich nieder. Ein leichter, warmer Wind war aufgekommen. Die Musik pausierte. Er schlief ein.
Der Schlaf war nicht tief. Adilo zwang sich immer wieder zur Fortsetzung, indem er beim Aufwachen keine Gedanken aufkommen ließ, sondern bei geschlossenen Augen mit seiner inneren Stimme den sinnlosen Begriffssalat gebetsmühlenhaft wiederholte, den er gerade geträumt hatte.
Einzelne schwere Regentropfen schreckten ihn aber schließlich doch auf. Es dämmerte bereits. Am Himmel hingen schwere Wolken. Das Fest war ausgeklungen. Wo sollte er schnell Schutz vor dem drohenden Regenguss finden? Ihm fiel die offene Bretterhalle drunten im Bereich vor der Gastwirtschaft ein, und er stürmte los. Wieder bremsten ihn die Unebenheiten des Hanges, auch war das Gras jetzt stellenweise glatt. Doch glücklicherweise fielen keine Regentropfen mehr. Gemächlich näherte er sich dem Wohnwagenlager. Alles war still. Die Bewohner lagen wohl im tiefen Schlummer.
Doch auf einer Veranda stand einsam ein Mann, auf das Geländer gestützt, versonnen eine Zigarette rauchend. Er blickte zunächst nicht her. Doch als ein Hund zu bellen anfing, brachte er ihn mit einem schroffen Kommando zum Schweigen und bedeutete Adilo mit einer Handbewegung, dass er verschwinden solle, was dieser ohnehin tat und zwar instinktiv in die Richtung, aus der er gekommen war.
Daher und weil der Regen nicht ausgebrochen war, machte er sich auf den Weg zu seinem Auto, mochte es doch noch regnen oder nicht. Er freute sich, als er dieses schließlich noch unversehrt antraf. Und aus Freude, sich noch freuen zu können, entschloss er sich endgültig zur Heimfahrt.
Drittes Kapitel
Der Tag war herangekommen! Der erste Tag des Examens.
Adilo hatte es nicht geschafft, sich auch nur einigermaßen ausreichend vorzubereiten. Die Nacht hatte er nicht schlafen können. Er war darüber immer wieder in Panik und Verzweiflung geraten, hatte hemmungslos geweint, gebetet, Gott angefleht, bedrängt, sich entschuldigt, das Kruzifix angestarrt, angeschluchzt, auf ein Wunder gewartet, sich Ruhe suggeriert. Nichts half, die Zeit raste, der Morgen dämmerte.
Jetzt befand er sich völlig übernächtigt, mit starkem Kaffee vollgepumpt., auf dem Weg zum Institutsgebäude, dem Prüfungsort. Die Augen brannten, das Gehirn war wie vertrocknet, die Gedanken perseverierten echoend, das verkrampfte Herz schlug wild um sich, als wollte es herausgelassen werden.
Der Weg führte durch den morgendlichen, noch fast unberührten Park, vom noch milden Sonnenlicht durchflutet. Taufrisch noch der Rasen, unbekümmertes Vogelgezwitscher in den hohen, flirrenden Bäumen. Drei Arbeiter hoben gemächlich eine Rinne aus. Sie haben es schön und kein Examen! Von ferne dröhnte ein Rasenmäher.
Als er die Anlage gerade durch einen Steinbogen verlassen wollte, erstarrte er. Sein noch ungeträumtes und daher völlig überraschendes Taumideal weiblicher Schönheit schwebte ihm personifiziert entgegen. Fassungslos starrte er dieses Mädchen an. Schon war es vorbei. Ungehemmt blickte er ihm nach. Das ist das Leben, nicht das Examen! Es hatte ihn keines Blickes gewürdigt. Aber war da nicht ein feines Lächeln gewesen? Nur Stolz, Belustigung, Verlegenheit, Gedankenverlorenheit? Wie sollte er je Glück finden im Leben, wenn er es nicht einmal dann fassen kann, wenn es ihm begegnet?
Im glasumhüllten, sonnenprallen Foyer vor dem Prüfungssaal boten die wartenden Prüflinge das typische Bild: kleine, scherzende Grüppchen. War das die Selbstsicherheit nach exzellenter Vorbereitung, natürliche Unbekümmertheit oder der – rührende, offenbar aber blendend glückende – Versuch, bei den Leidensgenossen Trost zu finden und mit ihnen die Angst zu überspielen?
Adilo mied seine Kommilitonen. Von ihnen versprach er sich keine Aufmunterung. Er hätte entweder seine hoffnungslose Lage verschweigen müssen, oder man hätte sie ihm nicht geglaubt.
Der einzige, mit dem er sich möglicherweise gut verstanden hätte, weil er so, wie er ihn kannte, mit Sicherheit ebenso wenig vorbereitet war, lehnte mit geschlossenen Augen in einem abseitigen Sessel und meditierte.
Ziellos wandelte Adilo auf und ab. Plötzlich ließ ihn ein aufgeschnappter Gesprächsfetzen zum zweiten Mal an diesem Morgen erstarren. Sekundenlang war das Herz gelähmt. Dann wallte Blut in den Kopf und ließ die Schläfen pochen. Kalten Schweiß fühlte er an Stirn und Händen. „Jetzt ist alles aus!“, schrie er innerlich und wurde dann auf einmal ganz ruhig und gefasst. Ein Stichwort hatte ihm jäh ins Bewusstsein gerufen, dass er einen bedeutsamen Wissenssektor des Prüfungsgebietes der heutigen Klausur bei seiner ohnehin nur jämmerlichen Vorbereitung der letzten Tage glattwegs ganz und gar vergessen hatte!
Die Gewissheit, dass somit die Prüfungsteilnahme für ihn endgültig sinnlos geworden war, wirkte beruhigend. Doch wie sah die Zukunft aus? Tief in Gedanken versunken, suchte er die Toilette auf. Draußen vor dem gekippten Fenster zischte und klickte der Rasenssprenger. Irgendein Arbeitsgeräusch deutete auf die Anwesenheit des Hausmeisters hin, draußen in der künstlich angelegten Natur vor dem Prüfungssaal, ohne Examen.
Eine explosive Mischung aus ohnmächtiger Hilflosigkeit und selbstzerstörerischem Trotz ballte sich in ihm zu wildentschlossenem Wagemut. „Jetzt breche ich aus, ich breche einfach aus!“, hallte es in seinem Gehirn, und die Kopfhaut hatte sich wie vor schaudernder Kühle zusammengezogen. Es war jenes wohlvertraute Gefühl, das ihn in Situationen überfiel, wenn er zu allem fähig war.
Unumstößlich gewillt, sang.-und klanglos das Haus zu verlassen, was auch immer danach geschehen möge, stieß er die Toilettentüre zum Foyer auf. Klirrend fiel auf der dortigen Seite die Türklinke - wie auch immer dies geschehen konnte- zu Boden. Alle Gesichter der doch so unerschütterlichen Prüfungskandidaten starrten auf ihn. Auch der Meditierer hatte jetzt die Augen geöffnet und blickte geistesabwesend durch ihn hindurch.
Adilo unterließ es trotzig, sich nach der Türklinke zu bücken, und eilte zum Ausgang.
Im Freien angelangt, empfand er grenzenlose Freiheit. Freiheit kann man nur ertrotzen, eine alte Kindheitserfahrung. Jetzt nur nicht daran denken, was daraus werden soll! Die Freiheit liegt immer nur im Augenblick, auch eine alte, allerdings resignative Kindheitserfahrung. Eigentlich bleibt man immer Kind, nur glaubt man es nicht, weil man als Kind bei den Erwachsenen nur eben diesen Unglauben erfahren hat, der wohl letztlich nur im Vergessen begründet liegt, besser: in der Nichterinnerung und damit genau in der Augenblicksorientierung, die der Kindheit eigen ist. Oder in der Zukunftsorientierung, die das Glück des Augenblicks verstellt. Also doch kein Kind mehr? Oder ein fliehendes Kind?
Examensflucht. Wieder kam er an den immer noch examenslosen Arbeitern im Park vorbei. Nur der Aphrodite – bei der er die Examensfrage glatt vergessen hatte – war er nicht mehr begegnet.
Jetzt gab es kein Zurück mehr: Sie brüten bereits über ihren Aufgaben! Die Sitzplätze waren verlost worden, sein Name aufgerufen worden. Wo ist er? Er war doch da! Der ist davongelaufen, weil er die Klotüre kaputtgemacht hat....
Der Meditator: Wird er zur medizinisch garantiert nicht nachweisbaren Pille greifen, um ohnmächtig und schuldlos vom Examen befreit vom Stuhl zu fallen? Diese Notlösung hatte er einmal erwogen. Es müsse doch so etwas geben, er habe Beziehungen zu einem Pharmazeuten. Das könne es nicht geben, sonst gäbe es doch zumindest bei den Pharmaziestudenten keine durchgefallenen Examenskandidaten mehr, wurde eingewandt. Man könne doch nicht bei jedem Examensversuch umkippen und im übrigen ja auch seine Leistungsfähigkeit überschätzen, verteidigte er seinen sicher uralten Prüflingstraum. Ob er denn nicht seine Meditationstechnik so perfektionieren könne, dass er durch bloße Autosuggestion vom Stuhl plumpse und davon nicht gleich wieder aufwache, wurde er vermittelnd nicht ohne leichten Spott gefragt. Dazu brauche man doch weder Pillen noch Autosuggestion, sondern nur den Mut, sich der Schwerkraft zu überantworten, und eine weiche Birne, schloss ein Scherzbold die Diskussion damals ab.
Am Studentenwohnheim angelangt, überfiel Adilo die Ernüchterung. Was hatte ihn hierher geführt? Was sollte er hier noch? Sein Zimmer klagte ihn an. Der Schreibtisch, überbordend von Papier und Büchern: In welcher Verzweiflung hatte er sich von ihm spätnachts getrennt! Das ungemachte Bett mit dem zerwühlten Bettzeug: Wie hatte er hier die rasende Dämmerung durchlitten! Bedrückend der stickige Geruch von kaltem Schweiß. Er zog die Gardinen zurück und öffnete das Fenster. Die grelle Sonne blendete seine übernächtigten Augen. Da, wieder das Gefühl der sich zusammenziehenden Kopfhaut! Jetzt endgültig schlafen! Er stürzte in die Tiefe, aus dem vierten Stockwerk, ohne es eigentlich so recht gewollt zu haben.
Viertes Kapitel
Schweißgebadet schrak er aus dem Bett hoch. Hatte er sich umgebracht? Unsinn! Entsetzt starrte er auf den Wecker: Er hatte das Examen verschlafen! „Blödsinn!“, kam es ihm sogleich, „ausgerissen bist du, ausgerissen wie ein Kind!“ Nein, es war ein Traum! Und doch...... „hattest du nicht die ganze Nacht in Verzweiflung durchwacht? Du träumst, dass es ein Traum nur ist. Und träumst, du wachst jetzt auf. Siehst schweißgebadet dich im Bett. Im Traum noch oder wach? Reißend durchglüht es dein Gehirn: Es ist in Wirklichkeit geschehen! Die Wirklichkeit noch schlimmer als ein Traum? Die vor dem Traum versiegten Tränenströme setzten wieder ein. Die Tränennacht kein Traum? Du erstickst ein hemmungsloses Schreien im Kopfkissen. Es kann nicht sein!
Die geschlossenen Vorhänge regen sich vor dem offenen Fenster in der flimmernden Luft der Mittagshitze. Du reißt sie auf. Gleißende Helligkeit. Unwirklich gedämpftes, traumhaft verzerrtes Straßengeschehen.
Du wirfst dich wieder auf´s Bett. Atmest. Dein Atmen hast du nie geträumt. Das schrille Heulen einer Kreissäge, ein trauter Glockenschlag: wie aus deiner fernen Kindheit.
Du gehst, um dich zu duschen. Warum? Du ziehst dich an und trinkst Kaffee. Es ist dir plötzlich – aber du vergisst es gleich -, als hättest du den Augenblick schon irgendwann einmal erlebt und hättest auch den nächsten gleich vorausgesehen. Hast du denn überhaupt gelebt? Du lebst noch? Kannst du überhaupt noch leben?
Irgendetwas in der Ecke sieht unheimlich aus, einen Augenblick nur, während du über ein Geräusch erschrickst, das kurz, einmalig und unerklärlich bleibt.
Dein Blick haftet am Brotmesser. Dein Leben hängt am Augenblick.
Es drängt dich nach draußen. Wohin? Im Treppenhaus bleibt dein Gruß unerwidert. Auf der Straße schauen die Leute weg oder schauen durch dich hindurch. Jemand rempelt dich an, als wärst du Luft. Beginnt der Wahn? Dann wär's dir nicht bewusst! Weißt du es aber?
Warum ist alles nur so dumpf? Im Park wirfst du dich auf die Wiese. War's eine Farbe, war´s Geruch? Es war schon wieder, unendlich kurz, wie etwas vor unendlich langer Zeit. Signale der Vergangenheit? Von ferne hörst du fremde Melodien, unsäglich schön. Kann dies denn sein? Dann schläfst du ein. Du träumst, dass es ein Traum nur ist. Und träumst, du seist dir ganz gewiss, dass es im Traum ja nur geschehen ist. Es kann nicht sein! Sein oder Schein? Du kehrst – so oder so – nie wieder heim.....“
Er holte nur noch sein Gepäck.
Fünftes Kapitel
Der Fahrer setzte ihn irgendwo im trostlosen Vorortsbereich der fremden, ausländische Stadt ab und brauste – natürlich! - mit seinem im Kofferraum verstauten Gepäck davon, seiner gesamten Habe!
Voll ohnmächtiger Wut und Verzweiflung schlug sich Adilo einfach ins wilde Gebüsch am Straßenrand. Nichts sehen und nicht gesehen werden! Heulen!
Gleich hinter der Buschreihe öffnete sich jedoch weites Brachland mit mageren, vertrockneten Wiesen, staubigen Trampelpfaden und vereinzeltem Strauchwerk. In der Ferne zeichnete sich, durchaus stimmungsvoll, im milden Sonnenlicht des Spätnachmittags eine markante Stadtsilhouette ab. In einiger Entfernung waren auch Leute zu sehen. Adilo rannte los, einfach auf die nächsten Büsche zu, um vorerst einmal Ruhe zu finden.
Dabei stellte sich heraus, dass es sich doch um ein parkähnliches Gelände handelte, durch das die Leute streiften. Er legte nun keine Pause ein und stieß bis zu diesem Spazierweg vor. Bei ihm angelangt, schien er fast schnurgerade auf das Zentrum der Stadtsilhouette zuzuführen. Adilo schlug diese Richtung ein.
Gemächlich kamen ihm zufriedene Menschen entgegen: Familien mit Kindern, Liebespaare, Rentner. Es war Sonntag wie damals im Stadtpark daheim, am Studienort, gegen Abend um die Zeit, als ihn der Hund am Teich beschnüffelt hatte.
Er verstand ihre Sprache nicht. Es war die Fremde, in die er sich schon einmal verzweifelt aufgemacht hatte. Damals hatte ihn seine Seele wieder eingeholt. Hier lockte keine Musik. Dort, an diesem eindeutigen Ziel, war er endlich verloren.
Sechstes Kapitel
Es war kein Ziel. Jahre später:
Im dichten Nebel war nicht abzusehen, wie weit sich der Feldrain noch hinziehen würde, an dem er sich entlangmühte. Mit dem linken Fuß, oft auch mit beiden, glitt er immer wieder in die feuchte Erde des umgepflügten Feldes ab. Immer wieder musste er daher die dicken, schweren Erdklumpen, die sich im Nu an die durchweichten und durchlöcherten Schuhe hafteten, auf der schmalen Grasnarbe abstreifen, auf der er sich zwischen der Scholle und dem dichten, kein Ende nehmen wollenden Gestrüpp zu halten versuchte, das er mit dem rechten Arm streifte, und dessen vorstehendes Geäst ihm immer wieder gegen den vorgebeugten, gesenkten Kopf schlug.
Aber er hatte den Weg ja verlassen wollen! Ein müdes, flüchtiges Lächeln erfasste nur noch seine Augenwinkel. Er griff in die linke Jackentasche. Von der Jacke war eigentlich nur noch die Idee übriggeblieben und die Funktion der Taschen. Sie bargen je eine Hand voll Schlehen, vor Stunden gepflückt, eine redlich erworbene Wegzehrung zur Schonung des sozusagen mühsamer erworbenen, äußerst dürftig gewordenen Proviantes im Tornister.
Plötzlich blieb er stehen und richtete den Kopf auf. Aus seinem Mund nahm er die Giftkapsel, die er unter die Schlehen gemischt hatte, trocknete sie mit dem dreckigen Taschentuch und steckte sie wieder in seinen Brustbeutel, wo er sie schon seit Jahren mit sich getragen hatte. Mit seinem Speichel spülte er die von den Schlehen pelzig gewordene Mundhöhle und spuckte aus.
Dann kehrte er zum Weg zurück. Eigentlich hatte er von Anfang an nicht geglaubt, dass er sich etwas vormachen könne.
Siebtes Kapitel
Und viele Jahre später:
Der graue Hinterhof gab nicht viel vom ohnehin verhangenen Himmel frei. Und die tieferen Konturen des verödeten Gewinkels verschwammen im Halbdunkel. Der Regen war versiegt. Blinde Pfützen spannten sich regungslos über das muldige Hofpflaster. Moderndes Holz atmete geruchsstark die Frische der nasskalten Luft.
„Der alte Mann ist wieder da mit seiner Mundharmonika, hurra, hurra!“ So klang es dem Bettler in den Ohren, der sich unter einem rostigen Balkon niedergelassen hatte und seinem kleinen, funkelnden Instrument wehmütige Töne entlockte. Doch die Kinder waren längst nicht mehr da. Und es öffnete sich auch kein Fenster mehr zum Wurf einer Münze. Nirgends brannte Licht. In einer Ecke lehnte ein entnadelter Tannenbaum mit winzigen Lamettaresten. Durch das Hoftor rauschte gelegentlich der feuchte Asphalt der mäßig befahrenen Nebenstraße.
Der Obdachlose fingerte mit zitternden Händen aus der Innentasche seiner verrotteten Jacke ein abgegriffenes Etui und verschloss darin sorgfältig seine blankpolierte Blasorgel. Aus einer Außentasche fischte er umständlich einen Zigarettenstummel. Unangezündet steckte er ihn zwischen die Lippen, kniff ein Auge zu, als störte ihn Rauch, und nickte leicht mit dem mumifizierten Kopf, der plötzlich vornüber sank.
Irgendwo maßen in langen Abständen schwer fallende Tropfen die Zeit.
Achtes Kapitel
Adilo legte das Manuskript zur Seite. Die Geschichte befriedigte ihn nicht. Immer das Gleiche! Er machte sich in die Kneipe auf. Als er sich dort wiederfand, begrüßte er sich unter Ausstoß mehrerer gezielter Rülpser als einen der wenigen zweifelhaften Bekannten, die er hatte, ohne Examen, wie schön?
„Wer wirft den Stein ins stille Wasser, lässt Wellen weite Kreise zieh´n?“ röchelte der alte Klavierspieler mit Grabesstimme im Sprechgesang zu den scheppernden Tönen des ächzenden. Instruments. „Ein Kind“, gab sich Adilo die Antwort, bevor der Sänger in einen asthmatischen Husten verfiel und dann verschleimt weiterräusperte: „Es ist der kleine Wasserlasser, lässt Wasser und wirft Steine rinn.“
Adilo warf sich – wie schon so oft – in eine unbesetzte Bankecke zwischen zwei lebensfrohen Tischrunden, denen er nicht auffiel. Unweigerlich stand das Examen bevor. Er dachte an das Bett im Festgetümmel, an die traumhafte Trivialmusik, an seine Mundorgel, an seinen Tod. Sein Tod? Scheintod? Sein oder tot? Ist es die Faszination der Trivialität, die Grenzen überbrückt, uns Traum und Wahn sogar entrückt? Doch kein Examen uns verzückt?
Das Klavier klirrte jetzt wie die Toilettentürklinke am Boden im lichten Prüfungsgebäude. Wahrnehmung, Erinnerung, Vorstellung, Traum und Wahn, immer das Gleiche. Wie gesagt, die Geschichte – wahrhaft wahnhaft – befriedigte ihn nicht..
Einer der wenigen, zweifelhaften Bekannten gesellte sich zu ihm: „Wo warst du die letzte Zeit?“ „Ich wollte weg von hier, weg von mir. Doch man kann nicht aus seiner Haut fahren. Nicht einmal aus seinem Körper, wenn man stirbt. Auch im Traum: Man bleibt immer die eigene Last. Das ist mein Traum, ich spreche mit dir in meinem Traum. Vielleicht träumst du das Gleiche, so dass wir uns in einem gemeinsamen Traum unterhalten.
Wenn es das gibt, dann ist Bewusstsein - das gleichzeitige Bewusstsein aller Lebewesen - das Leben, auch das der Toten, die ihrem Bewusstsein nicht entrinnen können, man spricht von Seele.....“
„Adilo, was ist mit dir?“
„Du hörst mich nicht?“
„Mach´s gut!“ Der Bekannte entfernte sich wieder. In seinem Gesicht stand die blanke Normalität geschrieben!
Adilo hätte weinen können: Keinen kennen außer sich!
Er machte sich auf den Weg nach Hause, zuerst in die Toilette, ohne die Türklinke zu Boden zu stoßen, dann in die Gedanken über blühende Vorstadtgärten, weiter in ein Schläfchen am Wasser bei holder Musik, anschließend durch ein Parktor mit einer wundervollen Begegnung, später einen Fenstersturz überlebend, wirklich? Endlich in eine fremde Stadt; deren Silhouette auf einem feiertäglich belebten Fußweg entgegen; weiter in die Fluren mit Gift dabei, weiter in die Hinterhöfe mit der Mundharmonika und endlich in den Tod, wirklich? Nein, in diese Geschichte, die ihn nicht befriedigte, alles ohne Examen...
Neuntes Kapitel
Im Nachlass des am 31.12.1999 verstorbenen Pfarrers Zybulski aus Kattowitz fanden sich zwischen Predigtentwürfen zwei Kartonrückseiten abgerissener Kalender, beide mit einem Gummi umspannt, zwischen ihnen ein Manuskript geklemmt, dem folgende Erläuterung in der Handschrift des Pfarrers, verschieden von der des Manuskriptes, beigeheftet war:
„Ich nahm für einige Tage einen bettelnden Landstreicher auf. Es handelte sich um einen Landsmann meiner Mutter. Ihn hatte es angeblich als Student aus Angst vor dem Examen hierher verschlagen. Nachdem ihn sein gesamtes Gepäck gestohlen worden sei, habe er nichts anderes mehr dabeigehabt als Giftkapseln, die ihm ein Kommilitone besorgt habe, der sich Gedanken gemacht habe, wie man während des Examens gewollt, aber unverdächtig in Ohnmacht fallen könnte. Seine Geschichte hat ihm nicht gefallen. Bei seinen Landstreichereien habe er sie daher mehrmals in Gedanken umgeschrieben. Aber was man auch immer aus seinem Leben mache, man spiegele sich nur in ihm. Er bat mich um Papier und Stift und hinterließ mir zum Dank für die gewährte Aufnahme anliegende Geschichte.“
Sie lautet:
„„Er gab es auf, aus dem unendlichen Gassengewirr in dieser Nacht noch herauszufinden. Es lohnte sich der übermenschliche Aufwand an Nervenkraft nicht mehr, den Schlaf noch weiter hinauszuzögern. Er bog in die nächste Seitengasse ein, um nur irgendwo zu schlafen. Die Gasse war so dunkel wie diese ganze Stadt. Es wird kalt werden, es regnete noch weiter. Und der Hunger! Ach, ihn verschlafen!
Da war ihm, als hörte er Popmusik. Das erste Zeichen menschlichen Lebens, seit ihn dieser seltsame Fahrer in dieser Stadt ausgesetzt hatte. Er sah nun auch Licht, aus einem Kellerfenster in der nächsten Seitengasse. Was ihn dazu trieb, jetzt fast eilends diesen Keller zu erreichen, war eigentlich in erster Linie Neugierde.
Er schrak zurück! Ein leichenblasser, regungsloser Kinderkopf blickte ihn starr aus dem erleuchteten Kellerfenster an. Die Musik war plötzlich verstummt. Das Kind fing jedoch zu lächeln an.
Eine dunkle Gestalt löste sich aus der Finsternis der gegenüberliegenden Straßenseite und kam auf ihn zu. „Entschuldigen Sie bitte, können Sie mir sagen, wo man hier Unterkunft finden kann?“, fragte er ängstlich, denn mit erschreckender Gleichmäßigkeit kam die Gestalt, die ganz vermummt war, weiß vermummt, immer weiter auf ihn zu und war schon bis auf wenige Schritte nahe.
Er wich zurück. Die Gestalt rückte nach mit unverminderter Geschwindigkeit. Sein Blick fiel auf das Kind. Es lächelte. Er überlegte, ob er sich umdrehen sollte und davonlaufen. Tonlos wiederholte er seine Frage. Die Gestalt sprang ihn an und drückte ihn mit unwiderstehlicher Kraft an die Hauswand, so dass er sich nicht mehr rühren konnte. Sie näherte ihren Kopf. Bestialischer Gestank! Er versuchte, mit dem Gesicht auszuweichen, da vermeinte er, die Gestalt leise flüstern zu hören. Und wirklich: „Entschuldigen Sie bitte“, hauchte sie, „ich kann nicht lauter sprechen, deshalb muss ich mich Ihnen so nähern. Mein Herr, es gibt hier nur eine Unterkunft...“ Innerhalb einer Sekunde lag er am Boden, die Gestalt über ihm. Ein Messer war so nahe am Hals angesetzt, dass er Blut verspürte. Pulsierte nicht auch schon die Halsschlagader? „...nur eine Unterkunft für Fremde“, wiederholte die Gestalt, „die ewige!“ Ein unbeschreiblicher Schmerz durchfuhr ihn: Die Gestalt hatte blitzschnell das Messer in den rechten Oberschenkel gestoßen. Wut und Verzweiflung packten ihn, und er schrie heulend: „Drecksau, Du Drecksau!“ Er konnte gar nichts weiter hervorbringen, so heulte er. Ohnmächtig vor Zorn, den Tod vor Augen, schrie er nur noch ohne Worte, wild, rasend, tobend, so laut er konnte.
Die Gestalt hatte von ihm abgelassen. Sie stand aufrecht und lächelte auf ihn herab. Er erschrak! Das Gesicht war unvermummt, es war das des Kindes. Da fing er zu bitten und zu flehen an. Man solle ihm doch helfen. Die Gestalt verschwand. Er musste in die Kellerwirtschaft! Man musste ihm helfen! Die Popmusik spielte wieder. Er wähnte sich schon in der Gaststätte, seine Sinne schwanden...
Als er aufgewacht war und sich gesammelt hatte, bemerkte er, dass er auf dem Rücksitz eines fahrenden Autos lag. Es war Tag. Seine Wunde am Oberschenkel schmerzte, doch sie war verbunden. Auch am Hals hatte er ein Pflaster.
„Entschuldigen Sie, wo bin ich, was ist?“ fragte er erfreut, denn er hatte schreckliche Albträume gehabt und fühlte sich daher erlöst. Ganz langsam und leise kam die Antwort: „Auf dem Weg zur ewigen Unterkunft.“ Die Stimme war die der Gestalt von der letzten Nacht. Er erschrak, versuchte nachzudenken. Ihm kam es vor, als führe der Wagen dauernd Kurven, rechts, links, links, rechts... Er überlegte lange, schließlich fasste er sich: „Immer diese blöde Geheimnistuerei, die ganze Stadt ein Irrsinn!“ Da kam ein Weinen vom Heckfenster her: Das Kind, das im Kellerfenster gelegen hatte! Der Fahrer schaltete am Radiogerät, das diese Popmusik wieder gebracht hatte. Ein Sprecher sagte: „Wir könnten noch so viel reden, meine Hörer, Sie würden trotzdem nichts begreifen; wir begreifen es ja auch nicht.“ Der Fahrer schaltete das Gerät aus. Nach einigen Minuten erst knüpfte der Verletzte auf dem Rücksitz plötzlich an das aus dem Radio Gesagte an: „Bitte, dann reden Sie doch einmal!“ Der Fahrer schaltete das Radio wieder an. Die Stimme daraus sprach: „Was sollen wir denn reden?“ „Über die Stadt!“ fiel der Fahrgast auf dem Rücksitz ein, als sei eine solche Kommunikation selbstverständlich. „Was denn über die Stadt?“ „Das Besondere.“ „Welches Besondere? Es ist alles und nichts besonders, meine Hörer!“ „Was ist die ewige Unterkunft?“ drängelte der Verletzte. Doch der Fahrer schaltete wieder aus und hielt an: „Wir sind da!“
Zwei weiß vermummte Gestalten trugen den Wissbegierigen auf einer Bahre durch die Gasse und in ein Haus. Soweit sich dieser erinnern konnte, war es das Haus mit der Kellerkneipe von letzter Nacht. Man trug ihn eine Treppe hinunter. Er hatte es sich abgewöhnt, sich zu wundern. Daher fand er es auch schon fast selbstverständlich, dass man ihn in den Fensterschacht legte, wo gestern nacht dieses Kind gelegen hatte. Und plötzlich fuhr er zusammen. War er denn so klein wie das Kind, um in diese Fensteröffnung zu passen? Man drückte ihn ein Taschenradio in die Hand. Was sonst? Er drehte es auf und fragte, so sinnlos es ihm auch erschien: „Wie passe ich hier in das Fensterloch der Kneipe `Zur ewigen Unterkunft´?“ Aus dem Lautsprecher tönte es blechern: „Ihre Frage ist Blödsinn! Fragen Sie nur dies: `Wie passe ich hier in die Fensterhöhle?´!“ „Ja bitte, wie?“ drängelte der Fragesteller. “Zum Donnerwetter“, klirrte die Radiostimme, „wiederholen Sie doch die Frage ganz, wie befohlen; wir brauchen doch Zeit, um irgendeine Antwort zu finden!“ Der Fensterlägerige wiederholte seine Frage noch einmal ausführlich. Die Antwort: „Sie passen hier in die Fensternische wie ein Kind.“ Frage: „Wieso?“ Schroff die Antwort: „Weil Sie eines sind! Wenn Sie jetzt keine Frage mehr haben, dann schalten Sie aus, sonst reicht die Batterie nicht für die Fragen, die Sie jetzt nicht haben.“ Er schaltete aus. Tatsächlich: Er war ein Kind, wenn er seine Größe betrachtete, und wenn er bedachte, dass er fragte, fragte, fragte wie ein Kind und Antworten bekam, die er hinnehmen musste wie ein Kind. Er begriff plötzlich, dass er noch nie in seinem Leben einen logischen Grund erfahren hatte. Alles könnte ja ebenso gut auch anders sein. Was ist Sinn, was will man damit...Welchen Sinn sollte denn Sinn haben?
Als er wieder aufwachte, war es mitten in der Nacht. Unter ihm im erleuchteten Gastraum dröhnte Popmusik. Er erstarrte! Er hatte sein Gesicht im Fensterglas sich spiegeln gesehen: das Gesicht des Kindes von letzter Nacht. Das Gesicht der blutrünstigen Gestalt. Das Gesicht etwa auch des Fahrers, der Bahrenträger? Der Gäste in dieser Kneipe? Er sah sich um. Der Raum war leer. Er sah zum Fenster hinaus.
Er sah sich draußen nähern. Sich? Ja, das war er gestern. Sein Draußen erschrak, als es das Drinnen sah. Das Drinnen lächelte dem Draußen zu. Eine Gestalt löste sich aus dem Dunkel der gegenüberliegenden Straßenseite. Das Kind im Fenster dachte: „Eigentlich müsste das auch ich sein, denn die Gestalt hat ja, wie sich herausgestellt hatte, das gleiche Gesicht wie ich.“ Das Kind am Fenster war gespannt, wie das Schauspiel draußen weitergehen würde, vor allem von dem Moment an, wo sein draußen befindliches Ich ohnmächtig werden würde, nachdem es von der weiß vermummten Gestalt angefallen und verletzt worden sein würde. Doch leider lag das alles außerhalb seines Blickfeldes.
Jetzt war es neugierig, wie seine Ablösung, die Ablösung des Kindes hier im Fensterschacht, das ja in das Auto an das Heckfenster gelangen würde, durch sein Ich, das da draußen auf der Gasse das Bewusstsein verlieren würde, verlaufen würde, wenn sich wirklich das gestrige Geschehen wiederholen würde. Was war mit dem Kind von gestern geschehen? Analog zur gegenwärtigen Situation musste dieses Kind ja auch „er“ selbst gewesen sein, der jetzt zum Kind geworden war! Dieses Überlegen ist so wirr wie ein Traum. Schlief er etwa, träumte er sich als das Kind in dieser Situation? War alles, auch das gestrige Geschehen nur geträumt? Jetzt im Traum geträumt? Er zwickte sich am Oberschenkel, doch der war vergipst. Er versuchte es am anderen, wissend, dass dies Blödsinn war, da er auch dieses träumen konnte, das Zwicken und das Erwachen. Doch manchmal träumt man, dass man erwachen will und wacht dann auf, nicht nur im Traum.
Da setzte die Popmusik wieder ein, die, ohne dass er es bemerkt hatte, ausgesetzt hatte, wie gestern nacht....
Er erinnerte sich wieder, dass er sich ja zwicken wollte. Doch wieder wurde er abgelenkt. Er sah, wie draußen ein schwarzer Wagen in der Morgendämmerung in Schlangenlinien durch die Gasse fuhr. „Jetzt bin ich schon wieder abgelenkt worden!“, dachte er, „Soll denn das so sein?“ Da! Jetzt fuhr das Auto schon wieder vorbei, in die entgegengesetzte Richtung. Blitzschnell zwickte er sich mit voller Kraft, während gleichzeitig ein Schlager mit dem Text ertönte: „Das Zwickenspüren träumen wir, denn zwicken tun wir wach uns nicht.“ Er schaltete das Radio an und fragte: „Träume ich?“
Die Antwort gab zu denken: „Auch Sie träumen bis zur ewigen Unterkunft, meine Hörer!“
„Er spricht mich immer im Plural an,“ amüsierte sich der Fragesteller.
Die Radiostimme fuhr fort: „Nicht nur träumen, träumen im Traum, im Traum zu träumen träumen....“
„Dann formuliere ich es so:“, fragte der Hörer weiter - wie er meinte, geschickt: „Ist mein Bewusstseinsstand der gleiche wie......“
Die Frage wurde durch die Antwort unterbrochen: „Einen Bewusstseinsstand gibt es nur außerhalb der ewigen Unterkunft!“
„Befinde ich mich also im Zustand des Unbewusstseins?“, vergewisserte sich der Fragesteller. „Zum Donnerwetter!“, fauchte die Radiostimme, „Ich sagte Ihnen, es gibt keine Differenzierung!“ „Entschuldigung!“ „Bitte.“
Über dieses „Bitte“ musste das Kind lachen. Das schien so völlig normal, so überraschend normal. „Ist nicht alles zum Lachen, Ihr Bewohner der Stadt der ewigen Unterkunft?“, setzte das Kind die Fragerei übermütig fort.
„Lassen sie diese blödsinnige Anrede!“, kam die Antwort gereizt, „Sie wissen doch, meine Hörer, ebensowenig wie wir, was `ewige Unterkunft´ ist. Wiederholen Sie Ihre Frage!“
Sie wurde wiederholt.
Die Antwort überraschte etwas, in all dieser Trostlosigkeit: „Ja!“
„Sie meinen wohl das Lachen des Irrsinns?“, wagte das Kind, den Sprecher weiter zu reizen.
Doch dieser blieb gelassen: „Es gibt nur ein Lachen!“
„Warum lachen Sie nicht?“. Das Kind wurde immer übermütiger.
„Man kann nicht dauernd lachen, das liegt in der Natur des Lachens,“ lautete die ströherne Antwort. Das Kind seufzte: „Ich war früher, bevor ich in diese Stadt kam, glücklicher. Liegt das an der Lachhaftigkeit der Stadt?“
„Sie waren“, kam die leise Antwort, „schon immer in der Stadt, liebe Hörer; das konnten Sie doch analog aus dem beobachteten Geschehnissen schließen!“
„Warum weiß ich aber dann so wenig davon?“ fragte der Hörer nach. „Warum kann ich mich lediglich daran erinnern , zwei Nächte und einen Tag dieses Zirkelgeschehen durchlitten und beobachtet zu haben?“
Ganz leise kam die Antwort: „Weil Sie erst neuerdings mit der ewigen Unterkunft in Berührung gekommen sind.“
„Was?!“ erschrak das Kind über die Deutlichkeit dieser Antwort. „Ich bin schon in Berührung.......Bin ich tot?“
Das Kind musste das Radio ans Ohr halten, um noch etwas zu verstehen, obwohl der Sprecher jetzt wieder polterte:
„Ihr Idioten von Hörern, zum Donnerwetter! Sprach ich nicht vorhin vom Bewusstseinsstand?“
Die Batterie schien fast leer zu sein. Das Kind beeilte sich daher, zu fragen: „Aber ich muss mich doch in einem besonderen Bewusstseinszustand befinden, sonst würde ich nicht erst seit neuestem von meiner – wie Sie sagten – immerwährenden Existenz in dieser Stadt wissen!“
Auch der Sprecher beeilte sich jetzt mit der Antwort: „Der Zeitbegriff ist relativ, meine Hörer. Ihr Bewusstsein ist seit ihrer Geburt gleichgeblieben. Das Wissen, nein, das Nichtwissen wird immer größer, nein, kleiner, ach, eben komplizierter, ach, eben so, oder so. Kommen Sie lieber, bevor die Batterie leer ist, zu Ihrer weiteren Frage, warum ich Sie im Plural anrede!“
„Da gebe ich mir die Antwort selbst, Sie verhasste Stimme“, triumphierte das Kind: „Weil ich das Kind, der überfallene Herr, die überfallende Gestalt, der Fahrer, die Bahrenträger usw., also alle Ihre Hörer bin!“
„Das stimmt fast“, war der Sprecher gerade noch zu hören, „denn Sie sind nicht nur die Hörer, sondern auch der Radiosprecher, Sie sind ich, ich spreche in der zweiten Person Plural, natürlich in der Höflichkeitsform, mit mir selbst.....“
Das Radio verstummte.Das Kind schlief ein. Schreiend erwachte es bei Tageshelle hinter der Rückbank des umherkurvenden Autos. Es hatte schön geträumt. Jetzt aber kam es ihm erst so recht zum Bewusstsein, dass es heute Abend sein Ich, wie es unter ihm auf dem Rücksitz lag, als weiß vermummte Gestalt in den Schenkel stechen würde. Wie würde er das nur wollen können? Welche Rolle sollte es eigentlich hier vor der Autoheckscheibe über dem Rücksitz spielen? Was hatte es doch so Schönes von den Antworten auf diese Fragen geträumt? Doch sollte es nicht die Gelegenheit nutzen, mit seinem liebsten unter seinen Ichs in dieser Stadt, dem auf dem Rücksitz, zu sprechen?“ Doch zum Donnerwetter! Es merkte, dass seine Stimme so leise war, wie es sie heute Abend zum Überfall als weiß vermummte Gestalt benötigte. Sie war wohl nicht zu hören in diesem Lärm des Frage-und Antwortspiels zwischen dem Verletzten und dem Radio. Es war nur möglich, weinend zu schreien; „offenbar weil das mit dem Gefühl zusammenhängt, nicht mit dem Intellekt“, kam ihm plötzlich als Begründung, über die er überrascht war.
„Doch zurück zu den aufgeworfenen Fragen und dem Traum“, zwang sich das Kind zum Versuch der Verarbeitung. Zu spät! Es sollte wohl so sein. Der Wagen hielt. Man schaffte den Verwundeten hinaus. „Bahrenträger werde ich auch noch werden“, denkt sich das Kind, öffnet die Türe und steigt aus – es war zum aussteigenden Fahrer geworden!
Befriedigt stellte dieser überraschte Fahrer fest, dass sich wenigstens seine Gefühlswelt nicht gewandelt hatte, er fühlte sich identisch mit all seinen Vorgängern. Beruhigend war vor allem, dass sich seine Gefühle nicht verroht hatten und er es sich daher immer noch nicht vorstellen konnte, ja es für unmöglich hielt, heute Abend jemanden verletzen zu können. „Es ist etwas dran, dass das Bewusstsein einheitlich ist“, erinnerte er sich an die Radiostimme.
Und doch geschah am Abend alles so, wie es kommen sollte!
Er hatte sich schon vorher damit abgefunden. Da war die Neugierde: Er wollte alle Stationen durchlaufen. Da war aber auch vor allem der Wunsch, ohne unberechenbare Komplikationen wieder an den Ausgangspunkt zurückkehren zu können. Wenn er erst einmal wieder als schlafsuchender, verirrter Neuankömmling in dieser Stadt diese Musik hören würde, würde er ihr nicht mehr nachgehen. Dann würde er es wagen, den Schlaf zu überwinden, koste es, was es wolle, und aus der Stadt irgendwie wieder herausfinden.
Sollte das nicht klappen, sollte er wieder in den bekannten Kreislauf gezwungen werden,würde er jedenfalls in der wiederholten Rolle der vermummten Gestalt den Zirkel durchbrechen, aus der Reihe tanzen, und niemanden verletzen. Ihm kam ein Mönchswort aus einem Film in den Sinn: „Der Kreis ist nicht rund, und die Zeit kehrt nicht zurück!“ Nur dieses Mal noch sollte also das andere unterkunftssuchende Ich verletzt werden.
„Verdammt schnell vergehen hier die Tage“, dachte sich die Gestalt, als, kaum dass er, nein: sie, den Überfall im Voraus gerechtfertigt hatte, die Nacht hereingebrochen war und sein/ihr anderes – wohl im Moment noch glücklicheres – Ich auf die Kneipe gegenüber zuging. So wiederholte sich alles wie in den beiden vergangenen Nächten. Die Gestalt hatte sich jedoch vorgenommen, mit dem Unterkunftsuchenden ausführlicher und beruhigender zu sprechen. Aber ihr kosteten schon die allernotwendigsten Worte, dieselben wie die der Gestalt vor zwei Nächten, so viel Anstrengung, dass sie von diesem Vorhaben abließ. „Das ist ein billiger Trick der Unmöglichkeit, aus der Reihe zu tanzen“, dachte sie sich. Und zugleich fiel ihr auf, dass hier in der Stadt eigentlich aller Zwang rein physische Natur zu sein schien, denn seit sie/er diese Stadt betreten hatte, hatte sich weder ihre/seine seelische noch die geistige Verfassung grundlegend geändert.
Als die Gestalt nach dem Überfall beiseite getreten war, nicht ohne zuvor dem sich vor Schmerzen windenden Opfer freundlich ohne Maske zugelächelt zu haben, überlegte sie, was nun weiter folgen sollte. Sie stellte sich vor, dass nun ein Auto zur Verfügung stehen müsste, dass die Wunden des Überfallenen versorgt werden müssten, dass sie gezwungen sein müsste, den Wagen dauernd im Kreis herum zu steuern. Sie überlegte alles, was mit ihr/ihm vorletzte Nacht und am Tag darauf geschehen war, und kam zu dem Ergebnis, dass sie/er ja vielleicht gar nicht der Fahrer sein würde, sondern womöglich der Radiosprecher oder ein Sanitäter, der den Verletzten behandelt, oder alles zusammen, da sie ja in dem mitzuerlebenden Zirkelgeschehen gleichzeitig aufzutreten hatten.
Sie riss sich aus den Gedanken, blickte immer noch zum Verletzten, sah ihn auf dem Rücksitz des geöffneten Autos liegen. Es war Tag. Neben dem Betrachter stand ein Sanitäter mit der Tragbahre. Er, der Betrachter, war ebenfalls Sanitäter. Beide schafften den Verletzten in die Kellerfensterhöhle, dieses Kind. Wo war eigentlich das Kind hinter dem Rücksitz des Autos geblieben?
Der Sanitäter, der sich so fragte, war sehr ärgerlich darüber, dass er offenbar wieder einmal nicht genügend aufgepasst hatte bei diesem schnellen Wandel, wieder zu viel gedacht hatte. Er hatte sich mit seinem Kollegen zur Ruhepause auf die Treppe des Flurs niedergelassen, nachdem sie das Kind im Fenstergewölbe der Kellerkneipe abgelegt hatten. Frühstückspause? Mittagspause? Abendpause? Seltsam, er hatte, obwohl er seit mehreren Tagen nichts mehr gegessen oder getrunken hatte, weder Hunger noch Durst. Er war auch nicht müde, obwohl er die ganze Nacht doch nicht geschlafen hatte. Unbegreiflich diese Verwandlungen! Verwandlungen? Da war doch die Lücke! Warum war er so plötzlich vom Überfallenden gleich zum Bahrenträger geworden? Konnte er da wirklich nur zu wenig aufgepasst haben vor lauter Nachdenken?
Er fragte seinen Kollegen, der, wie er, bisher nur geschwiegen hatte. War dieser auch sein Ich, und hatte er daher dieselben Wandlungen hinter sich? Auf all diese Fragen hin nickte der Kollege nur und stellte ein kleines Radiogerät ein: „Meine Hörer, Ihre Gedanken sind Ihr Leben und umgekehrt in dieser Stadt.“
Nach einer Weile verstand diesen Satz der Kollege und teilte die Erklärung dem Fragesteller mit: „Wir haben ja vor unseren Wandlungen den ganzen Zirkel durchgedacht, und dies ist eben laut Radiokommentar dasselbe, wie ihn zu durchleben.“ Die Kollegen freuten sich, sich einander verstehen zu können, nach all den bloßen Verständigungen mit diesem Radiosprecher. Sie fanden es lustig, vor kurzem noch ein und dieselbe Person gewesen zu sein, wovon sie nun überzeugt waren. Dieselbe Person in Gestalt des bösen vermummten Messerstechers, der gar nicht böse sein wollte.
In dieser heiteren Stimmung kamen sie, wie sie so von Ich zu Ich plauderten, auf eine Idee, die sie sogleich dem Radiogerät mitteilten:
„Wenn es wirklich so ist, dass, was wir durchdenken, zugleich durchleben, dann denken wir eben an Zuhause, um aus dieser Zirkelstadt auszubrechen!“ Darauf die Radiostimme: „Zuhause? Sie meinen die ewige Unterkunft, soviel ich von dieser weiß. Ja, daran werden Sie denken. Der Weg über die Bahrenträger führt zur ewigen Unterkunft. Bedenken Sie aber: Ich sagte: Ihre Gedanken sind Ihr Leben in dieser Stadt, in dieser Stadt! Sie werden also, wie schon gesagt - zum Donnerwetter! - , wie seit Ihrer Geburt in dieser Stadt bleiben. Bedenken Sie das stets, zum Donnerwetter! Doch, Entschuldigung, Sie werden ja daran nicht mehr denken. Sie werden ja Ihren Bewusstseinsstand wechseln. Sie laufen also auch keine Gefahr, in Ihre gegenwärtige Bewusstseinslage dadurch zurückzukehren, dass Sie daran denken, d. h. dieses Bewusstsein leben. Sie sollten aber wissen: Erst jetzt wechseln Sie Ihr Bewusstsein: Nur über den Bahrenträger kommt man zur ewigen Unterkunft. Und, wie schon gesagt - zum Donnerwetter! - , nur in diesem Fall wechselt der Bew......“
„Er gefällt mir gar nicht“, sagte der Vater zur schluchzenden Mutter. „Sehen Sie doch“, bemerkte der Arzt, „er hat doch das Bewusstsein wieder gewonnen!“ „Ich hab´ es nie verloren, nur eben jetzt gewandelt“, erwiderte spontan der Patient. Alle um das Krankenbett Versammelten waren jedoch so erfreut, dass sie diesen Satz gar nicht mehr ganz anhörten, sondern nach dem Koma, von dem sie ausgegangen waren, vergnügt lachten über die vermeintlich so scherzhafte Spontanreaktion des Patienten.
Die Todesanzeige lautete daher: „Einen Scherz auf den Lippen, verschied unser Liebster endgültig.“
Und die Eltern betonten noch oft, dass der Sterbende ein Gesicht wie ein kleines Kind gehabt habe.“
So also lautete die Geschichte des Landstreichers Adilo, die ihm möglicherweise befriedigend vorgekommen war im Gegensatz zu all den anderen Geschichten.
Neuntes Kapitel
Man sprach über Adilo in der Kellerkneipe.
„Er war schon lange nicht mehr da, was ist mit ihm?“
„Doch, kürzlich war er wieder da, ganz verträumt, und hat entsprechend dahergeredet.“
„Hat er jetzt sein Examen gemacht?“
„Er soll ins Ausland gegangen sein.“
„Mit einer Frau, der er auf dem Weg zum Examen begegnet war.“
„Nein, als Landstreicher, sein Traumdasein.“
„Vorher hatte er sich das Leben genommen, aus dem Fenster gestürzt.“
„Selbstmordversuch?“
„Nein, er ist tot. Hat er mir erzählt.“
„Ach so! Dann muss es ja wohl stimmen. Denn wenn man gestorben ist, weiß man das ja selbst wohl am besten!“
„Soll mehrmals gestorben sein. Hat er geschrieben. Hat mir mal was vorgelesen davon. Hat ihm nicht gefallen.“
„Was, das Sterben? Warum hat er es dann mehrmals getan?“
„Also, wenn ihr mich fragt: Ich tippe darauf, dass er wahrscheinlich entweder sein Examen gemacht hat oder nicht. Wenn nicht sogar beides. Oder nichts von beidem.“
„So hätte auch er dahergeredet“, beendete jemand das Thema, als wäre „er“ nicht mehr am Leben.
Zehntes Kapitel
Der Hobbydichter stand im Türrahmen und reichte mit Gönnermiene Adilo dessen Romanmanuskript zurück: „Ich muss leider gleich weiter....will dir nur endlich dein nobelpreisverdächtiges Frühwerk – spät, aber doch gelesen – zurückbringen. Kommt natürlich an meine Höchstleistungen nicht ´ran“, scherzte er, „aber wir können ja noch einmal ausgiebig darüber sprechen, wenn du mal was dafür ausgibst. Doch im Ernst einstweilen: Ist nicht schlecht, durchaus ausbaufähig. Die Kapitel müssen verbunden werden, liest sich sonst nach Zettelkasten.“
Adilo bat ihn etwas säuerlich, doch einzutreten. „Danke, bin wirklich in Eile“.Er entfernte sich einen Schritt. „Die vielen Bewusstseinsebenen – das ist es doch, oder? - müssen mehr ineinanderspielen, auch dieses jetzige Gespräch mit dir musst du noch anfügen, ist auch Bewusstseinsebene, Gespräch über geschriebenes Erdachtes usw., wichtig schon, damit ich auch vorkomme in deinem Roman... Muss aber jetzt wirklich weiter. Alles Gute für´s Examen!“
Schon war er verschwunden.
Natürlich war dies kein „Gespräch“ mehr, das Adilo dem Roman noch hätte anfügen können, denn abgesehen von der Einseitigkeit – Adilo beschränkte sich auf eine Höflichkeitseinladung – war Adilo – Höflichkeit hin, Höflichkeit her – ja bereits im letzten Romankapitel verschwunden, glücklich – wie wohl auch der Hobbydichter -, kein Examen ablegen zu müssen – im Roman.
Roman
Ich lebe mein Leben,
als läse ich einen Roman,
und ich schreibe daran
und stehe daneben
und falle mich an
mit Verzweiflung, Wut und Leid.
Ist auch dies meine Lebenszeit?
Geht es mich an,
was ich nicht lesen und schreiben kann?
Roter Herbst
Am Horizont verblutet wunder Abend,
die blutgetränkten Hänge überragend.
Berauscht vom Blutestrank fällt tief die Nacht
in Todesschlaf; träumt, dass sie nicht erwacht.
Oh Gott, ach wäre doch die Zeit vollbracht!
Ruhe
Es ist so ruhig, es ist dafür gesorgt.
Ich habe Ruhe mir vom Tod geborgt.
Ich lege mich in eine weiche Wiese,
und, ehe ich die Augen letztmals schließe,
sprech´ ich noch einmal mit dem Gott der Güte,
damit er meine Lieben wohl behüte.
Dann fallen meine Augen endlich zu.
Ich gebe an den Tod zurück die Ruh´,
Rätsel des Seins
Was ist
es eigentlich, dass etwas ist?
Es ist
nicht wegzudenken und doch ist,
was ist,
genau so, wie dass ´was nicht ist.
Rätsel
Naturkatastrophen treffen Unschuldige. Die Lebewesen täuschen, quälen und töten einander.
Das ist Gottes Schöpfung.
Nur der Mensch wertet dies alles als übel und fragt nach einem Grund.
Auch das ist Gottes Schöpfung.
Gott hat also eine Welt erschaffen, die sich ihrer selbst als übel bewusst ist und über sich rätselt, und dafür hat er ihr keinen Grund geschaffen, sondern verheißt für die wenigen zum Glauben Auserwählten jenseitige Erlösung und gibt damit ein weiteres Rätsel auf:
Warum erst der Umweg über das Leid? Was können wir denn dafür, dass wir erzeugt worden sind?
Rückkehr
Was hat die Auferstehung uns gebracht?
Die Hoffnung auf Erlösung nach dem Tod.
Ach, ich verzichte auf des Himmels Pracht,
die unser Leid nicht ungeschehen macht.
Oh Gott, der mir dies schlimme Leben bot,
das ich nicht will, gib mir zurück die Nacht!
Rührend II
Was regt sich da und strebt
und pflegt sich, weil es lebt!
Wie rührend doch der Mensch
sein bisschen Leben hegt,
obwohl er´s nicht versteht!
Rührend
Jedem ist sein Bündel geschnürt,
das er durch das Leben führt.
Er holt sich raus, was ihm gebührt,
hält´s fest, damit er's nicht verliert.
S c h e i n
Aus einen Spalt der Tür scheint Licht.
Sie ist versperrt, ich klopfe nicht,
begnüge mich mit diesem Schein,
bin lieber draußen und allein.
Falls ich was höre, werd´ ich fliehen,
im Morgengrauen weiterziehen.
Am Abend wieder vor der Tür:
Es ist mein Schein, er scheint nur mir.
Sadismus
Mein Leben ist ein Teufelsfluch,
ein blutdurchtränktes Leichentuch,
der Tod bereits in schlimmster Hölle.
Sadismus heißt die Lebensquelle!
Sanfter Tod im Meer
Das Meer leckt das Land
und lockt in die Tiefe
und ruft in den Tod.
Nachts steh´ ich am Strand.
Ich wenn mich verliefe
und fände den Tod....
Es tosen die Wellen,
seh´trockene Stellen
nicht mehr,bin in Not!
Ich schwimm´ohne Ziel.
Es wird mir zuviel...
so sanft wiegt der Tod....
Sanfter Tod im Schnee
Es schwebt vom Himmel stille Zärtlichkeit.
Es strahlt die Erde weiß. Es ruht die Zeit.
Dein Schritt ist weich und deine Seele weit.
Dann bleibst du steh´n und stehst für dich bereit.
Willst schließlich weitergeh´n. Du bist entzweit.
Der Schnee füllt deine Spur zur Ewigkeit.
Satanischer Gott
Wer nicht nur oberflächlich fühlt
und nicht nur oberflächlich denkt,
ist durch das Leben aufgewühlt,
das ihn von Leid zu Leid nur drängt.
Er möchte überhaupt nicht sein,
auch nach dem Tode nicht mehr leben.
Ein Gott der Qualen und der Pein
kann nur zu spät Erlösung geben.
Das Leben, das ist doch die Hölle.
Der Teufel thront an Gottes Stelle!
Schatten
Den dunklen Schatten,
der dich bedeckt,
wirft dein Engel
über dir im Lichte
Gottes auf dich.
Schatten
Ich trete aus dem Licht,
mag meinen Schatten nicht,
bin selbst mein Schatten dann
und geh´ mich nichts mehr an!
Schatten
Bedeckt dich dunkler Schatten,
blicke auf zu Gott,
und dir erwachsen Flügel,
und du blickst als Engel
auf dich hinab,
und wirfst im Lichte Gottes
den Schatten auf dich, aus dem du emporblickst.
Schattenspiel
Bei der Linde
sucht ein Kind
den Schatten
in der Luft.
„Wir sind Blinde“,
ruft der Wind,
„wir warten“,
und verpufft.
„Nein, ich finde!“
schluchzt das Kind,
„Will fragen,
böser Schuft!“
Um die Linde
hüpft das Kind:
„Erraten,
war aus Luft!“
Schaurig
Schaurig die Vorstellung,
dass alles seinen Sinn nur in sich trägt,
also eigentlich sinnlos ist,
dass alles nur aus sich selbst hervorgegangen ist,
dass alles einfach nur da ist,
einfach Gott ist!
Doch soll Gott wirklich sein,
wie wir ihn wollen:
zwar ebenfalls einfach da, aber nicht hier,
sondern jenseits,
kläglich gefangen im Sein,
klagend über das Dasein,
verstrickt im Widerspruch der ihm zugedachten
Allmacht und Allwissenheit,
Wesen mit Willen wie Quanten und wir,
wie seine Schöpfung,
er in allem, alles in ihm,
also doch alles letztlich in sich selbst?
Scheiden
Ich hänge nicht am Leben.
Ich hätt´s mir nicht gegeben!
Ich fürchte nicht den Tod.
Ist Rückkehr aus der Not,
das Leben zu erleiden.
Will gerne aus ihm scheiden.
Schein
Was ihr den Tod nennt, ist die Zeit,
die immer nur vergeht, nie ist.
Und was ihr Leben nennt und Sein
in grenzenloser Räumlichkeit:
In jedem Punkt, unendlich klein,
es letztlich in das Nichts zerfließt.
So seid ihr selbst nur bloßer Schein,
der sich in eig´ner Sicht zerfrisst.
Schein
In den Schatten und Echos,
Spiegelbildern und Träumen,
in Ähnlichkeit und Wiederholung,
in Zahl und Wirkung,
Entwicklung und Zerstörung
verleugnet sich uns
das Nichts der Einmaligkeit,
des So – und – nicht – anders,
als Sein.
Alles besteht aus nichts,
und das Nichts nur in allem,
denn es füllt jeden
der unendlich vielen,
unendlich kleinen Punkte
des Raumes und der Zeit aus.
Schein IV
Die Sonne scheint auf - und unterzugehen,
das Leben aus Freude und Leid zu bestehen.
Die Sonne scheint auch in der Nacht.
Das Leben ist aus Schein gemacht.
Schein und Leid
Lächelnd sehen wir ins Licht.
Immer wieder bricht
Dunkel diesen Schein,
nicht als bloßes Nicht,
nein, als Leid am Sein.
Schein II
Ich mag nicht Sonnenschein,
verlogenes Gefunkel.
Was ist schon licht und rein?
Die innere Welt ist dunkel.
Mich trösten Sturm und Regen.
Gewitter sind mir Segen.
Ich zürne auf mein Leben.
Hat mir nur Leid gegeben.
Ich mag nicht Fest und Feier.
Mein Geist ist Trotz und Nein.
Drum bin ich gern allein.
statt auf der Flucht in Schein.
Schein
Für mich ist Gott die Rätselhaftigkeit des Seins,
die Aufgehobenheit des bloßen Scheins.
Nur Schein sind wir vor Gott, doch mit ihm eins.
Schein
Du siehst die Sonne untergehen
und weißt: Es ist nur Schein!
Ob Tote wieder auferstehen?
Du hoffst, es wird so sein.
Dann bellt ein Hund dich plötzlich an.
Das heißt: Du bist am Leben.
Du zweifelst: Hat er sich vertan?
Ist´s nur zum Schein gegeben?
Schererei?
Was gehe ich mich an?
Habe ich mich in die Welt gesetzt?
Bin ich nicht nur auf Abruf?
Könnte mein Leben nicht genauso gut
überhaupt nicht oder anders sein?
Ich gehe mich nichts an!
Lass, Zufall, Freud und Leid nur währen!
Ich werde mich darum nicht scheren.
Scheu
Ich habe mich ein Leben
in mich zurückgezogen.
Es hat mich nicht gegeben.
Ich habe mich erlogen.
Bin mir nur ich geblieben,
wenn ich alleine war.
Hab´ mich herumgetrieben,
ganz einsam, wunderbar!
Ich war ein scheues Kind,
bin scheu auch noch als Greis.
Und meine Zeit verrinnt
ganz scheu, weil sie das weiß.
Schicksal II
Du Narr, des Schicksals Faust trifft deine Lippe,
sobald sie nur ein Lächeln zeigt.
Vom bitt´rem Kelch des Lebensgiftes nippe,
allein: das Schicksal dabei feixt!
Vielleicht schon morgen bist du tot, du Tor;
was machst du dir da jetzt noch vor?
Trink´ aus und lach´ mit Dank zu Gott empor:
„Jetzt feixe ich, wie ich mir´s schwor!´“
Schicksal II
Wenn dich das Schicksal quält,
verlassen von Gott und der Welt,
wisse: Nur eines zählt:
Du bist auf dich gestellt!
Sein oder Nichtsein heißt die Wahl.
Dem Unbekannten ist die Qual
vorzuzieh´n auf jeden Fall.
Das and´re trifft dich eh´ einmal!
Schicksal
Plötzlich kommt es Schlag auf Schlag.
War dir gnädig noch der Tag,
schlagen Not und Pein nun ein.
Du wirst wütend, doch bald klein.
Weinst und schreist wie schon als Kind.
Flehst zu Gott wie in den Wind.
Trotzig ziehst du dich zurück.
Doch du findest nirgends Glück.
Siehst den Alltag weitergehen,
so als sei dir nichts geschehen.
Und die Zeit heilt durch Gewöhnung.
Bringt sie dir auch nicht Versöhnung,
Stellt sich doch die Haltung ein,
schon damit zufrieden zu sein,
neue Sorgen durchzustehen
und dich neu geboren zu sehen.
Schicksalshader
Du hörst dich in den Wäldern selber sprechen.
Auf Wiesen stürzt du dich ins tiefe Gras.
Im Bett willst du dich an dem Schicksal rächen.
Dein letzter Trumpf: Du gibst dich nicht zum Fraß.
Du trittst – was einmal ohnehin geschieht -
ins Nichts, die Möglichkeit gibt dir das Leben
schon jetzt, und jetzt ist deine Zeit gegeben.
Doch wenn das Leben dich zum Abgrund zieht,
warum stillst du schon jetzt die Todeslust?
Und wieder sinkt das Messer von der Brust!
Schlaf
Als wäre der Himmel über dir,
legst du dich schlafen
und träumst,
ohne je ausgeträumt zu haben.
Jenseits der Sterne
glitzern die Augenblicke
wie Tränen in den Augen der Kinder
und werden eins.
Aus der Nacht löst sich ein Schatten
und küsst deine Schläfe,
ohne dass du es merkst.
Schlafzimmer in der Mondnacht
Die Schatten zittern
in der kahlen Stille weltverlor´nen Raums.
Gedanken nicken
aus dem Spiegel wohlvertrauten Traums.
Es öffnet sich ein Mund
zum unhörbaren Schrei,
der müde in ein Gähnen übergeht.
Ohnmächtig bleibt ein Lächeln
klemmend hängen.
Gesicht der Güte eines Kind´s,
das voll Vertrauen in sein Kissen weint.
Schlechtes Wetter?
Wenn alles grau in Grau
und regennass,
löst sich mein Atemstau.
Ich brauche das.
Dann schwebt die Seele frei
als Nebelstreif,
als wandle sich ein Schrei
in Atemreif.
Das ist ihr Element,
da geht sie auf,
wo Licht kein Schatten trennt,
im Tränenlauf,
der wie bei einem Kind
Befreiung bringt!
Schneckenhaus
Sie sind beschäftigt mit ihrem Leben
und denken darüber nicht hinaus.
Und willst Du ihnen zu denken geben,
verziehen sie sich in ihr Schneckenhaus.
Schnee (2008)
Erst weinte schwerer, grauer Himmel sanft und leise.
Dann wurde aus den Tränen tanzend-lockerer Flaum.
Und jetzt strahlt weißer Samt auf wundersame Weise,
als wär´ die Erde so des trüben Himmels Traum.
Bald wird die Sonne scheinen und die Erde strahlen.
Und blauer Himmel wird vergessen seine Qualen.
Aus einem stillen Traum wird stille Wirklichkeit,
die weiße Decke Leichentuch für Raum und Zeit.
Wir träumen unser schweres Leben in den Tod
als zeitlos ewig, paradiesisch, ohne Not.
Ein Traum wird wahr, wenn Wirklichkeit Versprechen hält.
Ach Schneeglanz, Traumversprechen einer Himmelswelt!
Schnee I
In flockiger Luft,
gedämpft über
dem satten Weiß
des lockeren Elements,
reizt
in leiser Faszination
das blendende Gleichmaß
der weichen Form,
reizen
die zarten Konturen
zum derben Griff
und stempelnden Tritt
ins Unberührte:
Spuren
gestaltenden Drangs
und zerstörender Lust
des spielenden Lebens.
Schneerätsel
Bleiches Gesicht
mit erfrorenem Lächeln,
starres Schattenspiel
im Schnee,
nur für deine Fantasie,
die alle Gesichter,
die du je gesehen hast,
in diesem einen wiedererkennt,
das du noch nie gesehen hast.
Du zeichnest es mit dem Finger nach,
erweckst es aus dem Schein,
vielleicht im Traum,
den du dabei vergisst.
Es wird zugeschneit
oder weggetaut werden,
denkst du;
verhüllt oder entblößt
der Tod?
Wird deine Spur
im Schnee der Zeit
verschüttet oder
geht sie auf
in der zeitenlenkende Sonne?
Schrecklich schlicht?
Ich atme Sommerwiesenluft
und träume Engel in die Luft
und strecke einen Schatten hin.
Die Sonne glaubt wohl, dass ich bin.
Was aber ist das Sein der Welt,
das sich in mir infrage stellt?
Ist denn die Welt so schrecklich schlicht,
dass etwas sein nur kann und nicht?
Schrei
Trittst des Nachts an das Fenster,
das dich spiegelt im künstlichen Licht.
Legst dich zurück ins Bett.
Finstere Träume spiegeln das Nicht,
das du noch immer im Schlaf nur schreist!
Schreiben
Ich schreibe nicht,
um gelesen zu werden,
sondern,
um die luftflüchtigen Gedanken
zu begleiten.
Schuld
Es verschwimmen die Gesichter des Tages
In der nassen Nacht
Im tosenden Strom
Der schuldigen Zeit
Hohn und Gelächter verhallen
In den Schluchten der Einsamkeit
An den ewigen Büßer krallen
Sich blinde Vögel
Vorwurfsvoller
Selbstverständlichkeit
Schutzsuche
Die Wolken sehen drohend aus.
Der Wind ist hektisch auf der Flucht.
Ein ferner Blitz schweigt sich noch aus.
Doch ahnt man schon die Donnerwucht.
Man späht nach Schutz vor Regen aus.
Vergebens, es ist wie verflucht.
Genauso sieht das Leben aus,
wenn man nach Schutz nur ständig sucht.
Schwanengesang
Ein Tropfen Blut und eine Träne:
Oh Gott, nur eine kleine Strähne
aus Schicksals pechgeschwärztem Haar?
Nein, auch bei golddurchwirkter Mähne:
Wir leiden, denn das Glück ist rar.
Still über Tiefen gleiten Schwäne,
für sie sind Leid und Freud nicht wahr.
Wer glaubt, dass Gott sich glücklich wähne?
Schweigen II
Auf meine Bitte im Gebet
hast du geschwiegen!
Ich hab´ dich bitter angefleht,
du hast geschwiegen!
Und schließlich bin ich durchgedreht,
du hast geschwiegen!
Jetzt bin ich endlich, wenn auch spät,
selbst stumm geblieben.
Schweigen III
Was ist der Raum, was ist die Zeit,
Unendlichkeit und Ewigkeit?
Beschreibe Farbe und Gestalt,
Gefühl von Liebe und Gewalt!
Erkläre Ton, Geruch, Geschmack!
Ob man zu denken auch vermag,
was man ins Wort nicht fassen kann?
Was ist und soll das alles dann?
Sag´: Was ist Nichts, und was ist Sein,
so einfach da, ganz von allein?
Warum denn auch gerade so,
und warum fragen wir uns, wo
doch letztlich alles einfach schweigt,
wie vor uns schon seit Ewigkeit?
Schweigen IV
Der Mensch fragt in die schweigende Natur
und hört doch nur sein Echo: Gott ist stur!
Schweigen
Es schweigt das Tier, es schweigt die Pflanze, es schweigt der Stein.
Es schweigt das All, es schweigt der Gott. Wir sind allein,
die reden, fragen, bitten, beten, Hilfe schrei`n.
Schweinerei
Warum das unbegreifliche Sein?
Unendlicher Aufwand, unendliche Pein!
Bilden wir´s uns vielleicht nur ein,
ohne zu sein oder nicht zu sein?
Ist eine Dimension des „Jein“
denn unbegreiflicher als Sein?
Doch bleibt die Pein der Fragerei´n.
Allein, auch sie muss ja nicht sein:
Zufrieden, fraglos, grunzt das Schwein!
Seele
Die Birkenblätter flirren im Wind.
Du siehst die Blätter, für den Wind bist du blind.
Du siehst deinen Blick in den Tränen schwimmen,
doch deine Seele entzieht sich den Sinnen.
Du fühlst die Schläge ihrer Schwingen,
doch kann sie nur der Herrgott stimmen.
Seele
Nichts ist, was nicht in der Seele versinkt.
Sie zittert, verkrampft sich und sie schwingt.
Doch hat das viele, viele Leid
- du spürst es voller Bitterkeit -
die Seele schwer wie Blei gemacht.
Sie zieht den Tag in tiefe Nacht
und lässt mit sich die Träume sinken
in einen Abgrund von Empfinden.
Seelen
Die Seelen der Menschen
sind nicht schwarz und nicht weiß.
Sie sind
wie ferne Hirtenweisen:
Sie werfen Schatten
und strahlen Licht
unter den Wolken,
wie die Blätter des Olivenbaumes
und die funkelnden Kristalle
trauriger Augen.
Seelen sind
die Spiegel des Todes
in der zitternden Hand
unseres Lebens.
Seelenfeuer
Das lodernde Sonnenlicht hier
verbrennt meinen Schatten.
Sie grüßen mich,
die ich anstarre,
und ihr Lächeln
verharrt einen Augenblick
zu lange
in der erstickenden Zeit.
Mich treibt das Feuer meines Schattens
in die Dunkelheit,
in der der Schatten erlischt
und das Feuer einen neuen wirft.
Sie ist in mir.
Seelenlicht
So wie die Sonne immer scheint,
hoch über höchst vergänglich dunklen Wolken,
nur Schatten wirft,
und sei´s die schlafbetäubte Nacht,
so ist die Seele hinter allem Leiden unverborgen
als Licht, das uns nicht lebensträge macht.
Seelenlos?
Meine Seele wirft keinen Schatten mehr,
ist in Dunkelheit gehüllt.
Ja ich fühle sie überhaupt nicht mehr,
bin von lauter Last erfüllt.
Schreie längst nicht mehr in Gottes Schweigen,
habe Sehnsucht, schnell zu sterben,
bitte Gott, dass alle meine Leiden
seine Hand ganz in sich bergen.
Seelenlose Zeit
Gebeugt schleppt sich,
vom Schmerz verzerrt,
ein Weinender
durch die eisige Kälte
des feiernden Volkes,
die Masken des allgewaltigen Todes,
hin in das Dunkel der Sehnsucht
der letzten Seelen der Zeit
in feierlich stille
Gebrochenheit.
Segen
Dort am rostigen Tor
vor dem Garten Eden
im Blutregen,
der drinnen die Blüten zerschlägt,
betten die Kinder der Liebe
sachte ihre Herzen
in die samtschwarze Nacht.
Mein Sehnen
Das Sehnen ist vergessener Traum,
im leeren Spiegel anzuschau´n
von mir als unsichtbarem Schatten
der Sinne, die doch Sinn nie hatten.
Der Sinn von Sinn ist kaltes Licht,
das Schatten aus dem Spiegel bricht.
Sehnsucht II
Seh´n mich so sehr,
ganz allein,
nicht einmal mehr
„mit mir“ allein,
sondern vielmehr
„alles ein“:
nicht mehr zu sein,
so sehr „nicht mehr“
wie einst „noch nicht“,
merk´s zwar nicht mehr,
merk's auch noch nicht,
merkt´ es noch nie,
doch ist das Nicht
nichter als nicht mehr,
nichter als nie!
Seh´n mich so sehr
wie kein wie!
Endlich sterben,
des Lebens Ziel,
gar nichts merken,
wie Gott so still!
Sehnsucht
Geboren, um zu leiden,
leiden wir nur an der Sehnsucht nicht,
und unsere Gedanken schreiten
in unermessliche Weiten,
und flüchtiges Glück
trägt unsere Seele, bis sie zerbricht.
Wir sterben, um uns im Schweigen
der Sehnsucht auszubreiten.
Sein und Schein II
Was ist, erscheint uns nur als Schein.
Für uns ist dieser unser Sein.
Der Traum ist bloßer Schein vom Schein.
Doch jeder Schein gehört zum Sein.
Gäb´ es das Nichts, wär´s reines Sein.
Sein und Schein
Eingeschlossen im Menschengewühl streckte sich ihm plötzlich für einen winzigen Moment eine Hand entgegen, als sich im Gewoge wohl gerade ein entsprechender Freiraum geöffnet hatte. Schon war sie wieder weg, abgedrängt, untergetaucht im Gedränge, noch ehe das Gesicht ausfindig gemacht werden konnte, das die Geste hätte erklären können!
War die Hand zum Gruß gereicht worden, zur Rettung, um aus der Bedrängnis gezerrt zu werden, als Bitte, eine solche Hilfe zu erfahren? Handelte es sich um einen verfehlten Griff nach der Hand einer vertrauten Person, nach einem Objekt einer Diebstahlsabsicht? War es ein misslungener Übergriff sexueller Begierde, ein abgedrängter Würgegriff? War gar aus der Hand gerade ein Messer, eine Schusswaffe gefallen oder entrungen worden, mit der sich jemand aus der Menge hatte freikämpfen oder im Schutz der Masse einen Mord hatte begehen wollen? War die Hand nur zufällig bei einer körperlichen Lockerungsübung, bei einer monströsen Gestikulation in den freien Luftraum geschlittert?
Nichts von alledem! Was er gesehen hatte, war die Hand an einem im Getümmel abgerissenen, hin und her geschleuderten, noch nicht zu Boden gefallenen Arm. Dies stellte sich heraus, als der ursprüngliche Träger des Armes, eine durch die Menschenmasse geschleppte Schaufensterpuppe, aufgestellt werden sollte.
Sein
Hei didel dei,
Existenzelei!
Existiere und tu´ sein!
Morgen tut an Heut´ sich reih´n.
Qual und Pein:
kläglich schrei´n.
Umständ´ fein:
lustig sein.
Hei, es tut nicht anders sein.
Selbst
Wir träumen uns in einem Traum,
indem wir in den Spiegel schaun.
So sind wir eins mit e i n e m Schatten
wie wir ihn vorher noch nicht hatten.
Er folgt uns nicht, geht uns voraus.
Wir treten ihn, er reißt nicht aus.
Wird ihn die süße Nacht verschlingen?
Sie kommt, wir schlafen wie von Sinnen
und werden niemals mehr erwachen.
Der Himmel wird zum Stern uns machen.
Selbstbegegnung
Du streifst über die Fluren mit dunklem Sinn.
Ein Nieselregen dauert dahin.
Da kommst du dir aus der Kindheit entgegen.
Verweinte Augen blicken verlegen
zu Boden. Ein Mund grüßt schüchtern und leise.
Erwiderst den Gruß auf die gleiche Weise.
Ihr seht euch an, die Zeit bleibt stehen.
Ihr seid so geblieben, müßt weitergehen:
das Kind den Weg, den du gegangen,
und du, um dahin zu gelangen,
woher ihr beide seid gekommen.
Ihr habt den gleichen Weg genommen.
Ob hin, ob her: der gleiche Weg,
ob ihr nun umkehrt, weitergeht.
Du drehst dich um und auch das Kind.
Dann macht die Zeit euch wieder blind,
damit sich niemand selbst zuwinkt,
bevor der Tod uns zu uns bringt.
Selbstbestimmtes Leben
Ich habe eine Wut auf diese Welt.
Wie dumm muss denn der sein, dem sie gefällt!
Wie oberflächlich muss er denn wohl leben,
die Seele gegen das Vergnügen geben.
Muss vor sich fliehen in Geselligkeit.
Da bleib´ ich lieber tief in meinem Leid.
Ich will mein Leben mit mir selbst erleben,
will mich nicht leben lassen, nicht vergeben.
Die Tiere nur ergeben sich dem Leben.
Im Trotz und Trost des Todes liegt der Segen.
Selbstbezüglich
Wir legen uns, vom Schein verbrannt,
in unseren eigenen Schatten.
Und in den kühlen Nächten flammt
ein Stern für jeden Matten.
Und jeder ist sein eigener Samt,
wenn Träume es gestatten.
Selbstmitleid
Du stehst an deiner Wiege
und blickst dich aus ihr an.
Du kennst dich zur Genüge,
bist jetzt ein alter Mann.
Das Leben war nur Lüge.
Der Tod ist bloßer Wahn.
Es kommt dich Rührung an.
Du hebst dich aus der Wiege.
Du hast dir leid getan.
Selbstsinn
Sinnlos wäre das Leben,
müsste es Sinn erst erstreben.
Sinn ist bereits das Leben,
denn
Sinn ist dem Sinn nicht gegeben!
Selbstverständlichkeit
Die Landschaft weckt Erinnerungen.
Ich lass mich von Gefühlen tragen.
Und immer wird in mir gesungen.
Soll ich jetzt froh sein oder klagen?
Und Selbstverständlichkeit strahlt aus
von allen Seiten die Natur.
Als gäbe es ein Gotteshaus,
in dem Geborgenheit herrscht nur!
Selbstwiderspruch Willensfreiheit
Der Wille stellt sich ein, so wie er will,
sei es aus Abwägung, sei´s aus Gefühl.
Wo bleibt da Freiheit? Gäb´es freies Spiel,
dann wär´ das Willkür, Wollen ohne Ziel.
Als Wille ist Wille ja immer bereits bestimmt.
Und Ursachen sind es, woraus man ihn schließlich gewinnt.
Wovon soll Wille denn frei sein und wozu?
Man möge doch unterscheiden in aller Ruh`
die äußere Möglichkeit und die innere Wahl!
Verhaltensfreiheit gibt es zwar allemal,
doch wird die Entscheidung selbst nicht ausgewählt,
sie wird als Wahlakt einfach nur gefällt.
Selbstähnlichkeit
In dem erdverkrallten Wurzelwerk
spiegelt sich
die himmelsstrebende Baumkrone,
auch in der Äderung des Blattes.
Und die Verästelung des Blitzes am Himmel
spiegelt sich
in den Verzweigungen der Flüsse auf der Erde,
auch in unserem Adergeflecht.
Was spielt sich
in unsrer Sehnsucht nach Sinn,
in unserem Ahnen über uns hinaus,
in unserem Wunsch eines Gottes?
Seltene Gaben
Scheu fliegt ein Vogel auf und flieht.
Von hoher Wart´ blickt er zurück.
Er hat das Unheil still besiegt
und zwitschert frei in seinem Glück.
Das Leben ist uns nur geschenkt,
soweit kein Übel uns bedrängt.
Sei über das Leid deines Lebens erhaben
und widme dich ganz dessen seltenen Gaben!
Seltsam
Ich fühlte jemand an der Hand.
Er führte mich nach irgendwo.
Es war kein Traum, doch mir entschwand
der Sinn, es sei doch so und so.
Ich glaub´, ich bin noch bei Verstand,
und alles scheint mir so und so.
Nur diese Sache mit der Hand:
Stimmt sie mich traurig oder froh?
Seltsame Momente
Mitunter verweht sich der Schleier der Zeit
wie Gardinen durchs offene Fenster.
Dann durchwirbelt verhüllte Vergangenheit
den Sinn als Erinnerungsgespenster.
Es ist, als wär´ etwas schon gewesen
Oder wär´ es zugleich erahnt.
Wir hatten es wohl in der Zukunft gelesen,
doch gleich war's ins Vergangene verbannt!
Seltsamkeiten
Geschieht nicht so viel Seltsames im Alltag,
wie niemand es für möglich halten mag?
Genau besehen ist zwar alles Wunder,
doch läuft den Rücken selten Schauer runter.
Dass letztlich alles unerklärlich ist,
bewirkt nur, dass man beide Augen schließt.
Doch wenn der Zufall tobt wie Geisterspuk,
Gedanken wirken wie im Funkenflug,
ganz Neues plötzlich Schritt auf Schritt auftritt
und Pech an Pech sich reiht im Sauseschritt,
dann wird wohl trotz geschlossener Augen klar:
Es weht ein Geist hin über Falsch und Wahr!
Semper idem
Oh starrende Gegenständlichkeiten
in stumpfer Stille!
Nichts bewegt sich von selbst.
Oh bräche doch
sinnender Blick
die unendliche Wunderlosigkeit!.
Seufzer
Nichts ist gleich, alles ähnlich,
nichts genau, alles unscharf.
nichts getrennt, alles eins.
Auch du fällst nicht aus der Natur.
Sie wäre ohne dich
nicht so, wie sie ist,
ja überhaupt nicht.
Blicke ins All,
und du blickst
aus ihm zurück!
Sterne bestehen und vergehen.
Und dein Seufzer
ist ihr Geschick.
Was willst du verstehen?
Gedanken verwehen,
verstehen sich nicht.
Sicher
Eins nur ist sicher im Leben dein:
Sterben musst du und zwar ganz allein!
Und immer wird es dann jetzt gleich sein,
drum lass´ das Leben noch jetzt in dich rein!
Sie freuen sich,
und ich verberge meine Tränen.
Und als sie mit mir reden wollen,
nehme ich Abschied,
denn mich erwartet der Tod.
Für mich bedeutet er Trost,
doch ihnen ist er nicht vertraut.
Sie
Sie nehmen alles hin
und glauben
und glauben
und glauben
an´s Gute und einen Sinn.
Und doch sind sie bereit,
auch wenn die Umwelt schreit,
für jede Stunde ihrer Lebensgewohnheit
ihr gesamtes übriges Leben
und das Leben ihrer Kinder
und das Leben aller anderen Menschen
auf dieser Welt
dem Untergang zu opfern!
Silberschnee
Silber draußen
oder Schnee.
Silber drinnen
in den Lichtdomen
des Konsums.
Silbern glitzern
am nächtlichen Himmel
die blinkenden Lichter
der ununterbrochen grollenden
Nachfahren der Sterne.
Silvester 07
Wie oft hat die Erde die Sonne umkreist!
Und wieder kreiste sie einmal mehr.
Und Mensch um Mensch hat sein Leben bereist.
Doch der Blick ins All ist weit und leer
wie der letzte Blick, der nach innen weist.
Wir verschlafen die Jahre, aber träumen sie schwer!
Silvester 1992
Jetzt kann das Leben nicht mehr weitergeh´n!
Es muss ´was Ungeheueres gescheh´n.
Verzeih´ mir, Gott, nimm mir das Leben,
sonst muss ich endlich selbst mich töten!
Bestrafe mich als Sünder,
behüte Frau und Kinder!
Sind nur die Träume Schäume?
So wie wir manchmal im Traum
wissen, dass wir nur träumen,
können wir wach d´rauf vertrau´n:
Leben ist auch nur ein Schäumen!
Sinn ?
Frag´ nicht nach Sinn!
Das Sein hat keinen Sinn.
Frag´ nicht nach Sinn!
Denn Sinn hat keinen Sinn.
Frag´ nicht nach Sinn!
Nimm Leid als sinnlos hin!
Denn Gott kennt keinen Sinn
ein Sinndiktat wär´ schlimm!
Sinn II
Grausam ist die Natur,
grausam der Mensch und sein Leid!
Gott, warum denn nur
schufst du die Grausamkeit?
Sinnlos in sinnlose Welt gesetzt,
sinnlos durch sinnloses Leben gehetzt,
sinnlos nach sinnlosem Sinn gestrebt,
sinnlos durch sinnlosen Tod weggefegt!
Sinnlos sei´s sinnlosem Gott geklagt!
Blödsinn: Er wird nicht von Sinn überragt!
Sinn III
Wir suchen die Wahrheit,
die wir nicht kennen,
so dass wir sie nicht finden können
und nicht zu suchen bräuchten,
wie wenn wir sie kennten.
Sinn IV
Der Sinn liegt allein im Augenblick
und im So- und- nicht- anders,
auch im Planen selbst, was auch immer sein wird,
auch in Hoffnung und Angst
und in der Erinnerung,
aber alles Jetzt und So,
und alles, was war und möglich ist,
ist nirgends außer jetzt im Kopf,
sogar deine Geburt,
und selbst der sichere Tod
wird keine Sekunde eher eintreten,
als du das Bewusstsein verlierst.
Das einzig Sichere wirst du also nie erleben
und, was du erlebst,
hat zwischen Vergangenheit und Zukunft
keinen Platz außer in deinem Kopf.
Genieß´ oder vergiss es!
Sinnfrage
Frag nicht nach Sinn in deinem Leben!
Was ist, ist eben so gegeben.
Nichts müsste nämlich letztlich sein.
Was soll dem Sinn da Sinn verleihen?
Sinnfrage II
Du fragst nach Sinn
und siehst: Die Welt ist nur Verderben.
Du bittest Gott,
du mögest endlich, endlich sterben.
Du tust es nicht.
Du weißt, du wirst verflucht nur werden.
Dann geht es weiter,
verblüffend ohne Sinn auf Erden.
Doch fühlst du es,
dass deine Sinne wiederkehrten.
Das warst nicht du!
Das war die Antwort, doch zu merken,
dass Sinne alles nur verbergen!
Sinnfrage sinnlos
Wir ketten uns an Sinn
und fühlen sinnlos uns verloren.
Schmeiß´ die Gedanken hin!
Denn frei von Sinn sind wir geboren.
Hat Sein, hat Sinn denn einen Sinn?
Nur die Gedanken bohren!
Sinnfrage
Du fragst nach Sinn
und siehst: Die Welt ist nur Verderben.
Du bittest Gott,
du mögest endlich, endlich sterben.
Du tust es nicht.
Du weißt, du wirst verflucht nur werden.
Dann geht es weiter,
verblüffend ohne Sinn auf Erden.
Doch fühlst du es,
dass deine Sinne wiederkehrten.
Das warst nicht du!
Das war die Antwort, doch zu merken,
dass Sinne alles nur verbergen!
Sinnfreiheit
Der Weg ist steinig, schroff und steil.
Ich habe Meinesgleichen nie getroffen.
Und wo auch immer ich verweil´,
ich finde nirgends irgendwas zu hoffen.
Es gibt – das ist mir klar – kein Ziel.
Nur manchmal – wirklich? - hab´ich das Gefühl
- sonst wär´ ich irgendwo geblieben -,
als würde ich von jedem Ort vertrieben
und diese Sinnfreiheit mich lieben.
Sinnfreiheit
Trost und Hoffnung und Suche nach Sinn
machen das Leid oft erst so schlimm!
Zorn und Trotz und Einsamkeit
lindern oft die Leidenszeit.
Weinen, Schlafen und Gebet
wirken meist, dass Leid vergeht.
Nimm´ das Leid am besten hin,
fühl´ dich frei von Grund und Sinn.
Gott kann schrecklich grausam sein,
schätzt man ihn nach Wünschen ein!
Sinnfreiheit V
Ich kann es nicht hören, das Gerede von Sinn.
Der Sinn, dass ich bin, ist eben, dass ich bin!
Wo führt uns die Frage nach Sinn denn auch hin?
Doch letztlich zur Frage: Welchen Sinn hat denn Sinn!
Ein Sinn setzt als seiend das Sein voraus.
Das schließt einen Sinn für das Sein doch aus!
Das Sein kann überhaupt nicht anders sein,
denn seiendes Anderssein setzt es voraus.
So passt auch das Sosein in Sinn nicht hinein.
Wir kommen somit ohne Sinnzwang aus.
Die Freiheit von Sinn ermöglicht das Nein,
und ohne das Nein kann das Ja gar nicht sein.
Sinniger Tag
In einem Tagtraum hängt Musik.
Die Leute laufen vor sich hin.
Ein Blick senkt sich, strahlt kurz zurück.
Verlor´ner Gruß bleibt ohne Sinn.
Verirrtes Licht, Luft aus Kristall.
Ein Lied umschmeichelt schale Lippen.
Ein Fluch fängt sich im Widerhall.
Verhalt´ner Schritt droht zu entrücken.
Ein Stimmenfluss bricht blind sich Bahn.
Man könnte sprechen, tut es nicht.
Im Abseits uriniert ein Mann
und hebt ins Leere sein Gesicht.
Man kehrt zurück in sein Quartier
in diesem fremd-vertrauten Land.
Dann klopft es spät noch an die Tür.
Die Dunkelheit reicht ihre Hand.
Verwester Atem dient sich an.
Die Ironie fällt einem auf.
Man dankt der Einfalt, spürt den Wahn,
rennt los. Verklärung folgt dem Lauf.
Sinniges Leid
Blick´ in die blaue Blüte der luftigen Blume,
und verhangener Himmel wird heller.
Sieh´, deine Seele ersehnte die sinnige Sonne
in der Blüte und blauen Höhe,
schwebend im süßen Zauber des träumenden Leids.
Sahst du je eine schwarze Blüte?
Sinnlos? II
Ein Lächeln
zaghaft
am Zerbrechen
zitternd
im Weinen
bitter
ohne Kraft
nebensächlich
erscheinend
und doch da!
Sinnlos
Grausam ist die Natur,
grausam der Mensch und sein Leid!
Gott, warum denn nur
schufst Du die Grausamkeit?
Sinnlos in sinnlose Welt gesetzt,
sinnlos durch sinnloses Leben gehetzt,
sinnlos nach sinnlosem Sinn gestrebt,
sinnlos durch sinnlosen Tod weggefegt!
Sinnlos sei´s sinnlosem Gott geklagt!
Blödsinn: Er wird nicht von Sinn überragt!
Sinnlosigkeit von Sein
Geboren worden, um zu leiden,
zu fragen, antwortlos zu bleiben
und wieder – nie befragt – zu scheiden:
Ganz ohne Sinn ist dieses Treiben!
Doch welcher sollte es auch leiten
und welcher Sinn den Sinn begleiten?
Kein Sinn kann selbst sich Sinn bereiten.
Auf Sinnjagd lässt sich ewig reiten,
doch die Erkenntnis nicht vermeiden:
Es bleiben nur Sinnlosigkeiten!
Man kann es einfach nicht bestreiten:
Zu keinem Sinn führ´n Fragereigen.
Es lässt für Sinn kein Sinn sich zeigen.
Ein letzter Sinn hat keinen Sinn,
ist also sinnlos, gar kein Sinn!
So fremd
Mir ist so fremd
in dieser wohlvertrauten Sonne,
die immer Unglück mir nur hat beschert.
Mit meinem Herz
-ach, wöge es auch eine Tonne!-
bin ich nur, weil es schlägt, mich schlägt, beschwert.
Was bringt der Tod?
Die Sonne wird so weiterscheinen.
Und alles, was ich war, wird weiterweinen.
Ist da ein Gott?
Ich finde keinen Trost in ihm.
Zumindest flieht er vor mir schnell dahin.
So ist das Leben
Täusche dich nicht: Die Welt ist ein Übel.
Und deine Seele hat keine Flügel.
Besser ist es, nicht zu leben.
Man merkt dann aber nichts vom Segen.
Nimm dein Leben, wie du bist!
Der Hahn kräht oben auf dem Mist.
Richte dich auf´s Sterben ein!
Du bist nicht da, um glücklich zu sein.
So ist der Tod
So also sieht er aus, der Tod:
In Wolken zieht vorbei, was war.
Ein Pendel schwingt, bleibt steh´n im Lot.
Und plötzlich ist dir alles klar!
Mehr ist dann nicht. Denn nichts tut not!
So wird dir auch nichts mehr gewahr.
Ein Engel träumt dein Leben fort,
fliegt aus der Zeit, kennt keinen Ort.
Im Schweigen Gottes schwebt er still.
Wenn Gottes Wort ihn wecken will,
ist er mit seinem Traum am Ziel.
So, ausgeträumt vom Himmelswesen,
bist du bei Gott, wie nie gewesen.
So oder so
Wer in den
Tränen
nicht ertrinkt,
erstickt am
Lachen!
So schwer
Wie hast du dein Leben bitter verweint!
Wie hast du dich mit dem Tod vereint!
Wie hast du den Atem ausgehaucht,
mit Seufzen, Schreien, Beten verbraucht!
Wie hast du deine Seele erstickt!
Aus deinen Augen die Hölle blickt.
Du lebst noch, in Träumen finsterster Nacht.
Den Tod hat dir Gott noch nicht zugedacht.
Es kann nichts besser sein als er.
Vertraue! Nichts Anderes ist so schwer!
Societas leonina
Das Sonnenlicht wirkt wie im Traum,
und die Gedanken schweben
wie Ahnung, weder Zeit noch Raum,
der Seele nur ergeben.
Die Leute wandeln durch ihr Leben.
Ich weiche ihren Schatten
und habe mich mir selbst ergeben
mit dem, was sie nie hatten:
mit dieser Scheu – ach ! - eines Rehes,
gestockter Atemluft,
der Spannung eines stillen Sees,
dem Dunkel einer Gruft.
Seid ihr ins Leben reingestorben,
dass ihr die Qual nicht kennt,
den Kummer und die tiefen Sorgen?
Was ihr wohl Freude nennt?
Ihr schindet immer nur die Schwachen
und spürt euch selber nicht
als Schwache.Aber euer Lachen
verzerrt euch das Gesicht.
Solipsistisches Universum
Wir schreien in die ewige Stille
und hören nur uns selbst.
Und glauben, es sei Gottes Wille,
doch denken wir nur selbst.
Wir wähnen uns in einer Hülle,
doch alles sind wir selbst.
Unendlich scheint des Daseins Fülle,
doch nichts ist, wenn du fehlst!
Sollen?
Wie kann ich gut sein, Herr, in dieser Welt,
wo Tier das Tier und Mensch den Menschen quält,
auch den, der nächstenliebend sich verhält,
Naturgewalt und Krankheit überfällt.
Wenn Du die Welt so eingerichtet hast,
warum verlangst Du, was zu ihr nicht passt?
Sommer
Die Blumen lachen dich an
und du lächelst in das Blaue des Himmels.
Ein Schatten labt dich.
Ein Falter verliert sich schweigend
in seine Schönheit.
Und du verirrst dich
in einen undenkbaren Gedanken.
Sommerabend II
Auf die goldenen Zeilen
der späten, schrägen Sonnenstrahlen
setzt eine Wehmut
fernenblaue Schrift,
so zitternd und so scheu,
als dürfte sie es nicht
und wollte sie die Lettern auch nur malen,
aus denen keine Botschaft spricht.
Sommerabend III
Der Tag verneigt sich vor der Majestät der Nacht
zufrieden schlicht in feierlicher Abendpracht
mit mildem Licht und spielerischem Vogelsang
von Freud und Leid und Träumereien lebenslang.
Sommerabend IV
In der Dämmerung
die schwarzen Wälder,
weiten Wiesen, dunklen Felder,
alter Garten,
schwarze Bäume ohne Schatten,
süße Kühle, Sehnsucht ohne Wunsch,
traute Stille, Hochgefühle,
nahe Nacht, erfüllter Traum,
Schweben über Zeit und Raum.
Sommerabend
Der goldene Abend meint es gut.
Vor den Lokalen sitzen Gäste.
Und in der stillen Kammer ruht
ein Leidender und hofft aufs Beste.
Die Vögel zwitschern in den Ästen.
Die Stimmung hebt sich bei den Gästen.
Und in der Kammer hängt ein Blick
am offenen Fenster, träumt vom Glück.
Da bellt ein Hund und schaut hinauf
zum Himmel, dieser schwebt sanft nieder.
Das fällt jedoch nicht weiter auf,
drum hebt er sich auch bald schon wieder.
Sommerabend
Abendhimmel verglimmt.
Todesstill steht derWind.
Starrer Gedanke zerrinnt.
Sanft zu träumen beginnt
längst verlorenes Kind.
Siehe, der Himmel wird blind!
Wo die Sterne nur sind?
Tief im Traum, ganz bestimmt!
Sommerregen
Im warmen Wind wogt weich
der welke Halm. Und bleich
wellt sich die Wiesenwüste.
Wie eine Götterbüste
wirkt ferner Wolkenstau
im blassen Himmelsgrau.
Des Felsens starres Schweigen
bricht dunkler Vogelreigen.
Ein Traum steigt auf und winkt,
verweht, verweint, verrinnt.
Sommertag
Dämmernde Mittagshitze
gedämpfte Sinne
Tagestraum
Trocknende Hundepfütze
Motorgesinge
Lärmschutzzaun
Fahrig verschob´ne Mütze
Gesichtsschweißrinne
Werbeclown
Straßencafegesitze
Geschirrgeklinge
Weiterschau´n!
Schwindelnd gefasste Stütze
geraunte Stimme
Schweberaum
Taumelnde Domesspitze
verblickte Dinge
Wimpernsaum
Zögernde Schattenblitze
zerstrahlte Spinne
Atemschaum
Zitternde Vorhangritze
Gedankenringe
Willensflaum
Sonderbarer Tag
Wie bleich die Sonne heute strahlt!
Wie wattig alles Treiben hallt!
Wie Nebel formt der Sinn Gestalt.
Es ist, als wär's der letzte Tag.
Von ferne grüßt ein Glockenschlag
mein Herz, das nicht mehr schlagen mag.
Sonderling
Ach, welch Triumph, zu sagen: „Nein!“
und trotzig ganz allein zu sein!
So frei wie jeder Sinn von Sinn,
so bin ich nur, wenn ich ich bin.
Ihr Massen, treibt nur nach dem Trend!
Ich bin, was „Sonderling“ ihr nennt.
Ich lass euch euren Herdentrieb.
Mein Ich bekommt jedoch kein Dieb!
Song
Noch nie war ein Tag so ausgeleiert.
Noch nie schien die Sonne so schräg und verschleiert.
Noch nie war´s so still und abgefeiert.
Stumm dreht sich ein Rad, es ist rund, doch es eiert.
Ich schließe die Augen und fühl´ mich bescheuert.
Das Rad dreht sich weiter, nur vom Schweigen angefeuert.
Sonnenschein
Es strahlt die Sonne
bei jedem Verbrechen,
im schlimmsten Traum.
Es ist ihre Wonne,
die Seelen zu stechen,
zu rauben ihr Vertrau´n.
Es lacht niemand, ohne
im Leid zu zerbrechen.
Nur darauf kann er bau´n.
Aus Dornen ist die Krone
der Schöpfung, um zu rächen
des Schöpfers Grau´n.
Sonnenscheinmuster
Tag gewordene Träume
fallen verloren
aus den maroden Wandspiegeln
auf den staubigen Flur
des geschlossenen Hotels,
den die gönnerhaft nachsichtige
Freundlichkeit eines milden Lichts
durch die trüben Fenster
paradox streng mustert.
Sonniges Zeitalter
Es rührt sich nichts mehr:
Sonnenschein an jedem Tag.
Es rührt sich nichts mehr:
Alles bleibt im gleichen Trab.
Es rührt sich nichts mehr:
Niemand sich mehr wundern mag.
Es rührt sich nichts mehr:
Tod und Mord man nicht beklagt.
Es rührt sich nichts mehr:
Schweigen vor dem eig´nen Grab.
Es rührt sich nichts mehr:
Sonnentage Schlag auf Schlag!
Sonntag
Über die verstopften Sinne,
die zitternden Gedanken,
legt sich der Traum
eines Ausflugs
am Sonntagnachmittag,
streicht
durch fantastische Landschaft,
flattert, ein scheuer Falter,
fliegt ins
verwunschene Tal,
flüchtet ein Sinn,
verflüchtigt sich ein Gedanke
ins Erwachen,
als wären sie befreit.
Spaziergang 2003
Wie in tränende Augen scheint die Sonne,
und wie trübe Gedanken starren die Schatten.
Ein Wolkenantlitz erstrahlt als Ikone,
ein Wind zerreißt es in flüchtende Ratten.
Im Lehm des Weges weisen Spuren die Zeit.
Auf schwarzem Wasser kräuselt sich Silber.
Die Weide schwankt in stummem Leid.
Ein Vogel zeichnet Geisterbilder.
Dieser Sonne Teufelsglut
direkt am Morgen, Abend Blut.
Und der Tag ist Teufelsbrut.
Dem willkommenen Tod fehlt Mut.
Spaziergang auf dem Lande
Aus einem Gehöft
bellt dich ein Hund an,
als wärest du
Im Wald
flieht ein Reh,
als wärest du.
Auf dem Feld
sieht dich ein Bauer an,
als wärest du.
Und vor dem Abgrund
scheust du den Sprung,
als wärest du.
Ja, jetzt, da du nicht springst,
Nachkomme und Vorfahr´ zugleich,
ist dir´s gar so,
als wärst du immer,
und du fragst dich,
warum nie?
Spaziergang auf dem Lande
Wie reich bist du?
Deinen Blicken gehören
das Reich einer Baumkrone,
das Reich eines Unterholzes,
das Reich einer Pfütze,
während der letzte Hirte
die Zeit
vom Himmel
am Kondensstreifenmuster
abliest!
Spaziergang II
Wie oft bin ich hier vorbeigegangen
mit Tränen und mit Zukunftsbangen!
Nun komm´ ich immer noch hierher:
War alles denn nicht gar so schwer?
Und einmal ist´s das letzte Mal:
die Sinnerfüllung jeder Qual?
Spaziergang im Alter
Verloren im Regen
auf verwachsenen Wegen
in vergessenes Leben
wehmütig treten.
In verfallenen Gärten
Erinnerung bergen
aus modernden Särgen
kurz vor´m Verderben.
An verwitterten Mauern
sich kindlich hinkauern,
vor Kälte schauern,
tränenreich trauern.
An verwunschenen Teichen
die Nebel durchstreifen,
vor lauernden Leichen
heimwärts ausreißen.
Spaziergang im Schnee
Ich stapfe durch den tiefen Schnee,
so wie ich auch mein Leben seh´:
viel Mühe, selbstgesteckte Ziele
und kleine Schritte, viele, viele...
Und letztlich kehr´ ich in mich ein.
Was wollt´ ich anders? Ist mein Sein!
Wie sanft der Schnee doch um mich fällt!
Ach, wär´ so sanft die ganze Welt!
So sanft, wie meine Seele fühlt,
die immer wieder Leid aufwühlt.
Ein Schneeball fliegt aus meiner Hand,
im Sommer rieselt durch sie Sand.
Ach wär´ das Leben Kinderspiel:
nur einfach so, sich selbst das Ziel!
Doch weint im Spiel nicht auch das Kind?
Weil nichts so ist, wie wir selbst sind!
Spaziergang
Stumm flehen die kahlen Bäume in den trüben Himmel.
Ein altes Wegkreuz schweigt die feuchte Erde an.
Von oben grollt das stete Flugverkehrsgetümmel.
Am Boden modert Müll nach atomarem Plan.
Hier stürzte einst ein Edelmann von seinem Schimmel
und zog darüber hin ein Kranich seine Bahn.
Einst sprach ein Gott im Traum die frommen Menschen an.
Heut´ reißt aus süßem Wahn das Handy mit Gebimmel.
Lebt sich's und stirbt sich's leichter still als im Gewimmel?
Spaziergänge
Wie oft bin ich hier schon gegangen
voll Kummer, Sorgen und voll Bangen!
Und einmal wird´s das letzte Mal.
Erlösung von der Lebensqual?
Erleben kann sie niemand mehr,
und mehr zu glauben, fällt mir schwer.
Die Sinne sind mit Leid verhangen,
das Leben in sich selbst gefangen.
Nur Gott ist frei und kennt kein Bangen.
Wir sind in ihm. Soll das nicht langen?
Spiegelbilder
Auf der Bühne des Lebens
vor den Spiegeln des Publikums
starrst du im Toben
der Souffleuse
sprachlos in deinen Traum,
und hoch oben
im Zuschauerraum
winkt dir die Gunst
oder die böse
Verheißung des Segens
zerbrechlichen Spiegelwesens.
Spiegelschattentraumspiel
Wenn das Leben
vor den Fenstern drängt,
die Türen sprengt
und dich beklemmt,
wirst du auf
die freien Felder fliehen,
auf Pfaden ziehen
und dich bemühen,
einen Spiegelschattentraum
zu spielen.
Spiele
Diese sich am Strand verlierenden Wellen,
die der Wind immer wieder aufs Neue heranrollt,
lassen den immer gleichen Fels des Sisyphos
als zeitloses Spiel erscheinen
Spinnennetz
Als er träumte, einzuschlafen,
wachte er auf,
dachte sich,
dass er ja schlecht hätte abwachen können,
schlecht auch,
wenn er geträumt hätte, aufzuwachen,
hätte einschlafen können,
riss sich aus dem Bett
an die Türklingel des Nachbarn,
allein um sich für das Klingeln
zu entschuldigen,
und spürte
stinkenden Mundes
wieder diesen Blick,
der ihn bei solchen Spinnereien
immer traf,
die ihn rätseln ließen,
ob er denn wirklich spann,
obwohl er doch erkannte, dass er spann,
weil er ja rätselte, ob er spann,
und daher doch nicht erkannte,
dass er spann.
Und doch war er sich sicher,
dass er spann,
obwohl er zweifelte,
ob er spann.
Und wegen dieser Sicherheit
rätselte er
und war sich daher doch nicht sicher
und spann daher,
was zu erkennen,
jedoch wieder dagegen sprach......
nicht gegen den Mundgeruch, oh
zwischen Traum und Wachen
im Spinnennetz von Denkschleifen
gefangenes Lachen!
Sprachlos
Uns ist ein Leben voller Tod
in unsere Seele, ganz aus Luft,
mit Blut geschrieben, purpurrot.
Es tropft schon in die Leichengruft.
Und der, der so geschrieben hat,
lässt stumm die Tränen niederregnen,
die nie ein Dürstender erbat.
Wir wissen dem nichts zu entgegnen.
Spuk
Wehe, dir kommen des Nachts Gedanken,
die mächtig und immer mächtiger werden.
Sie rauben dir den Schlaf,
und niemand weiß,
wie viele Seelen so schon
dahingerafft worden sind.
Sieht so die Stunde des Todes aus?
Erlebst du den Tag noch,
sind die Gedanken zerfressen.
Spät
Es ist sehr spät geworden,
viel zu spät.
Nie verrät
bedrängte Zeit Antworten.
Die Nacht denkt an den Tag,
der sie ersehnt,
und der sie fragt,
was sie von ihm nur kennt.
So wird ein Traum geboren
immerfort,
in dem die Zeit verloren
hat ihr Wort.
Spätherbst
Es schneit Laub, du läufst dagegen,
Atemstaub, ein stilles Regen.
Alles wird sich letztlich legen.
Seufze nicht! Die Welt ist taub,
und du hast nur dich als Leben!
Spätsommer 1998
Das Jahr wird müde.
Gelbes Licht
in milder Güte
Schlaf verspricht.
Schon träumt die Luft.
Warme Farben
und Asternduft
mich vergarben.
Mir ist nach Sterben.
Meinen Tod
soll niemand merken:
Wein und Brot
soll´n nicht verderben,
lieber Gott!
Spätsommer
Die späten
sonnenvergoldeten Stunden
eines scheidenden Sommers,
Erinnerungsschimmer
für flüchtige
sehnsuchtsversunkene Sekunden,
für immer
bluten am Abendhimmel
die Wunden.
Stadt
Immer, wenn in der sterilen Stadt
diese glatten Fliesenwände schwitzen,
flutet Blut durch schnurgerade Straßen,
streng in Regenrinnen zwischen matt
atmenden Passanten. Diese stützen
blass auf Blindenstöcke sich und lassen
ihre scheuen Hunde zitternd sitzen
und die Ohren in die Stille spitzen,
bis die Düsen endlich Wasser spritzen.
Wie sich solche Stücke schützen!
Starr
Erstarrt
habe ich mich verschleiert,
Spinnwebennetze angesetzt.
Ich starre ausdruckslos
in fremde Augen.
Man weicht diesem
Speerblick aus.
Manche fühlen sich
erkannt und grüßen.
Und dann lächelt sie mich an,
eine fremde Phantasie,
In die ich mich verliere,
bis ich aus lauter Lächerlichkeit
stolpere und wieder ruhe
in meiner Starre.
Kontradiktion
Stell´ dir vor:
Du lebst, doch keiner bemerkt es.
Alle sind tot, doch du bemerkst es nicht.
Du bist tot, doch keiner bemerkt es.
Alle leben, doch du bemerkst es nicht.
Du lebst, doch du bemerkst es nicht.
Alle leben, doch keiner bemerkt es.
Alle sind tot, doch keiner bemerkt es.
Du bist tot, doch du bemerkst es nicht.
Du bist tot und bemerkst es.
Das Universum gibt es, aber Milliarden Jahre hatte es niemand bemerkt, bevor das Leben entstand.
Das Universum gibt es nicht, doch keiner bemerkt es.
Dich und alles, was du bemerkst, gibt es weder nicht noch doch.
Sterbebereit
Mein Gott, lass´ mich sterben!
Hab´ genug doch gelitten.
Was soll denn noch werden?
Erhör´ meine Bitten!
Ich hab´ keine Kraft mehr,
hab´ nur noch Vertrauen.
Ich sehne die Nacht her,
dich endlich zu schauen.
Ich fühle mich schuldig
trotz aller Leiden.
Mach mich geduldig,
solltest du schweigen!
Lässt du mich heim,
schenke mir Gnade!
Schaff´s nicht allein,
so sehr ich mich plage,
anders zu sein.
Herr, es ist Zeit.
Ist so viel Leid!
Ich bin bereit.
Gib mir Bescheid:
Ist es soweit?
Sterbefrei
Mein Sterben fühle ich in mir
und, wie mein Sehnen ich verlier´.
Es ist, wie wenn dem kleinen Kind
die Träne in ein Lächeln rinnt.
Ich streife langsam durch die Flur.
Bin frei von Sinn. Wir träumen nur.
Und Luft ist auch der stärkste Wind.
Sterben II
Es waren Gedanken, die sich träumten,
und Gefühle im Flug,
Fragen, die sich bäumten,
eine Hoffnung, die sich trug.
Da zogen Nebel, die blau schäumten,
ein Dunkel, das sich verschlug.
Schweigend versäumten
die Tage ihren Zug,
ihr Atmen war Trug.
Sterben ist genug.
Sterben
Und dann hieß es: Sterben!
So nüchtern wie der Tag am Morgen.
Und war kein Verderben
Nun brauchte man sich nicht mehr zu versorgen.
Kein Abschied mehr
und auch nichts mehr zum Vorbereiten.
Der Kopf war leer,
und offen waren alle Seiten.
Sternenhimmel
Wir seh´n am Himmel Sterne stehen
und uns dem Tod entgegengehen.
Wir wissen, dass die Sterne bleiben,
erfahren nie, warum wir leiden.
Und Gott ist da, nur um zu schweigen.
Sternenkinder
Wir Sternenkinder,
Engel der Unbegreiflichkeit,
Falter des Paradieses
und Käfer der Hölle,
blicken durch Tränen
- ganz selten durch solche der Freude -
wie durch die Endlichkeit
unserer Vorstellungen und Wünsche.
Stille II
Man mag den Wind, mag Donner hören,
im Grund schweigt aber die Natur.
Das Weltall wird dein Schrei nicht stören,
auch Tiere geben Laute nur.
Mit Reden kannst du nichts beschwören,
auch Gott kennt nur den Schweigeschwur.
Lass dich durch Denken nicht betören:
Es ist nur Rede ohne Spur
von Wellen in der Luft. In Chören
verhallt gepries´ner Geist auch nur.
Ich kann es sicher nicht beschwören:
Doch ist wohl Stille nur nicht stur!
Stille nur noch im Tod
Es klagt meine Mundharmonika
gegen den höllischen Fluglärm am Himmel,
viel zu zart und leise zwar,
doch wie des Totenglöckchens Gebimmel!
Stillleben
Ein Greis sah plötzlich vor seinem Fenster eine kleine Wolke schweben. Sachte öffnete er es und tippte mit dem Zeigefinger sanft dagegen. Da drehte sich die Wolke um und war lediglich der wallende weiße Haarkranz eines anderen Greises. Der Greis im Fenster war kurzsichtig und hatte von dem freilich sehr blassen und unauffälligen Greis vor dem Fenster nur die wallende Haarpracht an dem im übrigen glatzigen Haupt bemerkt.
Der Greis vor dem Fenster war schwerhörig und hatte das Öffnen des Fensters überhaupt nicht bemerkt.
Nun starrten sich beide verständnislos an, da der Schwerhörige die leise Entschuldigung des Kurzsichtigen nicht hörte und der Kurzsichtige den fragenden Ausdruck in den Augen des Schwerhörigen nicht wahrnahm.
Schließlich wandte sich der Schwerhörige langsam ab und entfernte sich, während er einen Kamm aus der Gesäßtasche zog und sich damit durch den wolkigen Haarkranz fuhr.
Der Kurzsichtige besah nachdenklich die Kuppe seines Zeigefingers und wischte mit dem Taschentuch darüber. Dann schloss er das Fenster, da er davor keine kleine Wolke mehr sah.
Stimme der Verzweiflung
Du spürst den Wind, er hat dir nichts zu sagen.
Du hörst ihn dort erst, wo er sich verfängt.
Wohl ahnst du Gott in Freuden und in Plagen
und schauderst, wenn er dir die Seele sprengt.
Doch seine Stimme hörst du erst im Klagen,
zu dem dich tödliche Verzweiflung drängt!
Stinknormal?
Wir werden zur Normalität getrieben,
und nur, wer für sich noch ein Kind geblieben,
wird sie mit Engelsflügeln überfliegen.
Stirb!
Krähenschwärme kreisen kreischend
über dem Verderben, das sie spüren.
Dunkel, schwarz, nach Unheil heischend;
woll´n den Todestanz vollführen.
Wirf dich auf das Feld und stirb,
Erd´ zu Erde, und verdirb!
Komm´ dem Schicksal nur zuvor:
unfreiwillig lebt der Tor!
Doch vergiss nicht, laut zu schreien,
fluchen und dir nichts verzeihen!
Wehrlos sind wir ausgeliefert
diesem Leben, angewidert
bleibt uns nur, uns zu befreien,
unser Leben auszuspeien,
uns dem freien Tod zu weihen,
unter Tote uns zu reihen.
Stoische Reife
Nun, da du einigermaßen gelebt,
gelitten also und doch das Lachen
nicht gänzlich verloren hast, gönne dir ruhig
das, was dir vor der Geburt war verwehrt:
Trotzig zu sagen: Nein, ist´s nicht wert!
Und siehe: Du gehst dir dann nichts mehr an.
Ob Leben, ob Tod, mag kommen, was kann!
Stoßgebet II
Längst hat sich meine scheue Seele
tief in ihr Innerstes geflüchtet.
Ich fühle längst, dass ich mir fehle.
Das Leben hat mich hingerichtet!
Ich scheine einen Tod zu leben,
der unerlöst die Seele lässt.
Mein Gott, lass mich nicht länger schweben!
Werd´ ich nicht an dein Herz gepresst?
Die Hände fest gefaltet sind,
an dich geklammert; bin dein Kind!
Stoßgebet III
Lass mich sterben, sterben sterben,
lieber Gott, nimm mich doch heim!
Lass mich doch nicht so verderben!
Bitte lass mich nicht mehr sein!
Nur als Teufel seh´ ich dich,
trau´ dir trotzdem. Töte mich!
Stoßgebet IV
Was zögerst du, oh Herr?
Die Früchte sind schon längst verfault.
Der Regen färbt sich rot.
Der Sturmwind drängt, der Atem jault.
Bist du, bin ich schon tot?
Ich kann nicht mehr!
Ich bitt´ dich sehr!
Stoßgebet
Du stößt mich immer wieder von dir weg.
Kaum hast du mich aus tiefem Sumpf gezogen,
schon schleuderst du mich wieder in den Dreck,
als wolltest du, ich fühlte mich betrogen!
Ich hab´ ein Leben lang auf dich vertraut,
hab´ nicht nach Sinn gefragt: Du bist erhaben!
Doch so viel Leid hat sich jetzt angestaut.
Ich kann nicht mehr. Lass mich es nicht mehr tragen!
Strafe für Zufriedenheit
Und während nach Mühsal und Plag´
dein lächelnder Blick den Tag
in den Abendhimmel begleitet,
wird neues Unheil bereitet.
Bis deinen Blick die Tränen brechen,
die Hände zitternd sich verfalten,
die Lippen bebend Bitten sprechen,
um letztlich schweigend zu erkalten.
Straßenfasching
Jetzt gibt es sie wieder,
tief unter den tintendunklen Wolkenfetzen
in den hallenden Straßenschluchten,
im eisigen Kristalllicht
funkelnder Feuchtigkeit,
vom hektischen Wind durchstoßen:
die glitzernde, schrille Verbissenheit
der sterilen Riten
dummdumpfen Lachzwangs.
Strebsamkeit
Alle Köpfe ragen in den Himmel,
auf den sie doch immer wieder
so gerne verzichten,
wenn sie ruhen.
Sturmnacht
Der Sturm jagt die schwarzen Wolkenfetzen
durch´s fahle Licht des Mondes. Es hetzen
die Hiebe der Luftgewalt durch die Nacht
und peitschen die Bäume mit brausender Macht.
Die Nässe schlägt mein dunkles Fenster.
Ich spüre das Glotzen verheulter Gespenster.
Stück
Ganz selten, doch es gibt den Augenblick,
in dem du Unsagbares federleicht
in deiner Seele ahnst. Es ist nicht Glück,
es ist nicht, was dem Dies – und Jenseits gleicht.
Es ist, als wärest du von dir ein Stück.
Suche?
Stille, dunkle, tiefe Wälder,
grauer Himmel, graue Felder,
feuchte Wiesen, weite Wege.
Schwer der Geist, mit dem ich rede.
Nirgends steht ein Hinweisschild:
Suche nicht, wo alles gilt!
Suche
Durch die Reihen der Gräber eilend,
auf der Suche nach einem Toten
sah ich einen Lebenden, weilend
auf einer Bank mit dem Blick zum Boden.
Gelb und rot lag das Laub umher.
Stein gewordenes Gedenken
lastete im Herbstlicht schwer,
ließ sich lange Schatten spenden.
Schräg umspielten goldene Strahlen
schwarze Kreuze, stumme Engel:
lichter Trost für dunkle Qualen:
Glocken tönen erst mit Schwengel!
Ach, ich fand den Toten nicht,
eilte zu dem Friedhofstor.
Was du suchst, du findest´s nicht,
kennst du es nicht schon zuvor!
Von der Bank rief eine Stimme:
„Haben Sie etwas verloren?“
Richtig! Es sind viele Dinge:
Leben ist nicht angeboren!
Suizid
Das Abendlicht löst Wehmut aus.
Der kalte Wind weht gnadenlos.
Da sitzt du nun und hast kein Haus.
Was hält dich ab vom Gnadenstoß?
Der Wald tost wie im Sturm das Meer.
Das Messer zittert in der Hand.
Warum fällt dir der Stoß so schwer?
Wo willst du hin? Du bist verbannt.
Du bist doch längst nur äußerer Schein!
Verenden wird lang qualvoll sein.
Verkürz´den Schmerz! Nur du allein
kannst Sieger über dich jetzt sein.
Ramm´dir das Messer endlich rein!
Supergau
Sie sah mir lange in die Augen.
Ich wich dem langen Blick nicht aus.
Sie konnte mir jedoch nicht glauben.
Drum machte ich mir den Garaus.
Sylt
Mit Silberzungen leckt das Meer das Land.
Die Zahl Unendlich wischt es in den Sand.
Und aus der dröhnend dumpfen Ferne zischt
in hellen Silben zart verspielter Gischt.
Der Wellen Leben schaumgekrönt erlischt.
Doch ständig neue Brandung spült den Strand
und zeichnet nie den gleichen Wasserrand.
Gesetz und Zufall reichen sich die Hand.
Szene der Nacht
Verwirrte Greise in zerwühlten Schlafanzügen suchen stammelnd im kalten Licht die toten Flure ab, ohne sich zu sehen. Blind starrt der wachende Pfleger an einem Fenster in die lange Nacht, hört wieder und wieder die Frage: „Ist alles zurechtgemacht?“ und schließlich: „Wer hat mich umgebracht?“
Es ist der verwahrloste Alte aus dem abgerissenen Haus, der erst aufgab, als er Hunderte von Altenheimbewohnern aus allen Richtungen auf sein Anwesen „zuschlürfen“ sah, wie er sich damals ausdrückte.
Aus einem fernen Raum dringt merkwürdig weit trockenes Räuspern.
Der Pfleger sucht – Traum in den Augen – die Toilette auf. Er öffnet das Fenster und steigt über Vordächer und Mauern in den Hof einer ruhenden Werkstatt. Stumm stehen Gerätschaften herum.
Zur Besinnung gekommen, kehrt er eilends von diesem Ausbruch zum Fenster zurück, das jetzt geschlossen ist. Versuchsweise klopft er. Schreiend stürzt ein Greis aus dem Klo.
Dann zerschlägt er die Scheibe und bleibt den fassungslos zur Türe hereingaffenden Schützlingen eine Erklärung schuldig, die er – alleingelassen auf den Fluren – für die Heimleitung während des Restes der Nacht überlegt.
Szene einer Nacht
Vergoldet hatte die Sonne den Tag.
Der Mond streut jetzt Silber in der Nacht.
Samtene Schatten verharren verzagt.
Strenge Silhouetten gebieten Acht.
Die Straße, die Landschaft, der Ort sind beliebig.
Ein Hundebellen verhallt ungehört.
Stumm klagt ein Kirchenportal, und friedlich
stirbt ein Zufried´ner, vom Traum betört.
T R O S T L O S
Ungewollt ins Leid gezeugt,
immer wieder kurz betäubt
von verlog´ner Hoffnung, bleibt
uns als Trost die Sterblichkeit.
Doch: Im Tod Erlösung finden,
hieße, leblos sie empfinden!
Brauchen wir sie denn dann noch?
Jetzt im Leben fehlt sich doch!
Tagesanbruch
Die Nacht im toten Zimmer,
im regentropfenden Wald,
ach, wiche sie doch nimmer
entschloss´ner Tagesgewalt!
Schon greifen die blutigen Finger
der Wolken lock´re Gestalt
und reißen sie in Trümmer.
Und fordernd die Sonne erstrahlt!
Tagesneige
Lass dich noch stehen am Seelenfenster!
Hinter dir deine Gedankengespenster
schweigend in deinem Schatten warten.
Blick nur hinaus in deinen Garten,
der in deiner Sehnsucht blüht,
abendlich mit ihr verglüht.
Ahnend, dass die Nacht verführe,
trittst du nicht mehr vor die Türe.
Welche Nacht wird ewig bleiben,
welcher Traum dich dann verschweigen?
Tanz der Schatten
(Scheinwerferspiel)
Zwischen tosendem Verkehr
in den ruhelosen Nächten
streichen auf Beton umher,
zwischen Pfeilern, Rinnen, Schächten,
hektisch immer gleiche Schatten
über schiefe Ebenen,
streng auf Kurven, auf Geraden,
stumm – oh, die Verwegenen! -
schneiden sie sich ohne Schaden.
Tao
Erst wo der Blick endet,
gehen Himmel und Erde ineinander über,
und wo er ruht, sind sie eins.
Sie aber haben keinen Blick,
und wo kein Blick ist,
sind die Toten wie Himmel und Erde,
als es noch keine Blicke gab.
Tauwetter
Der Schnee taut, schmutzig ist die Flur.
Wie trüb sein kann doch die Natur!
Wie doch die schwarzen kahlen Bäume
zum Himmel fleh´n und meine Träume
so dunkel sind wie mein Gemüt!
Mich fröstelt, ich bin ausgeglüht.
Tertium non datur
Es regnete Sonnenschein?
Die Sonne sendet Regenstrahlen?
So will die Welt nicht sein;
kein Auge strahlt, wenn Tränen fallen!
Und doch gibt’s Regenbögen,
wo Licht und Wasser es so mögen,
und Lachen unter Tränen,
die schmales Aug´ als traurig wähnen.
Zu lachen und zu weinen
muss nicht als Gegensatz erscheinen!
Theater
Der Vorhang ist schon längst gefallen.
Du sitzt allein im dunklen Raum,
bist eingesperrt und leidest Qualen,
denn du erwachst nicht aus dem Traum:
Das Lebensspiel ist doch in allem
Theater. Pflicht ist, zuzuschau´n.
Theodizee
Warum hat Gott das Unheil geschaffen?
Für Gott selbst gelten keine Gründe!
Er hat doch alles erst erschaffen,
so auch in unserem Kopf die Gründe,
die wir für alles sehen wollen,
als letzten Grund für alles: ihn!
Wenn wir ihn also fragen wollen,
dann weist die Antwort nur auf ihn.
Der Grund, warum er Unheil geschaffen,
ist also, dass er als letzter Grund
für sich keine Gründe braucht zu schaffen.
Er selbst ist ja bereits der Grund!
Theodizee II
Wenn nur das Gute von Gott kommt,
ist er nicht allmächtig.
Wenn aber auch das Böse von Gott kommt,
ist er nicht gut.
Wenn jedoch auch das Böse von Gott kommt,
weil er allmächtig ist,
und obwohl er gut ist,
ist er in seiner Güte so allmächtig,
dass er auch im Bösen gut ist!
Theodizee III
Gott ist ungreifbar
und daher sind auch wir
mehr, als wir begreifen können.
Und auch unser unbegreifliches Leid
ist Gott in seiner Unbegreiflichkeit.
Wir leiden, weil Gott unbegreiflich ist.
Leiden ist mehr, als wir begreifen!
Theodizee?
Wenn nur das Gute von Gott kommt,
ist er nicht allmächtig.
Wenn aber auch das Böse von Gott kommt,
ist er nicht gut.
Wenn jedoch auch das Böse von Gott kommt,
weil er allmächtig ist,
und obwohl er gut ist,
ist er in seiner Güte so allmächtig,
dass er auch im Bösen gut ist!
T h e o d i z e e
Klagst du wegen deines Schattens deinen Körper an?
Klagst du wegen deines Körpers Gott an?
Du klagst wegen deines Schattens Gott an.
Klagst Du wegen der Finsternis deine Augen an?
Klagst Du wegen deiner Augen Gott an?
Du klagst wegen der Finsternis Gott an.
Klagst du wegen deines Leides deine Seele an?
Klagst du wegen deiner Seele Gott an?
Du klagst wegen deines Leides Gott an.
Du klagst Gott an, weil du ihn anklagen kannst.
Du kannst ihn anklagen, weil er dich dazu befähigt hat.
Klagst du ihn wegen dieser Befähigung an?
Vor wem?
Theodizeefrage (lyrisch II)
Ein Gott der Liebe
kann nicht glücklicher sein
als seine Geschöpfe.
Gott ist aber nicht,
um glücklich zu sein.
Und er hat uns in seiner Liebe
als seine Ebenbilder geschaffen.
Daher sind auch wir nicht,
um glücklich zu sein.
Gott ist also in seiner Liebe
nicht glücklicher als wir!
Theodizeefrage IV
Wie furchtbar ist das Leid der Welt,
das auch die Redlichen befällt!
Die Frage nach dem Grund zu lösen,
auch für die Möglichkeit des Bösen,
schlägt fehl, da Gründe erst die Welt,
so wie sie eben ist, enthält.
Sie können außerhalb nicht walten.
Man müsste sie für Welt noch halten.
Wenn Gott die Welt geschaffen hat,
dann gilt dies auch für alle Gründe.
Er selbst in seiner Allmacht tat
dies frei davon, dass man's verstünde.
Tiefe Seele
Meine Seele ist so tief,
dass sie nur das Dunkle spürt.
Besser wär´es, wenn sie schlief´
traumlos, völlig unberührt.
Wer sie auch ins Leben rief,
dem als Strafe sie gebührt!
Tiefe
Die Klagen über tiefes Leid
sind Klagen über unsere Tiefen.
Klagt denn der Himmel,
dass er bis zur Erde reicht?
Auch wenn sie nicht singen,
klagen die Vögel doch nie!
Tiefen
Ich reiche meine Hand der dunklen Nacht,
damit sie mich in ihre Tiefe zieht.
Ich habe tief gefühlt und tief gedacht,
so dass mein Sinn nicht vor dem Abgrund flieht.
Es hebt das Tageslicht mich nicht empor.
Der Schmerz weist mir den Weg ins dunkle Grab.
Ich gaukle mir nicht einen Himmel vor.
Der Blick ins All ist tief, nicht auf und ab!
Im Nichts sind wir unendlich, nicht in Sein.
Und Gott lässt ohnehin uns nicht allein.
Tipp
Trotz´ dem Kummer, trotz´ dem Leid!
Denn davor bist du nie gefeit.
Genieße deine Trotzigkeit!.
Tod I
Es kam, als wär´s schon immer dagewesen.
Doch war nun klar: Jetzt war es an der Zeit!
Das Buch des Lebens war nicht ausgelesen.
Gekommen war ich selbst, doch nun bereit!
Natürlich wünschte ich mir einen Gott.
Der Wunsch schien mir im Leben unerfüllt.
Doch jetzt, vor dem so leicht empfund´nen Tod,
ist mir, als wäre jeder Wunsch gestillt.
Tod II
Als die Bäume Gestalt annahmen
und Stimmen aus den Büschen drangen,
der Himmel wogte wie ein Meer,
die Leute starrten wie zur Wehr:
Strich ein Atem wunden Sinn
zu wunderschönen Melodien
und zog in Ewigkeit sie hin.
So klar, so sicher, so eindeutig, doch
wir glauben es nicht und rätseln noch:
Der Tod ist die Antwort auf all unsere Fragen:
Das Schweigen hat über uns letztlich das Sagen!
Tod III
Die Blüten verblühen.
Doch die fallenden Blütenblätter
reißen kein Loch ins All:
Sie bleiben
ins Sein gezeichnet.
Tod IV
Kein Tor führt ins Leere, kein Ende ins Nichts.
Der Tod ist die Kehre zum Ursprung des Lichts.
Denn das Dunkel ist das Geheimnis des Lebens.
Nur in diesem rätseln wir vergebens.
Tod und Leben
In der Erwartung des Todes
vertrieb er sich das Leben
und stellte dabei fest,
dass er in der Vergangenheit
nicht mehr
und in der Zukunft
noch nicht
und dazwischen,
in der Gegenwart,
mangels Dauer
nicht
und daher überhaupt nicht
lebte.
Schon deshalb
merkte er es auch gar nicht,
dass er trotzdem starb,
ganz abgesehen davon,
dass ihn der Tod daran hinderte.
Tod und Tod
Das Leben ist mir noch so viel wert,
dass ich es mir nicht nehme.
Doch bin ich durch es so beschwert,
dass ich den Tod ersehne!
Todesahnen
Noch schlägt mein Herz,
doch pocht es an der Todespforte.
Noch spür´ ich Schmerz,
doch klingen hohl die Trostesworte.
Wohl tut die Todesnähe,
doch schmerzt der Griff der Sinneswelt.
Ach, wenn sie doch den Schimmer sähe,
der auf sie niederfällt
und jenseits dieser Todespforte
das Nichts durch nichts erhellt!
Todesgesang
O Tod, du bitterer Seele süßes Gift, vernicht´
mich nicht verfrüht im fluchverfinsterten Verzicht!
Der Götter Ruf verhallt, bevor das Schicksal spricht.
Anánke drängt nicht, ändert oftmals unsere Sicht.
Du, Tod, bist sicher, und die Zeit hat kein Gewicht.
Im Leben drängt sie freilich, doch du kennst sie nicht.
Du kommst und bist doch nicht, wirfst Schatten und bist Licht.
Todesmut
Was mich im Leben stets begleitet,
sind meine Tränen, denn es leidet
die Seele in mir immerzu.
Ach, fänd´ ich endlich Todesruh´!
Ach, fänd´ich doch den Todesmut,
sei´s aus Verzweiflung oder Wut!
Warum schreck´ich denn noch zurück?
Glaub´ ich denn nicht an dieses Glück,
zu triumphieren über´s Leben?
Hat nicht ein Fluch es mir gegeben?
Todesnähe
Es kommt einfach so: der Tod scheint nicht fern.
Man denkt viel zurück und lebt nicht mehr gern
und sucht nach dem Gott und findet die Welt,
die letzten Fragen sich nicht mehr stellt.
Der Tod jedoch kommt nicht zuletzt,
denn Sein und Nichtsein sind vernetzt;
gestreckt nur sind sie in der Zeit,
geworden zur Vergänglichkeit.
Der Tod beendet unsere Zeit,
doch unser Sein und Nichtsein bleibt,
nun ohne Gegensätzlichkeit,
und Gott ist dann wohl nicht mehr weit.
Todesschwelle
Ich bin auf die Schwelle des Todes geworfen
und spiele noch etwas Leben,
da mein Leben von vorneherein verspielt war.
Denn der Tod kennt nur Spieler und Verspielte.
Als ob ich nicht immer verspielt gewesen wäre,
unter bitteren Tränen,
denn das verspielte Leben ließ nichts anderes zu.
Doch der Tod kennt nur Spieler und Verspielte
eines verspielten Lebens.
Todessehnen II
Wer sich durch Lebenslügen nicht mehr täuschen kann,
der sieht allein den Tod als wahren Tröster an.
Wie gut, dass man die Toten schnell vergessen kann!
Ein bisschen Freude bietet zwar das Leben an,
doch immer stellt sie sich heraus als Schein und Wahn.
Todessehnen
Die Augen sind vom Weinen ausgebrannt.
Ich spür´ den Regen wie verglühtes Blut,
und zitternd fass´ ich mit der hohlen Hand
an´s Herz und wünsche, dass es endlich ruht.
Noch ist das Messer nicht hineingerammt,
doch die Bereitschaft tut unendlich gut.
Todessehnsucht
Mich drängt der Tod
in Ausweglosigkeiten.
Soll ich denn Hand an mich nun legen?
Ein strenger Gott
lässt es mich noch nicht wagen
und hält mein Leben fest.
Es ist nicht zu ertragen!
Ach, könnt´ ich kurz
und ohne Schmerz
ganz einfach trotzig sagen:
„Das war's!“
und nie und nimmer wieder klagen!
Todessprung
Mir blüht kein Blümlein im Gemüt.
Da ist es trüb, bin lebensmüd´.
Ich wünsche mir ja gar kein Glück.
Von Gottes Güte nur ein Stück.
Ist's Sünde, wenn ich mich belüg´,
mich stürz´, als ob ich Flügel trüg´?
Todestanz
Stumm,
mit starren Gesichtern,
die Tränen gefroren,
reihen sie sich auf
zum Tanz,
und im Takt
einer unsäglichen Musik
zertreten sie ihr Leben.
Und als die Musikanten
nach dem Todestanz,
gebeugt und mit roten Köpfen,
sorgsam ihre Instrumente einpacken,
schweben die letzten Klänge
frei in ihren Ohren,
so dass sie ihr Schweigen nicht hören.
Todestrost
Allein in die Welt geholt,
allein aus der Welt geschieden.
Gerade du warst gewollt
und bist gewollt geblieben!
Tote
All die Toten, mit denen dich viel verband,
schweigen dich an, als hätten sie nie dich gekannt.
Hatten versprochen, falls möglich, ein Zeichen zu geben,
sollten sie irgendwie jenseitig weiterleben.
Allenfalls seltsam kam manches dir dann wohl vor,
kurz nach dem Tod, was bald sich in Zweifeln verlor.
In den Träumen erscheinen sie eher bedrückend.
Läppisch sind ihre Antworten, nicht sehr beglückend.
Wär` es nicht so, wer würde sich nicht das Leben
- grausam, wie es doch ist- im Überdruss nehmen?
Transzendenz des Geistes?
Unsere Fragen jagen
nach den Antworten,
die sie selbst sind
im Geist,
der uns fragen lässt,
um die Antworten
zu verjagen!
Transzendenz
Hinter den Bergen ist Land,
aber bist du nicht.
Nach deinem Tod ist kein Leben,
aber bist du.
Alles ist und über allem ist Gott,
also ist er nichts.
Also bist auch du nichts.
Also kein Tod.
Also Leben im Land ohne dich,
wäre da nicht Gott als Nichts!
Traumtherapie
Du irrst von Ziel zu Ziel,
verfehlst so viel
und möchtest alles überfliegen.
Du wirst Zufriedenheit nicht kriegen
in diesem Spiel,
in dem der Tod wird siegen.
Komm´, setz´ dich einfach nieder!
Du brauchst doch kein Gefieder,
kannst dich als Vogel träumen
in freien Himmelsräumen.
Lass´ dann all deine Tränen regnen,
um dich als Träumenden zu segnen!
Sie sind vom Tod geweiht
für´s Spiel mit deiner Zeit
in ausgeweinter Traurigkeit
und hergeträumter Heiterkeit.
Träumereien
Du wachst aus deinem Traum auf
und fühlst,
es war nur wirrer Schein.
Du wachst aus deinem Leben auf
und fühlst,
es war nur irres Sein.
Wir träumen unser Leben nur,
und uns träumt Gott als sich!
Traumwiege
Plötzlich wieder das warzenbesetzte
Blaugrün, Kreuz der erinnerten Kindheit,
albtraumstill unter weinender Weide
nachts im schwebenden Dunkel,
zieht es, Schmuck zerbrochener Liebe,
leidendes Leben hinter verfall´nes Gemäuer,
wo tagsüber Wildwuchs
den Blick verfängt.
Traurig
Sei nicht traurig über das,
was geschehen ist,
sondern darüber,
dass du traurig bist,
obwohl es bereits geschehen ist!
Triumph
Es gibt unendlich Vieles,
auch das Nicht,
und noch viel mehr, als ist,
ist nicht,
auch nicht das Nichts.
Ach, wär´ ich nie gewesen!
Jetzt will ich nicht mehr sein.
Ach schlief´ ich endlich ein,
um nie mehr zu erwachen!
Das Leben hätt´ nicht sollen sein.
Nur Leid um Leid und bitteres Lachen!
Im Nochnicht- und im Nichtmehrsein
erscheint das Leben winzig klein.
Uns bleibt nur ein Triumph im Leben:
Es lächelnd wieder herzugeben.
Trost II
Ich hab´ mir so viel Trost zurechtgelegt,
in Dir, mein Gott, versucht, den Trost zu finden.
Doch alles wird mit Hohn hinweggefegt.
Die Hölle lässt durch nichts sich überwinden.
Was hält mich davon ab: vom letzten Schritt?
Dass sich die Hölle nicht besiegen lässt!
Sie hält mich selbst im Willen an sich fest.
Und lässt sie los , bekomm´ ich´s nicht mehr mit.
Trost
Ein Leid, das dir widerfährt, ist entweder behebbar oder nicht.
Ist es behebar, dann behebe es!
Ist es nicht behebbar, dann ist es entweder vorübergehend oder von Dauer.
Ist es vorübergehend, dann übe dich in Geduld, auch wenn noch nicht erkennbar ist, dass es vorübergehend ist.
Ist es von Dauer, dann wird es durch Gewöhnung gemildert werden.
Siehst du keinen Ausweg mehr, dann warte auch dann noch ab. Es gibt so viele unvorhersehbare Wenden im Leben. Schon morgen kann sich Neues ergeben!
Und wenn dir jedes Weiterleben als unerträglich erscheint, dann bedenke, bevor du Hand an dich legst, dass dich ohnehin schon in Kürze der Tod ereilen kann, ferner , dass der Tod entweder keine Erlösung bringt, wenn du die Befreiung vom Leben nicht mehr „erlebst“, oder, falls es auch nach dem Tod noch eine Art fühlendes Bewusstsein gibt, es dir möglicherweise noch schlimmer ergeht als im Leben.
Ja, und nicht zuletzt: Ist nicht alles Sein und Nichtsein für unser fragendes Bewusstsein letztlich ein Rätsel? Nenne es Gott und sprich mit ihm wie mit dir! Mir hat das immer wieder, auch in größter Verzweiflung, geholfen, auf völlig überraschende Art und zu völlig überraschender Zeit.
Lebensprinzip
Jeder der seltenen und kurzen Freuden im normalen Leben kommt angesichts des weitaus tiefer empfundenen, weit überwiegenden Leides nur die leidvolle Bedeutung zu, eine lindernde Gewöhnung an das Leid oder dessen endgültige Beendigung durch einen selbstgewählten Tod dadurch zu verhindern, dass man immer wieder Hoffnung schöpft, was überdies den Freuden die zynische Funktion verleiht, aufgrund der dann mit jedem Leid zwangsläufig verbundenen Enttäuschung umso schlimmer zu leiden.
Wir können zwar, rational gesehen, nicht an einen Gott im Sinne einer allgemeinen Transzendenz zweifeln, da wir geboren sind, letzte Fragen zu stellen, ohne sie – schon wegen der Selbstbezüglichkeit nicht – je beantworten zu können, außer mit unüberschreitbaren Grenzen unseres Erkenntnisvermögens. Aber ein solcher deus absconditus ist für das Leben ohne Bedeutung (etsi deus non daretur). Doch wer an einen lebensrelevanten Gott glaubt – ich selbst bin immer wieder nahe daran - , muss sich die Frage gefallen lassen, ob der daraus geschöpfte Trost nicht bei Gott, sondern lediglich im bloßen Glauben liegt, und warum es erst eines solchen Trostes bedarf, der für die meisten Menschen – auch bei entsprechendem Bemühen – unzugänglich ist, zumal wenn er erst auf ein Jenseits verweist
Trost IV
Sobald du traurig bist, such´ die Natur!
Sie weint nicht, sie lacht nicht, sie ist einfach nur.
Sie ist gewaltig! Wo bleibt deine Spur?
„So wichtig ist nichts“, heißt ihr ewiger Schwur.
Trost?
Wir weinen unsere Augen wund.
Wir leiden schlimm, doch nicht allein.
Gott ist der allerletzte Grund.
Kein Grund kann daher besser sein.
Gott ist nicht glücklicher als wir:
Er lässt uns doch nicht boshaft leiden!
Er ist in uns, ist Jetzt und Hier,
Geborgenheit uns zu bereiten.
Trost ohne Hoffnung
Es gibt kein Leben ohne Leid.
Mag auch vergeh´n, was dich jetzt quält,
die nächste Qual steht schon bereit,
und kurz nur jede Freude hält.
Drum lass´ dich nicht auf Hoffnung ein.
Enttäuschung bringt nur weiteres Leid!
Lass´ dir als Trost die Einsicht sein:
Es heilt und lindert doch die Zeit.
Mag auch dein Schmerz nicht bald vergeh´n,
so stellt sich doch Gewöhnung ein;
du wirst die Welt bescheid´ner seh´n,
mit Weniger zufrieden sein!
Und immer denke an den Tod!
Schon morgen kann er dich befrei´n.
Du hast nichts mehr davon? Die Not
ist dann doch immerhin noch Sein!
Trost V
Ohne Finsternis gäb´ es kein Licht.
Ohne Leid gäb´ es Freude nicht.
Lass dich daher auch durch schlimmes Leiden
zu der Suche nach der Freude treiben,
mag sie auch im Kleinen nur verbleiben!
Trost VI
Nur die Sterne sind's im All, die strahlen.
Sonst herrscht überall nur schwarze Nacht.
Dort kann Finsternis jedoch nicht wallen,
ohne dass sie Sternenlicht bewacht!
Trost VII
Es sind die gleichen Tränen,
die das Auge lacht und weint.
Unter den Wolken wir uns grämen,
obwohl die Sonne darüber scheint.
Trost VIII
Nur weil sie Wachs bremst,
bleibt die Kerzenflamme.
Nur weil du Leid kennst,
zehrst von Freud´ du lange.
Trost
Der einzige Trost, der uns bleibt:
Es geht nicht ohne Leid!
Und bleibt es uns heute erspart,
so werden wir doch nur genarrt:
Es kommt dann eben morgen.
Dagegen kann man nicht sorgen!
Trostlos?
Ach, was bedeutet Glück im Jammertal des Lebens?!
Es macht das Leid nur schlimmer, Hoffnung bleibt vergebens.
Ja, füll´dir nur die Vase für den Augenschmaus!
Noch heute schlägt dir eine Faust das Auge aus!
Oh, wer nicht trugestrunken sich verleben lässt,
dem ist das Leben Fluch, er hasst es wie die Pest.
Im Gott find´ ich nicht Trost, er ist des Leidens Grund.
Er mag mich einst erlösen, ich leid´ in dieser Stund´!
Und doch ist gut, zu wissen, dass Gottes Wille wirkt:
Was kann es Bess´res geben? Man lebt in ihm und stirbt!
Trotz
Welch Wohlgefühl stellt sich doch ein,
sagt man zu etwas trotzig: nein!
Zu etwas, was sie alle tun.
Da haben sie es also nun!
Da, wo ein Ja erwartet wird,
prangt nun dein Ich ganz ungerührt.
Ein Fest: Du schließt dich einfach aus.
Alleinsein ist dein liebster Schmaus.
Und sollst du tun, was alle täten:
Nein, du spinnst deine Lebensfäden.
Und gehst du dadurch auch zugrunde,
so schlägst doch du die letzte Stunde.
Trug
Das irrende Licht ferner Fahrt durch die Nacht
malt Schattenmuster auf altes Gemäuer,
als wäre von Geisterhand entfacht
ein stummes, mondscheinkaltes Feuer.
Ein Gedanke nur, dann verhuscht der Spuk,
der Gedanke, er sei ja auch selbst nur Trug.
Trugschluss ?
Ich klage und schlage gegen die Wand
und handele so ganz ohne Verstand,
denn Schicksal kennt nun mal keinen Sinn,
so wenig, wie dass ich geboren bin.
Doch dass ich mein Leben nicht einfach beende,
beweist: Es gibt irgendwie schützende Hände.
Tränen an Gott
Ich kann an Gott nur unter Tränen glauben,
So voller Leid ist doch mein ganzes Leben.
Doch kann ich mir ein Urteil nicht erlauben.
Er hat es mir aus höchster Macht gegeben.
Es bleibt mir nur, ihn innigst anzuflehen:
Lass doch mein Leben bald zu Ende gehen!
Tränenlos
Man hat mich in die Welt gestellt
und vorher nicht gefragt.
Man hat mich in der Welt gequält
und Freuden mir versagt.
Erlösung bringt auch nicht der Tod.
Man kann sie nicht mehr spüren.
So ausweglos ist meine Not,
kann Tränen nicht mehr rühren!
Tränenschatten
Unsere Nächte sind aus den Schatten gewirkt,
die alle Tränen aller Tage
auf dem unendlichen Weg
zu den Sternen auf uns werfen,
wenn wir die Lider schließen,
um die Tränen nicht zu verlieren,
die unsere Träume,
die Fetzen der durchlittenen Tage,
in die innere Ewigkeit spiegeln.
Träumerei II
Wir werden von uns selbst geträumt
und, wenn wir sterben,
wachen wir auf und denken:
„Schade!“
oder
„Gottseidank!“
oder
„So ein Blödsinn!“
oder
wir wissen von nichts mehr!
Träumerei III
In der Nacht versinken wir
von einem Traum in den anderen.
Am Tag erwachen wir
aus einem Traum in den anderen.
Träumerei
Ich sehne mich nach Schlaf
mit einem wachen Traum,
in dem ich schlafen darf,
um Träume anzuschaun.
Träumereien
Unsere Träume
sind ein Zerrbild der Wirklichkeit.
Und diese
ist ein Zerrbild unserer Träume.
Wir werden von uns selbst geträumt
und wachen mit dem Tode auf
als Gott in dessen Traum,
den er uns träumen lässt.
Träumereien II
Das Sein ist ein Traum,
der sich selbst träumt,
mit Träumen,
die sich selbst träumen
als Licht, das sich selbst leuchtet,
als Schatten, die sich selbst werfen,
als Kreisel, die sich von selbst drehen,
als Spiegel, die sich selbst bespiegeln,
mit Träumenden,
die Wachsein träumen
als Traum ihrer Träume
hinter den ewig geschlossenen Lidern,
die sie, in ihrem Traum geträumt,
als nur geträumt träumen.
Träumereien
Wir leben in einem Wachtraum, in dem wir auch schlafen und Schlafträume haben. Irgendjemand träumt uns (einschließlich unseres Schlafes und unserer Träume) als Zerrbild seiner Wirklichkeit, die wiederum von jemandem als Zerrbild von dessen Wirklichkeit geträumt wird usw. Auch diejenigen, die wir träumen (einschließlich von uns selbst), träumen ein Zerrbild ihrer Traumwirklichkeit mit Geträumten, die wiederum ein Zerrbild ihrer Traumwirklichkeit träumen usw.
Zuerst träumt Gott. Er träumt sich auf die geschilderte Weise durch bis zum verzerrtesten Zerrbild seiner selbst und schließlich bis zur totalen Selbstauflösung. Wacht er auf, ist die Kette der Traumgestalten erlöst. Und Gott schüttelt über sich den Kopf und fragt sich, wie er denn einen solchen Mist träumen konnte.
Dann bemerkt er, dass er sich lediglich zu lange in den Spiegel gesehen und dadurch selbst hypnotisiert hatte, was ihm nicht weniger beunruhigend erschien. Ob Schlaf-, Hypnose-oder Wachträume macht doch keinen großen Unterschied. Wachträume? Ist er sein Wachtraum? Es gibt niemanden, der dies beurteilen kann, schon gar nicht ohne jeglichen Traum!
Träumesträume
Wir träumen unser Leben, und wenn wir erwachen, im Tod, werden wir geträumt, dass wir unser Leben träumen und, wenn wir erwachen, im Tod, geträumt werden, unser Leben zu träumen und, wenn wir erwachen, im Tod, geträumt zu werden, unser Leben zu träumen....
Tröstende Natur
Den besten Trost gibt die Natur.
Sie ist nicht traurig und sie schweigt.
Was ist es, was sie dadurch zeigt?
Wie alles sind wir einfach nur!
Sind wir so wichtig? Warum bloß?
Nur weil wir sind, mit unserem Los?
Wir haben uns doch nicht geboren,
und jedes Leben geht verloren!
Wir sind Natur und einfach da.
Auch Leid bedeutet nichts als „Ja“!
Ein Baum starrt einfach vor sich hin
und, leiden wir, ist´s unser Sinn!
Trüber Tag
Eine Flucht in den Nebel
über sumpfige Wiesen
und schlammige Felder
In tropfende Wälder,
allem entrissen,
nur nicht sich selber.
Eine Flucht in den Nebel,
um sich selbst zu stellen.
Trügerisch
Die Sonne hat
die kahlen Bäume,
die schwarzen, langen Schatten
in den weißen Schnee gezeichnet.
Der Mond hat alles,
alles mild verzaubert.
Am nächsten Tag
hat sich ein Massenmord ereignet.
Lawinen!
Die Natur hat nicht geschaudert.
Trügerische Perspektive
Es klagt der Mensch, solang´ er lebt,
und gibt sich nicht zufrieden,
da er im Geist im Himmel schwebt,
wie er ihn sieht hienieden.
Typ Normal
Zwischen Kirche und Kuhstall aufgewachsen,
stand ihm die blanke Normalität
im Gesicht geschrieben.
Alles, was anders war, überforderte ihn,
und er hasste es daher.
Und so war er,
als man ihn einen Idioten schalt,
natürlich gehorsamst beleidigt.
Typisch Herbst
Das Herbstlaub sei wie Blut und Eiter,
die Sonne fahl wie Totenglanz.
Er wisse einfach nicht mehr weiter!
Er torkelte. Sein letzter Tanz.
Dann torkelte auch sein Begleiter.
Die Gründe klärten sich nie ganz.
Das Wetter blieb noch lange heiter.
Typisch Leute
Sie brauchen alle jeweils ihren ganzen Kopf,
um mich anzuschauen.
Ich starre tapfer zurück.
Ihre Blicke kehren um, nach innen,
einige flackern wie Irrlichter.
Aus ihren Gehirnen tönt´s:
Was ist denn mit dem da los?
Ich höre mich in Gedanken sie sanft fragen:
Was würdet ihr denn anders machen,
wenn ihr nicht, wie zufällig, ihr,
sondern ich wäret?
Sie aber brauchen wieder ihren ganzen Kopf,
um wegzuschauen.
War das die Antwort?
Soll ich wegschauen,
soll ich weg sein,
bin ich jetzt weg?
Tödlicher Streit
Es starren die Wälder
und strecken sich Wiesen und Felder,
und du ruhst hinter Gedanken
am Wasser im Leid,
zum Tode bereit,
ihm endlich geweiht.
Wie oft schon brachst du den Stab!
Ach, wende sich dieses Mal ab
die rettende Zeit!
Der Weg war weit.
Du schiedest im Streit,
der nicht mehr schreit.
Und niemand wird im Sinne wanken.
Unendlich
Letztlich weist all unser Denken
ins Unendliche hinein.
Nicht einmal läßt sich beschränken,
was uns endlich scheint zu sein.
Denn auch Grenzen scheiden nicht:
lassen sich unendlich teilen,
was doch für ein Leben spricht,
welches mehr ist als Verweilen
oder gar als es durcheilen.
Zeit und Raum sind unverständlich.
Zeit-und raumlos heißt: unendlich!
Unendlichkeit
Schreiend treten wir ins Leben,
lächelnd treten wir wieder ab.
Jedes Leben bringt Fluch und Segen,
bleibt für den Tod denn nur das Grab?
Trügt all unser Vertrauen und Sehnen?
Lügt uns das Leben einen Gott,
wie die Götter der alten Hellenen
heute nur Grund sind für Hohn und Spott?
Hebe den Blick zum nächtlichen Himmel!
Siehst du denn nicht die Unendlichkeit
hinter all dem Sternengewimmel?
Schließe die Augen: Sie ist nicht weit.
Unendlichkeit und Nichts
Wir erfahren die Unendlichkeit nur im Nichts,
dem unendlich teilbaren Augenblick
zwischen dem Nicht- Mehr und dem Noch- Nicht,
dem unendlich teilbaren Punkt auch im Raum,
dem Nichts, das es aber nicht geben kann,
sonst wär´ es ja was; und doch ist aus ihm,
dem unendlich kleinen Teil das ganze
Sein in der Zeit und im Raum; und unendlich
erstrecken sich diese, doch worin denn anders
als im nur noch übrig bleibenden Nichts?
Das Alles liegt so im Nichts! Undenkbares
denken zu können: Der Kreis schließt sich
unendlich im „Pi“, also nie und im Nichts!
Unerbittlich
Die Zeit verfolgt, bedrängt das Leben.
Es ist uns nicht und doch gegeben.
Ich will es nicht und nehm es doch.
Der Tod ist sicher, wartet noch.
Ich blinzele mit trübem Sinn
zum grenzenlosen Horizont.
Der Himmel fällt dort auf ihn hin,
wo Auf- und Untergang sich sonnt.
Ein kleines Kind seufzt silbern auf.
Die Mutter lächelt still entrückt.
Ein Hund zieht schnuppernd seinen Lauf.
Was hat das kleine Kind bedrückt?
Ein Vogel pickt, der Vogel fliegt.
Scheu bangt er um sein Leben.
Verschlafen eine Katze liegt
im Warmen, ohne sich zu regen.
Ich gehe heim, der Tag wird Nacht.
Wo hat die Zeit mich hingebracht?
Der nächste Tag bringt wieder Leid.
So unerbittlich ist die Zeit!
Unerfüllbar
Ich möchte manchmal unsichtbar sein können.
Dann könnt´ ich mich an andere gewöhnen.
Auch würde ich ganz gern Gedanken lesen.
Kein Rätsel wären wir dann andere Wesen.
Und hätt´ ich noch die Fähigkeit, zu fliegen,
wär´ ich vielleicht auch mit mir selbst zufrieden.
Ungedanken
Ich denke nie, nicht einmal in Gedanken. Vielleicht im Traum – aus Versehen -,
aber das träume ich bloß. Halt, einmal habe ich gedacht, dass ich denke. Das
war aber nur ein Hirnschnackler und auch nur in meinem Knie. Alle sagen, ich bin blöd, obwohl ich doch dazu viel zu blöde bin! Ich weiß nicht einmal das Eins und Eins Zwei sind! Wenn ich mich selbst zähle, komme ich immer auf Zwei: einer zählt, und einer wird gezählt. Ich sehe aber nicht einmal einen Einzigen! Und wenn ich einen Spiegel hernehme, dann sehe ich nur einen Halben, nur von Vorne, ohne Hintern.......
Ungesellig
Ich gehe nicht unter die Leute.
Da passe ich einfach nicht hin.
Dort bin ich nur die Beute
von fluchthaft frohem Sinn.
Unbegreifbar – gottseidank!
Die Unbegreiflichkeit der Welt,
sie ist es doch, die uns beseelt
und uns mit unseren Traumesschwingen
durch Finsternis sowie durch Licht
in Tiefen und in Höhen trägt,
um uns ins Fraglose zu bringen,
wo Sein ist und zugleich auch nicht
und ohne Zeit das Herz uns schlägt.
Zu Gott zieht uns die Fantasie,
zum Glück erreichen wir ihn nie!
Unkreise
Der Kreis ist nicht rund,
und die Zeit dreht sich an der Vergangenheit vorbei,
ohne je Zukunft zu werden.
Und Sein und Nichtsein kreisen im geschlossenen Kreis des Nichts
um den zeitlosen Zeitpunkt aller Gegenwarten.
Unser Licht
Wir alle waren einmal nicht.
Und werden einmal nicht mehr sein.
Im Dunkeln flackert unser Licht.
Und was wir sehen, ist der Schein.
Und was wir spüren, ist ein Hauch.
Wir seh´n ihn nicht, die Flamme winkt.
Streift er die Dunkelheit denn auch?
Kommt er vom Nichts, das uns umringt?
Unsichtbar
Ich seh´mich aus der Welt weggehen.
Ich sehe nicht, wohin ich gehe.
Das Nichts ist ja auch nicht zu sehen.
Und was ist das schon, was ich sehe!
Unsinn
Wir tragen die Faust in unseren Händen,
das Paradies als Hölle im Sinn.
Ach, wenn wir unsere Seelen fänden!
Wir gäben uns dem Unsinn hin!
Wir spüren unseren Tod im Leben
und nennen ihn Vergänglichkeit.
Was wollen wir denn da erstreben?
Es bleibt der Tod und vorher Leid.
Unsterblichkeit
Ja, selbst die Götter sind gestorben,
doch wissen wir: Sie sind nicht tot!
Unsterblich sind sie so geworden,
denn hierfür ist, zu sterben, not.
Nicht weil Gestorb´ne nicht mehr sterben,
nein, weil sie sind und nicht mehr werden.
Unter Bäumen
Im Tagtraum unter windbewegten Bäumen
gewahrst du deine Lebensuhr sich spiegeln:
Astzeiger pendeln, Riegel mit tausend Siegeln;
die Zeit läuft aus in Blätterwirbelschäumen.
Unvermögen
Wir hören im Schweigen nur immer Worte
und sehen im Raum auch immer nur Orte
und glauben an ein Vergehen der Zeit.
Wir sind zum Leben und Sterben bereit,
zu mancher Freude und vielem Leid.
Wir stehen blind vor der offenen Pforte
zur seligmachenden Sinnlosigkeit.
Unwirklichkeit
Das Leben ist Plage,
Erlösung der Tod.
Das Leben ist Klage,
das Echo der Tod.
Das Leben ist Frage,
die Antwort der Tod.
Das Leben ist Zeit,
die Ewigkeit
des Todes schon immer:
Noch nie und nimmer
auch nur ein Schimmer
ist Wirklichkeit!
Der Atem ist Wahn,
der Tod ohne Plan:
Zeitlosigkeit!
Unzufriedenheit
Jetzt in der Dunkelheit
erwarten sie das Licht.
Jedoch die Helligkeit
genügt ihnen dann nicht.
Denn Schatten bleiben immer
und Seelen sind Dickicht,
das Sonnenstrahlen filtert
und kleinteilig zerbricht.
Urkugel
Die Kugel ist nicht rund,
sondern ruht
als Raum
in sich
zeitlos.
Und die Zeit
ist kein Pfeil,
sondern kreist
als Kugel
in sich
raumlos.
Archimedes findet,
selbst allseits umkugelt,
keinen Punkt,
um die Erdkugel
aus den Angeln zu heben.
Urschrei
In unfassbarer Regelmäßigkeit
unaufhaltsamer Perioden
dreschen unerbittlich
Rollkommandos des Schicksals
in gnadenloser Serie
Schlag auf Schlag
bis zum letzten Blutstropfen
auf einen ein.
Und aus bebender,
sinnvernebelnder
Ohnmacht platzt,
nervzerreißend
und doch noch
an einem Faden des Willens,
vulkanös
hirn – und herzlähmender
Urschrei,
urgründiger,
tiefentwurzelter,
todes – und mordbereiter
Wut,
sich überschlagend
und alles vergessend,
nur nach Entleerung
in Selbstzerstörung
lechzend
ins totenstille Nichts,
das verbleibt,
wenn plötzlich nur noch
das bleischwere Herz
im kribbelnd schwebenden Körper
mit berstenden Schlägen
die hechelnde Lunge
zu sprengen droht
und Sturzbäche
aus den Augen brechen,
loser, tosender, hemmungsloser
Lebensfluss.
Valentiniade
I geh net zu di Leit.
Do paß i net hi.
Die Leit solln zu sich selber hi.
I geh bloß zu mir selber hi.
Drum bin i am liebstn do,
wo i alloa bin;
do paß i grod no hi.
Scho a oanziger Leit is mia z´vui.
Do kriag i Platzangst,
des hoaßt, dass i do vo lauter Angst platz´!
Die ständige Feierei und Einladerei!
Warum macha si d´Leit ´s Leb´n no schwarer,
ois wia `s eh´scho is?
Valentiniade II
Das Ehepaar bereitet sich auf den Kirchgang vor. Alles geht schief.
Er: Dann bleiben wir eben daheim!
Sie: Der Herrgott will aber, dass wir in die Kirche gehen!
Er: Dann soll er uns halt lassen!
Sie: Versündige dich nicht!
Er: Wieso?Er bleibt doch auch daheim!
Sie: So redet man nicht über den Herrgott!
Er: Warum nicht?
Sie: Weil wir das nicht verstehen auf dieser Welt.
Er: Ja, ja, was weiß man denn schon von der Welt? Nichts, rein gar nichts – nicht einmal, dass es
eine gibt!
Sie: Na, na, na, dich wird es aber schon geben, oder?
Er: Das glaube ich nicht.
Sie: Dann rede nicht so saudumm daher!
Er: Warum nicht? Das darf ich doch, wenn es mich gar nicht gibt!
Variationen zu einer Konvention
Den Hut zu lüften, ist hygienisch.
Den Hut zum Gruß zu lüften, ist höflich.
Den Hut beim Gruß aufzubehalten, ist unhöflich.
Den Hut des Begrüßten zu lüften, damit es diesem erspart bleibt, ist zuvorkommend.
Den Hut des Begrüßten zu lüften, der dies unterlässt, ist penibel.
Den Hut des Begrüßten zu lüften, nachdem er es schon getan hat, ist albern.
Den Hut des Begrüßten zu lüften, nachdem er es unterlassen hat und schon weitergegangen ist, ist nachtragend.
Den eigenen Hut dem Begrüßten, der keinen trägt, zum Lüften aufzusetzen, ist optimistisch.
Den eigenen Hut dem Begrüßten, der keinen trägt, zum Aufbehalten aufzusetzen, ist spendabel.
Den eigenen Hut dem Begrüßten, der keinen trägt, zum Lüften aufzusetzen und selbst zu lüften, damit es diesem erspart bleibt, ist fürsorglich.
Den eigenen Hut dem Begrüßten, der keinen trägt, zum Lüften aufzusetzen und selbst zu lüften, weil er dies unterlässt, ist schon etwas entrückt.
Überhaupt nicht zu grüßen, ist verrückt!
Verbitterung
Ich habe ihnen alles gegeben,
sogar mein Selbst; sie haben´s zertreten.
Die Hölle war´s, mit ihnen zu leben.
Mein Tod sei Fluch, ich pfeife auf Segen!
Verderben
Ich lebe nur noch im Verderben
und wünsche mir, jetzt gleich zu sterben.
Hör´eine Jugendmelodie.
Wie war die Welt doch so vertraut!
Ach, glücklich war ich zwar noch nie,
jedoch war mir ein Nest gebaut.
Kaum flügge, hat man mich gerupft.
Ich bin in Träume weggeschlupft.
Aus ihnen werde ich vertrieben,
bin daher immer auf der Flucht.
Ich bin ein Träumerkind geblieben.
Ach, weck´ mich, Gott, mit Todeswucht!
Verfehlter Blick
Wir blicken träumend in die Weite,
wo sich die Welt vor uns verbirgt,
und sehen nicht an unserer Seite
das Spiegelbild, das Wunder wirkt.
Dann schließen sinnend wir die Augen.
Das Spiegelbild bedeckt ein Schatten.
Wir ahnen, ohne es zu glauben,
dass wir den Blick gezirkelt hatten.
Verflirrt
Selten, aber es gibt sie doch:
Augenblicke der Seligkeit.
Gottseidank, du lebst dann noch,
zehrst davon eine Ewigkeit.
Seelen, die der Zufall rührt,
klingen kurze Zeit zusammen,
bis ihr Schicksal wieder führt,
das sie klanglos hält gefangen.
Lebensfluch
Was kann ich dafür, geboren zu sein?
Warum muss ich leben, nur um zu leiden?
Auf jede Freude, sie sei noch so klein,
folgt unerbittlich, um Rache zu zeigen,
Verderben. Das Leben ist so gemein,
uns selbst das Sterben zu verleiden,
denn tot kann man uns nicht befrei´n!
Vergangenheit
Was war,
bleibt in der Zeit,
auch die Toten.
Und die Überlebenden
sind Gespenster
ihrer Erinnerung
Vergessen
Er wurde alt.
Er wurde alt und vergaß, was ist.
Er wurde alt und wusste nur noch, was früher war.
Er wurde alt und vergaß, was früher gewesen.
Er wurde alt und vergaß vorgestern sich selbst.
Er wurde jung jetzt, da er auch das Vergessen vergaß.
Vergesslichkeit
Er war so vergesslich,
dass er sogar das Vergessen vergaß,
und daher niemand
seine Vergesslichkeit bemerkte.
Vergiss dich!
In dieser Dunkelheit und Stille
weißt du nicht, ob jemand anderes da ist,
fragst du: „Ist da jemand?“,
erhältst du keine Antwort,
tastest du dich ins Leere,
fühlst du dich belauert,
bemühst du dich, an Einbildung zu glauben,
lässt du dich nieder,
schließt du die Augen und weinst und schläfst,
bis es dir gleichgültig ist, dass du bist,
und daher auch, ob da noch jemand anderes ist.
Vergänglichkeit
Es riecht nach Moder und morschem Holz
im düsteren Winkel des verfallenen Hofes.
In fantastischer Landschaft
aus gebröckeltem Putz an verwitterter Mauer
sind Gestalten erstarrt, Gesichter zu Masken.
Fratzen sind es wohl auch,
aus verwestem Gewölk.
Der Blick fragt empor zum verhangenen Himmel
und fällt zu Boden, hinab
auf grasumwuchertes Pflastergestein.
Leben muss sein.
Verirrtes Licht
Ich sehe in den Wolken ein Gesicht
und blicke nieder.
Im Schlamm des Weges seh´ ich's nicht.
Doch im Gestrüpp seh´ ich es wieder.
Ich schließe meine Lider
und seh´ es wieder.
Ich kenne es und kenn´ es nicht,
und sehe es nie wieder.
Und wie es aussieht, weiß ich nicht,
wie Schlamm nicht,
eher wie verirrtes Licht.
Verlass
Und wirfst du weinend dich aufs Bett,
sitzt Gott schon da, hält deine Hand:
„Ich nehm´ dir deinen Schmerz nicht weg.
Er ist von mir. Doch dein Verstand
kann- mir sei Dank!- nicht alles fassen.
Vertraue mir, ich bin bei dir!
Es gibt nichts Bess´res als von mir!
Auf nichts kannst du dich so verlassen.“
Verlassener Garten
Ein dicht verwachsener, wilder Garten,
die Überreste eines Zauns:
Die Zeit ruht still, ohne zu warten,
und nachts herrscht hier der Geist des Grau´ns.
Am Tage – wie seit eh und je -
die Vögel zwitschern ohne Weh.
Der Mensch setzt Spuren, die Natur
lässt ihn gewähren und bleibt stur.
Verlieren
Das Leben zwingt uns in die Schlacht.
Zum Schlachten werden wir geboren.
Weh´ dem, der aus dem Staub sich macht!
Er hat der Götter Gunst verloren.
Drum steig´ im Trotz ich von dem Pferd
und lass mich auf dem Boden nieder.
Das Leben ist mir nicht mehr wert
als der Verlust der Schlacht, ihr Sieger!
Verloren
Ich verliere mich
in Straßen, Plätze, Parks,
Kirchen und Friedhöfe,
hinaus in Felder, Wiesen, Wälder,
hinein in die Nacht der Seele
und hinauf in einen geträumten Himmel,
der mir die Hölle bedeutet,
und finde den Tod nicht
auf dieser verlorenen Suche.
Ich höre die Toten schweigen
und kenne die Lebendigen nicht,
die mir überall, überall
entgegenprosten.
Verweint sind auch ihre Augen
in ihren heimlichen Spiegeln
der Trostlosigkeit.
Gebet um Gebet steigt auf
wie der Nebel,
der sich immer auflöst.
Ist's Erlösung?
Verlorene Gelegenheit
Sieh´, diese Bettlerhand,
sie bittet nicht um eine kleine Gabe,
sie bietet Dankbarkeit dafür!
Und du gehst weiter
wie dein Leben,
das sich dir nie geboten hat.
Es sinkt die Bettlerhand,
nicht wie die Sonne bis zum Morgen,
nein, wie ein ferner, kleiner Stern
im Spiegel eines Kinderauges
versinkt für immer!
Verlorene Zeit
Der Tag verlor ein wenig Zeit,
verlor sie an die Ewigkeit,
vorbei an der Erinnerung.
Um zu vergeh´n, war sie zu jung.
Sie wartet, bis der Tod dich nimmt,
für diesen Augenblick bestimmt.
Verlorener Sohn
(Christians Graf-Lüge)
Ich habe einen Sohn verloren.
Er ist nicht tot. Er lächelt kühl:
Es sei ein Traum! Ich hielt zu viel
von ihm, drum hab ich ihn verloren.
Ich habe einen Sohn verloren.
Drum bin ich tot. Er lächelt kühl.
Es war ein Traum. Ich hatt´ ihn viel
zu lieb, drum hab ich ihn verloren.
Ich habe einen Sohn verloren.
Er ist nicht tot. Er lächelt kühl.
Ich gäb´ ihm gerne mein Gefühl.
Doch ich bin tot für ihn, verloren.
Ich habe einen Sohn verloren.
Er ist nicht tot. Er lächelt kühl.
Er bleibt mein Traum. Kein Kind im Spiel
mehr. Dazu ist er nicht geboren.
Verlorener Tag?
Oh je, jetzt geht der Tag dahin.
Und ich weiß noch gar nicht, ob ich schon bin.
Ich sollte vielleicht jetzt endlich was tun.
Doch alle, die tun, sind nur zu faul,
nur einmal einfach so zu ruh´n.
Mir ist, als stänke ich aus dem Maul.
Und morgen ist's eh schon zu spät oder wurscht.
Wer Wasser trinkt, den drängt halt der Durscht.
Wer nichts vollbringt, bleibt ein Hanswurscht.
Wer etwas schafft, bleibt doch nicht dabei.
Also aufgerafft zum Einerlei!
Verlorenes Spiel
Das Sein spielt ständig mit sich selbst,
obwohl es jedes Spiel verliert.
Und du, als Seiender, verhältst
dich ebenso, ganz unbeirrt.
Verlierst dann einmal auch dein Leben
so spielend, wie es dir gegeben.
Was also kümmert dich dein Leid?
Ein Spielverlust im Spiel um Freud´!
Vermessenheit
Horch amoal,
maanst gwieß,
blouß waal st lebbst,
mouß da aa goud gäih?
Verratenes Gefühl
Die Stille spielt mir das Lied,
wie der Krieg den Frieden verriet,
wie der Friede die Sehnsucht verriet,
wie die Sehnsucht die Liebe verriet
und die Liebe das stille Lied.
Die Stille spielt mir das Lied,
wie ihr Spiel nun sie selbst verriet.
Versklavtes Leben?
Ist's möglich, einem Schluchzen Sinn zu geben?
Ist eines Sinnes Sklave unser Leben?
Nein, Gottes Freiheit lässt im Sein uns streben.
Wir leiden alle, um uns zu bewegen.
So soll sich Selbst – und Nächstenliebe regen!
Versuch eines Trostes
Du bist erwacht,
hast einen Tag geschenkt bekommen,
noch nicht verbracht.
Was magst du draus?
Es bleibt dir unbenommen.
Du kannst ihn weiterschenken
an das Morgen, an die Sorgen.
Du kannst ihn auch verschwenden
an Gestern, die Erinnerung.
Warst du nicht gestern schon so dumm?
Wenn dieser Tag dir nicht gelingt,
so bist du doch noch nicht gestorben.
Und weißt du´s denn: Gibt es ein Morgen?
Genieß´ die Sonne, wenn sie sinkt,
und wenn sie einen Tag dir bringt,
und auch die Nacht, des Todes Kind!
Du willst jetzt lieber sterben?
Doch was soll die Befreiung?
Du wirst sie nicht mehr merken!
Und einmal stirbst ohnehin.
Was hat es jetzt für einen Sinn?
Was kann sich alles noch ergeben!
Der Augenblick ist nichts und Leben.
Und dieser Tag, der dir gegeben:
Leb´ ihn, als sei er ein Roman:
Wie interessant er doch sein kann!
Vertrauen
In den Augen
- sind sie nicht alles? -
hohler Hoffnung
brennt
der matte Blick
flackerder Sehnsucht
und erlischt,
brennt
das Salz
der trockenen Tränen
ungekühlter Seele
- ist sie nicht alles? -
im Eis
der ewigen Enttäuschung.
Das ist alles.
Verträumt – verspieltes Leben
Verronnen ist im Traum ein müdes Leben.
Gesprung´nes Glas mit bitter-süßem Wein
lässt welke Lippen todestrunken beben.
Aus scheu verlor´nem Spiel weicht letzter Stein.
Blickeins lässt man das Glas zum Wohl erheben.
Das Sonnenlicht scheint wie Kristall zu sein.
Versonnen und verspielt setzt milder Regen
mit sanftem Zögern leise weinend ein.
Verträumte Farbenbögen sich erheben,
gewirkt aus Tränen: Trost durch flücht´gen Schein!
Verträumt
Ein Leben lang vom Paradies geträumt,
ein Leben lang verloren und versäumt,
und jetzt, da die Träume in Schattentränen zerrinnern,
verträume auch ich, um Wachheit, oh Gott, zu gewinnen.
Verträumter Himmel
Dort weint ein Kind,
und ganz bestimmt
weint irgendwo ein Greis.
Dich streift ein Wind,
die Zeit verrinnt,
du träumst vielleicht – wer weiß? -
und lächelst blind,
wo Engel sind.
Verträumtes Leben
In der Nacht träumt die Seele.
Am Tag träumt der Sinn.
Im Traum lahmt der Wille.
Und ein hellwaches Schicksal
rafft alles dahin,
schafft traumhafte Stille.
Verträumtes Leben
In der Nacht träumt die Seele.
Am Tag träumt der Sinn.
Im Traum lahmt der Wille.
Und ein hellwaches Schicksal
rafft alles dahin,
schafft traumhafte Stille.
Verwunschenes Gelände
Im verwilderten Garten pflück´ ich mir eine Frucht
und leg´ mich ins kniehohe Gras.
Da seh´ ich im Baum plötzlich was.
Schon trifft mich auch was mit Wucht und jemand flucht:
„Hau´ ab, sonst erträumst du was!“
Ich flüchte und werfe voll Hass
die Frucht in den Baum und es hallt wie aus einer Gruft!
Theogonie
Ich verzichte
nach diesem höllischen Leben
auf ein evtl. Leben nach dem Tod.
Mag es auch Erlösung bringen,
ungeschehen kann sie nichts machen.
Dann lieber die Rückkehr
ins grundehrliche Nichts,
aus dem ich ungefragt
gerissen worden war,
wenn sie endgültig bleibt,
mein umtriebiger Herr!
Verzweiflung
Du hast mich immer wieder
aus tiefem Leid gerettet.
Du schlägst mich weiter nieder.
Ich bin an dich gekettet.
Du stürzt mich immer tiefer!
War das der Zweck der Gnade?
Bin ich ein Ungeziefer?
Schufst du mich denn als Made?
Ich kniee weiter nieder.
Erlöse mich nicht wieder!
Nimm mich zu dir, ich fleh´,
damit ich dich versteh´!
Verzweiflung
Die Geburt ist eine Unverschämtheit.
Das Leben ist eine Zumutung
und jeder Geburtstag ein Strich
auf der Zählliste des Teufels.
Die Hölle ist auf Erden
und der Himmel ihr Dach.
Visio obscura
Wenn es dunkel wird
im November,
nass und kalt
sich ein Wind verirrt,
ein Kalender -
spruch verhallt,
träum´: Ein Engel schwirrt,
wirbelt Bänder,
Licht erstrahlt.
Wo es sich verliert,
dunkeln Ränder
zur Gestalt.
Visionen
Nein,
die Blüten, an denen du riechst,
fallen.
Nein,
die Menschen, mit denen du sprichst,
lallen.
Ja,
die Sterne, zu denen du siehst,
strahlen.
Vogel
Deine Seele ist ein Vogel.
Ist unsichtbar
und nistet in dir,
fliegt aus und ein.
Doch er kennt dich nicht.
Wird besser sein!
Vogelflug
Der Blick übers Tal wie im Vogelflug
verschwimmt in Gedanken, dem Lebenstrug.
Was einfach da ist, einfach so,
wird Gegensatz, stimmt selten froh.
Ein Vogel fliegt scheint´s nach Belieben.
Wo ist in uns Natur geblieben?
Ach blick´ übers Tal wie im Vogelflug:
Nichts denken und fühlen ist auch Betrug!
Vogelleben
Als sein Leben an ihm vorüberzog,
getrieben von kurzem Sinn,
wie ein Vogel, der von Ast zu Ast nur flog,
da war es zu spät für ihn!
Und auch wenn es den Vogel nach Süden zog,
blieb alles genauso schlimm.
Oh warum nur, mein Gott, mich der Schein so betrog?
Mit ihm bin auch ich dahin!
Und du?
Wer log?
Vogelreihen
Fein aneinandergereiht, doch in gebührenden Abständen, sitzen die dunklen Kerlchen auf den Leitungsdrähten. Jeder allein, schweigend, nur ab und zu ein Schnabellaut. Doch sie wissen, dass sie zusammengehören. Immer wieder fliegen mehrere in Scharen auf, umher, lassen sich nieder und kehren wieder zurück oder nicht. Andere Scharen fliegen herbei.
Lange, viel zu lange, schaust du zu. Allein, am liebsten ganz, ganz allein.
Dann fällst du aufs Feld. Aus den trüben Wolken löst sich ein großer Schatten. Nähert sich dir langsam und wird dabei immer kleiner. Alle Vögel stieben auf. Und du schläfst ein wie unzählig viele irgendwo, im Glauben gewesen, wach gewesen zu sein.
Vollmond
Der Vollmond ist mir nicht geheuer.
Ist´s wirklich Zufall, dass das Steuer
des Alltags so verrissen wird?
Ist´s möglich, dass man sich so irrt?
Ein Übel nach dem anderen reiht
sich - wie sonst nie - um diese Zeit.
Man kann´s sich sicher nicht erklären,
doch auch mit Zweifeln nicht abwehren.
Ist´s selbsterfüllte Prophezeiung?
Ich führe Buch: Es ist die Reihung
von wirklich blinden Schicksalsschlägen,
die man nicht einmal kann erwägen!
Der Vollmond ist mir nicht geheuer.
Er ist so blass und legt doch Feuer!
Selbst wenn er nichts bewirken kann:
Das Schicksal hält sich nicht daran!
Von der Bergeshöhe
Das Grüne gibt es fast nicht mehr.
Die Menschheit baut und baut und baut.
Am Himmel dröhnt der Flugverkehr.
Auch sonst ist´s überall sehr laut.
Beschaulichkeit schätzt niemand mehr.
Die Menschen flüchten in die Massen.
In ihnen ist es hohl und leer.
Vom Smartphon können sie nicht lassen.
Ich bin so anders, stell´ mich quer
und lass mich keinesfalls versklaven.
Alleinsein fällt mir gar nicht schwer
mit Träumen, Sinnen und lang Schlafen.
Von Heraklit bis Theodorakis
Alles fließt (Heraklit),
so auch die Seele,
Alles weint.
Und mit der Träne,
mit der bitt´ren, reicht das Leid
Süßes dir (Theodorakis).
Weilst du, süßer Tod, schon hier?
Πάντα ῥεῖ ( Ἡράκλειτος),
καὶ ἡ ψυχή.
Πάντα δακρύει.
Καὶ μὲ τὸ δάκρυ
τὸ πικρὸ
θά σου γλυκάνει
ὁ πόνος (Θεοδοράκης).
Εἶσαι πιὰ ἑδω.
γλυκύ μου θάνατε;
Von Sinnen
Ist nur noch Gestalt.
Seine Klagen sind verhallt.
Wandelt durch den Staub,
durch gefrorene Nässe, taub.
Träumt, die Augen blind,
spürt nicht mehr den wilden Wind.
Riecht die Blüten nicht,
die ein Traum zu Kränzen flicht.
Schmeckt nicht späte Frucht.
Modernd bleibt sie unversucht.
Es gibt keine Fragen.
Augenspiegel sich beschlagen.
Engelmünder gähnen.
Er schmeckt nicht das Salz der Tränen.
Sollten wir uns glücklich wähnen?
Vorfrühling 2002
Wie Falter zieht das Licht die Leute in den Bann.
Die Sonne wirft noch lange Schatten von den Bäumen.
Ein Mann sieht eine junge Frau sehr lange an,
um einen kurzen Lidaufschlag nicht zu versäumen.
Gemurmel schlägt wie je vom Wirtsgarten entgegen.
Im Rollstuhl klagt ein alter Mann auf einer Flöte.
Ein Kind bringt brav ein Geldstück und springt weg, verlegen.
Ein Stück Gewölk zieht eine Fratze und lacht blöde.
In eine Kammer, staubig, fällt ein schräger Schein.
Ein Blick fängt zitternd, traurig, erschrock´nes Traumbild ein.
Dann hört sich was wie schweres Treppensteigen an,
wie Türeklopfen, Rufen; doch es ist kein Wahn:
Versonnen schweigend blicken sich zwei Tote an.
Und draußen hör´n die Flötentöne auf, zu klagen.
Das Murmeln stockt, die Hunde zieh´n die Schwänze ein.
Und niemand wagt, den ander´n nach dem Grund zu fragen.
Ganz plötzlich sind die Lebenden für sich allein.
Dies währt nur kurz, und niemand kann sich mehr erinnern.
Man plaudert weiter und genießt die Sonnenstunden.
Und niemand hört aus jener Kammer Flöten wimmern.
Der Rollstuhlflötenspieler ist und bleibt verschwunden.
Der Herr mit langem Blick spricht eine Dame an.
Sie winkt dem Kellner und will augenblicklich zahlen.
Er fragt, ob er die Zeche übernehmen kann.
Doch sie winkt ab, er hat ihr einfach nicht gefallen:
Die Welt ist platt, die Kugelform ist bloßer Wahn!
Vorfrühling II
Grau noch ist die Flur,
aber schon zwitschern die Vögel
- fast ahnt man es nur,
und es fällt schwer
bei dem unablässig
grollenden Luftverkehr -
das Lied der warmen
Sommerabende.
Verrottetes Spielzeug
steckt noch in versteinertem Sand,
aber aus dem freien Land,
vom spielverzauberten Waldesrand,
klingen Kinderstimmen herüber.
Die Luft ist leicht.
Eine Katze streift
unter dem weichen Blick
des gealterten Flaneurs
im warmen Licht
durch leeres Gebüsch
und sorgt sich nicht.
Vorfrühling im Alter
Blau in den Abend atmet
schwebender Sinn
sanfte Erinnerungsschleier,
warmer Hauch
fiebernden Lebens
in später Verlorenheit.
Wieder erwacht ein Frühling
so ohnehin.
Vorgezogener Tod?
Mich hat nicht das Glück gesegnet,
Pech die Augen ausgeregnet.
Habe mich zurückgezogen,
doch dabei nur selbst belogen.
Habe trotzig aufbegehrt,
doch mein Leben blieb verkehrt.
Habe es mir nehmen wollen.
Schnell und sicher hätt´s sein sollen.
Solch ein Gift gibt man mir nicht.
Auch danach sieht man kein Licht.
Labt noch spätes Glück den Sinn?
Kommt der Tod nicht ohnehin?
Vorstadt
Die Gärten zeugen von Ordnungsliebe.
Die Straßen sind frei von jedem Getriebe.
Ein Mann uriniert in einer Ecke.
Sein wartender Hund rührt sich nicht vom Flecke.
Ein Rasenmäher stört die Ruhe,
und in den Häusern herrscht Getue.
Ein Vogel wechselt seinen Ort.
Mal ist er hier, mal ist er dort.
Der Mann mit seinem Hund geht fort.
Aus einem Fenster fällt ein Blick
und zieht sich wieder schnell zurück.
Es wird die Nacht wie jede sein,
sich auch der nächste Tag einreih´n.
Ein Kobold nur spukt unvertraut.
Doch niemand merkt's, weil´s niemand glaubt.
Vortodgefühl
Das Leben zieht an mir vorbei.
Ich hab´ es längst verlassen.
Ich bin mir seitdem einerlei.
Der Tod mag mich erfassen!
Ich habe mein Leben lang gespielt
und immer nur verloren.
Was immer ich auch in Händen hielt,
ich war dafür nicht geboren.
Ich hatte mein Leben nicht erbeten,
und habe es daher verlassen
Mir ist, als hätt´ es mich nie gegeben,
als hätt´ man im Nichts mich belassen.
Doch bin ich irgendwie bei Sinnen.
Sie sind jedoch so leicht,
Unendlichkeiten zu durchdringen,
bis alles nichts erreicht,
bei Gott vielleicht?
Vorweihnachtszeit 92
Viele Lichter belügen
die trüben Tage.
Alles beeilt sich, zu leben.
Und niemand findet
das stille Lächeln
des verlorenen Kindes.
Staunend starrt plötzlich
der Enkel am Arm
dem Greis ins Gesicht:
„Du bist aber alt geworden!“
Doch der freut sich nicht.
Völlig normal
Im Traum noch dröhnt der Himmel.
Und das Gitter der Spuren des Flugverkehrs
entlässt keine Seele mehr
in die Unendlichkeit des Alls.
Doch auch der letzte Verreckende merkt nichts
zwischen Lautsprechern und Bildschirm.
Wachtraum
Im Traum bist du wach.
Und träumst du dich träumend,
träume dich wach!
Dann wachst du im Traum.
Und wachst du auf,
wecke dich in einen Traum!
Wahn II
Trotz Rotlichts schnüffelt ein Hund über die Straße.
Verstohlen kratzt ein Passant sich am Po.
Ein anderer bohrt sich den Finger in die Nase.
Ob Müssen, ob Dürfen: Es ist einfach so!
Ein Rülpser bricht sich schändlich Bahn.
Ein Fluch erschallt von irgendwo.
Der Himmel heult und dröhnt: Welcher Wahn!
Ob Wollen, ob Sollen: Es ist einfach so.
Wahn
Denke nicht daran!
Dann spürst du´s nicht.
Wahn blickt dich an
und zeigt kein Gesicht.
Denke nicht daran!
Es geht dich nichts an
Alles ist Wahn.
Auch dich sieht er an.
Waldspaziergang
Nachts im Wald traf ich den Blinden, Schattengestalt, tastend von Baum zu Baum, kämpfend gegen Ast und Gestrüpp, singend, hörbar kaum, im Dauerdonner des zeitenthobenen Flugverkehrs.
Als ich, von weitem schon, ihm auswich, verharrte er, und mir war, als strecke er eine Waffe in meine Richtung.
„Ich hör´ dich mit meinem verlor´nen Augenlicht“, schrie er gegen den Fluglärm an, „und weis´ dir den Weg in den Tod, wenn du ihn hier suchst. Ich habe ihn schon gefunden!“
Es fiel ein Schuss. Ich rannte um mein Leben. Doch mir war, als hätte er sich ihn selbst gegeben!
Wandel
Still brennt die Kerze, bis ein Wind
die Flamme knickt und an ihr zerrt.
Es bangt um sie ein kleines Kind,
das Licht erlischt, das Kindlein plärrt.
Da hält es inne, und es schweigt
und staunt, wie sich der Rauch ihm zeigt.
Wanderers Abschied
Die Berge, eben noch im späten Licht:
Nun ragen drohend dunkle Schatten auf.
Du eilst zum fernen Ort, doch schneller bricht
die Nacht herein und hemmt den müden Lauf.
Du lässt dich fröstelnd nieder, Vögel schrei´n.
Schreckst auf, erkennst die Richtung nicht mehr wieder!
Es raste das Herz, du liegst, willst´s nicht: schläfst ein.
Wachst auf und weinst, es klingt wie ferne Lieder.
Und fliegst davon, wirst wohl ein Engel sein.....
Am nächsten Tag, da kniet man zu dir nieder.
Warten auf den Tod
Hab´mit dem Leben abgeschlossen.
Warte und warte auf den Tod.
Bin jeden Tag nur noch verdrossen,
weil mir noch weiteres Leben droht.
Warten
Es gibt nur Leid, und alles Glück
ist nur, um dich ins Leid zu schicken.
Zwar kommt die Zeit: Du kehrst zurück,
wo du im Nichts noch nicht gelitten.
Das hilft dir allerdings nicht weiter:
Du merkst davon ja nichts mehr, leider!
Warum?
Goldener Horizont der Sonne,
Silberlicht der Mondesnacht
spenden unserem Herzen Wonne.
Doch warum wird sie entfacht?
Lug und Trug, Enttäuschung, Streit,
dumm verkannt im Recht zu sein:
All das stürzt uns tief ins Leid.
Doch warum schmerzt jedes Nein?
„Ja“ gibt es doch nicht allein!
Warum? II
Nicht fragen!
Gründe sagen nichts.
Welche Gründe sollen sie selbst haben?
Letztlich einfach nur das Sein,
das sie voraussetzen.
Denn ohne Sein auch keine Gründe!
Warum also fragen?
Nur weil Fragen „sind“?
Oder ist das Flattern
im Käfig des Bewusstseins
Ahnung eines weiten Fluges?
Wir weinen, weil wir nicht verstehen,
und lachen, wenn ein Sinn
so richtig fehlt!
Warum III
Warum lässt uns Gott so leiden?
Warum lässt er uns danach fragen?
Warum gibt er nur wenigen Antwort?
Warum gibt er nicht hier,
was er für das Jenseits verspricht?
Will ja nur sterben,
brauche ihn nicht.
Wäre ich nicht geboren,
ich hätte auch nichts verloren.
Wäre nichts, wäre alles,
auch Gott, abgeschworen.
Warum hat nichts
diesen Gott auserkoren?
Doch das Warum
war noch nicht eingeschworen.
Warum?
Es ist nicht der Tod,
der uns bedroht.
Es ist das Leben.
Und niemand weiß,
warum es uns gegeben,
warum wir fragend uns erheben
über unser Leben,
als gäbe es nicht erst im Leben
die Frage nach dem Grund!
Und was man weiß,
dreht sich im Kreis
und bricht nicht aus.
Sprich dich nur aus:
Dein Mund bleibt rund!
Es hat der Grund
den Grund im Sein.
Und dieses bleibt
grundlos allein,
auch, dass es ist,
so, wie es ist,
und so auch Tod und Leben.
Es ist,
was ist,
grundlos gegeben.
Was bleibt?
Die Zukunft, wo wir noch nicht leben,
wird augenblicklich zur Vergangenheit,
in der wir nicht mehr leben.
Und dieser Augenblick dazwischen,
die Gegenwart, in der allein wir wirklich leben:
Wann ist er? Ist er doch unendlich klein!
Und wo wir leben:
So wie die Zeit ist auch der Raum aus nichts:
Unendlich klein ist jeder Punkt und jede Grenze!
Und die Unendlichkeit von Raum und Zeit,
die für sich selbst nicht Anfang und nicht Ende kennen,
kein Außerhalb – wo wäre dieses Nichts,
das keines wäre, wenn es Raum und Zeit enthielte? -,
ja, die Unendlichkeit, in der wir sind,
geworden sind, gewesen bleiben:
Sind wir in ihr verloren – so unendlich klein?
In ihr geht nichts verloren!
Wohin soll es verloren geh´n?
Wir sind und sind doch nicht.
Und alles ist zugleich auch nichts.
Das Alles und das Nichts umfassen sich
und gehen ineinander auf:
Das Alles muss ja auch das Nichts umfassen,
und auch das Nichts muss alles fassen.
Und was verbleibt? Das Nichts und Alles der Unendlichkeit!
Was bleibt ….
Unaufhaltsam, unaufhaltsam,
unaufhaltsam rollt die Zeit.
Zukunft donnert laut heran,
schon ist sie Vergangenheit.
Doch was bleibt, ist Leid, ist Leid.
Nur der Tod, der lässt sich Zeit,
da auch er uns nicht befreit:
Fehlt dann doch Empfindsamkeit!
Was geht’s mich an?
Was geh´ ich mich an auf dieser Welt?
Ich habe mich nicht hierher bestellt!
Und sterbe nicht, wann und wie mir´s gefällt!
Ich werde auch nicht von mir gequält!
Und bin´s nicht, der Freuden auf Wunsch erhält!
Was geh´ ich mich an auf dieser Welt?
Was ist?
Nie haben wir etwas gesehen,
aber immer davon gesprochen.
Denn was ist Licht?
Was Farbe, Dunkelheit?
Ich meine das Empfinden.
Erklär´ es einem Blinden!
Er wird es nicht versteh´n.
Nie haben wir etwas gehört,
aber immer davon gesprochen.
Denn was ist Ton?
Musik, Geräusch und Stimm´?
Ich mein´ den Eindruck von den Lauten.
Beschreib´ ihn einem Tauben!
Er kann's nicht nachvollzieh´n.
Nie haben wir etwas gerochen,
geschmeckt, gespürt,
aber immer darüber gesprochen.
Beweis nie geführt.
Wer will denn darauf pochen?
Nie haben wir etwas gedacht,
nie Trauer und Freude gefühlt.
Erkläre, wie man das macht,
was Hirn und Seele durchwühlt!
Und was ist Raum und Zeit?
Form, Masse und Struktur?
Und überhaupt Wahrheit?
Das Sein ein Rätsel nur?
Was ist?
Was ist das Sein?
Wir sind
und wissen nicht, was das ist,
und werden es nie erfahren,
bevor wir nicht mehr sind.
Seltsam: unser Gebaren,
als wären wir nicht blind.
Was ist das Sein?
Wir flüchten zu einem Gott
und wissen nicht, was er ist.
Wir bleiben allein
mit dem Sein,
das im Raum zerfließt
und in der Zeit sich vergisst.
Ist es denn nicht?
Was ist´s?
Wie oft habe ich in die Wolken geträumt,
den Weg mit Gedankengirlanden gesäumt,
dem schweigenden Gott meine Seele gereicht!
Wie schwer ist das Leben, und Gott hat's so leicht!
So dunkel muss Gott in Gedanken sein,
denn hell ist das Licht, und Licht ist nur Schein.
Wie oft habe ich dem Tode genickt,
und immer hat mich ein Kind angeblickt.
Ich war es und bin es und werde es sein.
Ich war und bin und bleibe allein.
Es sind nur die Tränen, die uns begleiten.
Denn von Geburt an müssen wir leiden.
Da hilft kein Trost, kein Jesus Christ,
es bleibt dabei: Was ist, das ist!
Da ziehen die Toten stumm vorbei.
Ich frage - die Frage wird zum Schrei -:
„Ist wirklich alles einerlei?“
und stiere ins Leere, alles ist frei.
Und ob ich mir doch mein Leben nehme?
Was ist's, wonach ich mich noch sehne?
Was sind wir?
Wir sind nicht geboren,
wir leben nicht,
wir werden nicht sterben.
Wir sind Gedanken,
Gefühle und Wertungen,
raum- und zeitlos,
frei von Sinn,
Traum unserer selbst.
Was soll's?
Was sollst du denn auf dieser Welt?
Die Eltern haben dich herbestellt,
dich nicht gefragt, ob dir das gefällt.
Nun wirst du durch dieses Leben gequält.
Dann wirst du wieder zurückbestellt.
Du weißt nicht von wem. Man hat viel erzählt.
Er hat sich dir noch nicht vorgestellt.
Die eigene Rückkehr ist dir vergällt.
Du weißt nicht, was man dir vorenthält.
Nicht einladend wirkt das Himmelszelt:
Ob dieses Dunkel sich wirklich aufhellt?
Die Toten schweigen und die Nichtgezeugten.
Auch Du verschwiegst dich den Leidgebeugten.
Es sieht so aus, als gäbe es bloß
das Nichts samt uns in seinem Schoß.
Was soll's?
Ein Tag ist wieder angebrochen,
und wie von einer Tarantel gestochen,
so springen – wie gestern und morgen – auch heute
von einem Ziel zum andern die Leute.
Doch insgesamt vom Mond aus gesehen,
ist all das Treiben nicht zu verstehen.
Der eine kommt, der andere geht,
und jeder stirbt: Ist das nicht blöd?
Was war
Was war,
bleibt in der Zeit,
auch die Toten.
Und die Überlebenden
sind Gespenster
ihrer Erinnerung
Was will ich mehr?
Auf seinen dunklen Wegen
führt er mich ohne Licht
durch Kälte und durch Regen
und schweigt. Ich frage nicht.
Ich seh´ ihn nicht und spüre
nur seine sanfte Hand.
Auch wenn ich mehr erführe:
Nur ER führt in sein Land!
Was ?
Was war Gott ohne die Welt,
die er geschaffen hat?
Was war die Welt ohne uns,
die wir sie wenigstens an einem Sandkorn von ihr
schattenweise wahrnehmen können?
Was werden Gott und die Welt
ohne uns sein,
ungefragt und keine Antwort mehr?
Wasser
Wasser, das Element des Lebens:
wir weinen.
Wasser, das Element des Lebens:
Regen überfällt uns vom Himmel.
Wasser, das Element des Lebens,
das in seinen Tiefen untergeht
mit dem letzten Leeren eines Bechers.
Wehmut
Oh, diese Wehmut!
Meine Seele flieht seit der Geburt.
Und meinen Tränenströmen ist sie ausgewichen.
Denn sie bringen ihr nicht den Tod,
den sie ersehnt.
Weich
Ich bin in diese Welt
zu weich geboren worden.
Wo nur die Stärke zählt,
heißt Güte: sich ermorden!
Die Seele möchte singen.
Ihr kann das nicht gelingen.
Der Kampf kennt nur Geschrei
im Masseneinerlei.
Es bleibt mir Stärke nur im Zorn.
Doch stichelt er nur wie ein Dorn
und sticht zurück. Die Ohnmacht bleibt,
die meinen Seelenkern zerreibt.
Weihnachten
Ach ja, da wurde ein Heiland geboren.
Das Heil ging in der Religion verloren.
Den Heiland hat die Kirche verraten.
So bleibt uns nur der Gänsebraten!
Der Heiland predigte die Liebe.
Wenn wenigstens der Hass ausbliebe,
verlogenen Glaubens Geistesgift,
das Menschen sanften Mutes trifft!
Weihnachten
Ein Jesus, heißt es, sei geboren
in einer Krippe schlicht im Stall,
von Gott als Heiland auserkoren,
am Kreuz für unseren Sündenfall
zu sterben, um uns zu erlösen.
Es habe Gott uns ja verführt
- durch eine Schlange sei´s gewesen -
und ungerecht und ungerührt
des Paradieses uns verwiesen,
damit für seinen Test wir büßen.
Warum hat er uns nicht geschaffen,
wie er uns wollte, statt zu strafen
und zu erlösen durch den Sohn?
Ist gottseidank nur Religion!
Weihnachten 2011
Als einziger war er, glaubt man an ihn,
freiwillig geboren und schied dahin
freiwillig grausam in schlimmstem Leid,
um Zeugnis zu geben für alle Zeit:
Höheres gibt es als Sinn im Leben!
Es IST uns ungefragt gegeben,
zu leiden und wieder aus ihm zu scheiden,
Göttlichkeit im IST uns zu zeigen!
Weihnachten 2012
Uns trösten rührende Geschichten
für solche eig´nen Lebenslagen.
Doch keine lassen sich erdichten
an abgrundtiefen dunklen Tagen.
Dann sehen wir geschmückte Tannen
und hören wohlvertraute Lieder.
Doch kann uns all dies nicht mehr bannen.
Uns zieht ein schwarzer Urgrund nieder.
Ist Gott auch zum Menschen gekommen,
das Kreuz hat er uns nicht genommen.
Es bleiben die alten Geschichten.
Im Jenseits soll sich's erst lichten!
Wir brauchen das Licht hier auf Erden.
Es sollte doch Jesus hier werden!
Wir sehen die Lichter am Baum.
Im Wald draußen bleiben sie Traum.
Doch sieh die Schneeflocken schweben,
zum Abgrund tanzend leben!
Weihnachten 2013
Ich hab´ein Kerzenlicht
mir in die Finsternis gestellt.
Doch so was gibt es nicht,
was mir den dunk´len Sinn erhellt.
Ich lösch´das Licht. Es flicht
der Rauch ein Wort, das er nicht hält.
Weihnachten 2015 II
Das Fest der Liebe und des Lichts
ist Kaufgetümmel und sonst nichts.
Der Mensch kann einfach nicht mehr ruh´n
und ist zu dumm, um nichts zu tun.
Er scheut Gedanken und Gefühle
und flieht in Hektik und Gewühle.
Und Weinachten ist ihm ein Fest
wie überhaupt sein ganzes Leben,
wo er sich gerne treiben lässt,
hat er sich selbst doch nichts zu geben.
Da gackert Lachen überall.
Die Masse weint nicht, und ein Stall
der Seligkeit ist nicht ihr Fall.
Weihnachten 2015
Wer Licht verheißt
in dieser dunklen Welt,
ins Jenseits weist
und nicht die Frage stellt,
was Leiden heißt,
warum es Gott gefällt,
und diesen preist,
von Sünde uns erzählt,
obwohl dem Geist
der Allmacht sie zufällt;
allwissend reißt
er uns in sie und hält
die Freiheit dreist
für uns als wohlbestellt:
Wer all dies preist,
verhöhnt das Leid der Welt!
Weihnachtsgedichte (Auswahl)
I
Ach, diese frühe Dunkelheit am Tage,
wie strahlte unsere Seele vor dem Fest!
Wie lange noch? Das war zwar unsere Frage,
doch schnell vergehen sollte nicht der Rest
der für uns doch so trauten Weihnachtszeit,
ob mit, ob ohne flockig weißes Kleid.
Ach Kindheit, warmes Gold der kleinen Flammen!
Die Kerzen sind vertropft und nass die Wangen.
Wir sind noch Kinder, viel zu ernst genommen!
Jetzt ist die Festzeit vor dem Tod gekommen!
II
Ich hab´ein Kerzenlicht
mir in die Finsternis gestellt.
Doch so was gibt es nicht,
was mir den dunk´len Sinn erhellt.
Ich lösch´das Licht. Es flicht
der Rauch ein Wort, das er nicht hält.
III
Uns trösten rührende Geschichten
für solche eig´nen Lebenslagen.
Doch keine lassen sich erdichten
an abgrundtiefen dunklen Tagen.
Dann sehen wir geschmückte Tannen
und hören wohlvertraute Lieder.
Doch kann uns all dies nicht mehr bannen.
Uns zieht ein schwarzer Urgrund nieder.
Ist Gott auch zum Menschen gekommen,
das Kreuz hat er uns nicht genommen.
Es bleiben die alten Geschichten.
Im Jenseits soll sich's erst lichten!
Wir brauchen das Licht hier auf Erden.
Es sollte doch Jesus hier werden!
Wir sehen die Lichter am Baum.
Im Wald draußen bleiben sie Traum.
Doch sieh die Schneeflocken schweben,
zum Abgrund tanzend leben!
IV
Ein Jesus, heißt es, sei geboren
in einer Krippe schlicht im Stall,
von Gott als Heiland auserkoren,
am Kreuz für unseren Sündenfall
zu sterben, um uns zu erlösen.
Es habe Gott uns ja verführt
- durch eine Schlange sei´s gewesen -
und ungerecht und ungerührt
des Paradieses uns verwiesen,
damit für seinen Test wir büßen.
Warum hat er uns nicht geschaffen,
wie er uns wollte, statt zu strafen
und zu erlösen durch den Sohn?
Ist gottseidank nur Religion!
V
Als einziger war er, glaubt man an ihn,
freiwillig geboren und schied dahin
freiwillig grausam in schlimmstem Leid,
um Zeugnis zu geben für alle Zeit:
Höheres gibt es als Sinn im Leben!
Es IST uns ungefragt gegeben,
zu leiden und wieder aus ihm zu scheiden,
Göttlichkeit im IST uns zu zeigen!
VI
Ach ja, da wurde ein Heiland geboren.
Das Heil ging in der Religion verloren.
Den Heiland hat die Kirche verraten.
So bleibt uns nur der Gänsebraten!
Der Heiland predigte die Liebe.
Wenn wenigstens der Hass ausbliebe,
verlogenen Glaubens Geistesgift,
das Menschen sanften Mutes trifft!
VII
Du wurdest geboren, wie wir, um zu leiden.
Und uns zu erlösen? Doch warum bleiben
dann unsere Fragen weiter bestehen?
Du machst unsere Leiden nicht ungeschehen.
Wir haben uns nicht ins Leben gedrängt.
Warum werden wir erst durch die Leiden gelenkt? Warum musstest du uns erst auf Erden erscheinen,
noch dazu, um nur wenige im Glauben zu einen?
VIII
Wer Licht verheißt
in dieser dunklen Welt,
ins Jenseits weist
und nicht die Frage stellt,
was Leiden heißt,
warum es Gott gefällt,
und diesen preist,
von Sünde uns erzählt,
obwohl dem Geist
der Allmacht sie zufällt;
allwissend reißt
er uns in sie und hält
die Freiheit dreist
für uns als wohlbestellt:
Wer all dies preist,
verhöhnt das Leid der Welt!
IX
Das Fest der Liebe und des Lichts
ist Kaufgetümmel und sonst nichts.
Der Mensch kann einfach nicht mehr ruh´n
und ist zu dumm, um nichts zu tun.
Er scheut Gedanken und Gefühle
und flieht in Hektik und Gewühle.
Und Weinachten ist ihm ein Fest
wie überhaupt sein ganzes Leben,
wo er sich gerne treiben lässt,
hat er sich selbst doch nichts zu geben.
Da gackert Lachen überall.
Die Masse weint nicht, und ein Stall
der Seligkeit ist nicht ihr Fall.
X
Silber draußen
oder Schnee.
Silber drinnen
in den Lichtdomen
des Konsums.
Silbern glitzern
am nächtlichen Himmel
die blinkenden Lichter
der ununterbrochen grollenden
Nachfahren der Sterne.
XI
Erst weinte schwerer, grauer Himmel sanft und leise.
Dann wurde aus den Tränen tanzend-lockerer Flaum.
Und jetzt strahlt weißer Samt auf wundersame Weise,
als wär´ die Erde so des trüben Himmels Traum.
Bald wird die Sonne scheinen und die Erde strahlen.
Und blauer Himmel wird vergessen seine Qualen.
Aus einem stillen Traum wird stille Wirklichkeit,
die weiße Decke Leichentuch für Raum und Zeit.
Wir träumen unser schweres Leben in den Tod
als zeitlos ewig, paradiesisch, ohne Not.
Ein Traum wird wahr, wenn Wirklichkeit Versprechen hält.
Ach Schneeglanz, Traumversprechen einer Himmelswelt!
XII
Schneeflocken träumen sich sanft hinab,
taumelnd in tiefe Erinnerung.
So sank kindliche Seele ins Grab,
weiß gekleidet im tänzelnden Schwung,
Hauch gefrorener Tränen, und lag
licht, und im Sarg ist längst ein Sprung.
Wir alten Weihnachtskinder
Ach, diese frühe Dunkelheit am Tage,
wie strahlte unsere Seele vor dem Fest!
Wie lange noch? Das war zwar unsere Frage,
doch schnell vergehen sollte nicht der Rest
der für uns doch so trauten Weihnachtszeit,
ob mit, ob ohne flockig weißes Kleid.
Ach Kindheit, warmes Gold der kleinen Flammen!
Die Kerzen sind vertropft und nass die Wangen.
Wir sind noch Kinder, viel zu ernst genommen!
Jetzt ist die Festzeit vor dem Tod gekommen!
Weihnachtslied
Du wurdest geboren, wie wir, um zu leiden.
Und uns zu erlösen? Doch warum bleiben
dann unsere Fragen weiter bestehen?
Du machst unsere Leiden nicht ungeschehen.
Wir haben uns nicht ins Leben gedrängt.
Warum werden wir erst durch die Leiden gelenkt? Warum musstest du uns erst auf Erden erscheinen,
noch dazu, um nur wenige im Glauben zu einen?
Wein
Ich trinke ein Glas Wein mit mir allein.Dann stelle ich die Flasche mit dem restlichen Wein auf die Ablage vor meinem Toilettenspiegel und gehe zu Bett. Am nächsten Morgen ist die Flasche leer. Offensichtlich hat sich mein Spiegelbild in meiner Abwesenheit gütlich getan.
Weinen
Dir werden immer wieder Tränen fließen,
und du wirst fragen, ob du dafür lebst.
Du wirst zu Bett geh´n und die Augen schließen
und wünschen, dass du als dein Engel schwebst.
Und beim Erwachen wirst du weiterweinen.
Dann wird dir wieder etwas Glück erscheinen.
Doch immer wieder wirst du weinen,weinen,,,
Weise
Der Weise sucht die Stille.
Alleinsein ist sein Wille.
Sein Kopf ist seine Welt,
in der es ihm gefällt.
Er leidet an den Leuten,
die selbst sich nichts bedeuten,
sich nur als Masse sehen
und keinem Trend entgehen.
Er könnte sie ertragen
- will Dummheit nicht beklagen -,
doch feinden sie ihn an,
weil er so frei sein kann!
Weisheit
Ein reger Geist ist nie zufrieden.
Was Weisheit heißt, kann er nicht bieten.
Und Glück ist Dummen nur beschieden.
Zur Weisheit führt nur: sich besiegen!
Weite Welt
Wie gerne bin ich doch allein,
um, wie ich bin, ganz ich zu sein!
Es gibt da so viel zu besprechen
und Dimensionen zu durchbrechen.
Ich lach´ und weine, wach´ und träume
und leb´ und sterb´, und ich versäume.
Ja, das ist meine weite Welt!
Die Enge mit den Anderen quält!
Weiter
Er ging weiter, sehr weit, immer weiter. Allein. Mied Straßen und Ortschaften. Und wenn ihm- was mitunter geschah – auf Wegen, die für niemanden bestimmt gewesen zu sein schienen, jemand entgegenkam, wich er aus, querfeldein.
Am letzten Tag, als er abends, wie gewohnt, irgendwo in einem Wald irgendeine buschwerkbewachsene Mulde die für sein Nachtlager prüfte, tauchte unversehens jemand aus dem Halbdunkel im Regen auf – wo war er nur hergekommen? - und schritt mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. Er wollte jetzt nicht ausweichen, konnte nicht, dachte gar nicht daran. Und erkannte sich in ihm. „Du hast mich eingeholt“, sagte er tonlos. Oder dachte er es nur? Und wachte nicht mehr auf.
Weiß
Das also war der Sommer, war das Leben,
hat Hitze und Gewitter uns gegeben.
Nun kommt der Winter, bringt er uns das Sterben?
Der kalte Tod nur kann den Schnee weiß färben.
Es ist die große Einheit aller Farben,
wie die Gesichter aller, die schon starben.
Weiße Weihnachten
Silber draußen
oder Schnee.
Silber drinnen
in den Lichtdomen
des Konsums.
Silbern glitzern
am nächtlichen Himmel
die blinkenden Lichter
der ununterbrochen grollenden
Nachfahren der Sterne.
Weltschmerz
Was willst du von dieser Welt?
Dass sie dir gefällt?
Auf den Kopf gestellt,
mag sie gefallen,
und vor allem:
Wer hat dir von ihr erzählt?
Wer fragt?
Es zittert das Laub,
und der zarte Wind
weiß nicht, warum.
Es wirbelt der Staub,
und der starke Wind
weiß nicht, warum.
Mein Gott, Du bist taub,
doch der Vogel singt,
weiß nicht, warum.
Wertungsfrage
Und leidest du sinnlos und ohne Schuld,
dann zürne nicht gleich und habe Geduld!
Die Welt ist gut und daher auch schlecht.
Und Gott hat's gerichtet, und so ist es recht:
Das Urteilen ist uns nämlich gegeben,
um uns über diese Welt zu erheben.
Das Unrecht, das dir jetzt geschehen,
kannst du doch deshalb nur so sehen!
Viel besser als ein Stein zu sein,
ist Leid und Wertung dieser Pein!
Wetter
Die Sonne macht den Tag zum Schein.
So blenden uns die Träume.
Und alles scheint betäubt zu sein
und klingt wie Sphärenräume.
Grundehrlich ist dagegen
-wie manch verweinte bitt´re Stunde-
verhangener Tag mit Regen.
Die Seele gibt vom Tod uns Kunde.
Melancholie schlägt keine Wunde.
Wetter
Wie immer scheint die Sonne still und unberührt.
Wie immer so, als hätte mich mein Leid verführt,
aus einer Welt, in der sich leiden nicht gebührt.
Auch graue Regentage können mich nicht trösten.
Es ist, als ob sich Masken der Natur nur lösten
und Engel lustlos sich als Teufelsschar entblößten.
So stütz´ich meinen schweren Kopf in beide Hände,
als ob ich irgendwie Erleichterung noch fände
und die Verzweiflung bei geschloss´nen Augen schwände!
Wetterkapriolen
Es ziehen schwarze Wolken auf.
Es regnete leicht dahin.
Wer geht, beschleunigt seinen Lauf.
Wohl dem, der weiß, wohin!
Dann kommt die Sonne wieder raus.
Es riecht nach frischer Luft.
Man läuft nicht mehr so schnell nach Haus.
Wohl dem, den niemand ruft!
Und plötzlich fällt das Wetter aus.
Die meisten glauben´s nicht.
Wer ohnehin bereits zu Haus,
ist drauf auch nicht erpicht.
Wichtig?
Eine Unendlichkeit warst du nicht.
Eine Unendlichkeit wirst du nicht sein.
So wichtig ist das Leben!
So unwichtig ist es!
Wichtigsein
Bedenke:
Du bist du!
Die Ander´n sind nicht wichtiger
als du für dich.
Und du bist ihnen wichtig nur
in deinem Anderssein.
Erkenn´, erfinde dich!
Das Schaf sieht sich im Schaf.
Der Mensch sieht sich im Unterschied.
Er gibt sich auf im Herdentrieb.
Sei gern´ allein, sag´gerne Nein!
So wichtig kann der Mensch nur sein.
Wie ein Kind
Ach, wie ein Kind
das Leben als Märchen träumen
und die Tränen nicht
in ein Taschentuch wischen!
Wie es uns gefällt?
Wir sind nicht da auf dieser Welt,
damit es uns hier nur gefällt!
Ist Gott denn da, weil´s ihm gefällt?
In Freud´ und Leid teilt er die Welt.
Denn eine Welt, die nur gefällt,
wär´ wie Gefallen ohne Welt!
Wie viele Spinner?
(Groteske)
Ich saß
wie immer
im Regen
im Park
auf der Bank.
Da zogen
daneben
an tropfenden Büschen
entlang
die drei,
mir zugewandt
mit aufforderndem Blick,
an mir vorbei,
und ich zog mit.
Und im Nebel
in den Büschen
am See
verlor ich sie
aus den Augen,
herrjeh,
kaum zu glauben!
Ich prüfte das Wasser.
Man hörte es nicht.
Da sah ich es treiben,
ein totes Gesicht.
Sollte ich bleiben?
Mich hielt es nicht.
Und von weitem
sah ich
über dem See
ein Licht.
Ja, und die beiden
kannte ich nicht.
Und der Dritte
war ich
mit dem Spiegelgesicht.
Und das mit dem Licht,
das glaube ich nicht.
Ich sitze
wie immer
im Regen
im Park
auf der Bank,
nicht mit mir allein,
sondern mit mir zu zweien.
Drei Spinner?
Man hält mich für krank.
Gottseidank!
Wieder und wieder
Wieder und wieder auf Gott gebaut,
wieder und wieder auf ihn vertraut,
wieder und wieder von ihm gequält!
Ob vor ihm kein Leiden zählt ?
Treibt mich höhnend in den Tod,
straft mich für Gewissensnot.
Aus! Ich kann sowieso nicht mehr.
Gott ist grausam!Er hasst mich so sehr!
Wieder
Über gefrorene Felder und Fluren
im Trüben, im Trübsinn dem Tod auf den Spuren.
Es klagt die Mundharmonika.
Ach wär´ der letzte Ton doch da!
Es bebt der Mund, der Blick zerbricht.
Du tust es wieder, wieder nicht!
Wiedersehen II
Fremd in vertrauter Stadt:
Erinnerungsrest an hohler Fassade,
der kühle Atem einer Selbstverständlichkeit,
als sei nie anderes gewesen.
Und doch kamst du hierher,
zeitverloren aus der Vergessenheit,
ewig Kind geblieben.
Wiedersehen
Wir sahen uns wieder,
doch die Zeit kehrte nicht zurück.
Wir schlossen die Lider
und erträumten uns früheres Glück.
Wir reichten die Hand,
und auch dieser Traum entschwand.
Wiegenlied
Mein Kind, schlaf ein, so soll es sein,
dass dich der Tag nicht weiter plage!
Du bist noch klein, dein Herz ist rein.
Du stellst an Gott noch keine Frage.
Bist traurig, wein´, bist nicht allein.
Auch Tränen rühr´n von Gott als Gabe
Doch jetzt schlaf ein und träume fein!
Es kommen ja noch so viel Tage.
Wiener Reminiszensen
Im kleinen Nachtcafé „Zum Heulen“,
Da treffen sich die Gäste selbst.
Vor Spiegeln, zwischen Marmorsäulen
Man stumm seine Probleme wälzt.
Der Cafetier sitzt am Buffet
Und retouchiert alte Folianten.
Wenn jemand leicht die Hand anhebt,
Kommt er und fragt: „Der Herr verlangten?“
Das Licht ist kalt, die Luft ist warm,
Ein Räuspern hier, ein Hüsteln dort.
Es riecht nach „1a Kaiserschmarr´n“.
Der Regulator führt das Wort.
Willenslosigkeit
Ich wurde nicht gefragt bei meiner Zeugung.
Ich werde nicht gefragt von meinem Schicksal.
Ich werde nicht gefragt werden bei meinem Tod.
Was also gehe ich mich an?
Mag mein Leben gottgewollt sein!
Muss ich es deshalb wollen müssen?
Man kann nicht wollen müssen.
Ich will mein Leben nicht
und kann es mir nicht nehmen:
Vielleicht wird es doch lebenswert.
Vielleicht bin ich schon morgen tot.
Auch habe ich kein schnelles Mittel.
Und wenn ich weg bin, weiß ich´s nicht.
So lebe ich nicht nur im Leid,
auch noch in Willenslosigkeit:
weder leben, noch sich töten.
Wind
Der Wind lässt mich stehen.
Gedanken flehen,
ihm nachzugehen,
um endlich zu sehen,
wohin sie verwehen.
Ich bleibe stehen
und fange einen.
Mir ist zum Weinen.
Ich will nichts verstehen.
Windspiel
Den Wind, der auf den Ästen schaukelt,
die Gräser kitzelt, die sich lachend wiegen,
und auf Gesichtern Streicheln gaukelt:
Ihn fasst ein Kind und lässt ihn wieder fliegen.
Winter 2004
Das Schneegestöber
wirbelt eine Botschaft der Kindheit
in mein Gedächtnis.
Ich kann sie nicht mehr entschlüsseln.
Doch macht sie mich sehnsüchtig,
und da fällt es mir ein:
Die Botschaft hieß Sehnsucht,
die kindlich-rührende Sehnsucht,
dass einmal alles besser werde.
Ich hatte sie vergessen,
denn die Sehnsucht war flüchtig
wie dieser Schnee.
Der Flockenwirbel war engelhaft,
und beim mühsamen Ziehen des Schlittens
hatte Weihnachten nach nassem Stoff gerochen.
Jetzt starrt mein Blick
tot aus dem Büro.
Winter 2012
In Weiß und Schwarz die Wälder starren.
Ist´s letzte Wahrheit, zu verharren
im Gegensatz von Ja und Nein?
Und was steht über allem Sein?
Es strebt der schwarze Ast zum Himmel.
Von dort fällt weißer Schnee herab.
Die Äste bilden ein Gewimmel.
Der sanfte Schnee segnet es ab.
Die Kinderseelen lächeln heiter.
Ein Greis blickt auf und müht sich weiter,
auf Sprossen seiner Himmelsleiter.
Und Jahr für Jahr stirbt alles ab,
erwacht und schmückt das leere Grab.
Schwarz – weiß? Nein, alles ist auch nichts.
Ist Schatten und der Schein des Lichts.
Das Licht als Quelle quillt selbst nicht!
Wintermärchen
Du streifst durch den
sonnenversilberten Schnee
gedankenleicht wie dein
gefrorener Atem,
und deine Spuren
zeichnen Vorläufigkeit.
Daheim weint ein Engel.
Winternacht 1950
Man hatte das scheue Kind
in der geträumten Stille
einer mondbeschienenen Nacht
über den verharschten Schnee
auf die taghellen Fluren gebracht
und, als es sagte,
es sei schon erwacht,
nur verlegen gelacht.
Es gab viele Leute,
die an Schlaf nicht gedacht,
und alle schwiegen
und lächelten sacht.
An einer Weide
stockte das Kind.
Ein Kreuz fiel zur Seite,
der Traum wurde blind.
Winternebel
Wie die toten Äste in den Nebel starren,
sich Gedanken letztlich in die Leere krallen.
Doch die Äste weisen von den Wurzeln weg,
während sich der Mensch auf sein Gehirn verlegt.
Winterwald
Da die Sinne sind,
so mag auch ohne sie was sein.
Doch was soll so ein Sein
so ganz alleine sein?
So wie der Wind
nicht ohne unsere Ohren singt,
so ist das Sein
ohne Bewusstsein nur Gespinst.
Zum All gehörst auch du,
damit'st den Urknall find´st
und in dem Wind, der singt,
die Nase rinnt.
Wir machen uns was vor!
Wir träumen uns,
und unsere Tränen
sind am allerbittersten,
wenn wir sie lachen.
Wir sehnen uns,
und unser Leben
ist am unerbittlichsten,
wenn wir's überwachen!
Wir sehen uns selbst falsch
Dreh´ dich zu deinem Spiegelbild,
Gefangener in Dimensionen!
Was hinter allen Spiegeln gilt,
verfälscht nach vorn die vorderen Zonen.
Wir
Wir brauchen nicht können zu können,
um zu können.
Wir brauchen nicht wollen zu wollen,
um zu wollen.
Wir können, nur weil wir können.
Wir wollen, nur weil wir wollen.
Und Können und Wollen sind wir!
Wo bleibt Gott?
Wir sind einfach nicht da gewesen
und werden einfach nicht mehr da sein,
und, dass wir da sind in einer Welt,
sagt uns nur ein Bewusstsein,
das sich da sieht
in einer Gegenwart,
für die zwischen einer Zukunft,
die noch nicht da ist,
und einer Vergangenheit,
die nicht mehr da ist,
gar keine Zeit verbleibt,
und in einem Raum,
der sich ebenfalls
in seiner unendlichen Teilbarkeit verliert,
in einem Sein,
das ohne Grund und Zweck
trotz Unvollkommenheit und Leiden
dem Nichts ganz einfach vorgezogen ist.
Wir werden ungefragt geboren
mit Fragen,
um ohne Antworten
ungefragt wieder sterben zu müssen.
Erst das Bewusstsein
scheidet das Ja vom Nein,
das Sein vom Nichtsein,
zersplittert das Dasein
in Raum und Zeit,
in Ganzes und Teil,
Ursache, Wirkung und Ziel,
Gut und Böse
und weist so
auf seine Wurzeln
über dem Nichts und dem Alles
wie der lichte Baum auf die dunkle Erde,
der Traum auf die Wachheit,
der verästelte Blitz
auf die unsichtbare elektrische Ladung,
wie bewegte Struktur
auf das Unstoffliche.
Wir alle waren nicht
und werden nicht mehr sein:
wohl wahr,
doch aus der Sicht des Seins!
Wo Menschen verhandeln
Überall backen sie kleine Brötchen.
Überall kochen sie auch nur mit Wasser.
Überall rühren sie ihre Pfötchen.
Überall dreschen sie ihre Phrasen.
Überall kühlen sie gern ihr Mütchen.
Überall wird das Papier nur noch blasser.
Wohin?
Am Himmel tobt der Luftverkehr.
Ich lauf durch Feld und Wald und Wiesen
und trag´ an meinem Leben schwer.
Wann endlich werd´ ich es beschließen?
Da ist kein Trost, da ist kein Hoffen.
Ertränk´ ich doch im Tränenmeer!
Oh würd´ ich doch vom Schlag getroffen!
Mein Herz, dein letzter, bitt´ dich sehr!
Mit letzter Kraft, du bist schon leer.
Du bist erschlafft? Komm, leg´ dich quer!
Ist´s Leben schwer, der Tod noch mehr,
als wenn zum Leid gebor´n ich wär´!
Wohl dem....
Ach, Trost und Hoffnung sind so schal.
Das nächste Leid kommt allemal.
Und jede Freude währt nur kurz.
So steigert sich beim nächsten Sturz
ins Leid die Qual, solang´ man lebt.
Wohl dem, der an sich Hand anlegt!
Worum?
Die Sonne strahlt seit eh´und jeh.
Und alle sterben, die sie sehen.
Wie kommt man nur auf die Idee,
es müsse doch um etwas geh´n?
Wozu?
Ich könnte aus dem Leben scheiden.
Man früge dann vielleicht: warum?
Denn niemand hatte so zu leiden.
Doch bald wär´ alles um mich stumm.
Und alles würde weitergehen.
Egal, warum und wie ich sterbe.
Am Himmel werden Sterne stehen.
Und in der Erde ruhen Särge.
Wunder
Ach, gäbe es doch Wunder!
Die Welt ist zu normal.
Ach, wäre sie doch bunter,
nicht überwiegend Qual!
Mehr Zufall würde sorgen
für etwas Gleichgewicht.
Die Sorge über morgen
wär´ gleich der Zuversicht.
Wunder III
Ja, lacht nur drüber!
Es gibt doch Wunder,
zumindest nach Gebeten.
Ihr seid nicht klüger,
nur jetzt noch munter
auf euren Lebenswegen.
Die Welt ist trüber.
Geht sie euch unter,
fleht ihr nach Gottes Segen!
Wunder?
Ein Blitz erstarrt als Sonnenstrahl.
Der Donner klingt wie ein Choral.
Der Regen endet überschnell.
Die dunklen Wolken werden hell.
Der Sonnenstrahl streift auf mich zu.
Die Luft steht still, ich atme Ruh´.
Ich schließe langsam meine Augen
und will nichts wissen und nichts glauben!
Wunsch?
Schließ´ dich ein,
lösch´ das Licht,
stopf´ die Ohren zu!
Bist allein.
Aus dir bricht
aller Schmerz. Und du?
Stirbst du? Nein!
In dir spricht
Gott in aller Ruh´:
Halte ein!
Du bist nicht
ohne mich. Bleib DU!
Wunschfantasien
Ach, gäb´ es Engel,
die die Blüten küssten!
Ach, wenn wir doch vom
Tod nur etwas wüssten!
Ach, gäb´ uns Gott, dass
wir nicht leiden müssten!
Ach, wär´ es schön, wenn
uns die Schatten grüßten!
Ach, wenn die Tränen
uns´ren Schmerz versüßten!
Wunschtraum der Vergangenheit – Albtraum der Realität
Die Nacht ist laut:
Vom Himmel dröhnt erfüllter Menschheitstraum.
Die Sterne, die Unendlichkeit zu schau´n,
ist nur erlaubt
durchs Gitter aus gezog´nem Spurenschaum
Und überhaupt!
Was blinkt: es sind die Flieger; Sterne kaum!
Wut
Die Welt ist schlimmer als die Hölle.
Ich möchte sterben, auf der Stelle!
Die Menschen kennen nur Gewalt.
Sie soll´n verrecken, möglichst bald!
Ich wünsch´den Untergang der Welt,
verfluche Gott, der sie erhält.
Wünsche?
So ungewünscht, wie mir das Leben
als Unerwünschter ist gegeben,
verwünsche ich es seither eben
und wünsch´ mir Mut, es aufzuheben
Xasteriá B´
Im Schweigen enthüllt dir der Sternenhimmel
sein Geheimnis, weil du es nicht verstehst.
Und schweigend erfährst du auch den Tod
selbst im lautesten Schrei,
wie du auch die Geburt erfahren hast.
Schweigend war letztlich dein ganzes Leben,
denn du hast es, ohne es zu verstehen,
wie die Knospe die Blätter der Blüte
in den Sternenhimmel enthüllt.
Xasteriá
In sternenklarer Nacht
sich beobachtet gefühlt
und ins All geschaut
und mit erstarrtem Blick
sich wie aus einem Spiegel
zurückstarren gesehen
unbeobachtet seit ewig
unbegriffen und
mit einem Wimpernschlag
ungeschehen wie
ein Gedanke in einem
vergessenen Traum.
Zappenduster!
Die Finsternis ist unser Sein.
Die Sonne scheint uns nur zum Schein.
Und Mensch ist man nur ganz allein.
Denn Menschheit kann nur Hölle sein!
Zauber des Augenblicks
Oh Augenblick,
unfassbar und
doch höchstes Glück;
ein mildes, ruhiges Licht
aus einer Ewigkeit,
und etwas riecht
nach Kinderseligkeit.
Vorbei! War es?
War´s nicht
ein Zaubertrick?
Zeichen
Wenn du dereinst vergessen bist,
wird irgendwann vielleicht ein Kind
durch feuchten Sand die Striche zieh´n,
die du zu ziehen unterließt,
als dich am Meeresstrand der Wind
fast fortzutragen schien.
Es sind die ungesetzten Zeichen,
die uns die Hand zum Tode reichen.
Zeit.
Ich seh´ nur Wasser um mich, weit,
und weiß, es steigt und steigt und steigt.
Ein Vogel stürzt im Schrei herab.
Die Luft wird zum Ersticken knapp.
Ich schrei´ mein Leben aus dem Leib
in der mir noch verblieb´nen Zeit.
Zeit gedacht
Zeit ist Dauer, Veränderung, Nacheinander.
Die Zukunft fließt übergangslos in die Vergangenheit.
Ich denke nach
und habe doch zu keinem Zeitpunkt nachgedacht,
da es im Fluss der Zeit
keinen Zeitpunkt, keine Gegenwart gibt.
Und doch erinnere ich mich,
nachgedacht zu haben,
als ob ich es
in einer Anzahl dauerloser Zeitpunkte
getan hätte.
Zeit heilt!
Bricht der Himmel auf dich nieder,
fahre nicht sogleich zur Hölle!
Zeit schafft immer etwas wieder
und du stirbst auf alle Fälle!
Du gewöhnst dich an das Schlimmste.
Es genügt dir das Geringste.
Würgt dich auch das schlimmste Leiden,
nichts währt über alle Zeiten.
Sind wir längst dem Tod ergeben,
zäh, ach zäh, trotzt unser Leben.
Weißt du , ob es besser ist?
Erst, wenn du gestorben bist?
Weißt du dann was? Ist ein Sein?
Das, was jetzt ist, ist allein!
Dies ist auch die Sicherheit:
Für den Tod kommt noch die Zeit.
Heute noch? Was heißt da Leid!
Zeit II
Oh, wie die Nacht in den Morgen rast!
Grabesgesang raubt den Schlaf.
Taub ist die Seele, zu Eis verglast.
Bleicher Morgen grüßt brav!
Tagwärts ächzen Leichenkarren,
blutig und voll von Kot.
Halbverschlossene Augen starren:
Bohrt mich doch endlich tot!
Zeit II
Die Glocke schlägt die Stunde noch
wie vor so langen Zeiten.
Doch nur ihr inn´res tiefes Loch
lässt ihren Klang verbreiten.
Die Zeit jedoch ist nicht zu fassen:
vergangen oder noch nicht da!
Du willst sie aber auch nicht lassen,
denn tot ist alles, wo sie war.
Zeit IV
Nur weil,
was sein wird,
noch nicht ist,
und, was war,
nicht mehr ist,
soll,
was ist,
nicht überflüssig sein?
Nur weil,
was sein wird,
schon sein könnte,
und, was war,
noch sein könnte,
soll,
was ist,
überflüssig sein?
Nur weil,
was sein wird,
nicht wird sein müssen,
und, was war,
nicht hätte sein müssen,
soll,
was ist,
sein oder
nicht sein müssen?
Nichts ist,
was nicht nicht sein könnte.
Ist daher alles überflüssig?
Wie es einmal noch nicht war
und einmal nicht mehr sein wird?
Zeit und Ewigkeit
Denk´ dir, die Zeit verrinnt
ziellos! Ist sie dann blind?
Denk´ dir, sie bringt ein Ziel!
Warum dann erst ihr Spiel?
Fließt sie einfach weg,
Vergangenheit als Zweck?
Denk´ dir den Tod in der Zeit,
die sich häuft als Vergangenheit
und dort bleibt
ewig bleibt....
Zeitbefangen
Uns ist gegeben, zu fragen.
Uns ist gegeben, zu klagen.
Wir klagen über Leid?
Ist Frage doch der Zeit!
Zeiten
Bittere Tränen weinen,
wenn lachend Teufel erscheinen?
In die Vergangenheit träumen,
wo Engel den Tränenweg säumen!
Denken, du seiest gestorben,
Dein Lächeln warte bis morgen!
Zeitgeist 1993
(Impressionen in der Fußgängerzone)
Die Alten werden immer jünger.
Die Jungen bleiben ewig Kind.
Die Leute werden immer dümmer
und sind für ihr Verderben blind.
Die Sonne glüht die Hirne aus.
Der Ärmste putzt sich modisch raus.
Unendlich steigen die Gewinne.
Die Ohnmacht hebt zwar ihre Stimme,
doch müde schleppt sich Jahr für Jahr
den dumpfen Massen vor die Füße.
So trampelt, strampelt jeder Narr
sich freudig seine Seinsgenüsse.
Zeitlose Ewigkeit
Der Tod ist jedem Augenblick gegeben.
Und doch lebst du noch weiter, bis du stirbst!
Was ist das: dieses Sein und unser Leben
und, was du in dir augenblicklos birgst?
Zu keinem Zeitpunkt wirst du es erfahren.
Es kann sich in der Zeit nicht offenbaren.
Der Fluss der Zeit verbirgt die Ewigkeit!
Zeitloses Thema
Jemand hat einen Traum in die Luft gelegt
und einen langen Gedanken drum herumgeschlungen.
Darauf ist der Traum langsam abgesackt
und allmählich mit dem Gedanken verschwunden.
Müde hat jemand zugeschaut
und ist dann im Schlaf versunken.
Zeitpfeil
Es stiert der Blick
durch off´ne Türen
weit zurück,
bis er verglast
und tausendfach gebroch´ne
Schatten spiegelt.
Dann wird er wach.
Die Tür vor ihm
ist fest verriegelt.
Zeitpfeil
Kann die Zeit ihr Ziel verfehlen?
Kann sie uns die Zukunft stehlen?
Wird sie aus dem Gleis gehoben,
ist für uns ein Ziel verflogen.
Bleibt die Zeit im Abseits liegen,
ist für uns nichts mehr zu kriegen.
Kehrt die Zeit sich selber um,
läuft es für uns gar zu dumm.
Jedes Wort steht hier daneben:
Zeit ist selbst sich vorgegeben!
Zeitreise
Es schweifen die Gedanken durch die Zeit
ganz tief hinein in die Vergangenheit.
Sie flattern, lassen ihre Flügel hängen.
Sie wollen lieber in die Zukunft rennen.
Und bleiben stehen in der Gegenwart,
die gar nicht ist, die nur vergeht, sie narrt.
Sie hüllen sich in ihre Flügel ein
und lassen sich mit sich alleine sein.
Sie wollen nicht mehr durch die Zeiten streifen.
Sie wissen, dass sie diese nicht begreifen.
Und lassen Träume in die Zukunft schweifen.
Zeitungslektüre
Ich habe eine Wut im Bauch.
Ich schreie und ich könnte auch
nach Leibeskräften um mich prügeln.
Ich pfeife drauf, mich jetzt zu zügeln.
Ach, könnte ich doch explodieren!
Ich hätt´ nur eines zu verlieren:
nur das, was mich zu Tode quält:
Das ist die Dummheit dieser Welt!
Ziemlich alt
Dann trat er aus der Tür.
Die Luft war bitter kalt.
Er rief:“Wo bin ich hier?“
mit letzter Stimmgewalt.
Er war schon ziemlich alt.
„Das ist hier mein Revier,
gleich wirst du abgeknallt!“,
erfuhr er. Und alsbald
fand man vor offener Tür
den Toten. Und Gewalt?
Sprach keine Spur dafür!
Er war schon ziemlich alt.
Zombie
Bereits im Leben gestorben
an Angst und Kummer und Sorgen,
gelebt nur immer für morgen:
Im Leben den Tod sich schon borgen,
heißt sich im Innern ermorden.
Aus mir ist ein Zombie geworden!
Zorn
Gerechter Zorn, ja wüte blind,
zerreiß´ mich, dass ich Rache find´
im Nein zu dem verfluchten Leben,
das sich dem Bösen hat ergeben!
Ich trotz´ der Ohnmacht und dem Leid,
schrei´: Tod der Ungerechtigkeit!
Zufall
Zufällig fliegt der Vogel
von einem Baum zum anderen.
Zufällig schnüffelt der Hund
kreuz und quer über das Gelände.
Zufällig kommt mir der Gedanke,
dass wir zufällig
in der Evolutionsgeschichte
denken,
nicht zufällig zu leben.
Zufrieden
Solang´ man lieber leidet,
als dass man aus dem Leben scheidet,
ist man doch eigentlich zufrieden
mit seinem Leben geblieben!
Zug der Angezogenen
Nachts zogen sie aus
über die kahlen Hügel
unter düsendonnerndem Himmel,
zogen sie aus
und sangen Gesänge des Todes
mit am Rücken verschränkten Händen,
zogen sie aus.
Ihr Leben hatten sie längst
ihren Träumen geräumt
und zogen aus durch die Nacht,
bis im Morgengrauen
auch unter den Füßen
wieder die Erde dröhnte.
Dann zogen sie ihre Hände vom Rücken
und rieben die Augen
und schlossen die Münder.
Sie zogen sich aus und schliefen.
Und nachts wieder zogen
sie angezogen weiter.
Zum Fraße
Dem Leben zum Fraße, dem Tode als Aase
vorgeworfen, das ist die Art,
wie uns ein Gott ohne jegliche Maße
geschaffen hat und mit dem Teufel gepaart.
Zurück
Das, was du warst,
scheint wie im Traum.
Und was du bist,
ist anzuschau´n
im Spiegel der Gedanken.
Und was du sein wirst,
zeigt dein Schatten an.
Und wie die Hoffnungen dir sanken,
so fühlst du deinen Ursprung nah´n..
Zweckpessimismus
Erhofftes nimmt man einfach hin.
Tritt es nicht ein, ergibt sich Leid.
Befürchtetes nimmt man auch hin.
Tritt es nicht ein, ergibt sich Freud´.
Der Hoffnung also fehlt der Sinn:
Nur die Befürchtung ist nicht schlimm!
Zwielicht
Der Tag hat sich in einem Netz verfangen
von Licht und Schatten kreuz und quer.
Der Wind stößt hektisch hin und her.
Die Vögel ziehen ahnend tiefe Bahnen.
Das Land wird fremd, ein Träumer lässt sich nieder.
Ruinen der Erinnerung
umdämmern ihn als Spiegelung,
zersprungen in das Licht-und Schattengitter.
Verwitterung umdüstert seine Sinne.
Ein mattes Sehnen schließt die Lider,
verflüchtigt sich im Halbtraum wieder.
Die Sonne lauert starr als Schattenspinne.
Zwiesprache (Kurzprosa)
„Das Leben verlebt!“ Nur müde und andeutungsweise breitete er die Arme aus. „Die Gedanken zerdacht!“ Furchen zeigten sich auf seiner Stirn. „Die Sinne versonnen!“ Er schloss die Augen. „Die Gefühle zer.... wühlt!“ Schwer atmete er durch. „Die Träume verträumt!“
Er öffnete die Augen wieder.
„Naja“, erwiderte sein Gegenüber und meinte es durchaus ernst.
Zwiesprache
Wenn du nicht mehr weiterweißt,
alle Tränen hast vergossen,
fast der Lebensfaden reißt,
halt´ die Lider fest geschlossen!
Falte deine Hände fest,
schrei´ im Inneren zu Gott,
bis die Spannung dich verlässt,
fall´ dann in Gedankentrott!
Sprich dich aus und hör´dir zu,
schränke ein und wende ein,
gib dir Antwort, Gott bist du;
du bist nicht mit dir allein.
Etwas lässt dich aus dir sprechen,
Antwort werden deine Fragen,
wo das Schweigen Zweifel brechen.
Dann verstummen deine Klagen.
Zweifle, doch verzweifle nicht!
Gott ist's, der aus Zweifeln spricht.
Zynismus des Lebens
Was kann ich dafür, dass ich gezeugt worden bin?
Warum werde ich dafür mit diesem leidhaften Leben bestraft?
Warum ist alles nur Rätsel ohne Lösung?
Warum werde ich, obwohl mir der Tod gewiss
und mir die Macht verliehen ist,
ihn auch selbst herbeizuführen,
durch die Ungewissheit, was er bedeutet,
davon abgehalten, aus dieser Lebenshölle
vorzeitig zu scheiden?
Herr, gib mir den Mut,
zu tun, wozu du mich drängst,
indem du mir das Leben zur Hölle machst!
Du hast mir zu Lebzeiten
das Vertrauen auf deine Güte genommen.
Wie soll ich darauf vertrauen,
dass du sie mir nach dem Tod schenkst?
Herr, fehlt mir der Mut,
lass mich ihn im Zorn nicht brauchen!
Ich habe alles vorbereitet.
Ich bin bereit.
Ich glaube nicht an deine Güte.
Ich glaube nicht an deine Schlechtigkeit.
Mein Gott, ich glaube,
dass ich in dir aufgehoben bin.
Zynismus des Lebens
Ungefragt gezeugt werden,
ungefragt sterben,
ein Leben lang fragen,
ohne Antwort zu erhalten,
ein Leben lang leiden,
immer wieder durch die wenigen Freuden
verschlimmert und verlängert,
um dann doch zu sterben,
aber ohne diese Erlösung noch zu erleben.
Äonen
Aus Äonen in den Augenblick gestellt,
treibt uns dieser durch das kurze Spiel der Welt
in die Ewigkeit, die sich in ihm gefällt
und Äonen zeitlos so wie ihn enthält.
Alles und nichts sind dasselbe, das in der Zeit zerfällt.
Über die Heiterkeit der Feste
Sie feiern ein Fest und freuen sich,
sind eins, jedoch unter ihnen sitzt
ein Fremder, sie aber merken´s nicht.
Sie lachen Tränen, der Fremde lacht.
Doch weint er dabei in Wirklichkeit.
Sie merken´s nicht, und sie geben nicht acht.
Und suchen unwissentlich mit ihm Streit.
Und als er geh´n will, da schmollen sie ihm.
Er muss auch das nächste Mal wieder hin.
Überall ist Hier
Dort in den Gärten feiern sie.
Der Tag ist ihnen vergangen.
So wie dein Leben? Du hattest es nie!
Du hattest nur manchmal Verlangen.
Ach, du hast deine Stube verschlossen
und trägst noch den Schlüssel bei dir.
Wann ist die letzte Träne verflossen?
Wo immer du bist, ist dein Hier.
Überfluss
Wir sind überflüssig
im Weltall.
Das Weltall
ist überflüssig.
Die Frage nach Gott:
Wer oder was kann sich
diesen Überfluss leisten,
samt uns,
die wir uns
als solchen erkennen können?
Überflüssiges Leben
Was hängen wir denn so am Leben?
Schon morgen sind wir vielleicht tot!
Es war uns ewig nicht gegeben:
Was tut es jetzt denn für uns not?
Überleben II
Laufe über die weiten Fluren!
Jeder einzelne Schritt ist Ziel.
Verwischt wird jede deiner Spuren.
Du allein bist nur, der will,
bis zum einzigen Augenblick
reifen Willens für´s Geschick.
Überleben
Ja, welchen Sinn soll Sinn denn haben?
Zu trösten uns in unserem Leid?
Wir denken uns, wonach wir fragen,
und leiden weiter, weil´s so bleibt.
Das Leben lässt sich nur ertragen
in hoffnungsloser Traurigkeit!
Εγώ
Μία μέρα μόνο εγώ
με καρδιά, ψυχή, μυαλό,
δάκρυ και χαμόγελο.
Λεύθερος με μένα ζω.
Τι θα είναι η ζωή,
όταν μην με είχα βρει;
Ein Tag nur ich
mit Herz, Seele, Gehirn,
Träne und Lächeln.
Frei mit mir lebe ich.
Was wäre das Leben,
wenn ich mich nicht gefunden hätte?
Ζεϊμπέκικο
Τον χάροντα αντάμωσα,
τον παρακάλεσα με δάκρυα·
¨Να πάρεις μου τα βάσανα!¨
¨Το κάνει όλα πιό χειρώτερα¨,
μουρμούρισε και πέρασα
αναστενάζοντας πολύ βαρειά.
Dem Tod bin ich begegnet,
ihn habe ich gebeten unter Tränen:
„Nimm mir die Qualen!“
„Das macht alles noch schlimmer“,
hat er gemurmelt und ich bin weitergegangen,
ganz schwer aufstöhnend.
Μην κλαις
Δακρύζουν πάντα οι πηγές.
Μην κλαις.
Τα δάκρυα είναι πληγές
και αύριο θα είναι χθες.
Es weinen ständig die Quellen.
Weine nicht!
Die Tränen sind Wunden,
und morgen sind sie gestern
Πάρε τη δική σου ζωή
Όταν με ερωτάς,
πως να ζήσεις καλά,
λέω· να μην πετάς,
αν ακούς πουλιά.
Nimm dein eigenes Leben!
Wenn du mich fragst,
wie du gut lebst,
sage ich: Fliege nicht,
wenn du Vögel hörst!
Το πουλάκι
(παιδικό τραγούδι)
Ένα κοριτσάκι
είχε ΄να πουλάκι,
έδωσ΄του φιλάκι,
μα μωρό πουλάκι
με ΄να τραγουδάκι
πέταξε στη Θράκη.
Κλαιν΄το κοριτσάκι,
δόλιο, και κουκλάκι
μεσ΄στο μαντιλάκι,
κλαίνε, κλαίνε, κλαίνε.
Πάει, πάει, πάει πουλάκι.
Πέρασε χρονάκι,
γύρισ΄το πουλάκι,
χώρεψ΄κοριτσάκι,
γλέντησε κουκλάκι,
γιόρτασαν λιγάκι.
Πέθανε πουλάκι
κλαιν΄το κοριτσάκι,
δόλιο, και κουκλάκι
μεσ΄στο μαντιλάκι
κλαίνε, κλαίνε, κλαίνε
πάει, πάει. πάει πουλάκι.
Das Vögelchen
(Kinderlied)
Ein kleines Mädchen
hatte ein Vögelchen,
gab ihm ein Küsschen,
aber das dumme Vögelchen
flog mit einem Liedchen
nach Thrakien.
Es weinten das kleine Mädchen,
armes, und ein Püppchen
in das Taschentüchlein,
weinten,weinten weinten.
Fort, fort, fort, Vögelchen.
Es ging vorbei ein Jährchen,
kehrte das Vögelchen zurück,
tanzte das kleine Mädchen,
freute sich das Püppchen,
feierten ein wenig.
Es starb das Vögelchen,
weinte das kleine Mädchen,
armes, und das Püppchen
in das Taschentüchlein,
Weinten, weinten weinten,
vorbei,vorbei vorbei Vögelchen.
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